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Abolitionismus (Kriminologie)

From Wickepedia

Abolitionismus ist im kriminalsoziologischen Sinne ein theoretischer Ansatz, der den Verzicht auf die totale Institution des Gefängnisses oder – in einem noch umfassenderen Sinne – die Abschaffung des Strafrechts fordert.

Die kriminalsoziologischen Abolitionisten sind grundsätzlich der Meinung, dass der Staat nicht das richtige Organ sein kann, um die Art und Weise der Bestrafung festzusetzen. Ihrer Ansicht nach sollten das nähere Umfeld eines Täters oder eines Opfers die Möglichkeit haben, eine geeignete Reaktion festzusetzen. Geeignete Modelle hierfür könnten Community Accountability, Restorative Justice oder Transformative Justice darstellen.

Klassische Vertreter des kriminologischen Abolitionismus sind Fay Honey Knopp, Ruth Morris, Nils Christie, Thomas Mathiesen, Herman Bianchi und Louk Hulsman. Zu den bekanntesten neueren Abolitionisten gehören u. a. Angela Davis, Ruth Wilson Gilmore (USA) und David Scott (England).

Zu den abolitionistischen Organisationen gehören KROM (Norwegen), Inquest (England), Critical Resistance (USA), Justice Action (Australien) und das Anarchist Black Cross.

Polizeikritik

Abolitionistische Kritiken der Polizei setzten sich für ihre Abschaffung oder Überwindung ein. Sie setzten sich für andere Formen der gesellschaftlichen Problembearbeitung und Konfliktbehandlung ein, die den Schutz von Betroffenen sicherstellen und Täter sinnvoll zur Rechenschaft ziehen, ohne auf die polizeiliche Rechtsdurchsetzung zurückzugreifen. Das bedeutet beispielsweise, das Institutionen in anderen Bereichen wie Medizin, Bildung oder der demokratischen Mitbestimmung gestärkt oder neu gedacht werden sollen. Polizeiabolititionistische Gruppen versuchen häufig, „bereits innerhalb der bestehenden Gesellschaft die Keimzellen alternativer Gemeinschaftsformen aufzubauen“.[1] Polizeiabolitionistische Forderungen unter der Parole „disband, disempower, and disarm the police!“ (dt.: „die Polizei auflösen, entmachten und entwaffnen!“) und mit einem Fokus auf rassistische Polizeigewalt gewannen nach den Protesten um den Todesfall Michael Brown an Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs. Abolitionistischer Aktivismus findet häufig in einem Spannungsverhältnis zwischen kurzfristigen Zielen, die primär Schaden abwenden wollen, und langfristigen Zielen, die eine gesellschaftliche (häufig antikapitalistische) Transformation beinhalten, sowie zwischen eher liberalen und radikalen Ansätzen des Abolitionismus statt.[2] Mit Slogans wie „Defund the Police!“ (dt.:„Entzieht der Polizei die Finanzierung!“) fordern Vertreter der Abolitionismus-Bewegung, öffentliche Ressourcen stärker zur Bekämpfung der Ursachen von Gewalt und Kriminalität statt zu ihrer polizeilichen Bekämpfung einzusetzen.[3]

Literatur

  • Thomas Mathiesen: The Politics of Abolition, Oslo 1974.
  • Fay Honey Knopp u. a.: Instead of Prisons: A Handbook for Abolitionists, Syracuse 1976. ([1])
  • Thomas Mathiesen: Überwindet die Mauern! Die skandinavische Gefangenenbewegung als Modell politischer Randgruppenarbeit, Neuwied: Luchterhand, 1979, ISBN 3-472-58044-5
  • Sebastian Scheerer: Die abolitionistische Perspektive, in: Kriminologisches Journal, Nr. 16, 1984, S. 90–111.
  • Karl F. Schumann (Hrsg.): Vom Ende des Strafvollzugs. Ein Leitfaden für Abolitionisten, Bielefeld: AJZ, 1988, ISBN 3-921680-73-5.
  • Johannes Feest: Hat der Strafvollzug noch eine Zukunft?, Kriminologisches Journal 2008.
  • Nicolas Carrier/Justin Piché: The State of Abolitionism. In: Champ Pénal/Penal Field vol. XII, 2015.
  • Thomas Mathiesen: The Politics of Abolitionism Revisited. London, New York: Routledge 2015
  • Massimo Pavarini/Livio Ferrari (Hrsg.): NO Prison. London: EGPress 2018.
  • Michael Coyle/David Scott (Hrsg.): International Handbook on Penal Abolitionism. London, New York: Routledge 2020.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Daniel Loick: Was ist Polizeikritik? In: Daniel Loick (Hrsg.): Kritik der Polizei. Campus, Frankfurt 2018, ISBN 978-3-593-44001-9, S. 9–38, S. 31.
  2. Meghan G. McDowell, Luis A. Fernandez: ‘Disband, Disempower, and Disarm’: Amplifying the Theory and Practice of Police Abolition. In: Critical Criminology. Band 26, Nr. 3, 1. September 2018, ISSN 1572-9877, S. 373–391, doi:10.1007/s10612-018-9400-4.
  3. Robyn Maynard: Police Abolition/Black Revolt. In: TOPIA: Canadian Journal of Cultural Studies. Band 41, Nr. 1, 2020, ISSN 1916-0194, S. 70–78 (jhu.edu [abgerufen am 2. Oktober 2021]).