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Berthold Jacob

From Wickepedia

Berthold Jacob Salomon (* 12. Dezember 1898 in Berlin; † 26. Februar 1944 ebenda) war ein deutscher Journalist und Pazifist. Seine Pseudonyme waren Marcel Rollin und Berthold Jay. Als Jude und entschiedener Kritiker der illegalen Aufrüstung in der Weimarer Republik musste er 1933 direkt nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten außer Landes fliehen. Er wurde von den Nationalsozialisten zweimal im neutralen Ausland entführt und nach Deutschland verschleppt. Das erste Mal[1] bestand die Schweiz nach öffentlichen Protesten auf seiner Ausschaffung, das zweite Mal wurde er heimlich aus Lissabon nach Berlin verschleppt, wo er 1944 an den Folgen einer mehrjährigen Gestapo-Haft starb. Der Schriftsteller Hans Roger Madol war sein jüngerer Bruder.

Leben

Jacob, der aus einer bürgerlichen Familie stammte, absolvierte ab 1914 eine kaufmännische Lehre. 1917 meldete er sich freiwillig an die Front; das Kriegserlebnis machte ihn zu einem radikalen Pazifisten. Wie der Journalist und Pazifist Carl von Ossietzky war Jacob nach Ende des Ersten Weltkrieges Mitarbeiter der Berliner Volks-Zeitung, für die er über militärpolitische Themen berichtete. Daneben veröffentlichte er in pazifistischen Publikationen wie Das Andere Deutschland und die Warte für Menschenrechte. Von 1923 bis 1928 schrieb er zahlreiche Artikel für die Wochenzeitschrift Die Weltbühne, darunter auch unter dem Pseudonym Ein alter Soldat. Aktiv war er überdies im Friedensbund der Kriegsteilnehmer, in der Deutschen Liga für Menschenrechte und der Deutschen Friedensgesellschaft.

Jacobs journalistischer Ehrgeiz lag vor allem darin, die Bestrebungen der deutschen Reichswehr zur heimlichen Aufrüstung und zur Umgehung des Vertrags von Versailles aufzudecken. Wie akribisch er dabei vorging, schilderte der Schriftsteller Walter Kiaulehn rückblickend:

„Er war ein wahrer Sherlock Holmes der Journalistik und arbeitete ständig an Tabellen und Karten, deren Vervollkommnung ihm alle Geheimnisse seiner Feinde entschleierte. Mit dem Zirkel rechnete er die Schlupfwinkel des fememörderischen Verschwörertums aus und markierte mit Fähnchen auf seinen Karten die Standorte der Schwarzen Reichswehr. Die Ranglisten der deutschen Armee waren seine Kopfkissenlektüre, und die Familienanzeigen aus den Garnisonsstädten waren seine schönsten Informationsquellen.“

Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift[2]

Eine dieser Recherchen führte dazu, dass Jacob in einem Artikel im Anderen Deutschland das System der sogenannten Zeitfreiwilligen aufdecken konnte. Diese Soldaten wurden kurzfristig zu militärischen Übungen herangezogen und tauchten in keiner Statistik auf. Wegen des Artikels wurden Jacob und der Herausgeber des Anderen Deutschland, Fritz Küster, im März 1928 vom Reichsgericht im „Ponton-Prozess“ wegen Landesverrats zu je neun Monaten Festungshaft verurteilt. Nach Ansicht von Juristen bezog das Reichsgericht mit diesem Urteil juristische Positionen, die später auch zu der Verurteilung Carl von Ossietzkys im „Weltbühne-Prozess“ führten.

Nachdem er 1928 Mitglied der SPD geworden war, schloss er sich 1931 der unter anderen von pazifistischen SPD-Abgeordneten gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands an. Bereits 1932 emigrierte Jacob nach Straßburg in Frankreich und entging damit einer möglichen Verhaftung durch die Nationalsozialisten nach deren Machtübernahme im Januar 1933. Aus dem Exil gab er bis 1939 die Korrespondenz Unabhängiger Zeitungs-Dienst/Service de Presse Indépendant heraus, deren Schwerpunkt die Berichterstattung über die Aufrüstung Deutschlands war. Sein Name stand neben zahlreichen prominenten Autoren und Politikern auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reiches vom 25. August 1933.[3] Zusammen mit Kurt Grossmann initiierte Jacob 1934 die Nobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky, die im November 1936 schließlich zum Erfolg führte.

Auch vom Ausland aus versuchte er die militärischen Pläne der Nationalsozialisten aufzudecken. In französischen Zeitungen veröffentlichte er 1935 Details über deren Aufrüstungspläne. Den Nationalsozialisten war Jacob ein Dorn im Auge. 1935 ließen sie den ihnen verhassten Jacob mit Hilfe des in der Emigration tätigen Hans Wesemann und mehrerer Agenten der Gestapo in die Schweiz nach Basel in die Nähe der deutschen Grenze locken. Von dort entführten die Agenten den durch KO-Tropfen wehrlos gemachten Jacob am 9. März 1935 ins direkt benachbarte deutsche Weil am Rhein. Von dort wurde Jacob direkt in ein Gestapo-Gefängnis in Berlin gebracht. Womit die Gestapo nicht gerechnet hatte: Die Schweiz protestierte sofort heftig und in der Öffentlichkeit gegen die Verletzung ihrer Hoheitsrechte und verlangte eine Wiedergutmachung. Gleichzeitig wurde der Lockspitzel – ein deutscher Emigrant in Gestapo-Diensten namens Hans Wesemann – in Ascona verhaftet. Er offenbarte nach einigen Verhören viele Einzelheiten der Entführung. Da die Schweizer Polizei nahezu alle Details kannte – sie hatte vor allem auch die Beteiligung hoher Gestapo-Offiziere ermittelt –, drohte Deutschland ein beträchtlicher Ansehensverlust. Um den außenpolitischen Schaden zu begrenzen, übergab die deutsche Regierung am 17. September 1935 Jacob wieder den Schweizer Behörden. Der Hauptgrund der Freilassung aber war, dass Jacob in den Monaten der Haft und unter Folterungen durch die Gestapo das Geheimnis seiner „Allwissenheit“ über die deutsche geheime Aufrüstung und andere militärische Angelegenheiten preisgegeben hatte. Jacob konnte glaubhaft machen, dass er keinerlei „geheime Beziehungen“ und kein „Agentennetz“ hatte. Er hatte durch Auswertung vieler Zeitungen, Provinzblätter, Inserate diese Erkenntnisse legal gewonnen.[4] Die Schweiz wies Jacob nach Frankreich aus, wo er sich in den kommenden Jahren neben seiner journalistischen Arbeit unter anderem am Vorläufigen Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront beteiligte. Er hatte bereits soviel Material gesammelt, dass er das Buch Das neue deutsche Heer und seine Führer schreiben konnte, in dem er sehr detailliert die Wehrkreiskommandos, Armeekorps und die Generäle für den kommenden Krieg auflistete.[5] Wesemann wurde im Mai 1936 in Basel zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Nach Kriegsbeginn 1939 von den Franzosen zunächst im Lager Le Vernet in Südfrankreich interniert, emigrierte Jacob nach der Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen im Juni 1940 zunächst über Marseille nach Spanien, anschließend nach Portugal. Kurz bevor er im Jahre 1941 das rettende Schiff betreten konnte, das ihn in die USA hätte bringen sollen, wurde er von Agenten des NS-Sicherheitsdienstes entführt und ein weiteres Mal nach Deutschland verschleppt. Rettungsversuche waren erschwert worden, weil er als "Doppelagent" von anderen Flüchtlingen nach seiner Freilassung von der Gestapo verdächtigt wurde.[6] In den folgenden Jahren war er im Gestapo-Gefängnis am Berliner Alexanderplatz inhaftiert, wo sich sein Gesundheitszustand zunehmend verschlechterte. Kurz vor seinem Tod wurde er mit Lungentuberkulose und Fleckfieber in das Jüdische Krankenhaus Berlin eingeliefert, wo er am 26. Februar 1944 starb. Sein Vater, der Antiquar David Salomon, war schon am 18. Februar 1943 im KZ Auschwitz ermordet worden.

Werke

  • Weissbuch über die Schwarze Reichswehr (mit Emil Julius Gumbel). Hrsg. von der Deutschen Liga für Menschenrechte, Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin 1925.
  • Deutschlands geheime Rüstungen? Hrsg. im Auftrag der Deutschen Liga für Menschenrechte von Emil Julius Gumbel u. a., Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin 1925.
  • Verräter verfallen der Feme: Opfer, Mörder, Richter 1919–1929 (mit Emil Julius Gumbel, Ernst Falck). Malik, Berlin 1929. Rezension von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1930 auf Textlog.de – Historische Texte und Wörterbücher.
  • Die Hindenburg-Legende. Verlag La République, Straßburg etwa 1934.
  • Wer? Aus dem Arsenal der Reichstagsbrandstifter. Straßburg 1934.
  • Memoiren des Stabschefs Röhm. Anonym erschienen, Straßburg 1934.
  • Das neue deutsche Heer und seine Führer: Mit einer Rangliste des deutschen Heeres und Dienstaltersliste (nach dem Stande von Mitte August 1936). Éditions du Carrefour, Paris 1936.
  • Als Hrsg.: Warum schweigt die Welt? (mit Beiträgen von Carl von Ossietzky, Georg Bernhard, Wolf Franck, Jack Iwo, Alfred Kantorowicz, Rudolf Leonhard, Paul Westheim). Éditions du Phénix, Paris 1936.
  • Weltbürger Ossietzky. Ein Abriss seines Werkes (mit einer Biographie Ossietzkys, Vorwort von Wickham Steed). Éditions du Carrefour, Paris 1937.

Literatur

  • Frank Arnau: Menschenraub. Kurt Desch, München 1968. (Die Entführung Jacobs zwischen S. 49 und S. 77.)
  • Jost Nikolaus Willi: Der Fall Jacob-Wesemann (1935/1936) – Ein Beitrag zur Geschichte der Schweiz in der Zwischenkriegszeit. Basel 1972, ISBN 978-3-261-00682-0. (Dissertation Universität Basel 1972, 343 Seiten).
  • Charmian Brinson: The Gestapo and the German Political Exiles in Britain during the 1930s: The Case of Hans Wesemann – and Others. In: German Life and Letters, Jg. 51, Band 1, Blackwell Publishers, Oxford 1998.
  • James J. Barnes, Patience P. Barnes: Nazi Refugee Turned Gestapo Spy: The Life of Hans Wesemann, 1895–1971. Greenwood Publishing Group, Westport Connecticut 2001, ISBN 0-275-97124-4.
  • Jacob, Berthold. In: Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 12: Hirs–Jaco. Hrsg. vom Archiv Bibliographia Judaica. Saur, München 2008, ISBN 978-3-598-22692-2, S. 304–308.
  • Peter Bollag: Vor 75 Jahren : Basel und der ‹Fall Jacob›. Online in Basler Stadtbuch 2011, S. 199–201.
  • Charmian Brinson, Marian Malet (Hrsg.): ’Warum schweigt die Welt?’ Die Entführung von Berthold Jacob. Eine Dokumentation. Reihe Exil Dokumente. Peter Lang Verlag, Bern, Frankfurt am Main u. a. 2014, ISBN 978-3-0343-1573-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Le Monde illustré vom 30. März 1935, S. 278
  2. Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift. Berlin 1983, S. 198.
  3. Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen. Band 1: Listen in chronologischer Reihenfolge. De Gruyter Saur, München 1985, ISBN 978-3-11-095062-5, S. 3 (Nachdruck von 2010).
  4. Karl Retzlaw: Spartakus. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1971, S. 395, ISBN 3-8015-0096-9
  5. Karl Retzlaw: Spartakus. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1971, S. 396, ISBN 3-8015-0096-9
  6. Karl Retzlaw: Spartakus. Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1971, S. 396, ISBN 3-8015-0096-9