Als Casus Belli (von lateinisch casus belli ‚Kriegsfall‘ [aus casus ‚Fall‘, hier im Sinne von Vorfall, Zwischenfall und bellum ‚Krieg‘][1]; Plural Casus Belli mit langem u[2]) wird eine Handlung bezeichnet, die (in einer meist schon angespannten Situation) unmittelbar einen Krieg auslöst. Der Casus Belli beschreibt also nicht die Menge der Umstände, die zu einem Krieg führt, sondern meist nur den letzten, auslösenden Faktor. Ist der Casus Belli als Angriffshandlung im Sinne des Völkerrechts zu verstehen, entsteht daraus das Recht, einen Krieg in Selbstverteidigung zu führen. Daraus ergibt sich das Problem, im jeweiligen Fall das Vorliegen einer Angriffssituation prüfen zu müssen, was im Allgemeinen Aufgabe des UN-Sicherheitsrats ist.
Geschichte
Da bei bestimmten Casus Belli völkerrechtlich ein Angriff auf einen Aggressor heute noch als berechtigt angesehen wird, kam es immer wieder vor, dass Casus Belli vom eigentlichen Aggressor bewusst provoziert wurden, so zum Beispiel im 19. Jahrhundert beim Arrow-Zwischenfall als Vorwand des Zweiten Opiumkrieges Großbritanniens gegen China oder beim Maine-Zwischenfall im Hafen von Havanna als Vorwand der USA zur Annexion Kubas und der Philippinen im Krieg gegen Spanien. Der letzte Missbrauch des Casus Belli geschah mit der Begründung des Irakkriegs.
Historisch lässt sich die Unterscheidung zwischen eigentlichem Kriegsgrund (etwa Expansionsbestrebung eines Staates) und dem öffentlich als Kriegsanlass angegebenen Casus Belli bis auf den griechischen Historiker Thukydides im Peloponnesischen Krieg zurückführen. So war auch der Vernichtungsfeldzug Roms gegenüber Karthago im 3. Punischen Krieg offensichtlich durch den Wunsch Roms nach uneingeschränkter Herrschaft im Mittelmeer begründet und nicht durch die als Kriegsanlass begründeten Aktivitäten Karthagos gegenüber römischen Bundesgenossen.
Eine große Wirkung auf die abendländische Doktrin des Casus Belli hatte bis ins 19. Jahrhundert auch in evangelischen Staaten allerdings Augustinus und der Scholismus mit seiner – auf römisches Recht und Sakralrecht zurückgehenden – Definition vom gerechten Krieg (bellum iustum). Dies bewirkte zum Beispiel, dass auch die spanische Kolonialmacht sich nachträglich juristisch absichern ließ, einen gerechten Krieg gegen rechtmäßige einheimische Herrscher in Amerika geführt und damit rechtmäßig Gebiete erworben zu haben. Formelle Kriegserklärungen und deren Begründung wurden so unverzichtbarer Bestandteil des Rechtes zum Krieg europäischer Staaten bis ins 20. Jh. außer in Kriegen mit nicht als ebenbürtig angesehenen Staaten in Übersee und gegen aufständische Kolonialvölker.
Fingierte Casus Belli dienen demzufolge in der Regel nicht nur der Rechtfertigung einer kriegerischen Aggression (um Sanktionen und Einmischungen anderer Staaten zu verhindern), sondern auch zur anschließenden Legitimierung der sich daraus ergebenden Kriegsfolgen, d. h. der Annexion oder sonstigen Beherrschung bisher fremden Gebietes. Dies ist insbesondere heute völkerrechtlich von Belang, da nach UN-Charta Angriffskriege verboten sind.
In Zeiten der Massenheere und der Verantwortlichkeit von Regierungen gegenüber ihrer Bevölkerung und der von dieser verlangten Opfer hat das Vorhandensein eines allenfalls fingierten Casus Belli aber auch innenpolitisch eine große Bedeutung. So diente der Tonkin-Zwischenfall im Vietnamkrieg mit dem angeblichen Beschuss amerikanischer Kriegsschiffe durch Nordvietnam innenpolitisch mehr dazu, die amerikanische Öffentlichkeit auf die Massenrekrutierung und die massiv steigenden Kriegskosten einzustimmen als die territoriale Ausweitung des Kriegsgebietes gegenüber der internationalen Öffentlichkeit zu rechtfertigen.
Häufig wird zudem auch als Casus Belli ein von unabhängiger Seite gar nicht eindeutig überprüfbarer Grund angeführt (etwa unter Verweis auf nicht vollständig vorlegbare Geheimdienstergebnisse) und versucht, trotzdem UN-Sicherheitsrat und internationale Öffentlichkeit vom genannten Kriegsgrund zu überzeugen. So ist zwar größtenteils unbestritten, dass die Weigerung der Taliban-Regierung Afghanistans zur Auslieferung oder zumindest Strafverfolgung der Urheber der Anschläge vom 11. September 2001 ein legitimer Kriegsgrund der USA gegen Afghanistan war. Frei erfunden waren dagegen
- behauptete Urankäufe des Irak im Niger sowie
- die Behauptung und die Beweisstücke, der Irak habe transportable Labors für biologische Massenvernichtungswaffen (US-Außenminister Colin Powell legte vor dem UN-Sicherheitsrat angeblich belastendes Material vor; kurz darauf – im März 2003 – begannen die USA den Irakkrieg).
Einem Kriegsbeginn mit fingierten Casus Belli geht meist eine innen- und außenpolitisch begründete aggressive Propaganda voraus. Häufig lässt sich sogar klar in Schriften bestimmter Interessengruppen bereits lange vor den Kriegshandlungen nachlesen, dass ein Krieg unumgänglich und eigentlich gar nicht vom konkreten Verhalten des als Feind- oder Schurkenstaat diffamierten Staates abhängig ist.
Beispiele für Casus Belli
- Die Verletzung des formellen Friedensvertrags mit dem Römischen Reich durch einen Angriff Karthagos auf Numidien führte 149 v. Chr. zum Dritten Punischen Krieg.
- Mit dem Zweiten Prager Fenstersturz von 1618 begann der Dreißigjährige Krieg.
- Der Beschuss von Fort Sumter durch die Konföderierten Staaten von Amerika löste den Sezessionskrieg von 1861 bis 1865 aus.
- Der Streit um die Verwaltung Schleswigs und Holsteins nach dem Ende des Deutsch-Dänischen Krieges war 1866 der Auslöser für den Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich.
- Die Reaktion Frankreichs auf die Emser Depesche führte 1870 zum Deutsch-Französischen Krieg.
- Das Attentat von Sarajevo, bei dem am 28. Juni 1914 der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin ermordet wurden, war Anlass für die Julikrise und führte zum Ersten Weltkrieg.
- Um den Überfall auf Polen zu rechtfertigen, fingierte das Deutsche Reich am 31. August 1939 neben einigen „Grenzzwischenfällen“ den Überfall auf den Sender Gleiwitz.
- Der sogenannte „Mainila-Zwischenfall“ vom 26. November 1939, als finnische Artillerie nach sowjetischen Angaben eine Grenzpatrouille unter Feuer genommen hatte, diente der Sowjetunion als Casus Belli für den Winterkrieg.
- Der japanische Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 wird als Auslösefaktor für den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg gesehen.
- Mao Zedong sprach während des Korea-Kriegs von einem Casus Belli, sobald die US-Truppen den 38. Breitengrad überschritten haben. Eine sogenannte Volksfreiwilligen-Armee wurde von Mao im Jahre 1950 nach Korea entsendet, nachdem die US-Truppen die Warnungen missachtet hatten.
- Den Casus Belli für den offenen Kriegseintritt der USA in den Vietnamkrieg bildete der Tonkin-Zwischenfall vom August 1964, welcher der Regierung Johnson den Anlass gab, den US-Kongress davon zu überzeugen, ein offenes Eingreifen zu beschließen und damit zu legitimieren.
- Die Sperrung der Meerenge von Tiran 1967 durch Ägypten führte zum Sechstagekrieg mit Israel.
Weblinks
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ J. M. Stowasser, M. Petschenig, F. Skutsch (Hrsg.): Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. Oldenbourg Schulbuchverlag, München 2004, ISBN 3-486-13405-1, S. 562.
- ↑ Casus Belli auf duden.de