Das Ehestandsdarlehen war eine familien- und arbeitsmarktpolitische Maßnahme des NS-Staates, bei der ab Sommer 1933 Jungvermählten ein Darlehen für die Beschaffung von Hausrat gewährt wurde. Damit waren mehrere Ziele verbunden. Durch gesteigerte Binnennachfrage wurden mittelbar die Arbeitsbeschaffung erhöht und zugleich der Arbeitsmarkt entlastet, weil die Ehefrau aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden musste. Außerdem sollte als bevölkerungspolitische Maßnahme die Geburtenrate gesteigert werden.
Bedingungen
Die Gewährung eines „Ehestandsdarlehens zur Förderung von Eheschließungen“ galt lediglich für Frauen, die bis dahin selbst berufstätig waren und ihre Tätigkeit als Arbeitnehmerin mit der Eheschließung aufgaben. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit war ihnen für die Laufdauer des Darlehens und solange untersagt, wie der erwerbstätige Ehegatte einen Mindestlohn erhielt. Die ersten Darlehen wurden im Sommer 1933 ausgezahlt.[1]
Eine Erste Durchführungsverordnung (1933, RGBl. I, S. 377) schloss Personen aus, die nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte waren oder nach deren politischer Einstellung Zweifel bestanden, dass sie sich „jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat“ einsetzten. Versagt wurde ein Darlehen auch, wenn eine Eheschließung aus erbbiologischen Gründen angeblich nicht „im Interesse der Volksgemeinschaft“ lag.[2] Eine Zweite Durchführungsverordnung (RGBl. I, S, 540) schrieb dafür eine ärztliche Begutachtung vor. „Nichtarier“ wurden – ohne dass dies im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurde – durch „Erläuterungen“ für die Verwaltungspraxis vom März 1934 ausgeschlossen.[3] Nach den Meldungen aus dem Reich waren Volksdeutsche im Jahre 1940 nicht antragsberechtigt.[4]
Finanzierung
Ein Ehestandsdarlehen konnte bis zum Höchstbetrag von 1000 Reichsmark (ab Ende 1939 bis zu 600 RM)[5] beantragt werden, war unverzinslich und wurde mit 1,0 Prozent der Summe monatlich getilgt. Es wurde in Form von „Bedarfsdeckungsscheinen“ gewährt, die ausschließlich für Hausrat aus deutscher Produktion verwendet werden konnten. Für die „Einrichtung des Heims“ war der Erwerb von Gardinen, Betten, Teppichen, Küchengeräten, Öfen, Geschirr, Nähmaschinen, Radioapparaten und sogar Musikinstrumenten zur Hausmusik zulässig, nicht aber von Bekleidung.
Für jedes lebend geborene Kind wurden 25,0 Prozent der Darlehenssumme erlassen.[6] In der Bevölkerung sprach man von der Möglichkeit, das Darlehen „abzukindern“.[7]
Bis Ende 1937 wurden 878.016 Ehestandsdarlehen im Wert von durchschnittlich 641 Reichsmark erteilt. Die erforderlichen Finanzmittel sollten durch eine Sonderabgabe, die „Ehestandshilfe“, aufgebracht werden, die von allen ledigen Einkommensteuerpflichtigen bis zum fünfundfünfzigsten Lebensjahr erhoben wurde. Tatsächlich blieb das Aufkommen aus der Ehestandshilfe weit hinter der gewährten Darlehenssumme zurück.[8]
Aufhebung des Arbeitsverbots
1935 wurden die Bedingungen geändert (RGBl. I, S. 47), indem nunmehr eine mindestens neunmonatige Berufstätigkeit nachgewiesen werden musste. Im Juli 1936 wurde das Beschäftigungsverbot gelockert (RGBl. I, S. 576) und rückwirkend zum Oktober 1937 wurde es mit dem „Dritten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Förderung der Eheschließung“ (RGBl. I, S. 1158) aufgehoben. Nunmehr konnte der Antragsteller wählen. Wenn die Frau keiner Erwerbstätigkeit nachging, so blieb es bei der Tilgungrate von 1,0 Prozent monatlich, ansonsten stieg die Rate auf 3,0 Prozent.
Das Reichsfinanzministerium begründete die Gesetznovelle damit, das Arbeitsverbot müsse entfallen, um die Durchführung des Vierjahresplanes sichern zu können. Der Arbeitskräftemangel, der durch die Aufrüstung spürbar wurde, sollte durch Frauenarbeit gemildert werden.[9]
Konjunkturpolitische Wirkungen
Die konjunkturpolitische Wirkung der Maßnahme wurde zwar abgeschwächt, weil zugleich durch die Sonderabgabe ein Teil der Kaufkraft an anderer Stelle abgezogen wurde. Bis 1937 wurden jedoch Darlehen im Wert von 563 Millionen Reichsmark ausbezahlt, während die Einnahmen durch die „Ehestandshilfe“ weitaus geringer waren, so dass von einer „expansiven Maßnahme“ zur mittelbaren Arbeitsbeschaffung gesprochen werden kann.[10]
Durch die Verdrängung der Ehefrauen aus der Erwerbstätigkeit wurde der Arbeitsmarkt bis Ende 1935 um rund eine halbe Million Frauen entlastet. Ende 1937 war wegen der Aufrüstung eine Vollbeschäftigung erreicht, so dass diese Zielsetzung entfiel.
Die Auswirkungen des Ehestandsdarlehens auf die Zahl der Eheschließungen lässt sich nicht unmittelbar ableiten. Der Anstieg von 510.000 Ehen im Jahre 1932 auf 631.000 Ehen 1933 und 731.000 Ehen 1934 wird von Humann zum Großteil auf die allgemeine wirtschaftliche Besserung zurückgeführt. Die Inanspruchnahme des Darlehens sank im selben Zeitraum von 37,0 Prozent auf 31,0 Prozent der Jungvermählten und betrug 1935 nur noch 24,0 Prozent. Das Ehestandsdarlehen habe hier nur einen „flankierenden Effekt“ gehabt.[11]
Vergleichbare Regelungen
In der DDR gab es eine ähnliche Regelung, die unter der Bezeichnung Ehekredit bekannt war. In West-Berlin wurde 1962 ein „Familiengründungsdarlehen“ angeboten, um junge Familien zum Zuzug zu bewegen.[12] In Sachsen-Anhalt wurde die (Wieder-)Einführung einer solchen Regelung intensiv diskutiert. In Thüringen gibt es ein sogenanntes Familiendarlehen, welches allerdings nicht zinslos ist.
Literatur
- Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Wallstein Verlag, Göttingen 2011 (Diss.), ISBN 978-3-8353-0838-1.
Weblinks
- Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 1933 (RGBl. I, S. 323)
- Erste Durchführungsverordnung zum ED vom 20. Juni 1933 (RGBl. I, S. 377)
- Zweite Durchführungsverordnung zum ED vom 26. Juli 1933 (RGBl. I, S, 540)
- Dritte Durchführungsverordnung zum ED vom 22. August 1933 (RGBl. I, S. 596)
- Vierte Durchführungsverordnung zum ED vom 2. Dezember 1933 (RGBl. I, S. 1019)
- Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Förderung der Eheschließungen vom 24. Januar 1935 (RGBl. I, S. 47)
- Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Förderung der Eheschließungen vom 3. November 1937 (RGBl. I, S. 1158)
- Zeitungsartikel über Ehestandsdarlehen in den Historischen Pressearchiven der ZBW
Einzelnachweise
- ↑ Harald Focke, Uwe Reimer: Alltag unterm Hakenkreuz. Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1979, S. 121 f.
- ↑ Zur Ablehnung aufgrund von "Asozialität" vgl. Wolfgang Ayaß (Bearb.): "Gemeinschaftsfremde". Quellen zur Verfolgung von "Asozialen" 1933–1945, Koblenz 1998, Nr. 84 und Nr. 101.
- ↑ Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Wallstein Verlag, Göttingen 2011 (Diss.), ISBN 978-3-8353-0838-1, S. 125 mit Anm. 10.
- ↑ Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1939-1945. Herrsching 1984, ISBN 3- 88199-158-1, Bd. 4, S. 1315.
- ↑ Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1939-1945. Herrsching 1984, ISBN 3- 88199-158-1, Bd. 3, S. 512.
- ↑ § 8 der Ersten Durchführungsverordnung zum ED vom 20. Juni 1933 (RGBl. I, S. 377)
- ↑ Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0838-1, S. 120.
- ↑ Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0838-1, S. 119.
- ↑ Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0838-1, S. 122.
- ↑ Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0838-1, S. 119.
- ↑ Detlev Humann: Arbeitsschlacht – Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939. Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0838-1, S. 120.
- ↑ Fritz Emil Bünger: Familienpolitik in Deutschland, Berlin 1970, S. 102 mit Anm. 43.