Enno Lolling (* 19. Juli 1888 in Köln; † 27. Mai 1945 in Flensburg) war ein deutscher Arzt und als Mitglied der SS zunächst als „Lagerarzt“ im Konzentrationslager Dachau wie auch später an leitender Stelle im Konzentrationslager Sachsenhausen tätig.
Frühe Jahre
Lolling schloss seine gymnasiale Schullaufbahn in Hagen 1908 mit dem Abitur ab. Er studierte für zehn Semester Medizin an der Kaiser Wilhelms-Akademie für das Militärärztliche Bildungswesen in Berlin, schloss mit dem Staatsexamen ab, wurde am 3. August 1914 approbiert und am 4. November 1914 bei Walter Stoeckel an der Universität Kiel zum Dr. med. promoviert. Seine Dissertation trägt den Titel Über die Operation des Empyems und ihre Erfolge.[1]
Reichswehrzeit
Bei der deutschen Armee leistete er zunächst ein Freiwilligenjahr von 1907 bis 1908 ab, bei der Kaiserlichen Marine diente er vom 1. April 1908 bis 17. Januar 1919, zum Marineunterarzt wurde er am 1. März 1913 ernannt. Nach seiner Approbation 1914 wurde er zum Marineassistenzarzt (MAssA) ernannt und war in dieser Zeit in Groß Flottbeck bei Hamburg stationiert. Am 24. Mai 1916 wurde Lolling zum Marineoberassistenzarzt (MOAssA), am 18. August 1918 zum Marinestabsarzt (MStA) befördert.
Im Ersten Weltkrieg war er Assistenzarzt an Bord der SMS Wittelsbach bis November 1915, Schiffsarzt auf der SMS Pfeil bis Januar 1917, Assistenzarzt auf der SMS Hannover bis August 1917, Assistenzarzt im Marinelazarett Mürwik bis April 1918, Assistenzarzt bei der I. Seeflieger-Abteilung bis Juni 1918, danach Assistenzarzt des II. Küsten-Bataillons in Flandern bis Kriegsende. Ende Januar 1919 schied er aus der Armee aus und war danach als Mediziner in Neustrelitz tätig. Er war Mitglied und Mensurarzt der Burschenschaft Normannia zu Strelitz[2] (heute Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld).
Karriere im Nationalsozialismus
Am 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 4.691.483). Wahrscheinlich war er zuvor schon ab 1923 Mitglied der SA. Am 28. August 1933 trat er in die SS ein (SS-Nr. 179.765). Am 13. September 1936 wurde er zum Hauptsturmführer ernannt. Vom 2. Mai bis 29. Mai 1936 leistete Lolling eine Übung bei der Reichsmarine ab. Am 30. Juli 1936 musste er eine Erklärung abgeben, dass er seit 1932 kein Morphium mehr nehme und somit auch nicht drogenabhängig sei.
Lolling wurde als Allgemeinmediziner geführt und war September 1936 als SS-Staffelarzt und Truppenarzt bei der Verfügungstruppe an der SS-Führerschule in Bad Tölz eingesetzt und ab Anfang November 1936 Mediziner im SS-Lazarett Dachau.
Ab Anfang Dezember 1939 war Lolling bei der SS-Division Totenkopf eingesetzt. Vom 6. Mai 1940 bis 11. Februar 1941 war er als Lagerarzt im KZ Dachau tätig, zum 12. Februar 1941 berief das SS-Führungshauptamt den Chef des Sanitätsamtes Enno Lolling zum leitenden Arzt des KZ Sachsenhausen.
Ab Anfang Juni 1941 wurde er als Leitender Arzt bei der Inspektion der Konzentrationslager aufgeführt. Am 3. März 1942 wurde Lolling zum Chef des Amtes D III des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes für Sanitätswesen und Lagerhygiene mit Sitz in Oranienburg und damit zum Leitenden Arzt KL, d. h. zum Vorgesetzten aller Lagerärzte in den SS-Konzentrationslagern ernannt. Von Mai bis Juli 1942 hatte Lolling den Posten wegen schwerer Krankheit für einige Zeit verlassen müssen und wurde in diesem Zeitraum von Julius Muthig vertreten. Danach war er bis Kriegsende, seit 9. November 1943 im Rang eines SS-Standartenführers, wieder in gleicher Funktion tätig.
Verantwortlichkeiten
Die Lagerärzte, für deren Wirken Lolling als Vorgesetzter verantwortlich war, hatten alle Vernichtungsaktionen zu begleiten und waren regelmäßig bei den Vergasungen anwesend.[3] Desinfektoren aller Konzentrationslager, die zentral in Oranienburg zum Umgang mit Zyklon B bei der Entwesung geschult wurden, wurden darüber informiert, dass damit im Osten auch Menschen in Lagern getötet würden. Lolling wies die Kursteilnehmer darauf hin, sie müssten – wenn ein entsprechender Befehl käme – bereit sein, diesen auszuführen.[4]
Im Herbst 1941 teilte Lolling dem 1. Lagerarzt des Konzentrationslagers Dachau mit, eine Kommission unter Leitung von Werner Heyde werde dort arbeitsunfähige Häftlinge selektieren und zur Vergasung nach Mauthausen schicken.[5] Vermutlich im Mai 1942 befahl Lolling dem Lagerarzt Friedrich Entress, unheilbar Geisteskranke, unheilbar Tuberkulöse und dauernd Arbeitsunfähige mit Phenolspritzen zu töten.[6] Im Winter 1942 wurde die Anordnung ausgedehnt auf kranke Häftlinge, deren Genesung länger als vier Wochen dauern würde.[7] Lolling genehmigte 1944 Menschenversuche für einen Fleckfieberimpfstoff und war später anwesend, als die tödliche Wirkung einer Zyankalikapsel erprobt wurde.[8]
Zum Kriegsende flüchtete Lolling über die sogenannte Rattenlinie Nord in den Sonderbereich Mürwik.[9] Der 56-jährige schied dort am 27. Mai 1945 im Reservelazarett durch Suizid aus dem Leben.[10][11] Lolling wurde nach Kriegsende in den Ravensbrück-Prozessen vom angeklagten medizinischen Personal immer wieder als Verantwortlicher genannt. Andere Täter, die sich vor Gericht verantworten mussten, schilderten Lolling als völlig inkompetent und dem Alkohol verfallen.[12]
Literatur
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
- Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich. Klett-Cotta, Stuttgart 1988, ISBN 3-608-93121-X.
- Günter Morsch, Bertrand Perz (Hrsg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung (= Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 29). Unter Mitarbeit von Astrid Ley. Metropol Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-940938-99-2.
- Silke Schäfer: Zum Selbstverständnis von Frauen im Konzentrationslager. Das Lager Ravensbrück. Berlin 2002 (Dissertation TU Berlin), urn:nbn:de:kobv:83-opus-4303, doi:10.14279/depositonce-528.
- Claudia Taake: Angeklagt. SS-Frauen vor Gericht. Bis – Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, Oldenburg 1998, ISBN 3-8142-0640-1 (Zugleich: Oldenburg, Univ., Diplomarbeit).
- Johannes Tuchel: Konzentrationslager. Organisationsgeschichte und Funktion der „Inspektion der Konzentrationslager“ 1934–1938 (= Schriften des Bundesarchivs 39). H. Boldt, Boppard am Rhein 1991, ISBN 3-7646-1902-3 (Zugleich: Berlin, Freie Univ., Diss., 1989).
- Jan Erik Schulte: Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933–1945. Paderborn 2001, ISBN 3-506-78245-2.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Katalogkarte der Dissertation, Universitätsbibliothek Basel, abgerufen am 18. Februar 2022.
- ↑ Mitteilungsblatt des Friedrichsruher Waffenrings. Sommersemester 1933.
- ↑ Günter Morsch: Tötungen durch Giftgas im Konzentrationslager Sachsenhausen. In: Morsch u. a. (Hrsg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. 2011, S. 260–276, hier S. 261.
- ↑ Marek Józef Orski: Die Vernichtung von Häftlingen des Konzentrationslagers Stutthof durch das Giftgas Zyklon B. In: Morsch u. a. (Hrsg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. 2011, S. 294–303, hier S. 296.
- ↑ Alexander Mitscherlich, Fred Mielke (Hrsg.): Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses (= Fischer-Bücherei. Bd. 332). Fischer-Bücherei, Frankfurt am Main u. a. 1960, S. 219.
- ↑ Langbein datiert den Befehl auf das Frühjahr 1941. Lifton: Ärzte im Dritten Reich. 1988, S. 291 mit Anm. 2.
- ↑ Lifton: Ärzte im Dritten Reich. 1988, S. 220.
- ↑ Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer (= Fischer 14906 Die Zeit des Nationalsozialismus). Überarbeitete Neuausgabe, Lizenzausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-14906-1, S. 337 mit Anm. 160 und S. 176.
- ↑ Stephan Link: „Rattenlinie Nord“. Kriegsverbrecher in Flensburg und Umgebung im Mai 1945. In: Gerhard Paul, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg. Flensburg 2015, S. 22.
- ↑ Stephan Link: „Rattenlinie Nord“. Kriegsverbrecher in Flensburg und Umgebung im Mai 1945. In: Gerhard Paul, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg. Flensburg 2015, S. 26.
- ↑ 1933-1945 Täter und Mitläufer, Lolling Enno Dr. med., abgerufen am: 13. Mai 2017.
- ↑ Lifton: Ärzte im Dritten Reich. 1988, S. 232.
Personendaten | |
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NAME | Lolling, Enno |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher KZ-Arzt |
GEBURTSDATUM | 19. Juli 1888 |
GEBURTSORT | Köln |
STERBEDATUM | 27. Mai 1945 |
STERBEORT | Flensburg |