Erhard Lange (* 30. September 1929 in Starý Harcov (dt. Alt Harzdorf); † 22. August 2017 in Jena) war ein deutscher Philosoph.
Leben
Erhard Lange kam 1929 in der Tschechoslowakischen Republik in Alt Harzdorf, heute ein Stadtteil von Liberec, zur Welt. Bis zum Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich 1938 besuchte er eine deutschsprachige tschechische Schule und danach die deutsche Volksschule. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste seine Familie die Tschechoslowakei verlassen und Lange kam in die Sowjetische Besatzungszone nach Thüringen. Er litt sehr unter den Folgen des Krieges, erfuhr tagtäglich mehr Schreckensnachrichten über die Nazi-Herrschaft und entwickelte als Jugendlicher seine antifaschistische Grundüberzeugung, die sein weiteres Leben bestimmte. Er absolvierte die Berufsausbildung zum Elektriker und schloss sich der Freien Deutschen Jugend (FDJ) an. Danach qualifizierte er sich zum „Elektrotechniker“ und bereitete sich in Kursen an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät auf ein Hochschulstudium vor.
Anfang der 1950er Jahre begann Lange Mathematik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) zu studieren. In den obligatorischen Lehrveranstaltungen des Instituts für Dialektischen Materialismus weckte Georg Klaus sein Interesse an philosophischen Fragen. Lange wechselte zur Philosophie und studierte von 1951 bis 1957 Marxismus-Leninismus in der Sowjetunion an der Schdanow-Universität in Leningrad. Noch im August 1951 warb ihn das Innenministerium der UdSSR (MWD) als inoffiziellen Mitarbeiter (IM) an. Weil der Vorgang im November 1955 bei der Weimarer Dienststelle des KGB lag, übernahm ihn das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) von da an als „Kontaktperson“ unter dem Decknamen Einstein.[1] Zum Abschluss des Philosophiestudiums kehrte Lange an die FSU zurück und blieb als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Jena. Laut einer späteren Einschätzung des MfS fungierte Lange an der FSU als IM. 1961 promovierte er an der Philosophischen Fakultät der FSU mit dem Thema „Grundzüge der philosophischen Entwicklung Georg Forsters“. Nach der Promotion arbeitete er weiter an der FSU als Dozent mit dem Fachschwerpunkt Philosophiegeschichte und übernahm 1967 von Georg Mende die Leitung des „Philosophischen Instituts“. Seine Habilitation erfolgte 1969 mit dem Thema „Dialektik von Philosophie und Ökonomie bei Karl Marx.“ Als ordentlicher Professor und Lehrstuhlinhaber für „Philosophiegeschichte“ blieb Lange im Amt des Institutsdirektors. Das Philosophische Institut wurde 1979 unter seiner Leitung in die „Sektion Philosophie“ der FSU überführt.
In der Wendezeit wurde Erhard Lange von 1990 bis 1991 zum Dekan der Philosophischen Fakultät an der FSU berufen. Ende 1991 musste er wie die meisten DDR-Philosophen aus dem Hochschuldienst ausscheiden. Ohne Aussicht auf ein neues Lehramt in Deutschland betätigte er sich danach als freier Philosoph und blieb auch weiterhin ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der deutschen philosophischen und literarischen Klassik. Erhard Lange, der mit seiner Ehefrau Margarete zwei Kinder hatte, verstarb am 22. August 2017 in Jena.[2]
Werk
Erhard Lange ist hauptsächlich mit seinen Arbeiten zur Erforschung der deutschen philosophischen Klassik bekannt geworden, wobei es bis 1962 unter Institutsdirektor Mende schwierig war, in der Philosophiegeschichte den Bogen vom „Marxismus-Leninismus“ zum vormarxistischen „deutschen Idealismus“ zu spannen. Zur Vorbereitung auf den 150. Geburtstag von Karl Marx berief Lange 1967 eine Konferenz nach Jena ein mit dem Thema „100 Jahre, das Kapital von Karl Marx und die dialektische Methode“ und hielt als Vorläufer der „Klassik-Seminare“ 1968 ein erstes „Karl-Marx-Seminar“ ab. Die erste eigenständige Publikation Langes zur Geschichte der Philosophie war 1971 eine Broschüre zum 200. Geburtstag Hegels, die er als Vorwort zu Hegels Einführung in die „Phänomenologie des Geistes“ verfasst hatte. Anlässlich des Schelling-Jubiläums zu dessen 200. Geburtstag eröffnete Lange 1977 die geschichtsphilosophische Schriftenreihe „Collegium Philosophicum Jenense“. In Weiterführung der Seminararbeiten eröffnete Lange 1975 das Projekt „Jenaer Klassik-Seminar“, das „philosophiehistorisch ein Stück Befreiung von der Herrschaft des Marxismus-Lininismus“ war.[3] „Das ‚Projekt Jenaer Klassik-Seminar‘ hatte sich sukzessive aus der Arbeit am Gegenstand ergeben.“ 1986 folgte die Gründung des „Zentrums zur Erforschung der philosophischen und literarischen Klassik“ an der FSU, womit die zahlenmäßig kleine Sektion Philosophie unter Erhard Lange mit Georg Biedermann, Horst Schröpfer, Helmut Korch, Jürgen Stahl u. a. an ihre Kapazitätsgrenze stieß.[4]
Veröffentlichungen
Beiträge zum Jenaer Klassik-Seminar
Im Ergebnis der „Klassik-Seminare“, die ab 1977 in zweijähriger Folge auch mit westdeutschen und ausländischen Beiträgen unter der Leitung Erhard Langes stattfanden, fungierte er als Mitverfasser und Herausgeber der Schriftenreihe „Collegium Philosophicum Jenense“:
- Die Philosophie des jungen Schelling. Beiträge zur Schelling-Rezeption in der DDR. Friedrich-Schiller-Universität, Jena 1977.
- Philosophie und Humanismus – Beiträge zum Menschenbild der deutschen Klassik. Darin von Erhard Lange: Das Menschenbild der klassischen deutschen Philosophie – Erbe und Gegenwart. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1978.
- Philosophie und Religion. Beiträge zur Religionskritik der deutschen Klassik. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1981.
- Philosophie und Frieden – Beiträge zum Friedensgedanken in der deutschen Klassik. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1985.
- Philosophie und Natur. Beiträge zur Naturphilosophie der deutschen Klassik. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1985.
- Philosophie und Kunst. Kultur und Ästhetik im Denken der deutschen Klassik. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1987, ISBN 3-7400-0011-2.
- Französische Revolution und Deutsche Klassik. Beiträge zum 200. Jahrestag. Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1989, ISBN 3-7400-0115-1.
Die Beiträge des IX. Klassik-Seminars (März 1991) mit dem Thema Bürgerliche Produktionsweise und deutsche Klassik wurden während der Wendezeit nicht mehr in einer Zusammenfassung gedruckt und veröffentlicht.
Bücher (Auswahl)
- Dialektik von Philosophie und Ökonomie bei Karl Marx. Jena 1969.
- Erhard Lange (Hrsg.): Karl Marx, Jena 1841: Die Universitätsdokumente zur Promotion von Karl Marx. Friedrich-Schiller-Universität, Jena 1976.
- mit Dietrich Alexander und Helmuth Barth: Hegel und Wir. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1970.
- mit Dietrich Alexander: Philosophenlexikon. Dietz Verlag, Berlin 1982, ISBN 3-88436-133-3.
- mit Norbert Hinske und Horst Schröpfer (Hrsg.): Der Frühkantianismus an der Universität Jena von 1785–1800 und seine Vorgeschichte. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, ISBN 3-7728-1533-2.
Weblinks
- Literatur von und über Erhard Lange im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Das Jenaer Klassik-Seminar (1977 bis 1991) Autor: Jürgen Stahl (zuletzt abgerufen am 3. August 2022)
Einzelnachweise
- ↑ Zu Lange, KGB und MfS siehe Katharina Lenski: Geheime Kommunikationsräume? Die Staatssicherheit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Campus, Frankfurt : Campus, Frankfurt/New York [2017], ISBN 978-3-593-50780-4, S. 453, Fußnote 420, dort auch „fungierte real als IM“ (unten).
- ↑ Trauer-in-Thüringen.de; ein Service der Mediengruppe Thüringen Verlag GmbH, Traueranzeige für Prof. Dr. Erhard Lange.
- ↑ Hans-Christoph Rauh, Camilla Warnke, Peer Pasternack: Philosophie aus einer abgeschlossenen Welt. Beiträge zur Geschichte der DDR-Philosophie und ihrer Institutionen. Ch. Links Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-86153-882-0, S. 82 ff.
- ↑ Jürgen Stahl: Das Jenaer Klassik-Seminar (1977 bis 1991). In: Hans-Christoph Rauh, Hans-Martin Gerlach (Hrsg.): Ausgänge zur DDR-Philosophie in den 70er und 80er Jahren. Ch. Links Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-557-7, S. 300–311.
Personendaten | |
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NAME | Lange, Erhard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Philosoph |
GEBURTSDATUM | 30. September 1929 |
GEBURTSORT | Starý Harcov (dt. Alt Harzdorf) |
STERBEDATUM | 22. August 2017 |
STERBEORT | Jena |