Ferdinand Hestermann Ferdinand Hestermann (* 13. Dezember 1878 in Wesel; † 15. Dezember 1959 in Jena) war ein deutscher Ethnologe, Linguist und Hochschullehrer.
Leben
Hestermann wurde als Sohn eines Tagelöhners in Wesel geboren.
1893 trat er der Steyler Mission bei und erhielt 1907 die Priesterweihe. Seit 1898 lebte Hestermann in Wien (zunächst im Missionshaus St. Gabriel in Mödling) und wurde von Pater Wilhelm Schmidt gefördert. Ab 1904/06 war er zwölf Jahre lang an dessen Seite Mitherausgeber der Zeitschrift „ANTHROPOS“-Internationale Zeitschrift für Völker und Sprachenkunde. Er trat 1915 wieder aus dem Orden aus und heiratete. Später versuchte er, die Priesterweihe ungültig zu machen, mit der Begründung sein Förderer Wilhelm Schmidt habe ihn zur Priesterweihe gezwungen. Der Fall wurde in Rom geprüft, aber weder wurde eine Ungültigkeitserklärung abgegeben, noch eine Laisierung bewilligt.[1]
Von 1898 bis 1904 absolvierte Hestermann in Wien ein Studium der Philosophie, Theologie, der orientalischen Sprachen, Völkerkunde, Vergleichenden Religionswissenschaften und Religionsmythologie. 1916 erfolgte die Promotion zum Dr. phil. im Fach Völkerkunde an der Universität Wien mit der Arbeit Die Äquatorialvölker Afrikas. 1916 bis 1917 war er in Nagyrabe, Bihar Nagy-Bajom (Ungarn) in Privatanstellung tätig. Danach – von 1917 bis 1929 – arbeitete er an sieben verschiedenen Handelsschulen in Hamburg. 1929 wurde er an der Universität Münster mit der Arbeit Die karibischen Sprachen Südamerikas im Fach Völkerkunde habilitiert, nachdem zuvor Habilitationsversuche in Hamburg vom Ethnologen Georg Thilenius (Philosophische Fakultät an der Universität Hamburg) abgelehnt worden waren.
Von 1929 bis 1946 arbeitete er als Privatdozent, denn er bekam infolge seiner NS-kritischen Haltung keine Stelle.
„Wer hätte die Arbeiten des Wissenschaftlers drucken sollen, der nicht nur auf ausdrückliches Befragen, sondern wo immer sich eine Gelegenheit bot, gegen den menschenunwürdigen Rassenbegriff auftrat. Der Staat beließ ihn dafür in der unbezahlten Stellung der Privatdozenten.“
Von 1946 bis 1948 war er npl. ao. Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 1948 wollte Hestermann eine Rede auf dem Volkskongress für Rheinland-Westfalen in Solingen halten, der verboten wurde.[2] Im selben Jahr nahm er zusammen mit Gertrud Kettler-Robben (Pätsch) als Mitglied der Volksratsdelegation und Vertreter Westdeutschlands an den Oktoberfeierlichkeiten in Moskau und Leningrad teil. Anschließend erfolgte die Übersiedlung in die SBZ (Berlin, Weimar, Jena), nachdem bekannt geworden war, dass dem über 75 Jahre alten Professor Hestermann und seiner Assistentin Gertrud Kettler-Robben unmittelbar eine Verhaftung durch die britische Besatzungsmacht drohte.[3]
Von 1949 bis 1950 war er Ordentlicher Professor für Allgemeine Sprach- und Kulturwissenschaft an der Universität Jena. Von 1950 bis 1951 hatte er eine Gastprofessur für Ethnologie und vergleichende Rechtssoziologie an der Philologisch-Historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig inne. 1951 wurde Hestermann an der FSU Jena emeritiert.
Romanvorlage
Ferdinand Hestermann lieferte die Vorlage zu einer der beiden Hauptfiguren in dem 2021 erschienenen Roman Feuerland des Schweizer Schriftstellers Michael Hugentobler.[4]
Wirken
Mitglied in politischen Gremien
Hestermann war Abgeordneter der Volkskammer der DDR. Er war Mitglied des Deutschen Volksrates. Von 1945 an war er Mitglied des Kulturbundes.
Betreuung von Sammlungen
- 1949 wurde die Hilprecht-Sammlung Vorderasiatischer Altertümer an der FSU (sie umfasst heute ca. 3300 Stücke, davon ca. 3000 Keilschrifttexte) einem Vorstand unterstellt, dem die Professoren Rudolf Meyer (Altes Testament), Friedrich Zucker (Klassische Philologie) und Ferdinand Hestermann (Sprachwissenschaft) angehörten. Letzterer wurde 1951 zum Leiter der Sammlung ernannt. Er übte dieses Amt bis zu seinem Tode aus.[5]
Redaktions- und Herausgeber-Tätigkeit
Hestermann war 1904/1906 Mitbegründer der Fachzeitschrift „ANTHROPOS“ und 12 Jahre Mitredakteur. Von 1923 bis 1925 war er Herausgeber der „Folia ethno-glossica“ – Blätter für Völkerkunde, Sprachwissenschaft und Verwandtes.
Ehrungen / Auszeichnungen
- Nach ihm wurde 1961 das Ferdinand-Hestermann-Institut benannt, das bis 1968 als solches existierte und dann in eine Sektion Sprachwissenschaft eingegliedert wurde.
Werke (Auswahl)
- Die Äquatorialvölker Afrikas. Universität Wien, 1916 (Dissertation).
- Spanisch. Vollständige Formenlehre samt Übungsstoff. O. Meißner Verlag, Hamburg 1923.
- Sankt Vizelin, Apostel der Holsten und Wagrier. Verlag: Dülmen i. Westf. Laumannsche Verlagsbuchhandlung, 1926.
- Der Satzbau im Lykischen. 1926.
- Die karibischen Sprachen Südamerikas. Universität Münster, 1929 (Habilitationsschrift).
- Die deutsche Afrikanistik bis 1913. Kritische Darstellung der neuesten Ansichten über Gruppierungen und Bewegungen der Sprachen und Völker in Afrika. Selbstverlag, Wien 1929.
- Der heilige Lebuin, erster Apostel des alten Hamalandes und Nordwestfalens. Der Westfale, Münster 1935.
- Eine Rede die nicht gehalten werden konnte. Kongreß Verlag, Berlin 1948.
Literatur
- Franz Bolck (Hrsg.): Beiträge zur Ethnolinguistik. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag von Ferdinand Hestermann. Friedrich-Schiller-Universität, Jena 1980.
- DBA II, Fiche 576, 444 f.; Kürschner 1950, S. 799; Kürschner 1961, Nekrolog; UAL, PA 142.
- Gertrud Pätsch: In memoriam Ferdinand Hestermann. In: „Beiträge zur Ethnolinguistik. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag von Ferdinand Hestermann.“, Wiss. Beiträge d. Friedrich-Schiller-Universität, 1980, S. 7.
- Gertrud Pätsch: Zum Mythos der Setzung. In: „Beiträge zur Ethnolinguistik. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag von Ferdinand Hestermann.“, Wiss. Beiträge d. Friedrich-Schiller-Universität, 1980, S. 254.
- Michael Hugentobler: Feuerland. dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28269-7 (Erstausgabe: 2021).
Weblinks
- Literatur von und über Ferdinand Hestermann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Ferdinand Hestermann im Professorenkatalog der Universität Leipzig
- Die Geschichte der Kaukasiologie an der FSU Jena ( vom 21. August 2005 im Internet Archive)
- Ferdinand Hestermann im Hugo Schuchardt Archiv
- Korrespondenz Ferdinand Hestermann – Hugo Schuchardt im Hugo Schuchardt Archiv
Einzelnachweise
- ↑ Katja Geisenhainer: Marianne Schmidl, Das unvollendete Leben einer Ethnologin
- ↑ Ferdinand Hestermann: Eine Rede die nicht gehalten werden konnte. Kongreß Verlag, Berlin 1948.
- ↑ Rudolf Fey: Ein Totgesagter kehrt zurück. Militärverlag der DDR, Berlin 1989.
- ↑ Michael Hugentobler: Feuerland. dtv Hardcover, 2021, 224 Seiten.
- ↑ Hilprecht-Sammlung Vorderasiatischer Altertümer ( vom 16. September 2010 im Internet Archive)
Personendaten | |
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NAME | Hestermann, Ferdinand |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Ethnologe und Hochschullehrer |
GEBURTSDATUM | 13. Dezember 1878 |
GEBURTSORT | Wesel |
STERBEDATUM | 15. Dezember 1959 |
STERBEORT | Jena |