Die Forensische Entomologie ist ein Zweig der Forensik, bei der die Insektenkunde zur Aufklärung von Rechtsfällen, hauptsächlich von Tötungsdelikten, herangezogen wird. Unter anderem können aufgrund der Abfolge der Larvenstadien und der Besiedlung durch verschiedene Insektenarten Hinweise auf die Leichenliegezeit, Todesursache und Todesumstände gesammelt werden. Auch bei lebendigen Lebewesen, Lebensmitteln und Gebäuden können Insekten Rückschlüsse zu bestimmten Umständen bieten.
Allgemeines
Der Begriff Entomologie stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Insektenkunde“ (éntomos = eingeschnitten, gekerbt, logos = Kunde, Lehre). Das Wort Forensik stammt vom lateinischen Wort forum (= Marktplatz, Forum, Gerichtsverhandlung) und wird im Sinne von gerichtlich gebraucht.
Am häufigsten findet die Forensische Entomologie im Zusammenhang mit Ermittlungen um einen aufgefundenen Leichnam Anwendung.[1] Der postmortale Zersetzungsprozess eines organischen Körpers findet unter anderem durch Bakterien, Pilze und Insekten statt. Bei den Insekten handelt es sich meist um Jugendstadien nekrophager Insekten wie etwa die Maden von Schmeißfliegen, Käsefliegen oder Fleischfliegen. Daran beteiligt sind auch verschiedene Käfer wie die Aaskäfer (unter anderem der Totengräber und der Speckkäfer) sowie weitere Arten, die durch die bei der Verwesung entstehenden (Duft-)Stoffe angezogen werden oder sich ihrerseits von nekrophagen Insekten ernähren.
Auch der Befall noch lebender Körper mit Insekten, insbesondere Maden, lässt bestimmte Rückschlüsse zu.[1] Dieser Zustand wird als „Myiasis“ (Madenkrankheit) bezeichnet. Er ist oft ein Hinweis auf einen Mangel an Hygiene und Pflege oder – indirekt – auf einen geschwächten Allgemeinzustand. Offene Wunden, in denen Maden nekrotisches Gewebe fressen, werden somit durch ihre Ausscheidungen gereinigt. In der Medizin werden Maden daher auch gezielt unterstützend für die Wundheilung eingesetzt (Madentherapie).
Ein weiteres Gebiet der Forensischen Entomologie ist die Untersuchung von Insektenbefall bei Lebensmitteln (bspw. bei der Lagerung von Lebensmitteln).[1]
Auch die Untersuchung von Insektenbefall bei Gebäuden ist ein Teilgebiet der forensischen Entomologie.[1]
Geschichte
In der Geschichte gab es mehrere Ansätze zur Anwendung und Experimente mit der Forensischen Entomologie. Das Konzept der Forensischen Entomologie reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück.[2] Selbst in Kunstwerken aus dem 15. und 16. Jahrhundert finden sich Darstellungen von Zusammenhängen von Insekten und toten Körpern.[2] In der modernen Rechtsmedizin in Europa wurden ab Ende des 18. Jahrhunderts Maden als Hilfsmittel entdeckt.[2][3] Jedoch erst in den letzten 30 Jahren wurde die Forensische Entomologie als hilfreiche Beweisquelle bei Ermittlungen in Strafverfahren systematisch erforscht. Mit ihren eigenen Experimenten sowie durch ihr Interesse für Insektenkunde und den Tod halfen viele Menschen die Grundlagen für die heutige moderne Forensische Entomologie zu legen. Zu diesen Menschen gehören insbesondere Song Ci, Francesco Redi, Bergeret d’Arbois, Jean Pierre Mégnin und der deutsche Arzt Hermann Reinhard.[2]
Song Ci
Song Ci (auch bekannt als Sung Tz’u) war Rechtsanwalt und Ermittler in Todesfällen. Er lebte im späten 13. Jahrhundert in China. 1247 schrieb Song Ci ein Buch mit dem Titel '洗冤集錄' (Englischsprachiger Buchtitel: “Washing Away of Wrongs”).[4] In diesem Buch beschreibt Song Ci verschiedene Fälle, bei denen er sich Notizen zum Tod von Menschen und zu den möglichen Todesursachen machte. Dabei schildert er detailliert, wie ein Leichnam vor und nach der Beerdigung untersucht wird. Er erklärte auch das Vorgehen, um eine wahrscheinliche Todesursache zu bestimmen. Der Zweck des Buches war, als Ratgeber für andere Ermittler zu dienen, damit diese Tatorte besser untersuchen und auswerten konnten. Sein Detailreichtum bei den Erklärungen seiner Beobachtungen legte die Grundlagen für die modernen Forensischen Entomologen. Zudem gelten seine Aufzeichnungen als die ersten Niederschriften einer Person, die die Forensische Entomologie zu gerichtlichen Zwecken anwandte.[5] Dieses Buch war sehr populär und markiert den ersten Zeitpunkt, zu dem sich die allgemeine Öffentlichkeit bewusst wurde, dass Insekten in Ermittlungsverfahren verwendet werden können.
Das Buch blieb ein Einzelfall; das nächste chinesische Werk über forensische Entomologie wurde erst 750 Jahre später veröffentlicht.[4]
Francesco Redi
Der italienische Arzt Francesco Redi widerlegte 1668 die Theorie der Spontanzeugung. Nach Redis Theorie entwickeln sich Maden innerhalb kürzester Zeit auf verwesendem Fleisch. In einem Experiment nahm er jeweils verwesendes Fleisch, das vollständig, nur teilweise oder nicht der Luft ausgesetzt, mithin frei zugänglich war. Redi zeigte hierdurch, dass sich auf dem verwesenden Fleisch, das vollständig und nur teilweise der Luft ausgesetzt war, Maden von Fliegen entwickelten. Auf dem verwesenden Fleisch hingegen, das nicht der Luft ausgesetzt war, entwickelten sich keine Maden. Diese Entdeckung änderte vollständig die bisher verbreitete Auffassung über die Zersetzung von Organismen und führte zu weiteren Untersuchungen der Lebenszyklen von Insekten und der Entomologie im Allgemeinen.[6]
Bergeret d’Arbois
Dr. Louis François Etienne Bergeret (1814–1893) war ein französischer Krankenhausarzt und der erste bekannte, der forensische Entomologie in einem konkreten Fall anwandte.[7] In einem 1855 veröffentlichten Fallbericht legte er den allgemeinen Lebenszyklus von Insekten dar und stellte viele Hypothesen zu deren Paarungsverhalten auf.[7] Mit Hilfe dieser Annahmen wandte er erstmals die forensische Entomologie zur Schätzung der seit dem Tod verstrichenen Zeit an.[7] Sein Bericht verwendete die forensische Entomologie als Hilfsmittel, um seine Hypothese zu belegen, wie und wann die Person gestorben war.[7]
Hermann Reinhard
Die erste systematische Untersuchung der Forensischen Entomologie wurde 1881 vom deutschen Arzt Hermann Reinhard durchgeführt, der eine wichtige Rolle in der Geschichte der Forensischen Entomologie spielte. Er grub viele Leichen aus und zeigte hieran, dass bei den vergrabenen Leichen die Entwicklung von vielen verschiedenen Insektenarten festgestellt werden kann. Reinhard führte seine erste Studie in Ost-Deutschland durch und sammelte viele Buckelfliegen (Phoridae) aus dieser ersten Studie. Er kam aber auch zu dem Schluss, dass nicht sämtliche Insekten bzw. deren Entwicklung im Zusammenhang mit den vergrabenen Leichnamen standen. So fand er bspw. 15 Jahre alte Käfer, die nur wenig direkten Kontakt mit den vergrabenen Leichnamen hatten. Reinhards Arbeiten und Studien wurden ausgiebig in weiteren Studien zur Forensischen Entomologie verwendet.
Jean Pierre Mégnin
Der Militär-Tierarzt Jean Pierre Mégnin veröffentlichte zahlreiche Artikel und Bücher über verschiedene Themen, darunter die Bücher 'Faune des Tombeaux’ und 'La Faune des Cadavres', die als zwei der wichtigsten Bücher der Forensischen Entomologie in der Geschichte gesehen werden.[8][4][9] Mit seinem zweiten Buch schuf er ein revolutionäres Werk über die Lebenszyklen und Fortpflanzung von Insekten auf Leichen. Insbesondere entdeckte Mégnin, dass insbesondere bei freiliegenden Leichen die Zyklen der Besiedlung durch Insekten vorhersagbar sind.[4] Durch Zählung der Anzahl der lebenden und toten Milben, die sich alle 15 Tage entwickelten, und den Vergleich mit der ursprünglichen Zahl auf dem Körper eines Kindes konnte er schätzen, wie lange das Kind bereits tot war.[7]
In diesem Buch behauptete er, dass auf exponierten Leichen bis zu acht aufeinander folgende Lebenszyklen von Insekten stattfänden, während auf begrabenen Leichen in gleicher Zeit nur zwei Zyklen beobachtet werden können. Mégnin machte viele Entdeckungen, die dazu beitrugen, ein neues Licht auf viele allgemeine Merkmale verwesender Flora und Fauna zu werfen. Mégnins Arbeit und Studium der Larven und adulten Formen von Insektenarten, die in Leichen gefunden wurden, lösten das Interesse der zukünftigen Entomologen aus. Sie ermutigten zu mehr Forschung zur Verbindung zwischen Gliederfüßern und den Verstorbenen. Zudem trug er damit dazu bei, die wissenschaftliche Disziplin der Forensischen Entomologie zu schaffen.
Anwendungsbereiche
Bestimmung des Todeszeitpunktes
Das Hauptgebiet der Forensischen Entomologie ist die Ermittlung der Todeszeit bzw. Liegezeit eines Leichnams. Durch eine forensische entomologische Untersuchung können durch das Alter, die Anzahl und der Arten der vorgefundenen Insekten Aussagen zur Liegezeit eines Leichnams gemacht werden.[1] Selbst relativ kurze Zeiträume können hierdurch bestimmt werden, da tote Körper naturgemäß sehr schnell von Insekten besiedelt werden.[1]
Insekten nutzen einen Leichnam als Nahrungsquelle und Brutstätte. Entsprechende Hinweise auf den Todeszeitpunkt der Person oder die Liegezeit des Leichnams erschließen sich aus dem Vorhandensein bestimmter Insektenarten bzw. deren Entwicklungsstadien (Eier, Larven) auf dem Leichnam. Für eine genaue Bestimmung ist es jedoch erforderlich, die aufgefundenen Insekten schnellstmöglich zu einem bekannten Zeitpunkt in Alkohol einzulegen, einzufrieren oder mit einer hochauflösenden Kamera zu fotografieren. Andernfalls entwickeln sich die Tiere weiter, so dass eine genaue Bestimmung mit fortschreitender Zeit immer mehr erschwert wird.
Ein Leichnam wird je nach Verwesungszustand und Feuchtigkeitsgrad von verschiedenen Insekten besiedelt. Auf frischen Leichen werden innerhalb kürzester Zeit durch Schmeißfliegen entweder Eier oder bereits geschlüpfte winzige Maden abgelegt.[10] Auch auf älteren, bereits geblähten Leichen finden sich die Larven von Schmeißfliegen.[10] Hinzu kommen je nach Feuchtigkeit Aaskäfer, Kurzflügelkäfer und Stutzkäfer.[10] Auf Leichen in trockenem oder breiigem Zustand sind insbesondere Maden von Käsefliegen sowie Pelzkäfer, Schinkenkäfer, Speckkäfer, Teppichkäfer und Totengräberkäfer anzutreffen.[10] Asseln, Hundertfüßer, Milben[11], Motten und Spinnentiere siedeln erst auf mumifizierten oder skelettierten Leichen.
Aus den Eiern schlüpfen in kurzer Zeit winzige weiße Maden. Für die genaue Bestimmung der Todeszeit kommt es auf die individuellen Umstände an. Insbesondere die Entwicklung der Maden hängt in erheblichem Maße von der Temperatur und Feuchtigkeit ab. Aber auch das Zeitintervall von der Eiablage bis zum Schlupf der 1. Madengeneration kann erheblich variieren und weist eine Schwankungsbreite von wenigen Stunden bis hin zu einem Tag auf. Die Zeitspanne, die eine Made in Abhängigkeit von definierten Umweltfaktoren bis zu einer bestimmten Entwicklungsphase benötigt (Körperlänge in mm gemessen), ist in sogenannten Isomegalen-Diagrammen artspezifisch ermittelt und festgelegt worden.
Bei zu hohen oder zu niedrigen Temperaturen, großer Helligkeit, starkem Wind oder zu großer Trockenheit siedeln sich nur wenige oder keine Insekten auf einem Leichnam an. Einen weiteren Einflussfaktor stellt die Zugänglichkeit eines Leichnams für Insekten dar. Aus diesem Grund müssen für die Arbeit der Forensischen Entomologie auch präzise Analysen des Leichenfundortes in den Untersuchungsgang miteinfließen.
Während die Untersuchung von Maden bei der Bestimmung kürzerer Zeitintervalle hilfreich ist, lassen sich anhand von Käfern (nur) Aussagen über größere Zeitabstände machen. Auch die Anzahl von Insektengenerationen – erkennbar am gleichzeitigen Vorkommen von Maden und leeren Puppenhülsen in Leichennähe – ist für die Eingrenzung des Zeitraumes von Bedeutung.
Im Vergleich der Methoden erlaubt die Betrachtung der abgefallenen Körpertemperatur Aussagen über eher kurze Zeiträume. Chemische Analysen des Körpers lassen Rückschlüsse in mittellangen Zeiträumen zu, Insektenbefall in noch längeren.[12]
Ortsbestimmung
Auch vom letztlichen Fundort abweichende Orte, an denen sich ein Leichnam befunden hat, können mit Hilfe von Insekten bestimmt werden. Für die Analyse werden die vorgefundenen Insekten inklusive Entwicklungsstadien herangezogen. Auch spezies-spezifische Fraßspuren können für eine Bestimmung der Insektenart herangezogen werden.[10] Viele Insektenarten bewohnen nur bestimmte Lebensräume (sog. „Habitate“). Befinden sich an einem Leichnam Insekten, die für die Umgebung am Fundort der Leiche untypisch sind, kann daraus gefolgert werden, dass der Leichnam zuvor von einem anderen Ort weg bewegt worden ist. Entsprechend können anhand der vorgefundenen Insekten auch die für sie typischen Umgebungsbedingungen bestimmt werden.
Nachweis von Stoffen
Weiterhin kann anhand von Insekten herausgefunden werden, ob im Leichnam bestimmte Medikamente oder Gifte vorhanden waren.[10][1] Dies ist insbesondere dann hilfreich, wenn der Leichnam für entsprechende Untersuchungen bereits zu stark zersetzt ist. Beim Fressen von Gewebeteilen nehmen die Insekten auch deren Inhaltsstoffe in sich auf. Die toxikologische Analyse der vorgefundenen Insekten kann somit Informationen über im Leichnam vorhandene Medikamente oder Giftstoffe liefern. Dieser Arbeitsbereich wird auch als Entomotoxikologie bezeichnet.[13] Als analytische Methoden kommen die Gaschromatographie und die HPLC in der Kopplung mit der Massenspektrometrie als hoch sensitive und spezifische Verfahren infrage.[14] Diese analytischen Arbeitsweisen wurden zum sicheren Nachweis von Methamphetamin und seinen Metaboliten,[15][16] sowie von Methylphenidat und Phenobarbital[17][18] eingesetzt. Zum Nutzen der beschriebenen forensischen Untersuchungen gibt es auch kritische Äußerungen, die Zurückhaltung bei der Interpretation der erhaltenen Analysenergebnisse anraten.[19] Auch die phänotypische Entwicklung der Insekten kann durch die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe verändert werden.[10]
Beeinflussende Faktoren
Die Entwicklung von Insekten wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Sowohl das Wetter als auch der Liegeort haben einen maßgebenden Einfluss. Beim Wetter sind die Sonneneinstrahlung, die Feuchtigkeit und die Temperaturen entscheidend.[20] Zudem kann der Fundort eines Leichnams bspw. im Wasser, in oder außerhalb von Gebäuden, in ländlichen oder städtischen Gebieten, im Freien oder in Fahrzeugen oder an Bäumen aufgehängt verschiedene Folgen bei der Besiedlung durch Insekten haben.[20] Auch der Zustand des Leichnams ist entscheidend, so dass bspw. verbrannte Leichname in einer anderen Art und Weise durch Insekten besiedelt werden.[20]
Temperatur
Insekten sind wechselwarm, so dass ihre Entwicklungszeit und Bewegungsfreiraum stark von den Umgebungstemperaturen abhängig ist. Bei höheren Temperaturen entwickeln sie sich grundsätzlich schneller, bei niedrigen Temperaturen entsprechend langsamer.
Wenn die Umgebungstemperatur unter einen gewissen Bereich sinkt, wird die Entwicklungszeit von Insekten sogar derart verlängert, dass sie in einer Zeit mit einem besseren Klima schlüpfen können und sich dadurch ihre Überlebens- und Fortpflanzungschance vergrößert.
Zudem kann durch die Temperatur die Besiedlungsreihenfolge eines Leichnams durch Insekten beeinflusst werden. Grundsätzlich wird ein Leichnam zuerst durch Fliegen und erst später durch Käfer besiedelt. Käfer sind jedoch weniger temperaturanfällig als Fliegen, so dass bei niedrigeren Temperaturen auch eine frühere oder nur eine Besiedlung durch Käfer möglich ist.
Feuchtigkeit
Die Artenvielfalt und Entwicklungszeit der Insekten wird auch durch Luftfeuchtigkeit und Niederschläge beeinflusst.
Bei den meisten Insektenarten wird bei starken Regenfällen indirekt deren Entwicklung verlangsamt, da hierdurch die Umgebungstemperatur sinkt und infolge die Entwicklung der Insekten verlangsamt wird.[21] Eine sehr feuchte Umgebung (bspw. durch leichten Regen) hingegen wirkt als ein Isolator, wodurch in einer Masse von Maden eine größere Kerntemperatur erzeugt wird, die wiederum eine schnellere Entwicklung der Insekten ermöglicht.
Zudem können Niederschläge die Reihenfolge der Besiedlung eines Leichnams beeinflussen. Grundsätzlich sind Fliegen der Familie der Schmeißfliegen eine der ersten Insekten an einem Leichnam, gefolgt von Fliegen der Familie der Fleischfliegen. Allerdings sind Fleischfliegen im Gegensatz zu Schmeißfliegen in der Lage auch im Regen zu fliegen, so dass unter entsprechenden Umständen ausnahmsweise Fleischfliegen vor Schmeißfliegen am Leichnam eintreffen. Infolgedessen kommt es am Leichnam zu einer anderen Verteilung der jeweiligen Mengen der Maden.
Bei hoher Luftfeuchtigkeit (und entsprechenden Temperaturen) entwickelt sich grundsätzlich eine größere Artenvielfalt von Insekten. Zudem entwickeln sich verschiedene Insektenarten je nach vorhandener Luftfeuchtigkeit unterschiedlich stark, so dass hierdurch die Zusammensetzung und Größe der Population beeinflusst wird. Bei extremer Trockenheit kann die Population und Artenvielfalt von Insekten stark dezimiert werden.
Sonneneinstrahlung
Ein Leichnam, der einer starken Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist, erwärmt sich tagsüber stärker. Infolge bietet er Insekten eine wärmere Umgebung, wodurch deren Entwicklungszeit erheblich verkürzt wird.[21]
In einem von Bernard Greenberg und John C. Kunich mit Hilfe von Kaninchenkadaver durchgeführten Experiment wurde festgestellt, dass die Entwicklungszeit von Maden bei Temperaturen von etwa 24 °C bis etwa 31 °C deutlich reduziert wurde.[22]
Im Gegensatz hierzu weisen Leichname in schattigen Bereichen niedrigere Temperaturen auf. Hierdurch benötigen Insekten naturgemäß eine längere Entwicklungszeit.
Geographie
Der größte Teil der Insekten, die in entomologischer Hinsicht bei der Besiedlung eines Leichnams eine Rolle spielen, sind nahezu weltweit verbreitet. Einige Insektenarten sind jedoch endemisch. Infolge kann anhand endemischer Insektenarten festgestellt werden, ob der Leichnam von einem anderen Liegeort fortbewegt wurde.
Für das Gebiet der USA ist bekannt, dass beispielsweise die dort weit verbreiteten Fliegen der Art Chrysomya rufifacies, die zur Familie der für die entomologischen Forensik wichtigsten Insektenart der Schmeißfliegen (Calliphoridae) gehört, nicht in den Regionen im Süden Kaliforniens, Arizona, New Mexico, Louisiana, Florida oder Illinois vorzufinden sind.[23] Entsprechende Feststellungen sind umso bedeutender, da Fliegen der Insektenart der Schmeißfliegen eine der ersten Insekten auf einem Leichnam sind.
Käfer bieten innerhalb der Insekten mit über 350.000 beschriebenen Arten die größte Artenvielfalt. Zudem sind Käfer sehr anpassungsfähig und daher mit Ausnahme der Antarktis und in höheren Bergregionen nahezu weltweit verbreitet. Die größte Artenvielfalt an Käfern wird in den Tropen angetroffen. Infolge kann durch die Bestimmung der am Leichnam vorgefundenen Käferarten und deren Verbreitungsgebiet auch der beziehungsweise die Liegeort(e) bestimmt werden.
Aufgehängte Körper
Aufgehängte Körper weisen eine spezifische Anzahl und Vielfalt an Insekten, insbesondere Fliegen auf. Vor allem die Quantität der Fliegen unterscheidet sich auf einem aufgehängten Körper von der Anzahl auf einem am Boden liegenden Körper.
Zudem trocknet ein aufgehängter Körper schneller aus, wodurch für Maden eine geringere potentielle Nahrungsquelle existiert.
Wenn sich ein aufgehängter Körper zu zersetzen beginnt, laufen naturgemäß Körperflüssigkeiten auf den darunter liegenden Boden aus. Infolgedessen werden die meisten Insekten, insbesondere Kurzflügler und andere nicht-fliegende Insekten, in diesem Bereich aufgefunden. Auch Fliegenmaden, die sich zunächst auf dem aufgehängten Körper befanden, können später darunter am Boden vorgefunden werden.[24]
Isolation auf Gewässern
Nach einer Fallstudie des Entomologen M. Lee Goff bei einem Leichenfund auf einem Boot eine halbe Meile vom Ufer entfernt konnte festgestellt werden, dass nur Maden einer Fliegenart[25] auf dem Leichnam vorhanden waren. Hieraus schlussfolgerte er, dass Gewässer für Insekten eine natürliche Barriere darstellen, so dass in derartigen Fällen nur wenige Insektenarten auf einem Leichnam vorzufinden sind.[26] Insofern bedarf es stärkerer Lockstoffe, um Insekten einen Anreiz für die Überquerung längerer Strecken über Gewässer zu schaffen.
Eine weitere Feststellung des Entomologen Goff aus seinen Studien ist, dass bei Fliegenmaden, die mehr als 30 Minuten Salzwasser ausgesetzt waren, eine Verzögerung von 24 Stunden bei deren Entwicklung zu beobachten ist. Für konkrete zeitliche Zusammenhänge zwischen Einwirkungszeit von Salzwasser und der hieraus resultieren Verzögerung der Entwicklungszeit fehlen jedoch ausreichende Studien.[24]
Besiedlung von Gebäuden
Die Besiedlung von Gebäuden durch Insekten wird maßgeblich durch das Wetter beeinflusst.
Insekten begeben sich auf der Suche nach Nahrung, Wasser, Wärme und Unterschlupf in Gebäude. Insbesondere bei einem trockenen Klima im Freien treibt der Entzug der Feuchtigkeit Insekten in Gebäude auf der Suche nach Wasser. Auch die Temperaturen im Freien und in Gebäuden sind maßgeblich dafür, ob sich Insekten in Gebäude oder ins Freie begeben.
Darüber hinaus wird die Besiedlung von Gebäuden durch das vorhandene Nahrungsangebot maßgeblich beeinflusst.
Forensische Entomologen
Bekannte forensische Entomologen aus Deutschland sind der Kölner Mark Benecke und Jens Amendt vom Institut für Rechtsmedizin an der Universität Frankfurt am Main, sowie Marcus Schwarz am Rechtsmedizinischen Institut der Universität Leipzig.
Weblinks
Einzelnachweise
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- ↑ 2.0 2.1 2.2 2.3 Mark Benecke: A brief survey of the history of forensic entomology. In: Acta Biologica Benrodis. Band 14, 2008, S. 15.
- ↑ MMark Benecke: A brief survey of the history of forensic entomology. In: Acta Biologica Benrodis. Band 14, 2008, S. 18.
- ↑ 4.0 4.1 4.2 4.3 Mark Benecke: A brief survey of the history of forensic entomology. In: Acta Biologica Benrodis. Band 14, 2008, S. 16.
- ↑ S. Tz’u, B. E. Mc Knight: The Washing Away Of Wrongs. Center for Chinese Studies The University of Michigan, 1981, S. 1–34
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- ↑ 21.0 21.1
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- ↑ Terry Whitworth: Keys to Genera and Species of Blow Flies of America North of Mexico. In: Proceedings of the Entomological Society of Washington. Band 108, Nr. 1. Allen Press, Lawrence KA Januar 2006, S. 710 (biodiversitylibrary.org [abgerufen am 23. Dezember 2011]).
- ↑ 24.0 24.1 M. Lee Goff: A Fly for the Prosecution. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts 2000.
- ↑ Hierbei handelte es sich um Insekten der Art Chrysomya megacephala.
- ↑ A. González Medina, Ó Soriano Hernando, G. Jiménez Ríos: The Use of the Developmental Rate of the Aquatic Midge Chironomus riparius (Diptera, Chironomidae) in the Assessment of the Postsubmersion Interval. In: J. Forensic. Sci. Band 60, Nr. 3, 2015, S. 822–826, doi:10.1111/1556-4029.12707.