Franz Petri (* 22. Februar 1903 in Wolfenbüttel; † 8. März 1993 in Hamburg) war ein deutscher Historiker. Er beschäftigte sich vor allem mit regionalgeschichtlichen Themen (Rheinland, Westfalen, Niederlande). Er bestimmte die nationalsozialistische Westforschung maßgeblich mit.
Leben und Wirken
Franz Petri besuchte das Gymnasium in Wolfenbüttel. Anschließend studierte er von 1921 bis 1925 Geschichte, Germanistik, Philosophie und evangelische Theologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Das Studium schloss er 1925 mit der Promotion bei Dietrich Schäfer zum Dr. phil. ab. Seit 1926 arbeitete er am Institut für Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn.
Nationalsozialismus
1937 wurde Petri nach dem Ende der vierjährigen Aufnahmesperre unter der Mitgliedsnummer 4.917.620 in die NSDAP aufgenommen.[1] Bereits zuvor – spätestens 1936 – war er der SA beigetreten. Er war Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes (NSDDB) und der Deutschen Akademie München.[2] 1936 habilitierte er sich an der Universität zu Köln. In seiner Habilitationsschrift „Germanisches Volkserbe in Wallonien und Nordfrankreich“ vertrat er die These, dass große Teile Nordfrankreichs germanischer Kulturraum seien. Er war der Gründer der NS-geprägten Deutsch-Flämischen Arbeitsgemeinschaft De Vlag. In den folgenden Jahren stieg Petri zu einem der führenden Vertreter der regimenahen Westforschung auf. In Köln arbeitete Petri bis 1942 als Privatdozent. Zum Professor wurde er 1942 ernannt.[2] Petri veröffentlichte zahlreiche Schriften vor allem zur niederländischen Geschichte sowie zur rheinischen und westfälischen Landesgeschichte und Volkskunde. Er war ein einflussreicher Volks- und Kulturraumforscher und Spezialist für die Feld- und Flurnamensforschung in dieser Zeit.
Neben der akademischen Lehre war er seit 1940 Kulturreferent im Range eines Kriegsverwaltungsrates bei der deutschen Militärverwaltung im besetzten Belgien und Nordfrankreich. Dort galt er als der nationalsozialistische „Kulturpapst“.[3] Er sorgte dafür, dass fast hundert belgische, insbesondere jüdische, Wissenschaftler entlassen und durch Deutsche ersetzt wurden. Für den Winter 1943/44 ist seine Teilnahme an einer irredentistischen Veranstaltungsreihe an der NS-Reichsuniversität Straßburg belegt. Er referierte in einer Veranstaltung des „Lothringischen Instituts für Landes- und Volksforschung“ über die germanisch-romanische Sprach- und Volkstumsgrenze mit dem Ziel, Gebiete mit Deutschsprachigen auf Dauer dem Reich anzugliedern. In dieser Reihe wirkte er gleichgerichtet neben dem Unterstützer der bretonischen Autonomisten und Mitarbeiter des RSHA Leo Weisgerber.[4] Gleichzeitig war er von 1942 bis 1945 ordentlicher Professor für niederländische Geschichte in Köln.
Nachkriegszeit
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Petri als stark belastet von der britischen Militärregierung aus dem öffentlichen Dienst entlassen, festgenommen und interniert. Im Entnazifizierungsverfahren zunächst als Mitläufer in die Kategorie IV eingestuft, folgte das Urteil „voll entlastet“ (Kategorie V). Er habe, hieß es zur Begründung, seine Mitgliedschaften in NS-Organisationen nur „behördlichem Druck“ unterliegend erworben, sich aber politisch nicht betätigt. Nationalsozialistisches Gedankengut habe er in seinen wissenschaftlichen Arbeiten nicht vertreten.[2] Historiker, die die nationalsozialistische Westforschung aufarbeiteten, kamen dagegen zu dem Schluss, dass Petri sich zwar als unschuldigen, hart arbeitenden Wissenschaftler betrachtet und beschrieben habe. Es sei aber leicht zu zeigen, dass er die raum- und bevölkerungspolitischen Ziele der SS in Belgien vertreten habe. Er habe als SS-Unterstützer gehandelt und Rassismus und Antisemitismus propagiert.[3]
Bundesrepublik
Nach seiner Entlassung war er an verschiedenen wissenschaftlichen Projekten beteiligt. Seit 1951 war er Direktor des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe mit Sitz in Münster. Ebenfalls 1951 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Historischen Kommission für Westfalen gewählt, im Jahr 1982 dann zum Ehrenmitglied. Seit 1961 war Petri erneut ordentlicher Professor für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn. Zugleich war er bis 1968 in der Nachfolge von Franz Steinbach Direktor am Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn. Seit seiner Emeritierung 1969 lebte Petri in Münster und wurde an der dortigen Universität Honorarprofessor. Wissenschaftlich widmete er sich nach 1945 eher politikgeschichtlichen Themen. Die Kulturraumforschung spielte daneben nur noch eine untergeordnete Rolle. Petri forschte und publizierte stattdessen zur rheinisch-westfälischen Regionalgeschichte. Petri starb 1993 in Hamburg, dem Wohnsitz seines Sohnes.[5]
Ehrungen
Mit Beiträgen zu einer von Georg Droege, den er 1965 habilitiert hatte, und anderen aus Anlass seines 65. Geburtstags herausgegebenen Festschrift ehrten ihn zahlreiche Kollegen.[6] Fünf Jahre später gaben Edith Ennen und andere unter dem Titel Zur Geschichte und Landeskunde der Rheinlande, Westfalens und ihrer westeuropäischen Nachbarländer einige von (dem nunmehr 70-jährigen) Petri verfasste Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten (mit Schriftenverzeichnis 1925–1972) neu heraus.[7] 1994, im Jahr nach seinem Tod, erschienen schließlich Franz Petri zum Gedächtnis dessen Beiträge zum Zeitalter Karls V. (mit Schriftenverzeichnis 1973–1993).[8]
Schriften (Auswahl)
Monographien
- Germanisches Volkserbe in Wallonien und Nordfrankreich. Die fränkische Landnahme in Frankreich und den Niederlanden und die Bildung der westlichen Sprachgrenze, 2 Bände. Röhrscheid, Bonn 1937.
- Zum Stand der Diskussion über die fränkische Landnahme und die Entstehung der germanisch-romanischen Sprachgrenze. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt 1954.
- Die Kultur der Niederlande. Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-7997-0117-6.
Herausgeberschaften
- Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Böhlau, Köln 1976.
- Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. Kröner, Stuttgart 1958 ff.
- Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der werdenden Neuzeit. Böhlau, Köln 1980, ISBN 3-412-05079-2.
- mit Ivo Schöffer, Jan Juliaan Woltjer: Geschichte der Niederlande. Holland, Belgien, Luxemburg (= Handbuch der europäischen Geschichte). Deutscher Taschenbuchverlag dtv, München – Klett-Cotta, Stuttgart 1991, ISBN 3-423-04571-X.
Literatur
- Hans Derks: Deutsche Westforschung. Ideologie und Praxis im 20. Jahrhundert. Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2001, S. 85–128.
- Hans Derks: German Westforschung, 1918 to the Present. The Case of Franz Petri, 1903–1993. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): German Scholars and Ethnic Cleansing 1920–1945. Berghahn, New York u. a. 2005, S. 175–200.
- Karl Ditt: Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri (1903–1993). In: Westfälische Forschungen 46 (1996), S. 73–176.
- Karl Ditt: Die Politisierung der Kulturraumforschung im Dritten Reich. Das Beispiel Franz Petri. In: Burkhard Dietz, Ulrich Tiedau, Helmut Gabel (Hrsg.): Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960), Bd. 2, Münster u. a. 2003, S. 925–944.
- Peter Schöttler: Von der rheinischen Landesgeschichte zur nazistischen Volksgeschichte – oder die „unhörbare Stimme des Blutes“. In: Winfried Schulze, Otto Gerhard Oexle (Hrsg.): Historiker im Nationalsozialismus. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-14606-2, S. 89–113.
- Karl Ditt: Petri, Heinrich Eduard Justus Gotthard Franz. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 265 f. (Digitalisat).
- Bernd Haunfelder: Franz Petri. In: Nordrhein-Westfalen. Land und Leute. 1946–2006. Ein biographisches Handbuch. Aschendorff, Münster 2006, ISBN 3-402-06615-7, S. 360 f.
- Horst Lademacher: Franz Petri zum Gedächtnis. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 57 (1993), S. VII–XIX.
- Martina Pitz: Franz Petris Habilitationsschrift in inhaltlich-methodischer und forschungsgeschichtlicher Perspektive. In: Burkhard Dietz, Helmut Gabel, Ulrich Tiedau (Hrsg.): Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960) (= Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas. Bd. 6). Bd. 1. Waxmann, Münster 2003, ISBN 3-8309-1144-0, S. 225–246.
- Frank-Rutger Hausmann: „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 169). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-35357-X.
Weblinks
- Biographische Angaben auf den Seiten der Historischen Kommission für Westfalen
- Literatur von und über Franz Petri im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Karl Ditt: Franz Petri. Historiker (1903–1993). In: Portal Rheinische Geschichte. Landschaftsverband Rheinland (LVR); LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, abgerufen am 27. Juli 2022.
- Silvain Schirrmann: Annexion et nazification en Europe. Actes du colloque de Metz, 7–8 Novembre 2003, Université de Metz, Petri in Straßburg (PDF; 6,7 MB)
- Regionales Personenlexikon, Artikel Franz Petri
Anmerkungen
- ↑ Ulrich F. Opfermann: Siegerland und Wittgenstein im Nationalsozialismus. Personen, Daten, Literatur. Ein Handbuch zur regionalen Zeitgeschichte. 2., durchges. Auflage. Hell & Dunkel, Siegen 2001, ISBN 3-928347-01-2 (Onlineversion [abgerufen am 23. September 2021]).
- ↑ 2.0 2.1 2.2 Regionales Personenlexikon, Artikel Franz Petri ( vom 4. April 2016 im Internet Archive).
- ↑ 3.0 3.1 Hans Derks: German Westforschung, 1918 to the Present. The Case of Franz Petri 1903–1993. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): German Scholars and Ethnic Cleansing, 1919–1945. New York/Oxford 2005, S. 175–199, hier: S. 176 f.
- ↑ Wolfgang Freund: Sciences et politique en Moselle annexée de 1940 à 1944. In: Silvain Schirrmann (Hrsg.): Annexion et nazification en Europe. Actes du colloque de Metz, 7–8 Novembre 2003, Université de Metz. Centre de recherche Histoire et civilisation de l'Europe occidentale (CRHCEO), Université de Metz, o. J., S. 155–162, hier: S. 159, siehe: S. 159 ( vom 7. Oktober 2007 im Internet Archive).
- ↑ Karl Ditt: Franz Petri. Historiker (1903–1993). In: Portal Rheinische Geschichte. Landschaftsverband Rheinland (LVR); LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, abgerufen am 27. Juli 2022.
- ↑ Landschaft und Geschichte. Festschrift für Franz Petri zu seinem 65. Geburtstag am 22. Februar 1968. Hrsg. von Georg Droege, Peter Schöller, Rudolf Schützeichel und Matthias Zender. Röhrscheid, Bonn 1970.
- ↑ Zur Geschichte und Landeskunde der Rheinlande, Westfalens und ihrer westeuropäischen Nachbarländer. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten. Hrsg. von Edith Ennen, Alfred Hartlieb von Wallthor und Manfred van Rey. Röhrscheid, Bonn 1973, ISBN 978-3-7928-0335-6.
- ↑ Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V. Franz Petri zum Gedächtnis (1903–1993). Hrsg. von Bernhard Sicken (= Städteforschung. Reihe A: Darstellungen. Bd. 35). Böhlau, Köln 1994, ISBN 3-412-04794-5.
Personendaten | |
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NAME | Petri, Franz |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Geschichtswissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 22. Februar 1903 |
GEBURTSORT | Wolfenbüttel |
STERBEDATUM | 8. März 1993 |
STERBEORT | Münster |