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Gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland

From Wickepedia

Die gesetzliche Unfallversicherung (teilweise abgekürzt als GUV) ist ein Versicherungszweig der gegliederten Sozialversicherung in Deutschland. Ihr Zweck besteht darin, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten und nach dem Eintritt dieser Versicherungsfälle die Gesundheit und die berufliche Leistungsfähigkeit der Versicherten „mit allen geeigneten Mitteln“ wiederherzustellen. Rechtliche Grundlage ist das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Eingeführt wurde die Unfallversicherung im Rahmen der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung durch das Unfallversicherungsgesetz aus dem Jahr 1884. Im Laufe der Zeit hat der Gesetzgeber den Versicherungsschutz aus sozialstaatlichen Erwägungen um weitere Gruppen erweitert. So zum Beispiel im Jahr 1971, als der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf Kinder in Tagesbetreuung, Schulkinder und Studierende ausgedehnt wurde.

Aufgaben

Zu den Aufgaben der Unfallversicherungsträger gehört neben der Gewährung von Leistungen nach dem Eintritt des Versicherungsfalles auch die Beratung und Aufsicht der versicherten Betriebe und Einrichtungen auf den Gebieten der Arbeitssicherheit, der Unfallverhütung und des Gesundheitsschutzes (Prävention); hierbei werden die Träger teilweise gemeinsam mit den Behörden der staatlichen Gewerbeaufsicht tätig.

Eine weitere Kernaufgabe stellt die sogenannte Ablösung der Unternehmerhaftung dar: Das Unternehmen ist – im Unterschied zu den restlichen Zweigen der Sozialversicherung – gegenüber dem Unfallversicherungsträger alleine beitragspflichtig. Zum Ausgleich hierfür ist der Betrieb nur beschränkt für Versicherungsfälle seiner Angestellten haftbar. Ohne den Unfallversicherungsträger wäre der Arbeitgeber in vielen Fällen zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sich aus den betrieblichen Risiken Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten ergeben. Die Durchsetzung solcher Ansprüche würde jedoch massiv den Betriebsfrieden gefährden, wenn Angestellte gegen ihren Arbeitgeber oder Arbeitskollegen zivilrechtliche Prozesse führen müssten. Daher sind Unternehmen und Betriebsangehörige nur dann zum Ersatz des Personenschadens verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Als Ausgleich dafür zahlt alleine das Unternehmen die Beiträge an den Träger der Unfallversicherung.

Auch die Bemessung der Beiträge nach der Unfallgefahr der Gewerbezweige dient der Prävention. Hierzu setzen die gewerblichen Berufsgenossenschaften einen Gefahrtarif fest. Die Unfallkassen und die kommunalen Unfallversicherungsträger sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) können dies ebenfalls tun; allgemein bilden sie Risikogruppen.

Versicherte

Pflichtversicherte Mitglieder

Nach § 2 SGB VII sind die folgenden Personengruppen in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert:

  • Beschäftigte, Personen, die wie Beschäftigte tätig sind, behinderte Menschen in Behindertenwerkstätten; ebenfalls versichert sind Personen, die sich gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit unterziehen
  • Auszubildende, Lernende während beruflicher Aus- und Fortbildung
  • Landwirte und Landwirtinnen, deren mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner und mitarbeitende Familienangehörige sowie ehrenamtlich in der oder für die Landwirtschaft tätige Personen
  • Hausgewerbetreibende und Zwischenmeisterinnen und Zwischenmeister sowie deren mitarbeitende Ehegatten oder Lebenspartner
  • Kinder beim Besuch von Kindertageseinrichtungen, während der Betreuung durch Tagespflegepersonen und bestimmten vorschulischen Sprachförderkursen
  • Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen einschließlich aller schulischen Veranstaltungen wie z. B. Klassenfahrten sowie Studierende an Hochschulen
  • Bestimmte selbständig oder ehrenamtlich tätige Personen im Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege wie Hebammen, Physiotherapeuten oder rechtliche Betreuer
  • Ehrenamtlich für staatliche oder kirchliche Organisationen sowie Katastrophenschutz oder Zivilschutz tätige Personen
  • Personen, die von einer öffentlichen Stelle oder Einrichtung zur Unterstützung herangezogen werden
  • Zeuginnen und Zeugen, die von einer dazu berechtigten Stelle vernommen werden
  • Personen, die in Unglücks- oder Notfällen Hilfe leisten oder andere aus Gefahren retten, und Personen, die Nothilfe für andere leisten, Straftat oder eine Person verfolgen bzw. festnehmen, die einer Straftat verdächtig sind
  • Spenderinnen und Spender von Blut, Organen oder Gewebe einschließlich der vorbereitenden Untersuchungen und der Nachsorge
  • Personen, die im Rahmen einer Meldepflicht nach dem SGB II oder SGB III aufgefordert werden, eine bestimmte Stelle aufzusuchen, z. B. als Bezieher von Arbeitslosengeld oder bei bevorstehender Arbeitslosigkeit, sowie Teilnehmende an Maßnahmen, wenn diese oder die Teilnehmenden von der Arbeitsverwaltung gefördert werden
  • Personen, die von der Renten- oder Krankenversicherung bestimmte stationäre, teilstationäre oder ambulante medizinische Rehabilitationsmaßnahmen erhalten, Personen, die auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Renten- oder Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen, oder Personen, die an Maßnahmen zur Vorbeugung von Berufskrankheiten teilnehmen
  • Nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen

Versicherungsfreiheit

Von der Versicherung sind nach § 4 SGB VII befreit:

  • Beamtinnen und Beamte sowie entsprechend behandelte Personen
  • Personen, die bereits durch das Bundesversorgungsgesetz finanziellen Ausgleich beanspruchen können, insbesondere Wehrpflichtige und Zivildienstleistende
  • Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften
  • Jagdgäste und Fischereigäste
  • Nicht gewerbsmäßige Binnenfischer, Imker und bestimmte Nutz- bzw. Zuchttierhalter
  • Ärztinnen und Ärzte einschließlich der Zahnmedizin und des Veterinärwesens, Psychotherapeutinnen und -therapeuten einschließlich der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker sowie Apothekerinnen und Apotheker

Freiwillige Versicherung

Nach § 6 SGB VII können sich freiwillig versichern:

  • Selbständige und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; dies gilt nicht für Haushalte
  • Ehrenamtliche Mitglieder gemeinnütziger Organisationen, von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Parteien

Rahmen der Unfallversicherung

Die Versicherung erstreckt sich jeweils auf die den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeiten; darüber hinaus, insbesondere bei privaten Aktivitäten, ist die betreffende Person nicht gesetzlich unfallversichert. Die Versicherung erstreckt sich nach § 12 SGB VII auch auf den Nasciturus, soweit er durch einen Versicherungsfall der Mutter geschädigt wird.

Das Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen eröffnete den Unfallversicherungsträgern die Möglichkeit, ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte ab dem 1. Januar 2005.[1][2]

Bei Unfällen im privaten Umfeld, insbesondere auch während der Haus- und Familienarbeit, greift die gesetzliche Unfallversicherung grundsätzlich nicht (siehe hierzu: Artikel „Haus- und Familienarbeit“, Abschnitt „Lückenhafter Versicherungsschutz“). Wenn jedoch im eigenen Haushalt betriebliche Tätigkeiten im Rahmen von Telearbeit und Home-Office vollzogen werden, sind Angestellte hier auch versichert. Der Versicherungsschutz umfasst grundsätzlich die gleichen Tätigkeiten wie im Betrieb selbst, soweit ein sachlicher Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit besteht.

Versicherungsfälle

Arbeitsunfall

Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, der infolge – und nicht bloß bei Gelegenheit – der versicherten Tätigkeit oder der Zurücklegung des Weges zum oder von deren Ort eintritt. Nur ein Unfall, der in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, wird von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt.

Gründe für den Verlust von Ansprüchen bei Wegeunfällen sind die Abweichung vom direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz oder bei einer längeren Unterbrechung des Weges. Unzutreffend ist die in manchen Unternehmen herrschende Rechtsauffassung, dass Mitarbeiter ihren Versicherungsschutz verlieren würden, wenn sie die vereinbarte oder zulässige tägliche Arbeitszeit überschreiten.

Beim Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist die Unfallversicherung unabhängig vom Verschulden der verletzten oder erkrankten Person leistungspflichtig. Entsprechendes gilt, wenn die Unternehmerin oder der Unternehmer den Eintritt des Versicherungsfalls zu verantworten hat. Eine Haftung des Unternehmens oder von anderen Mitversicherten gegenüber der betroffenen Person besteht in diesen Fällen grundsätzlich nicht. Anderes gilt bei Vorsatz oder wenn der Versicherungsfall auf einem versicherten Weg eingetreten ist. Liegt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vor, besteht auch eine Haftung gegenüber dem Unfallversicherungsträger.

Da der Unfall infolge der versicherten Tätigkeit eingetreten sein muss, stellen Unfälle, die auf anderen Ursachen beruhen, keinen Arbeitsunfall dar. Daher kann der Unfallversicherungsschutz durch den Konsum von Alkohol und anderen Rauschmitteln gefährdet werden. Liegt nachweislich eine starke alkoholbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit vor (z. B. Zeugenaussagen, dass Schlangenlinien gefahren wurden und dabei das Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen ist) und liegen keine anderen möglichen Ursachen (z. B. technischer Defekt, plötzlich auftauchendes Hindernis) vor, ist die Alkoholbeeinflussung als alleinige Ursache am Zustandekommen des Unfalls zu werten und ein Arbeitsunfall abzulehnen.

Berufskrankheit

Eine Erkrankung, die im Zusammenhang mit der Arbeit auftritt, ist nicht automatisch eine Berufskrankheit. Welche Erkrankungen grundsätzlich als Berufskrankheit in Frage kommen, legt die Bundesregierung als Verordnungsgeber mit Zustimmung des Bundesrats in der Berufskrankheiten-Verordnung fest – und nicht die Unfallversicherungsträger. Diese abschließende Liste bestimmter Erkrankungen ist nach Schädigungen (z. B. chemische Stoffe) bzw. Erkrankungen sortiert. An einige ist dabei ein Mindestmaß an schädigender Einwirkung geknüpft, so beispielsweise beim erforderlichen Umfang von Tätigkeiten im Knien für die Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit. Die Bundesregierung wird bei der Aktualisierung der Berufskrankheitenliste vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten[3] unterstützt und beraten. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten erarbeitet entsprechende wissenschaftliche Empfehlungen oder Stellungnahmen. In der Zeit zwischen der Veröffentlichung einer neuen wissenschaftlichen Empfehlung oder Stellungnahme und der Aktualisierung der Berufskrankheitenliste können die jeweiligen Erkrankungen dann „wie eine Berufskrankheit“ entschädigt werden.

Leistungen

Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung an Versicherte sind im Wesentlichen medizinische und berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation sowie Lohnersatz- bzw. Entschädigungsleistungen in Geld (Verletzten- und Übergangsgeld, Verletztenrente, Hinterbliebenenrente). Die medizinische Behandlung wird als Sachleistung gewährt; der behandelnde Arzt rechnet direkt mit dem zuständigen Unfallversicherungsträger ab.

Sachleistungen

Die gesetzliche Unfallversicherung ist zur Heilbehandlung und Rehabilitation verpflichtet § 26. Daraus ergibt sich für Versicherte ein umfangreicher Anspruch auf Sach- bzw. Dienstleistungen, insbesondere ambulante und stationäre ärztliche Behandlung, Psychotherapie, häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe, Teilhabeleistungen, Heil- und Hilfsmittel. Der Anspruch geht mitunter über das hinaus, was die gesetzliche Krankenversicherung bietet, weil alle erforderlichen Maßnahmen ausgeschöpft werden müssen, um die Erwerbsfähigkeit des Verletzten wiederherzustellen. Dabei gibt es keine Budgetierung der einzusetzenden Mittel. Die Unfallversicherungsträger halten hierfür besondere Unfallkliniken vor, die speziell für die Versorgung der Opfer von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausgerüstet sind. Anschließende Rehabilitationsmaßnahmen werden in zum BGSW-Verfahren (berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung) zugelassenen Einrichtungen erbracht. Im Gegensatz zur kassenärztlichen ambulanten Versorgung ist die freie Arztwahl des Versicherten bei berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlungen stark eingeschränkt. Erstbehandeln darf in der Regel nur ein zugelassener Durchgangsarzt.

Ferner kann Hilfestellung zur beruflichen Wiedereingliederung gewährt werden. Im Rahmen des sogenannten Reha-Managements wird für Versicherte nach einem Versicherungsfall ganzheitlich mit behandelnden Ärzten, Therapeuten, aber auch mit dem Betrieb und einem Vertreter des Unfallversicherungsträger untersucht, welche Möglichkeiten zur sozialen und beruflichen Teilhabe bestehen. Zunächst wird der bestehende Arbeitsplatz zur Wiedereingliederung anvisiert. Sollte dies nicht möglich sein, werden Maßnahmen zur innerbetrieblichen Umsetzung an einen gesundheitlich geeigneten Arbeitsplatz ergriffen. Wenn beide Optionen nicht möglich sind, können auch Umschulungen, Ausbildungen und andere qualifizierende Maßnahmen finanziert werden, soweit diese den Neigungen und Eignungen des Versicherten entsprechen.

Ist die versicherte Person infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig, wird Verletztengeld als Lohnersatzleistung gezahlt. Für die Dauer der Teilnahme an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben besteht ein Anspruch auf Übergangsgeld. Trotz bestmöglicher Rehabilitation ist es nicht immer möglich, die Folgen des Versicherungsfalls vollständig zur Ausheilung zu bringen. Verbleiben infolge des Versicherungsfalls Einschränkungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens, kommt die Zahlung einer Versichertenrente in Betracht. Das Ausmaß der durch die verbliebenen Folgen des Versicherungsfalls bedingten Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nennt man Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Nach Abschluss der Heilbehandlung werden auf der Grundlage der ärztlichen (gutachterlichen) Feststellungen die infolge des Versicherungsfalls verbliebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen festgestellt. Sie sind die Basis der Bewertung, in welchem Umfang eine Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verursacht wird. Bei dieser Bewertung bedienen sich die Unfallversicherungsträger gesammelter Erfahrungswerte, die eine Gleichbehandlung aller berechtigten Personen sicherstellen.

Eine Versichertenrente ist zu zahlen, wenn die MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus mindestens 20 Prozent beträgt. Sie wird gezahlt, so lange diese MdE besteht, ggf. auch nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Auch Kinder und Jugendliche (z. B. Kita-Kinder, Schülerinnen und Schüler) erhalten bereits vor Eintritt in das Erwerbsleben eine Versichertenrente, wenn eine solche rentenberechtigende MdE besteht. Die Bewertung der MdE richtet sich bei ihnen danach, welche Auswirkungen die verbliebenen Folgen des Versicherungsfalls bei einem Erwachsenen hätten. Eine Ausnahme gilt bei Versicherungsfällen ab dem 1. Januar 2008 bei landwirtschaftlichen Unternehmern, deren Ehegatten und Familienangehörigen. Hier ist eine MdE von wenigstens 30 % Voraussetzung für einen Rentenanspruch. Grundlage für die Rentenberechnung ist der Jahresarbeitsverdienst (JAV). Dies ist der Gesamtbetrag der (Brutto-)Arbeitsentgelte und (Brutto-)Arbeitseinkommen der versicherten Person in den zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zeiten ohne Arbeitsentgelt (z. B. infolge Arbeitslosigkeit) werden mit dem durchschnittlichen Entgelt der mit Entgelt belegten Zeiten aufgefüllt. Zur Wahrung der sozialen Schutzfunktion der Rente gibt es einen altersabhängig gestaffelten Mindest-JAV. Umgekehrt gibt es aber auch einen Höchst-JAV. Für versicherte Unternehmer, die den Versicherungsfall infolge ihrer unternehmerischen Tätigkeit erleiden, gilt als JAV die satzungsmäßig festgelegte Versicherungssumme. Die sogenannte Vollrente, die bei einer MdE von 100 Prozent zu zahlen ist, beträgt 2/3 des JAV. Ist die MdE niedriger, wird die Rente in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht. Treffen Versichertenrenten aus der Rentenversicherung (RV) und der Unfallversicherung zusammen (z. B. wenn später zur Versichertenrente aus der UV die Altersrente der RV hinzu tritt), kürzt der RV-Träger seine Rente, wenn die beiden Renten zusammen einen bestimmten Höchstbetrag übersteigen.

Wird eine versicherte Person beim Versicherungsfall getötet oder verstirbt später an den Folgen des Versicherungsfalls, sind Hinterbliebenenleistungen zu zahlen. Anspruch auf Hinterbliebenenrenten haben Witwen, Witwer und eingetragene Lebenspartner der verstorbenen Person, unter bestimmten Umständen auch deren frühere Ehe- und Lebenspartner. Daneben besteht auch ein Anspruch auf Waisenrenten. Die Hinterbliebenenrenten berechnen sich nach einem festen Prozentsatz aus dem JAV. So hat ein Witwer, der sein Kind noch erzieht, Anspruch auf eine Rente in Höhe von 40 % des JAV, während die Waise eine Waisenrente von 20 Prozent erhält. Allerdings dürfen alle Hinterbliebenenrenten zusammen 80 Prozent des JAV nicht übersteigen, sonst werden sie anteilmäßig gekürzt. Auf Renten an Witwen, Witwer und eingetragene Lebenspartner und an frühere Ehe- und Lebenspartner wird gleichzeitig bezogenes Einkommen angerechnet, wenn es über einem bestimmten Freibetrag liegt. Wie bei den Versichertenrenten muss auch beim Zusammentreffen von Hinterbliebenenrenten aus RV und UV der RV-Träger prüfen, ob er seine Rente kürzen muss.

Geldleistungen

Infolge eines Versicherungsfalles im Sinne des SGB VII können folgende gesetzliche Geldleistungen in Betracht kommen:

  • Verletztengeld bei Arbeitsunfähigkeit (§ 45 SGB VII)
  • Fahrkosten[4] bei bewilligter stufenweiser Wiedereingliederung[5] in das Erwerbsleben i. S. d. § 44 SGB IX als med. Reha (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VII und § 6 Nr. 3 und § 73 Abs. 1 und 4 SGB IX)[6] sowie Fahrkosten[7] bei Arbeits- und Belastungserprobung[8] (ABE) i. S. d. § 42 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX[9] – jeweils als „ergänzende Leistung“ nach § 64 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX (Reisekosten).[10] „Die stufenweise Wiedereingliederung erfolgt im Bereich der Gesetzlichen Unfallversicherung in Form der Arbeits- und Belastungserprobung“, so die pauschale Ansicht der BAR-Arbeitshilfe, Kap. 4.10, Seite 53.[11]
  • Übergangsgeld bei Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben
  • Verletztenrente bei dauerhafter Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 56 SGB VII)
  • Abfindung einer Rente
  • Pflegegeld bei erheblichem Hilfebedarf
  • Sterbegeld, Erstattung von Überführungskosten, Hinterbliebenenrente, Beihilfe
  • Mehrleistungen für ehrenamtlich Tätige nach Satzung

Organisation und Finanzierung

Träger

Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland (Unfallversicherungsträger, abgekürzt UVT) sind in § 114 Abs. 1 SGB VII aufgelistet.

Dies sind im Einzelnen:

Die unter staatlicher Aufsicht stehenden Berufsgenossenschaften und die öffentlichen Unfallversicherungsträger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts selbstverwaltet. § 29 Die Selbstverwaltung ist – mit Ausnahme der SVLFG – paritätisch organisiert: Eine Hälfte der Gremien wird von Arbeitgeberseite, die andere Hälfte von der Versichertenseite besetzt. Diese Gremien beschließen den Haushalt, die Beiträge und die Satzungen. Die Parität gilt auch für Renten- und Widerspruchsausschüsse.[12] Zum 1. Juni 2007 haben sich der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. (HVBG) und der Bundesverband der Unfallkassen e.V. (BUK) zum gemeinsamen Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) zusammengeschlossen.

Organisationsreform 2008

Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung – UVMG[13] brachte durchgreifende Reformen für die Organisation und die Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland, die seit 2009 in Kraft getreten sind. Insbesondere wurde die Zahl der gewerblichen Berufsgenossenschaften durch Fusionen der Träger von 26 (Stand 31. Dezember 2004) auf 9 (Stand 1. Januar 2011) gesenkt. Außerdem wurde der Lastenausgleich zwischen den Berufsgenossenschaften neu geregelt und in ein System der Lastenverteilung umgewandelt. Weitere Neuerungen betrafen die Veranlagung der Unternehmen zu den Gefahrklassen nach dem Gefahrtarif sowie den Einzug der Insolvenzgeldumlage, die seitdem nicht mehr über die Berufsgenossenschaften, sondern zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag durch die Krankenkassen erfolgt.

Finanzierung

Die gesetzliche Unfallversicherung wird durch Beiträge (Umlagen) der Mitgliedsunternehmen in einem nachträglichen Umlageverfahren finanziert. Beschäftigte und andere versicherte Personen(gruppen) sind grundsätzlich nicht beitragspflichtig. Anderes gilt für versicherte Unternehmerinnen und Unternehmer und andere freiwillig versicherte Personen. Die Ausgaben eines Jahres werden dabei jeweils im folgenden Jahr auf die Beitragspflichtigen umgelegt.

Die Höhe des Beitrags richtet sich im Bereich der gewerblichen Unfallversicherung nach der Arbeitsentgeltsumme sowie nach der Gefahrklasse, zu der das Unternehmen veranlagt worden ist. Die Gefahrklasse wird in jeder gewerblichen Berufsgenossenschaft von der Vertreterversammlung in deren Gefahrtarif festgesetzt (§ 157 SGB VII). Die Beitragserhebung durch die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand weicht hiervon teilweise ab.

Die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird aus Beiträgen finanziert, die sich nach verschiedenen landwirtschaftlichen Kennzahlen wie der Größe der bewirtschafteten Fläche, der Anzahl der gehaltenen Tiere u. a. richten.

Literatur

  • Stefan Bresky, Brigitte Vogel-Janotta, Joachim Breuer (Hrsg.): Sicher arbeiten. 125 Jahre Gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland 1885–2010. Berlin 2010 (dguv.de [abgerufen am 3. Juli 2021]).
  • Dörner, Ehlers, Pohlmann, Steinmeyer, Schwienhorst (Hrsg.): 12. Münsteranische Sozialrechtstagung. Reformen in der gesetzlichen Unfallversicherung. 8. Dezember 2006 in Münster. Versicherungswirtschaft, Karlsruhe, 2007.
  • Andreas Kranig: Die Gesetzliche Unfallversicherung im Prozess der deutschen Wiedervereinigung. In: NZS. 2021, S. 729–740.
  • Horst Riesenberg-Mordeja: Gesetzliche Unfallversicherung: Strukturen – Leistungen – Selbstverwaltung. Herausgeber: ver.di-Bundesverwaltung, 2. Auflage. August 2014, ISBN 978-3-938865-39-2.
  • Raimund Waltermann: Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels bei der Beitragsumlage in fusionierten Berufsgenossenschaften. In: NZS. 2018, S. 425–434.

Weblinks

Wiktionary: Unfallversicherung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikisource: Unfallversicherung – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen. In: Drucksache 15/3439. Deutscher Bundestag, 29. Juni 2004, abgerufen am 2. Juni 2015.
  2. Schriftliche Antwort der Regierung des Saarlandes zu der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion: Ehrenamt im Saarland. CDU Fraktion im Landtag des Saarlandes, 9. Oktober 2007, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. April 2015; abgerufen am 2. Juni 2015.
  3. Ärztlicher Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten". Bundesministerium für Arbeit und Soziales, abgerufen am 21. März 2021.
  4. Prof. Dr. Nebe, Reisekosten (Fahrkosten) bei StW durch GUV
  5. Nellissen, Fachbeitrag A7-2015, Abschnitt D, auf reha-recht
  6. Fahrkosten bei einer stufenweisen Wiedereingliederung
  7. BT-Drs. 16/13200 Nr. 2.8.1, Seite 34 - Petitionsausschuss
  8. DGUV-Formular zur Belastungserprobung
  9. Lexikon: Belastungserprobung (§ 42 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX)
  10. DVfR: Glossar zu den „Reisekosten“ (Fahrkosten) bei StW
  11. BAR: Arbeitshilfe 2020 für die stufenweise Wiedereingliederung
  12. Horst Riesenberg-Mordega: Gesetzliche Unfallversicherung - Strukturen-Leistungen-Selbstverwaltung, Herausgeber: ver.di-Bundesverwaltung, 2. Auflage. August 2014, S. 52, ISBN 978-3-938865-39-2
  13. UVMG (G. v. 30.10.2008 BGBl. I S. 2130, 2010 I S. 252) - Gesetzestext, Synopse, Begründungen. – Vgl. auch die Übersicht über den Gesetzgebungsvorgang im DIP des Deutschen Bundestags.