Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind die Grundlagen für das Berufsbeamtentum in Deutschland.
Geschichte
Die älteste erhaltene Ernennung eines Berufsbeamten ist die Ernennung Dietrichs von Kleve durch den römisch-deutschen König Rudolf von Habsburg im Jahre 1279.[1] Zu dieser Zeit entstand die Verwaltung durch Berufsbeamte in allmählicher Abkehr von der Verwaltung durch Lehnsleute. Dabei wirkte der Treuebegriff des Lehnswesens im Berufsbeamtentum fort.[2] Das Rechtsverhältnis zwischen dem Monarchen und dem Berufsbeamten entstand indessen auf Basis der Grundherrschaft. Begründet wurde es durch eine Aufnahme an den Hof des Monarchen, wo diesem als Grundherrn ein umfassendes Recht an der Person des Hofangehörigen zustand. Der Berufsbeamte fungierte in seinem Amt als „Hofangehöriger außer Hauses“.[3]
Der geregelte Beamtenberuf geht zurück auf den preußischen „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. (1713–1740), der daher auch „Vater des Berufsbeamtentums“ genannt wurde. Unter seiner Ägide entstanden erstmals der Vorbereitungsdienst und die Laufbahnprüfung. Sein aufgeklärt-absolutistischer Sohn Friedrich II. (der Große) (1712–1786) war es, der das Gemeinwohl zum Primärziel erhob und sich selbst als ersten Diener des Staates sah. Damit war gedanklich der Weg geebnet für einen Eintritt des Staates in die Position des Dienst- und Treueberechtigten, die ursprünglich dem Monarchen zukam.[4] Friedrich führte den Ausbau des Berufsbeamtentums fort.
Die erste zusammenfassende gesetzliche Regelung des Beamtenberufs wurde im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 ausgestaltet: „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates“. Seitdem war der Beamte nicht mehr Diener seines Fürsten, sondern Diener des Staates.
Die Städte hatten im Mittelalter für die Verwaltung ihrer wirtschaftlichen Privilegien und Freiheiten ein eigenständiges Ämterwesen entwickelt, das teils auf Bürgerpflichten und teils auf vertraglichen Bindungen beruhte. Infolge der verstärkten Wahrnehmung staatlicher Verwaltungsaufgaben durch die Städte seit dem 18. Jahrhundert wurden die städtischen Amtsträger mit der Zeit zu mittelbaren Staatsbeamten und ihre Rechtsverhältnisse denen der unmittelbaren staatlichen Beamten angepasst.[5]
Der für heute maßgebliche Wert des Berufsbeamtentums erwies sich mit dem Übergang zum Rechtsstaat. Das Berufsbeamtentum etablierte sich als Instrument zur objektiven und zuverlässigen Umsetzung des im politischen Prozess gebildeten staatlichen Willens.[6] Die Kernregelungen, die sich spätestens in der Weimarer Republik verfestigt hatten, zählen zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG). In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Stellung der Berufsbeamten durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zur Durchsetzung der rassistischen Ideologie missbraucht. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden durch das Bundesverfassungsgericht weitere vereinzelte Rechte und Pflichten als zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehörig anerkannt.
Inhalt
Gemäß Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes „unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“ Das Fortentwicklungsgebot wurde im Rahmen der Föderalismusreform 2006 in den Artikel eingefügt. Das Bundesverfassungsgericht definiert die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als den „Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“ (vgl. BVerfGE 8, 332).
Zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählen unter anderem:
- die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis
- die grundsätzliche Anstellung auf Lebenszeit (Unkündbarkeit)
- das Laufbahnprinzip (eng verknüpft mit „lebenslangen“ Berufsbeamten)
- das Leistungsprinzip (sichert und beherrscht den grundgesetzlich verankerten Zugang zu allen öffentlichen Ämtern beim Eintritt in den Staatsdienst und beim Aufstieg)
- das Alimentationsprinzip (vgl. BVerfGE 70, 251)
- das Abstandsgebot (Verbot der Einebnung des Abstandes zwischen Besoldungsgruppen)[7]
- Mindestabstandsgebot (Nettoalimentation zuzüglich Kindergeld muss mindestens 15 Prozent über dem Niveau der Grundsicherung liegen)[8]
- das Prinzip der amtsangemessenen Beschäftigung
- der Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung (§ 18 BBesG)
- das achtungs- und vertrauenswürdige Verhalten (Beamte sind als Repräsentanten des Staates gehalten, ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes so auszurichten, dass es den Erfordernissen ihres Berufes gerecht wird)
- die volle Hingabe an den Beruf, jetzt in § 34 Abs. 1 BeamtStG als „voller persönlicher Einsatz“ bezeichnet (Dienstleistungspflicht ist durch ständige Dienstbereitschaft geprägt)
- die Residenzpflicht (§§ 72 f. BBG, ehemals § 36 BRRG)
- die Neutralitätspflicht der Beamten, unparteiische Amtsführung, Eintreten für die Freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 33 BeamtStG, § 60 BBG)
- die Amtsgeheimnis (gilt auch noch nach Beendigung des aktiven Beamtenverhältnisses; § 37 BeamtStG, § 67 BBG, ehemals § 39 BRRG)
- das Streikverbot (Verbot kollektiver Maßnahmen zur Wahrung gemeinsamer Berufsinteressen)
- das Recht auf Beamtenvertretungen (Beamte haben das Recht, sich in Gewerkschaften oder Berufsverbänden zusammenzuschließen und Personalvertretungen zu bilden)
- das Recht auf Einsicht in die eigene Personalakte (§ 110 BBG)
- der gerichtliche Rechtsschutz (Beamte sind über Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art zu hören, es ist ihnen der Beschwerdeweg einzuräumen)
- die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 45 BeamtStG, §§ 78 ff. BBG)
- der Anspruch auf eine amtsangemessene Amtsbezeichnung (BVerfGE 38, 1 (12))
„Diese Grundsätze ergeben im Zusammenhang mit Absatz 5 (gemeint ist Art. 33 Abs. 5 GG), daß das Grundgesetz in Anknüpfung an die deutsche Verwaltungstradition im Berufsbeamtentum eine Institution sieht, die, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen soll.“
Art. 33 Abs. 5 GG umfasst auch die hergebrachte Stellung von Richtern als besonderer Gruppe von Angehörigen des öffentlichen Dienstes und räumt diesen grundrechtsähnliche Individualrechte ein, soweit sich für sie vom Gesetzgeber zu beachtende hergebrachte Grundsätze des richterlichen Amtsrechts nachweisen lassen, die gerade die persönliche Rechtsstellung des Richters mitgestalten.[9] Zu den hergebrachten Grundsätzen des Richteramtsrechts zählt insbesondere auch der Grundsatz der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit.[10] Inhalt der hergebrachten Grundsätze des Richteramtsrechts im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG kann indes nur sein, was Inhalt der Unabhängigkeit des Richters im Sinne des Art. 97 GG ist.[11]
Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention
Die Europäische Menschenrechtskonvention steht im Widerspruch zu einigen der Grundsätze des Berufsbeamtentums. So erlaubt die EMRK Ausnahmen von der Koalitionsfreiheit und dem damit verbundenen Streikrecht nur für hoheitlich tätige Personen, Polizei und Militär, nicht aber für andere Beamte. Der gleiche Grundsatz gilt für Einschränkungen der politischen Betätigung und der Meinungsfreiheit. Das Bundesverwaltungsgericht hat Anfang 2014 entschieden, dass der Gesetzgeber diesen Konflikt auflösen muss und das Streikverbot nur noch für eine Übergangszeit hinzunehmen ist.[12]
Das Bundesverfassungsgericht entschied am 12. Juni 2018 in vier Verfassungsbeschwerdeverfahren von verbeamteten Lehrern, dass das Streikverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Gericht widmete sich in seinem Urteil ausführlich den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zur in Artikel 11 EMRK niedergelegten Koalitionsfreiheit und dem damit verbundenen Streikrecht, befand aber wegen der Besonderheiten des deutschen Systems des Berufsbeamtentums, dass das Streikverbot jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK beziehungsweise Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK gerechtfertigt ist.[13] „Beim Streikrecht für Beamte betont Karlsruhe, dass Straßburg über Fälle aus einer anderen nationalen Rechtsordnung entschieden habe, in diesem Fall aus der Türkei. Man müsse aber den Kontext und den ‚rechtskulturellen Hintergrund‘ im jeweiligen Staat beachten und daher die Urteile hier nicht eins zu eins übernehmen.“[14]
Einfluss
Die Grundsätze sind u. a. in Art. 33 V GG, dem Bundesbeamtengesetz (BBG) und in den Landesbeamtengesetzen sowie im Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) und den Landesbesoldungsgesetzen normiert; ferner im Beamtenrechtsrahmengesetz, das im April 2009 durch das Beamtenstatusgesetz (weitgehend) abgelöst wurde.
Literatur
- Rudolf Summer: Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums – ein Torso. In: Zeitschrift für Beamtenrecht, 1992, S. 1–6.
- Ferdinand Krause: Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Frankfurt 2008. Rechtshistorische Reihe, Band 357, ISBN 978-3-631-56706-7.
- Maximilian Schweiger: Der Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung. (PDF; 160 kB) In: Zeitschrift für Beamtenrecht, Heft 7–8/2011, S. 29.
Weblinks
- BVerfGE 3, 58 – Beamtenverhältnisse
- BVerfGE 8, 332 – Wartestandsbestimmungen
- BVerfGE 12, 81 – hergebrachte Grundsätze des richterlichen Amtsrechts
- BVerfGE 38, 1 – Richteramtsbezeichnungen
- BVerfGE 39, 334 – Extremistenbeschluss
- BVerfGE 76, 256 – Beamtenversorgung
Einzelnachweise
- ↑ Urkunde ediert und übersetzt bei: Ferdinand Krause, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Anhang B.
- ↑ Ferdinand Krause, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Kapitel XVII lit. c.
- ↑ Ferdinand Krause, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Kapitel VII lit. 1, Kapitel XVII lit. e.
- ↑ Ferdinand Krause, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Kapitel XII lit. 1.3.
- ↑ Ferdinand Krause, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Kapitel X lit. 1, 2.
- ↑ Ferdinand Krause, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Kapitel XV lit. 2.
- ↑ Beschluss des Zweiten Senats – 2 BvR 883/14 – Leitsätze; Rn. 74 ff. In: Bundesverfassungsgericht. 23. Mai 2017, abgerufen am 5. September 2020 (Leitsätze: „1. Das Abstandsgebot stellt einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums dar, der in enger Anbindung zum Alimentationsprinzip und zum Leistungsgrundsatz steht. 2. Das Abstandsgebot untersagt dem Besoldungsgesetzgeber ungeachtet seines weiten Gestaltungsspielraums, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen dauerhaft einzuebnen, soweit der Gesetzgeber nicht in dokumentierter Art und Weise von seiner Befugnis zur Neueinschätzung der Ämterwertigkeit und Neustrukturierung des Besoldungsgefüges Gebrauch macht.“).
- ↑ Beschluss des Zweiten Senats – 2 BvL 4/18. In: Bundesverfassungsgericht. 4. Mai 2020, abgerufen am 5. September 2020 (Rn. 47).
- ↑ BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 2 BvR 661/16 Rdnr. 14 m.w.N.
- ↑ vgl. BVerfGE 12, 81, 88; 55, 372, 391 f.
- ↑ vgl. BVerfGE 38, 139, 151.
- ↑ Bundesverwaltungsgericht: BVerwG 2 C 1.13 – Urteil vom 27. Februar 2014, Pressemitteilung von 27. Februar 2014, Volltext BVerwG 2 C 1.13.
- ↑ Bundesverfassungsgericht: Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juni 2018 in den Verfahren 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14 und 2 BvR 646/15, Pressemitteilung Nr. 46/2018 vom 12. Juni 2018 mit dem Titel "Streikverbot für Beamte verfassungsgemäß", Volltext der Entscheidung.
- ↑ Frank Bräutigam: Entscheidung des Verfassungsgerichts: Warum Beamte nicht streiken dürfen, Tagesschau, 12. Juni 2018