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Illiberale Demokratie

From Wickepedia

Der Begriff der illiberalen Demokratie ist nicht eindeutig.[1][2] Der Ausdruck wird einerseits in jüngerer Zeit benutzt, um eine spezielle autoritäre Art der repräsentativen Demokratie zu benennen, in der Politiker zwar vom Volk gewählt werden, aber nicht dessen politische Grundrechte respektieren, sondern diese effektiv einschränken. In diesem Sinne verwendete Fareed Zakaria den Ausdruck wohl erstmals 1997 prominent im politischen Journal Foreign Affairs.

Andererseits wird unter einer illiberalen Demokratie klassisch ein System verstanden, das zwar allen institutionellen Anforderungen an eine Demokratie, einschließlich der dafür nötigen politischen Freiheiten, genügt, in dem aber die jeweilige politische Mehrheit ihre Entscheidungen nach Belieben fällt, ohne (z. B. durch eine Verfassung) auf Freiheitsrechte verpflichtet und dadurch beschränkt zu sein. Klassische Denker wie etwa John Stuart Mill (On Liberty, 1863) betonten diese Gefahr der Demokratie, zur Tyrannei der Mehrheit und damit illiberal zu werden.

In der Politikwissenschaft wird illiberale Demokratie als Unterform der defekten Demokratie bzw. als „Hybridregime“ zwischen Demokratie und Autokratie klassifiziert.

Typologie

Den Politikwissenschaftlern Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle, Aurel Croissant, Claudia Eicher und Peter Thiery zufolge ist illiberale Demokratie ein Typus der defekten Demokratie – neben exklusiver Demokratie, Enklavendemokratie und delegativer Demokratie.[3] Diese Typen schließen sich nicht gegenseitig aus: Beispielsweise waren mehrere illiberale Demokratien in Osteuropa in den 1990er-Jahren zugleich delegativ.[4] Der „Defekt“ der illiberalen Demokratie liegt in der „Dimension des liberalen Rechts- und Verfassungsstaats“, insbesondere im Bereich der bürgerlichen Freiheitsrechte. Charakteristisch für eine illiberale Demokratie ist demnach, dass die Regierung zwar durch freie, allgemeine und faire Wahlen demokratisch legitimiert ist, sie aber „Grund-, Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte verletzt“ und den Rechtsstaat nicht respektiert. Dabei ist insbesondere die Kontrolle von Exekutive und Legislative durch die rechtsprechende Gewalt eingeschränkt. Es gibt also keinen effektiven Rechtsschutz gegen Gesetzgebung und Regierungshandeln, die Bindungswirkung konstitutioneller Normen ist gering. Dadurch sind „die liberalen Grundprinzipien der Staatsbürgerschaft“ beschädigt.[5]

Ursachen und Wirkung

Illiberale Demokratien sind in allen Weltregionen anzutreffen.[6] Man findet sie vor allem in Demokratisierungsprozessen unterworfenen Staaten, deren politische Vergangenheit keinen Pluralismus kennt. Ohne diese Tradition der friedlichen Koexistenz verschiedener politischer Ideen oder auch des geübten demokratischen Diskurses schränkt das Handeln der demokratisch gewählten Parteien oder Staatsoberhäupter individuelle Freiheiten und Grundrechte ein. Dies kann geschehen, wenn die Verfassung des Staates keinen Schutz dieser Freiheiten festschreibt oder das Regime sich über sie hinwegsetzt. Grund dafür ist die Annahme der regierenden Gruppierung, dass sie durch die Wahl von der Bevölkerung ermächtigt wurde, so zu handeln, wie sie es für richtig hält, ohne Rücksicht auf bestehende Gesetze, solange sie nur regelmäßig Wahlen abhält.

Oft wird dabei die politische Macht zentralisiert, d. h., es existiert entweder keine Gewaltenteilung oder verschiedene selbständige Institutionen der Administration werden aufgelöst, damit die Regierung direkten Einfluss auf deren Ebenen des Staates ausüben kann. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist der Mangel an Freiheitsrechten, wie beispielsweise der Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Opposition. Weiterhin werden die öffentlichen Medien oft vom Staat kontrolliert und unterstützen das Regime. Nichtregierungsorganisationen können Restriktionen unterliegen oder ganz verboten sein. Kritiker werden durch Bürokratie, wirtschaftlichen Druck oder sogar Gewalt bedrängt. Ein Kennzeichen illiberaler Demokratien: Faktisch wird das politisch-thematische Framing durch polarisierende Positionen verschoben.

Verbreitung

Das Spektrum illiberaler Demokratien reicht weit: von solchen, die beinahe als liberale Demokratien gelten können, bis zu solchen, die eher Diktaturen ähneln und die man bisweilen auch als Demokraturen klassifiziert. Beispiele finden sich in Osteuropa, Asien, Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten. Viele illiberale Demokratien haben sich in der Mitte und Ende der 1990er-Jahre herausgebildet.

In einer Rede von 2014 beschrieb Viktor Orbán, Ministerpräsident Ungarns, seine Sicht auf die Zukunft der Staatsform von Ungarn als eine illiberale Demokratie. In seiner Interpretation des illiberalen Staates lehnt Orbán die Werte der liberalen Demokratie zwar nicht grundlegend ab, aber betrachtet sie auch nicht als zentrales Element der staatlichen Organisation.[7][8]

Konkrete Beispiele

Folgende europäische Staaten werden bzw. wurden als illiberale Demokratien bezeichnet:

Beispiele für illiberale Demokratien außerhalb Europas:

Siehe auch

Literatur

  • Daniel A. Bell, David Brown, Kanishka Jayasuriya, David Martin Jones: Towards Illiberal Democracy in Pacific Asia. Macmillan, Basingstoke (Hampshire) 1995.
  • Siegfried F. Franke: Die gefährdete Demokratie. Illiberale Demokratie – Populismus – Europaskepsis. Nomos, Baden-Baden 2017.
  • Wolfgang Merkel: Defekte Demokratien. In: Wolfgang Merkel, Andreas Busch: Demokratie in Ost und West. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1999, S. 361–382.
  • Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle u. a.: Defekte Demokratie. Band 1: Theorie. Leske+Budrich, Opladen 2003.
  • Fareed Zakaria: The Future of Freedom. Illiberal Democracy at Home and Abroad. W. W. Norton & Company, New York/London 2007.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Alexander Somek: Ist die "illiberale" Demokratie die "echte" Demokratie? - derStandard.at. Abgerufen am 12. Mai 2019.
  2. Robert Sedlaczek: Demokratie auf Abwegen. Wiener Zeitung, 27. September 2018, abgerufen am 12. Mai 2019.
  3. Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle u. a.: Defekte Demokratie. Band 1: Theorie. Leske+Budrich, Opladen 2003, S. 69–70.
  4. Martin Schultze: Demokratiemessung und defekte Demokratien. Osteuropas Demokratien auf dem Prüfstand. Tectum Verlag, Marburg 2010, S. 124.
  5. Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle u. a.: Defekte Demokratie. Band 1: Theorie. Leske+Budrich, Opladen 2003, S. 71, 261.
  6. Wolfgang Merkel: Systemtransformation. 2. Auflage, Wiesbaden 2010, S. 38.
  7. Prime Minister Viktor Orbán’s Speech at the 25th Bálványos Summer Free University and Student Camp. 30. Juli 2014;: „And so in this sense the new state that we are constructing in Hungary is an illiberal state, a non-liberal state. It does not reject the fundamental principles of liberalism such as freedom, and I could list a few more, but it does not make this ideology the central element of state organisation, but instead includes a different, special, national approach.“
  8. Wolfgang Klotz: Viktor Orbáns neuer Staat. Heinrich-Böll-Stiftung, 11. August 2014, abgerufen am 12. Mai 2019.
  9. Claudia Eicher, Timm Beichelt: Osteuropa. In: Wolfgang Merkel u. a.: Defekte Demokratie. Band 2: Regionalanalysen. VS Verlag, Wiesbaden 2006, S. 440.
  10. Martin Schultze: Demokratiemessung und defekte Demokratien. Osteuropas Demokratien auf dem Prüfstand. Tectum Verlag, Marburg 2010, S. 136.
  11. 11.0 11.1 11.2 11.3 11.4 Martin Schultze: Demokratiemessung und defekte Demokratien. Osteuropas Demokratien auf dem Prüfstand. Tectum Verlag, Marburg 2010, S. 126.
  12. Martin Schultze: Demokratiemessung und defekte Demokratien. Osteuropas Demokratien auf dem Prüfstand. Tectum Verlag, Marburg 2010, S. 127.
  13. Marianne Kneuser: Demokratisierung durch die EU: Süd- und Ostmitteleuropa im Vergleich. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, S. 317.
  14. 14.0 14.1 Garry Hindle, Staffan Lindberg: New Global Data on Political Parties: V-Party. V-Dem Institute, 2020;.
  15. Martin Schultze: Demokratiemessung und defekte Demokratien. Osteuropas Demokratien auf dem Prüfstand. Tectum Verlag, Marburg 2010, S. 133.
  16. 16.0 16.1 16.2 16.3 Peter H. Smith, Melissa R. Ziegler: Liberal and Illiberal Democracy in Latin America. In: William C. Smith: Latin American Democratic Transformations. Institutions, Actors, Processes.Wiley-Blackwell, Chichester (W. Sussex) 2009, S. 13–33, auf S. 28.
  17. 17.0 17.1 17.2 17.3 17.4 Peter H. Smith, Melissa R. Ziegler: Liberal and Illiberal Democracy in Latin America. In: William C. Smith: Latin American Democratic Transformations. Institutions, Actors, Processes.Wiley-Blackwell, Chichester (W. Sussex) 2009, S. 13–33, auf S. 29.
  18. 18.0 18.1 18.2 Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle, Aurel Croissant, Peter Thiery (Hrsg.): Defekte Demokratie. Band 2: Regionalanalysen. VS Verlag, Wiesbaden 2006, S. 16.