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Kairos

From Wickepedia
File:Francesco Salviati 005-contrast.jpg
Kairos auf einem Fresko von Francesco Salviati im Audienzsaal des Palazzo Sacchetti in Rom, 1552/54

Kairos ({{Module:Vorlage:lang}} Module:ISO15924:97: attempt to index field 'wikibase' (a nil value)) ist ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenutztes Verstreichen nachteilig sein könnte. In der griechischen Mythologie wurde der günstige Zeitpunkt als Gottheit personifiziert.

Philosophie

Im älteren Altgriechischen wird der Terminus Kairos als der rechte Zeitpunkt erfasst. Er steht im Gegensatz zum langen Zeitabschnitt Chronos (χρόνος) und zum Tag (ἡμέρα). Erstmals wurde diese Besonderheit der ältestgriechischen Zeitauffassung problematisiert durch einen Aufsatz von Hermann Fränkel (1931). Kritisch weitergeführt wurde die Debatte u. a. von Michael Theunissen in einer Auseinandersetzung mit der Lyrik Pindars.

In biblischen Texten wird das Wort Kairos für einen von Gott gegebenen Zeitpunkt, eine besondere Chance und Gelegenheit, den Auftrag zu erfüllen, verwendet.

Paul Tillich verwendet den Begriff im 20. Jahrhundert für seine sozialistische Geschichtsphilosophie. Immanuel Wallerstein nimmt diesen Begriff in seinem Buch „Unthinking Social Science“ wieder auf, um eine postmoderne Theorie gesellschaftlichen Wandels zu formulieren. Für Giorgio Agamben ist der Kairos die Zeit der messianischen Erfüllung/Außerkraftsetzung des Gesetzes, in der der chronos „gestaucht“ wiederholt wird. Antonio Negri und Michael Hardt verwenden ihn für ihre postoperaistische Revolutionstheorie.

In der Philosophie ist es der entscheidende Augenblick selbst, in der Religion steht Kairos auch für die Entscheidung zwischen Glaube und Unglaube.

Mythologie

Anders als Chronos, der griechische Gott der Zeit, spielt Kairos in der griechischen Mythologie keine oder allenfalls eine kleine Nebenrolle. Ion von Chios (490–421 v. Chr.) nennt zwar in seinem durch römische Zitate überlieferten Triagmos den „jüngsten Sohn des Zeus“[1]– eine poetische Erfindung, aber kein Beleg für eine olympische Genealogie. Erst durch die bronzene Plastik des Lysipp, Hofbildhauer Alexander des Großen, erhielt Kairos eine späte Aufnahme in den olympischen Götterhimmel.

Ein Kult des Kairos ist einzig an dem – nicht erhaltenen – Altar des Kairos in Olympia überliefert, der in der Nähe eines Hermes-Altars aufgestellt war, wie Pausanias berichtet.[2] Allerdings zeugen Nachbildungen des Lysipp’schen Kairos von einem verbreiteten Kairos-Kult vom Hellenismus bis in oströmische Zeit. In der Ikonologie rückt Kairos zunehmend nicht nur in die Nähe von Hermes, dem schnellen Götterboten, sondern auch von Tyche, der Fügung des Zufalls, und der Nemesis, die die menschliche Hybris bestraft.

Poseidippos von Pella (3. Jahrhundert v. Chr.) hat in seinen Epigrammen aus Olympia auch einen Dialog des Betrachters mit Kairos verfasst:

File:Kairos-Relief von Lysippos, Kopie in Trogir.jpg
Kairos-Relief von Lysippos, Kopie in Trogir

Wer bist du?
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!
Warum läufst du auf Zehenspitzen?
Ich, der Kairos, laufe unablässig.
Warum hast du Flügel am Fuß?
Ich fliege wie der Wind.
Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.
Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.
Warum bist du am Hinterkopf kahl?
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,
wird mich auch keiner von hinten erwischen
so sehr er sich auch bemüht.
Und wozu schuf Euch der Künstler?
Euch Wanderern zur Belehrung.“

Gründel 1996. Sp. 1131

Die Redensart, „die Gelegenheit beim Schopf“ zu packen, wird auf diese Darstellung des Gottes zurückgeführt: Wenn die Gelegenheit vorbei ist, kann man sie am kahlen Hinterkopf nicht mehr fassen. Die Redensart „auf Messers Schneide“ stammt von Darstellungen des Kairos mit einer Waage, die auf einer Rasierklinge balanciert.

Darstellung in der bildenden Kunst

File:Printer's Device for Andreas Cratander, by Hans Holbein the Younger.jpg
Druckermarke für den Drucker Andreas Cratander, 1522

Urbild aller Kairos-Darstellungen ist die verschollene Bronzeplastik des Lysipp aus Olympia, von der nur noch Bruchstücke einer römischen Marmorkopie erhalten sind. Ein in Turin aufbewahrtes Marmorrelief nach Lysipp zeigt den Gott als weit ausschreitenden, nackten Jüngling mit lockigem Haar und kahlgeschorenen Hinterkopf. Flügel wachsen ihm aus Schulter und Fersen. In seiner Linken trägt er eine Balkenwaage, während der Zeigefinger der rechten Hand auf die sinkende rechte Waagschale hinweist.[3] Nach diesem Vorbild sind einige Darstellungen auf antiken Siegeln und Sarkophagen erhalten.

Das Relief weicht in einigen Punkten von der Beschreibung des Pausanias ab: Es fehlt das Messer, Flügel an der Schulter werden nicht erwähnt. Auch bei anderen Attributen gibt es im Lauf der Zeit Veränderungen, so wird Kairos gelegentlich auf Flügelrädern, einem Attribut der Nemesis, oder balancierend auf einer Kugel wie Fortuna dargestellt.

In der Renaissance konnte Kairos auch als Occasio, die günstige Gelegenheit – theologisch auch die „Gelegenheit zur Sünde“ – als weibliche Personifikation verbildlicht werden. Ein Beispiel ist Holbeins Druckermarke für den Basler Drucker Andreas Cratander von 1522. Hier ist eine junge Frau mit wallender Haarpracht und kahlem Hinterkopf dargestellt. Sie hält ein Messer und tänzelt mit Flügelschuhen auf einer Kugel. In dieser Darstellung werden Attribute von Fortuna und Kairos vereint.[4]

Literatur

Weblinks

Wiktionary: καιρός – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Kairos – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Occasio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Pauly-Wissowa: RE. Band 20/1, 1919, Sp. 1508.
  2. Pausanias 14,9
  3. Abbildung des Turiner Reliefs u. a. (Memento vom 14. Mai 2013 im Internet Archive)
  4. Anja Wolkenhauer: Zu schwer für Apoll. Die Antike in humanistischen Druckerzeichen des 16. Jahrhunderts. Harrasowitz, Wiesbaden 2002, ISBN 3-447-04717-8, S. 216–225.