Małgorzata Maria Gersdorf (* 22. November 1952 in Warschau) ist eine polnische Juristin, Professorin an der Universität Warschau[1] und war von 2014 bis Ende April 2020 Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen.
Karriere
Gersdorf schloss ihr Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Warschau 1975 ab und promovierte 1981. 1992 wurde sie Professorin an der Universität Warschau, fungierte ab 2005 als Vizerektorin der Universität und 2008 Dekanin der Fakultät der Rechtswissenschaften.[2]
Gersdorf engagierte sich in den 1980er Jahren in der Solidarność-Bewegung. Nach Gründung der Dritten Polnischen Republik 1989 war sie Mitglied der 'Kommission für soziale Aussöhnung', die politische Gefangene der kommunistischen Vorgängerregierung wieder in die Arbeitswelt zurückführte.[2] Gersdorf fungierte in den 2000ern als Beraterin des Obersten Gerichts und wurde 2008 als Richterin für das Oberste Gericht nominiert. Am 30. April 2014 wurde sie als Präsidentin des Obersten Gerichts von Staatspräsident Bronisław Komorowski ernannt.[3] Sie folgte in dieser Funktion Stanisław Dąbrowski, der am 9. Januar 2014 gestorben war.
2015 kündigte die Regierungspartei PiS eine Strukturreform des Obersten Gerichts an, die vorsah, dass das Parlament zukünftig selbst Richter nominieren könnte, statt der bisherigen Nominierung durch die Richterorganisation Krajowa Rada Sądownictwa. Dieses und weitere Vorhaben führten in zu einer polnischen Verfassungskrise. Gersdorf wandte sich 2017 in einem offenen Brief an die Richter des Landes und rief sie dazu auf, „jeden Zentimeter des Rechtsstaats zu verteidigen“. Zuvor hatte sie des Öfteren daran erinnert, dass die polnischen Gerichte sehr einfach in ein Spielzeug der Politiker umgewandelt werden könnten.[4] Die Strukturreform wurde von beiden Kammern des polnischen Parlaments verabschiedet, jedoch von Präsident Andrzej Duda nicht unterschrieben.
Anfang Juli 2018 wurde sie aufgrund der Herabsetzung des Pensionsalters von Richtern von 70 auf 65 Jahre durch das in Kraft getretene Gesetz zur Zwangspensionierung der Richter am Obersten Gericht pensioniert, weigerte sich aber ihr Amt aufzugeben, weil laut Artikel 183 der Verfassung die Amtszeit des Gerichtspräsidenten sechs Jahre beträgt.[5]
Am 20. Juli 2018 hielt Gersdorf im Bundesgerichtshof Karlsruhe auf Einladung der Präsidentin Bettina Limperg im Rahmen der Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung „Der Rechtsstaat in Polen – versäumte Gelegenheiten?“ einen Vortrag über die Lage der polnischen Justiz[6][7]. BGH-Präsidentin Bettina Limperg und der Verfassungsrichter Johannes Masing haben sich Frau Gersdorf demonstrativ zur Seite gestellt.
Der Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat Richterin Gersdorf am 19. September 2018 in ihrem Arbeitszimmer im Obersten Gericht besucht. Bis dahin hatte Morawiecki Gersdorf als aktive Richterin nicht anerkannt. Möglicherweise sollte der Besuch der Europäischen Union eine Kompromissbereitschaft der PiS-Regierung signalisieren. Nachdem am 19. Oktober 2018 der Europäischer Gerichtshof im Zuge einer einstweiligen Verfügung die Herabsetzung des Pensionsalters für Verfassungsrichter in Polen suspendiert und eine unverzügliche Wiedereinsetzung der bereits in den Ruhestand versetzten Richter angeordnet hatte[8], forderte Gersdorf am 22. Oktober 2018 die zwangspensionierten 23 Richter auf, sich selbst eingeschlossen, in den aktiven Dienst zurückzukehren.[9] Gersdorfs Amtszeit lief am 30. April 2020 aus.[10] Zum kommissarischen Nachfolger wurde Kamil Zaradkiewicz ernannt, ehe Małgorzata Manowska in einer umstrittenen Entscheidung zur neuen Präsidentin des obersten Gerichts ernannt wurde.[11]
Auszeichnungen
- Gersdorf erhielt den Theodor-Heuss-Preis 2019. Er wurde am 11. Mai 2019 in Stuttgart überreicht.[12]
- 2021 erhielt sie den Kant-Weltbürger-Preis der Freiburger Immanuel Kant-Stiftung.[13]
Privatleben
Seit dem Jahr 2000 ist sie in zweiter Ehe mit dem ehemaligen polnischen Verfassungsrichter Bohdan Zdziennicki verheiratet.[5] Aus ihrer ersten Ehe mit dem heutigen Dekan für Recht der Universität Warschau Tomasz Giaro, den sie während ihrer Universitätszeit heiratete, hat sie einen Sohn.[14]
Weblinks
Fußnoten
- ↑ prof. dr hab. Małgorzata Maria Gersdorf bei Nowa Nauka Polska. Abgerufen am 12. August 2018 (Lua error in Module:Multilingual at line 149: attempt to index field 'data' (a nil value).).
- ↑ 2.0 2.1 Biografie auf der Website des Obersten Gerichts (polnisch), eingesehen am 29. März 2018
- ↑ Małgorzata Gersdorf: Pierwsza kobieta Pierwszą Prezes Sądu Najwyższego, Newsweek Polska vom 30. April 2014
- ↑ Polish judges urged to 'fight every inch' for their independence, Artikel des The Guardian vom 26. Februar 2017
- ↑ 5.0 5.1 Umsetzung der Justizreform in Polen: Richterin ignoriert ihre Entlassung, taz.de, 5. Juli 2018
- ↑ Malgorzata Gersdorf – polnische Richterin im Unruhestand Tagesspiegel 20. Juli 2018
- ↑ .Wystąpienie prezes Gersdorf w Karlsruhe „Polityka“ 21. Juli 2018
- ↑ Polen muss Zwangspensionierung von Richtern aussetzen Süddeutsche Zeitung 20. Oktober 2018
- ↑ Poland Supreme Court judges return to work after EU court ruling Euractiv.com 23. Oktober 2018
- ↑ Justizreform in Polen: Herber Rückschlag, Die Tageszeitung vom 8. April 2020
- ↑ DER SPIEGEL: Neue Vorsitzende an Polens Oberstem Gericht - DER SPIEGEL - Politik. Abgerufen am 25. Mai 2020.
- ↑ www.theodor-heuss-stiftung.de: 54. Theodor Heuss Preisverleihung. „Jedem seine Demokratie? Keine Demokratie ohne Rechtsstaat!“ Theodor Heuss Preis für Małgorzata Gersdorf.
- ↑ BZ-Redaktion: Der Freiburger Kant-Weltbürger-Preis geht an zwei mutige Richterinnen. Badische Zeitung, 28. Oktober 2021, abgerufen am 28. Oktober 2021.
- ↑ Poland's defiant Supreme Court chief devoted to the law, au.news.yahoo.com, 4. Juli 2018
Personendaten | |
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NAME | Gersdorf, Małgorzata |
ALTERNATIVNAMEN | Gersdorf, Małgorzata Maria |
KURZBESCHREIBUNG | polnische Juristin und Richterin am Obersten Gerichts Polen |
GEBURTSDATUM | 22. November 1952 |
GEBURTSORT | Warschau |