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Militärisches Planspiel

From Wickepedia

Ein militärisches Planspiel (bedeutungsähnlich auch Militärische Simulation oder Konfliktsimulation) ist das Durchspielen einer militärischen Planung. Die Methode dient sowohl zur Bewertung militärischer Operationen, unabhängig von deren tatsächlicher Ausführung, als auch zur Ausbildung von Offizieren. Ein Team von Offizieren der Royal Navy in einem Planspiel während des Zweiten Weltkriegs

Einleitung

In der militärischen Anwendung wurde der Begriff nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst von der Bundeswehr gewählt, um Missverständnisse im Zusammenhang mit Zweck und Zielsetzung zu vermeiden, obwohl die Vorgehensweise weitgehend mit der Methode der klassischen Kriegsspiele übereinstimmt. Durch die neuzeitliche Verwendung von Computern, Simulationsmodellen und Verfahren der Operations Research und der militärischen Systemanalyse haben sich Planspiele für vielfältige Zwecke vorteilhaft anwenden lassen. Dabei werden geplante militärische Operationen unter Verwendung von geplanten Strukturen, im Rahmen eines Szenariums durchgespielt und dadurch auf Funktionsfähigkeit erprobt und nach Möglichkeit verbessert. Die entwickelten Verfahren können für Planübungen eingesetzt werden,[1] vielfach als CAX (Computer Assisted Exercises) bezeichnet. Der Zweck von Planübungen ist die Ausbildung und die Einübung von Fertigkeiten in vielen Funktionen der Streitkräfte. Planspiele können als Berechnungsexperimente, geschlossene oder interaktive Simulationen oder Gefechtssimulationen[2] bezeichnet werden. In der Bundeswehrplanung sind sie wesentlicher Teil der Concept Development & Experimentation (CD&E) Vorgehensweise.[3]

Im englischen Sprachraum wird das Planspiel als wargame, military simulation, serious game, und manchmal noch als „Kriegsspiel“ bezeichnet.[4]

Geschichte

Sicherlich haben frühzeitig große Heerführer ihre geplanten Operationen vor Ausführung zumindest gedanklich durchgespielt. Erste schriftliche Hinweise sind bei SunTzu[5] zu finden. Auch eine Reihe von Brettspielen haben ihren Ursprung in klassischen Kriegsspielen. In der Neuzeit haben Johann Christian Ludwig Hellwig (1780) und Baron von Reisswitz (1824)[6] und andere das Kriegsspiel systematisiert. Es ist unbestritten, dass die Technik des militärischen Planspiels weitgehend von preußischen/deutschen Offizieren bis zum Zweiten Weltkrieg entscheidend und mit großem Erfolg entwickelt und angewendet wurde.[7] Die Methoden wurden von vielen militärischen Akademien zur Ausbildung und Übung und in militärischen Stäben im Rahmen der Operationsplanung eingesetzt[8].

In Deutschland wurde die Operationsplanung mit Hilfe der Planspiele (Kriegsspiele) seit dem preußisch/österreichischen (1866) und deutsch/französischen Krieg (1870–71) vorbereitet. Ein typisches Beispiel ist die Planung der Schlacht bei Tannenberg (1914).[9] Vor dem Zweiten Weltkrieg konnten die sehr erfolgreichen ersten Operationen durchgespielt werden, während des Krieges wurden Operationen mit Planspielen vorbereitet und vereinzelt direkt in der Realität verwendet.(1944)

Mit dem Aufbau der Bundeswehr konnten zunächst nur auf klassische Art, zum Zweck der Übung und im Rahmen der NATO, Planspiele durchgeführt werden (WINTEX/FALLEX-Übungen).[10] Erste systematische Untersuchungen und Analysen mit Hilfe der Methoden des Operations Research und zum Zwecke der Gestaltung ausgewogener Strukturen der Luftwaffe und des Heeres zeigten schnell, dass nur der Einsatz von Simulationsexperimenten mit den inzwischen verfügbaren Großrechnern Lösungen bringen würde. In der IABG (Industrie Anlagen Betriebsgesellschaft) wurde daher ab 1970 ein Planspielzentrum im Auftrag des Verteidigungsministeriums[11] eingerichtet, in dem in gemischten wissenschaftlich-militärischen Arbeitsgruppen die Simulationsmodelle entwickelt und für Analysen und Planungen eingesetzt werden konnten. Die Modelle wurden in der Folge für den Einsatz in Planübungen angepasst und entsprechend verwendet. In neueren Entwicklungen werden die Simulationsmodelle mit entsprechenden Verfahren der Verbündeten bilateral oder im Rahmen der NATO verbunden[12]. Bis 1992 waren Szenarien in direktem Bezug zum Verteidigungsauftrag der Bundeswehr und entsprechender Operationsplanung die Grundlage der Simulationen, ab 1992 und nach der Auflösung des Warschauer Paktes wurden Szenarien des Auslandseinsatzes, der Logistik, und Ausbildung zunehmend wichtig.

Die Entwicklung der Verfahren kann in evolutionären Stufen gesehen werden.[13] In einer ersten Generation, etwa bis 1970, wurden Relief- und Kartenmodelle verwendet, die vereinzelt durch erste Computermodelle auf Großrechenanlagen unterstützt wurden. Zu erwähnen sind hier ein Forschungskriegsspiel „FORKS“ und ein Operations Research Modellsystem „OPS“. FORKS zielte auf die Untersuchung von neuen Brigadestrukturen des Heeres auf der Basis von Daten, die durch systematische Befragung von erfahrenen Offizieren des Zweiten Weltkrieges ermittelt wurden. OPS wurde zunächst entwickelt, um Strukturen der Luftstreitkräfte zu untersuchen. Es konnte in einer Bundeswehrplanübung 1970 die Potentiale und Möglichkeiten von Computermodellen und Simulationen demonstrieren. Wichtige Ergebnisse dieser ersten Generation waren:

  • Die Anwendung von Computermodellen und Simulationen führt zu wesentlichen Verbesserungen in der Qualität der Ergebnisse und zur Beschleunigung der Untersuchungen
  • Die Untersuchung verschiedenster Probleme des integrierten Luft- und Landkrieges ist nur möglich durch den Aufbau einer Hierarchie an Modellen um alle Prozessebenen einer Verteidigungsplanung abzudecken
  • Da Planspiele mit interaktiver Teilnahme von Menschen zur Entscheidungsfindung und Führung relativ aufwendig sind, müssen Führungsmodule entwickelt werden, um zu einem geschlossenen Ablauf der Simulation zu kommen. Dies ist erforderlich, um vielfältige Alternativen in der langfristigen Planung abdecken zu können. („iterative Modellanwendung“)

Dies führte in der nächsten Generation bis 1975 zur systematischen Entwicklung eines Planspielkonzeptes und einer Modellfamilie. Das FORKS wurde „computerisiert“ zu COFORKS, OPS wurde weiterentwickelt zu „RELACS“ („Real Time Land Air Conflict Simulation“), um integrierte Luft-Landkriegsuntersuchungen zu ermöglichen, und „KORA“ (Korps-Rahmen) wurde neu geschaffen um, Heeresstrukturen im Korpsrahmen zu analysieren.

In der Generation bis 1980 wurden die Modelle KORA weiterentwickelt, RELACS wurde durch TALCS („Tactical Air Land Conflict Simulation“) ersetzt und es wurde eine spezielle Betriebssoftware „BASIN“ geschaffen, die die Erfordernisse interaktiver Simulationsmodelle, die Verwaltung umfangreicher und komplexer Datenbestände und die Auswertung der Simulationsexperimente erfüllte. Dadurch konnten erhebliche Erleichterungen bei der Programmierung und der Organisation der Software erreicht werden.

In den folgenden Jahren bis 1985 und 1990 wurde TALCS durch „AGATHA“(„Allied Ground Air Theater Analysis“) abgelöst, da die NATO-Verbündeten in Mitteleuropa in den Simulationen voll eingespielt wurden. KORA (-OA) wurde im Verbund mit weiteren Softwaremodulen in verschiedenen Versionen weiterentwickelt, zunehmend in Planübungen eingesetzt[14] und als Komponente des Heeres-Führungssystems geplant.

Neben den laufenden Planübungen, die mit den Modellen und Simulationen unterstützt wurden (Bundeswehrplanübungen, WESTEX-Übungen der Führungsakademie der Bundeswehr,[15] Korps-Übungen, Gefechtssimulationen im Rahmen der Ausbildung) konnten wichtige Untersuchungen zur Struktur der Streitkräfte, sowie Wirksamkeit und Mischung der Waffensysteme für das Verteidigungsministerium durchgeführt werden. Außerdem wurden die deutschen Vertreter in internationalen Programmen durch analytische Zuarbeit und Argumentation unterstützt. Zu nennen sind hier die MBFR-Verhandlungen („Mutual Balanced Force Reduktion“) in Wien (1972),[16] die laufenden deutsch-amerikanischen Generalstabsbesprechungen, das ECAP-Projekt („European Conflict Analysis Project“) und während des Zerfalls des Warschauer Paktes (1989–1993) die JOSIM-Seminare („Joint Simulation“). In JOSIM wurden mehrere Planspiele in wechselnden Zusammensetzungen mit Teilnehmern der militärischen Planungsstäbe aus der Sowjetunion, USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland durchgeführt, um zur Vertrauensbildung und zum Datenaustausch während der Beendigung des sogenannten „kalten Krieges“ beizutragen.

In den Folgejahren verlagerte sich das Interesse zunehmend auf die neuen Aufgaben der Bundeswehr mit Auslandseinsätzen und Unterstützung der NATO-Verbündeten. Die Verfahren wurden nur noch für Planübungen und für die Ausbildung eingesetzt. Seit 1998 wurde die NATO-Initiative zur Entwicklung gemeinsamer Standards und Schnittstellen für Modelle und Simulationen unterstützt und ein Bereich CD&E („Concept Development & Experimentation“) beim damaligen Amt für Transformation (jetzt Planungsamt) der Bundeswehr eingerichtet.

Parallel zur IABG wurden seit 1980 in der Universität der Bundeswehr in München und in einigen größeren Industriebetrieben Modelle entwickelt, um die Lehre zu unterstützen und um hauseigene Produkte zielgerichtet zu entwerfen.[17]

Die hier dargestellten Entwicklungen decken in etwa nur den deutschsprachigen Raum ab. In der NATO und in einigen Ländern (insbesondere USA, UK, Norwegen, Schweden, Niederlande, Frankreich) gibt es eine lange und intensive Entwicklung und Anwendung der Planspiele im Rahmen und für Zwecke der jeweiligen Streitkräfte.

Siehe auch

Literatur

  • Thomas B. Allen: War Games. Berkeley, New York 1989, ISBN 0-425-11647-6.
  • Alfred H. Hausrath: Venture Simulation in War, Business, and Politics. McGraw-Hill, New York 1971, LCCN 72-136178.
  • Reiner K. Huber, Klaus Niemeyer, Hans W. Hofmann: Operationsanalytische Spiele für die Verteidigung. Oldenbourg, München 1979, ISBN 3-486-22991-5.
  • Reiner K. Huber: Modeling and Analysis of Conventional Defense in Europe. Plenum Press, New York 1986, ISBN 0-306-42227-1.
  • Francis J. McHugh: Fundamentals of Wargaming. US Naval War College, Newport RI 1966 (dtic.mil [PDF; abgerufen am 20. Oktober 2022]).
  • Peter P. Perla: The Art of War Gaming. Naval Institute Press, Annapolis 1990, ISBN 0-87021-050-5.
  • Martin Shubik: Games for Society, Business and War, Towards a Theory of Gaming. Elsevier, Amsterdam 1975, ISBN 0-444-41285-9.
  • Herbert Stachowiak: Allgemeine Modelltheorie. Springer, Wien 1973, ISBN 0-387-81106-0.
  • Ingolf Ståhl: Operational Gaming: An International Approach. Pergamon, Oxford 1983, ISBN 0-08-030836-8.
  • Philip Sabin: Simulating War-Studying Conflict through Simulation Games. Bloomsbury Press, London 2012, ISBN 0-415-41974-3.

Weblinks

Wiktionary: Planspiel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Führungsakademie der Bundeswehr
  2. Gefechtssimulationszentrum Heer
  3. Planungsamt der Bundeswehr
  4. Vgl. Begriffe in der englischsprachigen Wikipedia
  5. Sun Tzu, Thomas Cleary: The Art of War. Shambhala Dragon, Boston 1988, ISBN 0-87773-452-6, S. 92.
  6. Militair Wochenblatt, Band 1824, 6. März, Band 1874, 11. Juli, Band 1874, 9. Sept.
  7. Francis J. McHugh: Fundamentals of Wargaming. US Naval War College, Newport RI 1966 (dtic.mil [PDF]).
  8. Peter P. Perla: The Art of War Gaming. Naval Institute Press, Annapolis 1990, ISBN 0-87021-050-5, S. 31–40.
  9. Hausrath S. 23–25
  10. Bedingt abwehrbereit. In: Der Spiegel. Nr. 41, 1962 (online).
  11. S. 136, Abs. 156 (PDF; 17 MB) Weißbuch der Bundeswehr, 1971/1972, Systemanalyse und Operations Research
  12. Modeling & Simulation, Masterplan (Memento des Originals vom 14. Februar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@2Vorlage:Webachiv/IABot/ftp.rta.nato.int, NATO, 2012
  13. Klaus Niemeyer,Principles of Interactive Simulations (Games) for Military Problems, In: Proceedings of the Symposium on War Gaming, NATO/DRG, Brussels, 1987, S. 50–90
  14. vgl. Geschichte des Gefechtssimulationszentrum Heer
  15. Helmut Jäger, Erfahrungen mit einem rechnergestützten Ausbildungsplanspiel, In: Huber 1979, S. 394–408
  16. Wolf Müschner, An Approach to MBFR Analysis, In: Huber, Jones, Reine, 1975, S. 207
  17. Reiner K. Huber,Military ORSA in Germany since the 1960s, Vortragsmanuskript, ISMOR, 2008