Als Quereinsteiger oder auch Seiteneinsteiger wird eine Person bezeichnet, die aus einer fremden Sparte/Branche in ein neues Betätigungsfeld wechselt, ohne die für diesen Beruf/Branche sonst allgemein übliche „klassische“ Berufsausbildung/Studium absolviert zu haben.
Hintergrund
Quereinsteiger setzen häufig ihre Talente, Fähigkeiten und Erfahrungen ein, um ihr Interesse an bestimmten Aufgaben in ein Beschäftigungsverhältnis umzuwandeln. In einigen Fällen werden auch Hobbys zum Beruf gemacht. Dieser Schritt wird zum einen durch Selbstmotivation ausgelöst oder durch geänderte Rahmenbedingungen im aktuellen Berufsleben (zum Beispiel Kündigung, neue Aufgaben in Unternehmen) begünstigt.
Quereinsteiger werden auch gezielt von Unternehmen eingestellt, um zum Beispiel branchenfremdes Wissen zu erhalten. Hierbei spielen artfremde und exotische Berufs- und Lebenserfahrungen für die Unternehmen eine wichtige Rolle. Die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erwirbt der Quereinsteiger in der Regel im Training on the job und Weiterbildung.
Selbständige die sich in einem neuen Aufgabengebiet verwirklichen, welches nicht unmittelbar mit der eigenen Qualifikation/Branchenerfahrung verbunden ist, können auch als Quereinsteiger bezeichnet werden.
Rechtlicher Rahmen
In Deutschland gibt es geschützte Berufsbezeichnungen, die für Quereinsteiger und einstellende Unternehmen/Arbeitgeber zu beachten sind. Dies betrifft zum Beispiel die Berufe Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte, deren Titelmissbrauch ausdrücklich in § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB genannt und somit strafbar ist, wobei dieser Katalog nicht abschließend ist, d. h. andere Berufsbezeichnungen ebenfalls geschützt sein können, was der Gesetzgeber jedoch in die Einzelfallentscheidung der Gerichte bzw. vorgelagert der Strafverfolgungsbehörden gestellt hat.
Im Allgemeinen können Unternehmen jede Person mit beliebiger Qualifikation und Erfahrungen einstellen. Sie dürfen nur in der Ausführung von Tätigkeiten nicht gegen bestehendes Recht verstoßen und müssen in der Außenwirkung unmissverständliche Titel führen. Siehe hierzu Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen.
Im weiteren Sinne sind auch Personen als Quereinsteiger zu bezeichnen, die einen extremen Branchenwechsel vollziehen. Hierbei entfällt die Problematik von geschützten Berufsbezeichnungen, da diese unangetastet bleiben.
Nach dem Niedersächsischen Beamtengesetz (NBG), das am 1. April 2009 in Kraft getreten ist, können Quereinsteiger gemäß § 14 NBG (Zugang zu den Laufbahnen) beim Eintritt in den öffentlichen Dienst in Niedersachsen bis zum Lebensalter 45 verbeamtet werden, wenn sie nachweisbare Fachkenntnisse und Berufserfahrungen mitbringen.
Keine Probleme ergeben sich bei nicht geschützten Berufsbezeichnungen wie Schauspieler, Journalist, Politiker, Sänger, Produzent, Moderator, Künstler usw.
Staatliche Unterstützung
In Deutschland fördert die Bundesagentur für Arbeit die Aufnahme eines Beschäftigtenverhältnisses oder die Existenzgründung aus der Arbeitslosigkeit für Quereinsteiger bei einem für die Sicherung des Lebensunterhalts tragfähigen Konzept. Bei einem Lehrberuf oder einem Beruf, bei dem ein Studium oder eine sonstige fachliche Ausbildung zwingend vorgeschrieben ist – etwa Fleischer, Konditor, Arzt oder Krankenschwester – ist ein Quereinstieg grundsätzlich nicht möglich. So darf sich in Deutschland zum Beispiel jemand, der keine Lehre als Uhrmacher absolviert hat oder die Gesellenprüfung nicht bestanden hat, zwar als Quereinsteiger selbständig machen, auf dem Firmenschild jedoch keine Berufsbezeichnung führen, die seine Qualifikation höher erscheinen lässt als sie ist oder die zu Verwechslungen führen kann.
Berufschancen
Eine 2020 veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung sieht immer höhere Berufschancen für Quereinsteiger.[1] Aufgrund des Mangels an Fachkräften stellen Unternehmen solche Bewerber immer häufiger ein. Teilqualifizierte sind mittlerweile genauso gefragt wie Menschen mit abgeschlossener Ausbildung.[2]
Sektoren
Wirtschaft
Quereinsteiger ist zum Beispiel ein Ingenieur, der zum Vorstand in einer großen deutschen Aktiengesellschaft für das Ressort Personal oder Controlling/Finanzen berufen wird. Auch Juristen, die zum Beispiel vom Verband in die freie Wirtschaft wechseln, oder Diplom-Kaufleute, die von der Automobil- in die Medizinbranche wechseln.
In Ländern wie Australien und Neuseeland sind Quereinsteiger (Career Changer) in fast allen Unternehmensbereichen anzutreffen. Der lokale Fachkräftemangel in Neuseeland wird aktiv mit Quereinsteigern bekämpft.
Prominente Beispiele in der Wirtschaft sind:
- Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, der Germanistik, Theater- und Musikwissenschaft studiert hat.
- Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der BVG, die unter anderem Psychologie und Pädagogik studierte.
Im weiteren Sinne sind Quereinsteiger dem Prinzip des Diversity Managements zuzuordnen. Unternehmen, die diesem Prinzip folgen, nutzen konstruktiv Vielfalt in der Mitarbeiterstruktur, um Unternehmensziele zu erreichen.
Politik
Als Quereinsteiger gelten Menschen, die auf einem hohen Niveau in die Politik wechseln – und vorher eine Karriere in einem politikfernen Beruf gemacht haben. Ausschlusskriterien sind dabei eine sogenannte Ochsentour in einer Partei sowie Erfahrungen in politischen Funktionen.[3] Insgesamt wurden in Deutschland von 1949 bis 2009 auf Bundesebene nur 250 der insgesamt 4088 zu vergebenden Positionen mit Seiteneinsteigern besetzt, eine Quote von sechs Prozent.[4] Zum Beispiel handelt es sich um Hochschulprofessoren oder Künstler, die von der jeweiligen Partei entweder wegen ihrer Sachkunde oder wegen ihrer imagefördernden Prominenz nominiert oder in ein exponiertes Amt gewählt werden, ohne die klassische Parteikarriere absolviert zu haben.
Beispiele in den USA sind die Wahl des Hollywood-Schauspielers Clint Eastwood 1986 zum Bürgermeister von Carmel, von Arnold Schwarzenegger 2003 zum Gouverneur von Kalifornien oder von Donald Trump 2016 zum Präsidenten.
Deutschland
In Deutschland sind unter anderem die Hochschullehrerinnen Uta Ranke-Heinemann (parteilos für die PDS), Dagmar Schipanski (CDU) und Gesine Schwan (SPD) zu nennen, die jeweils (erfolglos) für das Amt der Bundespräsidentin kandidierten, oder der ehemalige Manager von Werder Bremen Willi Lemke, der nach seiner Managerkarriere Innensenator für die SPD in Bremen wurde. Häufig gibt es den Wechsel von der Wirtschaft in die Politik, wie beispielsweise der Verleger Helmut Markwort, der 2018 für die FDP Mitglied des Bayerischen Landtags wurde, oder der Telekom-Manager Thomas Sattelberger, der 2017 ebenfalls für die FDP in den 19. Deutschen Bundestag einzog, sowie der Manager und frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, der 2014 für die AfD in das europäische Parlament gewählt wurde.
Österreich
In Österreich gibt es zahlreiche prominente Politik-Quereinsteiger, die zuvor für den Österreichischen Rundfunk (ORF) tätig waren, beispielsweise Helmut Zilk, Franz Kreuzer, Eugen Freund, Ursula Stenzel, Josef Broukal, Karin Resetarits, Monika Lindner, Theresia Zierler, Reinhard Jesionek, Gertrude Aubauer, Hans Kronberger, Jutta Wochesländer, Hans-Jörg Schimanek, Gaby Schwarz, Gerhard Seifried, Walter Sonnleitner, Ursula Pasterk, Peter L. Eppinger, Matthias Euler-Rolle, Christiane Teschl und Ingrid Turković-Wendl.[5][6]
Prominente Politik-Quereinsteiger aus der Wirtschaft sind Hans Peter Haselsteiner, Christian Kern, Richard Lugner und Frank Stronach, Quereinsteiger aus dem Bereich Sport sind unter anderem Kira Grünberg, Elmar Lichtenegger, Patrick Ortlieb und Liese Prokop.
Weitere prominente Quereinsteiger sind Mercedes Echerer, Maria Großbauer, Karl Habsburg-Lothringen, Sophie Karmasin, Karl Mahrer, Hans-Peter Martin, Franz Morak, Helene Partik-Pablé, Hans Pretterebner, Helga Rabl-Stadler, Peter Sichrovsky, Rudolf Taschner und Ulla Weigerstorfer.
Der Journalist Armin Wolf hat einige davon in seinem Buch Promi-Politik – Prominente Quereinsteiger im Porträt sowie seiner Dissertation und zuvor im Österreichischen Jahrbuch für Politik 2004 beschrieben.[7]
Umgekehrt haben sich Politiker auch als Quereinsteiger in anderen Branchen betätigt. Nach seiner politischen Karriere war Franz Vranitzky Quereinsteiger bei Magna International, Johannes Hahn war, obwohl Geisteswissenschafter, sogar während seiner politischen Laufbahn im Vorstand der Novomatic,[8] wohin Eva Glawischnig nach ihrem Rücktritt als Bundessprecherin und Klubobfrau der Grünen wechselte.[9] Staatssekretärin Brigitte Ederer wechselte in den Vorstand von Siemens, Vizekanzlerin Susanne Riess wurde Generaldirektorin der Bausparkasse Wüstenrot.[10]
Bildungswesen
Bei besonderem Fachkräftemangel kann man als Seiten- bzw. Quereinsteiger jedoch auch Zugang zu stark reglementierten Berufen wie beispielsweise dem Lehrerberuf (Lehrerausbildung) erhalten. Siehe auch Quereinstieg (Lehramt)
In Österreich werden 2019 für fehlende Lehrkräfte Tausende von Vertretungen (österreichisch: Karenzvertretungen) gesucht.[11]
Im Jahr 2019 fehlten an Schweizer Schulen Lehrkräfte. Daher unterrichten viele Vikarinnen und Vikare (schweizerdeutsch: Vertretungslehrer).[12]
In Dänemark unterrichten viele nicht ausgebildete Vikarinnen und Vikare (dänisch: Zeitarbeitnehmer) in der Schule, berichtet das Unterrichtsministerium.[13]
Sport
Quereinsteiger wäre auch jemand, dem man ohne Fußball-Vorerfahrung im Leiten einer Fußballmannschaft deren Trainingsleitung anvertraut. Ein Quereinsteiger war im gewissen Sinne auch zum Beispiel Franz Beckenbauer als Bundestrainer (man nannte es dann „Teamchef“), da er keine formale Trainerausbildung absolviert hatte und der sich daher auf ausgebildete, lizenzierte Trainer stützen musste.
Literatur
- Marc Böhmann: Das Quer-Einsteigerbuch. So gelingt der Start in den Lehrerberuf. Beltz Verlag, Weinheim/ Basel 2011, ISBN 978-3-407-25563-1.
- Sylvia Knecht: Erfolgsfaktor Quereinsteiger – Unentdecktes Potenzial im Personalmanagement. Verlag Springer Gabler, 2014, ISBN 978-3-658-02687-5.
- Moritz Küpper: Politik kann man lernen. Politische Seiteneinsteiger in Deutschland. Mitteldeutscher Verlag, Halle an der Saale 2013, ISBN 978-3-95462-062-3.
- Robert Lorenz, Matthias Micus (Hrsg.): Seiteneinsteiger. Unkonventionelle Politiker-Karrieren in der Parteiendemokratie. VS Verlag, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16483-0.
- Armin Wolf: Prominente Quereinsteiger als Testimonials der Politik. In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 2004. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2005, ISBN 3-486-57822-7, S. 619–668.[14]
- Armin Wolf, Euke Frank: Promi-Politik – Prominente Quereinsteiger im Porträt. Czernin-Verlag, Wien 2006, ISBN 3-7076-0068-8.
- Armin Wolf: Image-Politik – Prominente Quereinsteiger als Testimonials der Politik. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2874-2.
Weblinks
- Manchmal muss man die Koffer packen – Tagesspiegel Online zu Quereinsteigern
Einzelnachweise
- ↑ Verena Töpper: Jobchancen ohne Berufsabschluss: Bertelsmann-Studie zeigt Bedarf an Quereinsteigern. In: Der Spiegel. 31. Juli 2020, abgerufen am 7. August 2020.
- ↑ Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Über Teilqualifikationen erfolgreich in den Beruf. Einstieg in den Job, Schritt für Schritt zum Abschluss. 20. Juli 2020, doi:10.11586/2020038 (bertelsmann-stiftung.de [PDF; abgerufen am 7. August 2020]).
- ↑ Zitiert nach Moritz Küpper: Definition Seiteneinsteiger und Quereinsteiger ( des vom 4. April 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. . Auf: seiteneinsteiger.info, abgerufen am 28. März 2013.
- ↑ Zitiert nach Moritz Küpper: Daten ( des vom 4. April 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. . Auf: seiteneinsteiger.info, abgerufen am 28. März 2013.
- ↑ derStandard.at - Seitenwechsel: Vom ORF in die Politik. Artikel vom 13. Januar 2014. abgerufen am 14. Januar 2014.
- ↑ Tiroler Tageszeitung Online - EU-Wahl: ORF als Rekrutierungs-Pool für die Politik ( des vom 14. Januar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. . Artikel vom 14. Januar 2014, abgerufen am 14. Januar 2014.
- ↑ derStandard.at - Armin Wolf: "SPÖ holt sich Eugen Freund als Wählerattraktion". Artikel vom 14. Januar 2014. abgerufen am 14. Januar 2014.
- ↑ Wiener Zeitung - Der missverstandene Quereinsteiger Abgerufen am 12. Februar 2014.
- ↑ diepresse.com: Eva Glawischnig geht zu Novomatic. Artikel vom 2. März 2018, abgerufen am 23. Mai 2019.
- ↑ Von der hohen Politik in die Wirtschaft: Was kommt danach: Die beruflichen Wege ehemaliger Spitzenpolitiker.. Artikel vom 3. Juni 2019, abgerufen am 6. Juni 2019.
- ↑ Personalnot in den Schulen: Lehrkräfte gesucht! - derStandard.de. Abgerufen am 23. Juli 2020 (Lua error in Module:Multilingual at line 149: attempt to index field 'data' (a nil value).).
- ↑ An Zürcher Schulen fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Abgerufen am 15. November 2019.
- ↑ Vikarer står for mere end hver tiende undervisningstime i folkeskolen. Abgerufen am 15. November 2019 (Lua error in Module:Multilingual at line 149: attempt to index field 'data' (a nil value).).
- ↑ Österreichisches Jahrbuch für Politik 2004, S. 619–668: Prominente Quereinsteiger als Testimonials der Politik ( des vom 14. Januar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. . Abgerufen am 14. Januar 2014.