Sigfried Uiberreither, 1941 Sigfried Uiberreither (Taufname: Siegfried Josef Überreiter) (* 29. März 1908 in Salzburg; † 29. Dezember 1984 in Sindelfingen) war ein österreichischer Jurist und hoher Funktionsträger und SA-Obergruppenführer in der Zeit des Nationalsozialismus. Er war neben anderem Gauleiter, Reichsstatthalter und Reichsverteidigungskommissar in der Steiermark und als solcher verantwortlich für zahlreiche NS-Verbrechen und die Aufrechterhaltung der NS-Herrschaft.
Biografie
Familie, Ausbildung
Elternhaus, Jahnstraße 12 Siegfried Überreiter kam in der Elisabeth-Vorstadt, im Haus Jahnstraße 12 auf die Welt. Er war der Sohn des Bezirksingenieurs Josef Überreiter, seine Mutter hieß Marianne Überreiter, geb. Prem, und war eine Tochter des Botenwirts Prem in St. Johann im Pongau.[1] 1924 trat Überreiter in die Schilljugend ein, die eine Wegbereiterorganisation der Hitlerjugend war. Nach dem Besuch der Volks- und Realschule und der Matura in Salzburg studierte er an der Universität Graz Rechtswissenschaften und wurde 1933 zum Doktor der Rechte promoviert. In Graz trat er der dt.-nationalen Studentenkorporation Cheruskia und dem Steirischen Studentenbataillon bei, später auch dem paramilitärischen Steirischen Heimatschutz. 1933 ließ er die Schreibweise seines Nachnamens auf Uiberreither abändern.[2] Während seines Studiums wurde er 1927 Mitglied der Burschenschaft Cheruskia Graz. Neben dem Studium arbeitete er zeitweise als Bauhilfsarbeiter. Ab 1930 war er Sekretär der Landwirtschaftskrankenkasse in Graz.
Nationalsozialismus
1931 trat er in die SA ein, in der er während der Zeit des Verbotes der Naziorganisationen (1934–1938) im österreichischen Ständestaat zum SA-Gruppenführer ernannt wurde. Nach dem „Anschluss Österreichs“ von 1938 wurde er zuerst kommissarischer Polizeidirektor für Graz. Er trat am 1. Mai 1938 der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei bei (Mitgliedsnummer 6.102.560).[3] Nach der Besetzung Österreichs hatte die nationalsozialistische Führung die Absicht, den Grenzgau Steiermark zu einem Mustergau an der Südostecke des Deutschen Reiches zu machen. Der Auswahl des Gauleiters wurde daher besondere Bedeutung beigemessen. Dem Gauleiter aus der illegalen Zeit der NSDAP, Sepp Helfrich, und auch den anderen „alten Kämpfern“ traute man diese Aufgabe nicht zu. So wurde Uiberreither mit Wirkung vom 22. Mai 1938 von Hitler zum Gauleiter ernannt, in der Hoffnung, dass er der gewünschte „starke Grenzgauleiter“ werde. Am 9. Juni 1938 wurde er auch Landeshauptmann. Im selben Jahr erfolgte seine Ernennung zum SA-Brigadeführer für die Mittelsteiermark. 1939 heiratete er Käte (1918–2012), die Tochter des Meteorologen und Geowissenschaftlers Alfred Wegener. 1939/40 leistete er Kriegsdienst als Gebirgsjäger und nahm an der Besetzung Norwegens teil. Im April 1940 wurde er als Leutnant aus der Wehrmacht entlassen.
Zwischen 1938 und Ende 1939 wurden die knapp 3000 Juden, die im Gau Steiermark lebten, durch Verfolgungen, Terrorisierung, Zerstörung ihrer Synagogen und Zeremonienhallen sowie durch Beschlagnahme ihres Eigentums aus dem Land vertrieben.
Mit 31. März 1940 erlosch die Tätigkeit Uiberreithers als Landeshauptmann, weil die Steiermark ein Reichsgau geworden war. Er wurde Reichsstatthalter der Steiermark. An der Spitze des Reichsgaues stand für den staatlichen Bereich der Reichsstatthalter und für die Parteiangelegenheiten der Gauleiter. Beide Funktionen waren, wie es auch in anderen Gauen oft der Fall war, in einer Person, Uiberreither, vereinigt.
Von links: Uiberreither, Martin Bormann, Adolf Hitler und Otto Dietrich auf der Draubrücke in Marburg an der Drau (1941), Aufnahme aus der Sammlung von Adolf von Bomhard im Bundesarchiv Mit der Zerschlagung Jugoslawiens nach dem deutschen Balkanfeldzug im Frühjahr 1941 fielen die Untersteiermark und Teile der Oberkrain an das Deutsche Reich. Uiberreither wurde von Hitler als Chef der Zivilverwaltung für die Untersteiermark eingesetzt.[4] Es begann eine rigorose Germanisierungspolitik und Uiberreither kündigte an, dass man mit Eiseskälte die notwendigen Maßnahmen treffen werde, um das Land in drei Jahren einzudeutschen. Nach der Verhaftung der slowenischen Führungsschicht und Auflösung der slowenischen Vereine und Kulturorganisationen wurden tausende Slowenen nach Serbien, Kroatien und ins Altreich umgesiedelt. Des Weiteren wurden schon im Mai 1941 1200 jüngere Lehrer aus der Steiermark zum Einsatz in die Untersteiermark abkommandiert und Deutsch an Stelle von Slowenisch als Unterrichtssprache an den zirka 400 Schulen eingeführt. Slowenen durften, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr als Lehrer tätig sein. Zudem sollte das gesamte slowenische Schriftgut aus der Untersteiermark eingezogen werden. Die brutale Germanisierungspolitik führte bald zu slowenischen Gegenaktionen wie passivem Widerstand, Sabotage, Raub und Anschlägen. Diese Reaktionen beantwortete das NS-Regime mit der Erschießung von Gefangenen, die zur Abschreckung auch namentlich im ganzen Land plakatiert wurden. Mit der Fortdauer des Krieges bekamen die Partisanen ständig mehr Zulauf und gegen Kriegsende griff die immer mehr von Kommunisten dominierte Widerstandstätigkeit sogar auf die obersteirischen Industriezonen über.
Uiberreither wurde 1942 auch zum Reichsverteidigungskommissar für den Gau Steiermark bestellt. 1943 folgte seine Ernennung zum SA-Obergruppenführer. Ab 1944 war er Führer des Volkssturms in der Steiermark.
Trotz der ab August 1943 fast täglichen alliierten Bombenangriffe und der dadurch hervorgerufenen massiven Zerstörungen sowie der zunehmenden Aktionen von Widerstandsbewegungen gelang es Uiberreither und dem NS-Regime bis zum Kriegsende, die Rüstungsproduktion und die Lebensmittelversorgung für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Auf Widerstand, Boykottierung von angeordneten Maßnahmen, Sabotage und Desertion antwortete das Regime erbarmungslos. Besonders in den letzten Monaten häuften sich Erschießungen. Die deutschsprachige Minderheit der Untersteiermark bezahlte die barbarische Germanisierungspolitik des NS-Regimes nach dem Krieg mit ihrer fast vollständigen Vertreibung und Enteignung, persönlichen Verfolgungen, Inhaftierungen, Folterungen und Ermordungen, die vom an die Macht gekommenen Tito-Regime veranlasst wurden.
Uiberreither ließ noch am 7. Mai 1945, am Tag vor seiner eigenen Flucht aus Graz, eine Gruppe von sechs Widerstandskämpfern im Feliferhof hinrichten und auch im Hof der Polizeidirektion wurden politische Gegner bis zuletzt ermordet. Uiberreither übergab die Geschäfte seinem innerparteilichen Rivalen, dem etwas gemäßigteren Armin Dadieu. Dieser enthob noch zu Mittag alle Kreis- und Ortsgruppenleiter der NSDAP in der Steiermark ihrer Funktionen und ordnete an, dass dem Nerobefehl nicht Folge zu leisten sei.[5]
Nach dem Krieg
Uiberreither wurde am 9. Mai in Murau von den Briten verhaftet, verhört und Mitte Oktober nach Nürnberg gebracht.[6] Er sagte dort vor dem Internationalen Militärgerichtshof aus. Der drohenden Auslieferung nach Jugoslawien, die, wie bei den anderen an Jugoslawien ausgelieferten Gauleitern oder hohen SS- bzw. Wehrmachts-Offizieren, mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Todesurteil geendet hätte, entzog er sich durch eine Flucht. Er sollte nach dem Prozess in Nürnberg zusammen mit dem Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer nach Ljubljana gebracht werden. Mit Hilfe eines Bruders von Hartmann Lauterbacher flüchtete er aus dem Lager Dachau.[7] Nach unverbürgten Hinweisen floh er nach Argentinien.[8] Uiberreither soll nach anderen Informationen unter anderem Namen in Sindelfingen gelebt haben.[9]
Am Volksgericht Graz wurden gegen ihn mehrere Verfahren eingeleitet, unter anderem wegen der Anordnung von Massenerschießungen von Freiheitskämpfern auf dem Feliferhof bei Graz und in der SS-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf. Uiberreither erschien nie vor Gericht.
In einem Bericht der Grazer Monatszeitschrift Korso vom Juli 2008[10] wurden Zeitzeugen zitiert, von denen einer mit Uiberreither um 1954 in derselben Firma gearbeitet hatte. Uiberreither hatte sich eine neue Identität zugelegt und nannte sich Friedrich Schönharting. Er arbeitete bei einem Kältetechnikunternehmen in Sindelfingen und war in späteren Jahren bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt.[7] Das Ehepaar hatte vier Söhne, der jüngste wurde in Sindelfingen geboren.[11] Die Ehefrau Uiberreithers trat unter ihrem neuen Namen Käthe Schönharting bei einem am 31. Dezember 2006 von der ARD ausgestrahlten Film über ihren Vater Alfred Wegener auf.[12]
Seine letzten Lebensjahre sollen von einer Alzheimer-Erkrankung überschattet gewesen sein, Uiberreither starb am 29. Dezember 1984. Seine Urne wurde unter dem Namen Friedrich Schönharting am Burghaldenfriedhof in Sindelfingen bestattet.
Literatur
- Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 6: T–Z. Winter, Heidelberg 2005, ISBN 3-8253-5063-0, S. 83–86.
- Stefan Karner: Die Steiermark im Dritten Reich 1938–1945. Leykam, Graz 1986, ISBN 3-7011-7171-8.
- Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer und Reinhard Sieder (Hrsg.): NS-Herrschaft in Österreich. öbv und hpt, Wien 2000, ISBN 3-209-03179-7.
- Sigfried Uiberreither: Gauleiter, Reichsstatthalter und Chef der Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten der Untersteiermark. In: Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht: Nationalsozialismus in der Steiermark. Opfer, Täter, Gegner. Studien Verlag, Innsbruck 2015 (Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern; 4), ISBN 978-3-7065-4872-4, S. 102–104.
- Walter Thaler: Sigfried Uiberreither. Das zweite Leben des Gauleiters und Germanisierungsfanatikers. In: ders.: Erinnerungswürdig. Prägende Persönlichkeiten der Salzburger Geschichte. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2022, ISBN 978-3-7025-1033-6, S. 217–219.
- Der Neue Mahnruf, 62. Jahrgang, Wien / Graz 2008, Heft 9, S. 18. Siehe: Dr. Sigfried Uiberreither - das zweite Leben des Gauleiters
- Stefan Karner: Uiberreither, Sigfried. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-5, S. 554 (Digitalisat).
Weblinks
- Literatur von und über Sigfried Uiberreither im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Sigfried Uiberreither in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
Quellen
- ↑ AES, Salzburg St. Andrä, TFB18, abgerufen am 28. August 2022.
- ↑ AES, Salzburg St. Andrä, TFB18; laut Erlaß der Grazer Landesregierung vom 8. Juli 1933.
- ↑ Bundesarchiv R 9361-VIII KARTEI/23650967
- ↑ Alexander Leitgeb: Die Gleichschaltung der steirischen Zeitungen zur Zeit des Nationalsozialismus. Diplomarbeit. Graz 2019 (uni-graz.at [PDF; abgerufen am 30. Juni 2021]).
- ↑ Stefan Karner: Die Steiermark im Dritten Reich 1938–1945. 3. Auflage. Leykam Buchverlag, Graz 1986, ISBN 3-7011-7302-8, S. 391–423.
- ↑ Der Neue Mahnruf: Dr. Sigfried Uiberreither - das zweite Leben des Gauleiters, 62. Jahrgang, Heft 9, S. 18, Wien/Graz 2008, abgerufen am 25. Oktober 2922
- ↑ 7.0 7.1 Deutsche Biografie: Uiberreither, Sigfried, abgerufen am 25. Oktober 2022
- ↑ Ernst Klee: Personenlexikon zum Dritten Reich. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2003
- ↑ Gerlinde Wicke-Naber: Kriegsverbrecher im Sindelfinger Versteck. In: Stuttgarter Nachrichten vom 8. Jan. 2019.
- ↑ Heimo Halbrainer, Christian Stenner: Dr. Sigfried Uiberreither – das zweite Leben des Gauleiters. In: korso.at. Christian Stenner, 5. Juli 2008, abgerufen am 10. Januar 2017.
- ↑ Stuttgarter Nachrichten: Kriegsverbrecher im Sindelfinger Versteck, am 8. Januar 2022, abgerufen am 25. Oktober 2022
- ↑ Das Erste: Eismitte von Ernst Waldemar Bauer am 31. Dezember um 12.50 Uhr. In: presseportal.de. 13. November 2006, abgerufen am 10. Januar 2017.
Personendaten | |
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NAME | Uiberreither, Sigfried |
ALTERNATIVNAMEN | Uiberreither, Siegfried; Schönharting, Friedrich |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Jurist und Politiker (NSDAP), MdR |
GEBURTSDATUM | 29. März 1908 |
GEBURTSORT | Salzburg |
STERBEDATUM | 29. Dezember 1984 |
STERBEORT | Sindelfingen |