Das Tempus [ˈtɛmpʊs] (lateinisch für Zeitspanne, Zeit, Zeitabschnitt, Plural [Tempora] Error: {{Lang}}: text has italic markup (help) [ˈtɛmpɔra]) ist eine grammatische Kategorie, die – relativ zu einem wirklichen oder angenommenen Sprechzeitpunkt S[1][2] – die zeitliche Lage der Situation angibt, die vom Satz bezeichnet wird. Viele Sprachen unterscheiden als Tempora die Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, es existieren jedoch auch Systeme mit weniger oder mit mehr Unterscheidungen. Das Tempus erscheint meist als Flexionsform eines Verbs, die Zeitform. Die Verankerung an der Sprechsituation (Deixis) ist charakteristisch für die Kategorie Tempus und bildet den Hauptunterschied zur Kategorie Aspekt (bei der es um zeitliche Eigenschaften der Situation für sich genommen geht, wie etwa Vollendung).
Theorie
Tempus als nur grammatische Kategorie versus Zeit im physikalischen Sinn
Von Tempus spricht man in der Grammatik im Sinne einer grammatischen Kategorie. Das Tempus ist von der Zeit im physikalischen Sinn zu unterscheiden. Das grammatische Tempus kann auch modale Aspekte zum Ausdruck bringen (vgl. Futur).
Tempus als grammatische Form und die Bedeutung des Tempus
Es ist zwischen dem Tempus als grammatischer Form und der Bedeutung,[3] der Funktion[4] des Tempus zu unterscheiden. Der Duden empfiehlt, die aus der lateinischen Grammatik übernommenen Bezeichnungen im Deutschen nur „als reine Namen (zu) verstehen“.[4]
So wird im Deutschen die Zukunft tatsächlich mehr durch die grammatische Form des Präsens als durch die grammatische Form des Futur I ausgedrückt (vgl. Futur); gleichwohl gilt das Präsens prototypisch als Gegenwarts- und das Futur I als Zukunftsform.
Relativität zum einzelsprachlichen Zeitsystem
Die Bedeutung der Zeiten hängt von dem Zeitsystem der jeweiligen Sprache ab.[5] Vor einer schlichten Übertragung der Verwendungsweise im Deutschen auf andere Sprachen ist daher zu warnen.[6]
Der Sprechzeitpunkt als der maßgebliche zeitliche Bezugspunkt
Der Sprechzeitpunkt ist eine Dimension der Deixis. Durch die deiktischen Ausdrücke wird auf die einzelnen Dimensionen des Wahrnehmungsraumes verwiesen in dem der Sprecher und der Hörer, welche sich in einer Sprachhandlung befinden, eingeschlossen sind. Die an der Kommunikation beteiligte Sprecher und Hörer (Personaldeixis) befinden sich reziprok an einem Sprechort (lokale- oder Ortsdeixis) in der sich durch die Abfolge von Ereignissen eine Sprechzeit (temporal- oder Zeitdexis) ableiten lässt und in die Objekte auf die verwiesen werden kann eingebettet sind (Objektdeixis). Temporaldeixis meint einen deiktischen Ausdruck, der sich auf die zeitliche Dimension der Sprechsituation bezieht, z. B. jetzt, dann, heute, gestern.
Während die Personendeixis oder Ortsdeixis räumlich wirken ist die temporale Zeigefunktion linear, wobei die Handlungszeit oder Zeitrelation im Verhältnis zur Sprechzeit vorzeitig, gleichzeitig oder nachzeitig sein kann.[7] Die für die temporale Zeigefunktion notwendige „Zeitachse“ lässt sich mit drei weiteren Bezugspunkten erläutern; diese sind der Sprechzeitpunkt, englisch point of speech S, also der Moment der Äußerung, der Ereignispunkt, englisch point of event E, also die Situierung des Ereignisses welches auf der Zeitachse bezeichnet werden soll und der Referenzpunkt, englisch point of reference R, also der Punkt von dem aus das Ereignis situiert wird.[8][9]
Das Tempus als zeitlicher Bezug zum Sprechzeitpunkt
Das Jetzt des Sprechers (Schreibers) wird Sprechzeitpunkt S genannt. Er ist der Bezugspunkt für sprachliche Ausdrücke, die sich deiktisch auf die Zeit beziehen. Er liegt auch der Einteilung in die Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrunde.[10]
Unmittelbarer (Hauptzeiten) und mittelbarer Bezug (Nebenzeiten)
Das Tempus wird in der Regel stets relativ zum „Jetzt“ gesetzt, also in Bezug zum Zeitpunkt des Sprechens. In der Theorie lassen sich so drei absolute[11] Zeitebenen, die so genannten Hauptzeiten oder Zeitstufen, unterscheiden:
Mittelbarer Zeitbezug wird durch weitere Formen ausgedrückt, deren Einstufung als Tempora strittig ist, sie werden auch als Relativtempora oder Nebenzeiten bezeichnet, und manchmal als Kombination eines Tempus mit einem Aspekt analysiert.[12] Mit ihrer Hilfe lassen sich also Zeitverhältnisse angeben: die Vorzeitigkeit und die Nachzeitigkeit:[13]
- Beispiel:
- Vergangenheit (Präteritum) — z. B. „Da bestellte er das Auto.“
Relative Zeitangaben hierzu:
- Vor-Vergangenheit (Plusquamperfekt) — z. B. „Damals hatte er das Auto schon bestellt.“
- Nach-Vergangenheit (Präteritum oder Hilfsverbkonstruktion) — z. B. „(Damals hatte er es noch nicht bestellt), er würde/sollte es erst später bestellen“.
- Analog:
- Vor-Gegenwart (Perfekt)
- Gegenwart (Präsens)
- Nach-Gegenwart (Präsens)
- Gegenwart (Präsens)
- Vor-Zukunft (Futur II)
- Zukunft (Futur I)
- Nach-Zukunft (Futur I)
- Zukunft (Futur I)
So kann man mit der Vor-Vergangenheit angeben, dass etwas während eines bestimmten, in Rede stehenden Zeitpunkts in der Vergangenheit bereits vergangen ist, oder mit der Vor-Zukunft, dass etwas während einer bestimmten zukünftigen Zeit schon vergangen sein wird. Diese Verfeinerung lässt sich rein theoretisch noch weiterführen. Es gibt aber nur wenige Sprachen, die eine Vor-Vor-Vergangenheit etc. ausdrücken. Das Schema ist selbstverständlich stark vereinfacht; das Präsens kann alle drei Zeitstufen ausdrücken, als Präsens historicum sogar die Vergangenheit: „Im Jahre 800 wird Karl der Große zum Kaiser gekrönt.“ oder die Zukunft: „Morgen reise ich ab.“ Das Perfekt kann – besonders im mündlichen Sprachgebrauch – auch die Vergangenheit ausdrücken: „Er hat gelacht.“ Das Futur II kann durch Präsens oder Perfekt ersetzt werden.[14]
Übersicht über die Tempora
In der deutschen Grammatik unterscheidet man (Verb, intransitives Verb, Hilfsverb)
- das Präsens: sehen – ich sehe; gehen - ich gehe, sein - ich bin
- das Präteritum (Imperfekt): sehen – ich sah; gehen - ich ging; sein - ich war
- das Perfekt: sehen – ich habe gesehen; gehen - ich bin gegangen; sein - ich bin gewesen
- das Plusquamperfekt: sehen – ich hatte gesehen; gehen - ich war gegangen; sein - ich war gewesen
- das Futur I: sehen – ich werde sehen; gehen- ich werde gehen; sein - ich werde sein
- das Futur II: sehen – ich werde gesehen haben; gehen - ich werde gegangen sein; sein - ich werde gewesen sein
und umgangssprachlich in der gesprochenen, manchmal auch geschriebenen Sprache
- das Doppelte Perfekt: sehen – ich habe gesehen gehabt; gehen - ich bin gegangen sein; sein - ich bin gewesen sein
- das Doppelte Plusquamperfekt: sehen – ich hatte gesehen gehabt; gehen - ich war gegangen gewesen; sein - ich war gewesen gewesen
Umsetzung
Die Zeitebenen (oder Zeitstufen) werden in den meisten Sprachen der Welt mittels Tempora grammatikalisiert, aber auf sehr unterschiedliche Weisen umgesetzt.
In den indoeuropäischen Sprachen drücken Verben oft die Zeitstufe aus: Die Flexion des Verbes durch eine Stammänderung (ich sehe, ich sah) oder das Anbringen von Affixen (ich töte, ich töte-te). Unter der Verwendung von Hilfsverben lassen sich ebenfalls Zeitenangaben ausdrücken, z. B. „Ich werde gehen“ oder „Ich habe gesehen“.
In einigen Sprachen sind die Zeitstufen aber keine grammatische Formeigenschaft des Verbs. Diese Sprachen verwenden (optionale) Zeitadverbien wie „jetzt“, „heute“ oder „damals“, oder Adverbialsätze, um den zeitlichen Rahmen einer Aktion anzugeben, anstatt das Verb selbst zu verändern. Das Chinesische stellt ein Beispiel dar.
Welche Zeitformen überhaupt zur Verfügung stehen, ist generell sehr unterschiedlich; In vielen Sprachen existieren einige Zeitformen gar nicht oder nur in leidlicher Form. Die Nach-Zukunft im Deutschen beispielsweise hieße theoretisch „In einem Jahr werden sie geheiratet haben, und er wird glücklich sein“, was aber in den Ohren vieler Deutscher unschön klingt. Stattdessen wird eine adverbiale Umschreibung vorgezogen: „In einem Jahr heiraten sie/werden sie heiraten/haben sie geheiratet, und er wird glücklich sein.“
Unter Umständen hat eine Sprache mehrere verschiedene Formen für eine einzige Zeitebene, die untereinander weitgehend austauschbar und/oder nur jeweils für spezielle Fälle vorgegeben sind. So kennt das Deutsche zwei Vergangenheitstempora: Perfekt und Präteritum. Andererseits wurden woanders viele Tempora entwickelt, die sich nicht in das theoretische Schema einordnen lassen und es erweitern. So kennt das Italienische eine Zeitform für sehr weit entfernte Vergangenheit.
Oftmals gibt es Tendenzen dazu, die eigentliche Bedeutung von Zeiten zweckzuentfremden. So drückt das deutsche „Ich putz mir die Zähne (er steht auf und geht zum Badezimmer)“ aus dem Kontextwissen heraus eigentlich Zukunft aus, doch es wird grammatisch die simplere Gegenwart verwendet. Eine derartige Verwendung der Gegenwart ist besonders im Finnischen verbreitet, welches über kein Futur verfügt.
Ein Phänomen in den indoeuropäischen Sprachen ist, dass die grammatischen Kategorien Aspekt und Tempus sehr stark ineinander verwoben sind, zu merken an solchen „Zeiten“ wie Imperfekt oder Perfekt, obwohl es sich im Grunde um zwei verschiedene Eigenschaften des Verbs handelt.
Als Beispiel für ein Zeitensystem siehe das unten aufgeführte traditionelle Schema der Tempora (Zeitformen) der deutschen Grammatik.
Deutsche Bezeichnung | Lateinisch-deutsche Mischbezeichnung | Beispiel | |
---|---|---|---|
Aktiv | Passiv | ||
(einfache) Vergangenheit | Präteritum (Imperfekt) | ich fragte | ich wurde gefragt |
vollendete Vergangenheit | Plusquamperfekt | ich hatte gefragt | ich war gefragt worden |
(einfache) Gegenwart | Präsens | ich frage | ich werde gefragt |
vollendete Gegenwart | Perfekt | ich habe gefragt | ich bin gefragt worden |
(einfache) Zukunft | Futur I | ich werde fragen | ich werde gefragt werden |
vollendete Zukunft | Futur II | ich werde gefragt haben | ich werde gefragt worden sein |
Deskriptive Ansätze der Sprachforschung und -beschreibung finden – vor allem als umgangssprachliches, regionales und dialektales Phänomen – weitere Zeitformen im Deutschen vor, die in dem oben beschriebenen System keine Berücksichtigung finden und im Standarddeutsch als fehlerhaft gelten:
- Doppeltes Perfekt („Ich habe es vergessen gehabt“)
- Doppeltes Plusquamperfekt („Ich hatte es vergessen gehabt“)
- Doppeltes Futur II (Futur III) („Ich werde es vergessen gehabt haben“)
Das doppelte Perfekt und doppelte Plusquamperfekt werden in der Literatur uneinheitlich bezeichnet. Die einfachen Formen werden dabei um das Partizip II des Hilfsverbs erweitert. Es handelt sich dabei um eine aspektuelle Ergänzung (Aspekt): Der Sprecher kann diese Erweiterung bei einem abgeschlossenen Sachverhalt einsetzen. Die stilistische Bewertung dieser Erweiterung ist umstritten.[15]
Siehe auch
Literatur
- Duden. Die Grammatik. 7. Auflage. 2005, ISBN 3-411-04047-5.
- Katja Kessel, Sandra Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache. Fink, Tübingen 2005, ISBN 3-8252-2704-9.
- Paul Kremer, Detlev Nimtz: Deutsche Grammatik. 7. Auflage. Neuss/ Münster 1989, ISBN 3-486-03163-5.
- Michael Rödel: Doppelte Perfektbildungen und die Organisation von Tempus im Deutschen. (= Studien zur deutschen Grammatik. Band 74). Stauffenburg, Tübingen 2007, ISBN 978-3-86057-465-2.
- Harald Weinrich: Tempus: besprochene und erzählte Welt. 6., neubearb. Auflage. C.H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47876-X.
Weblinks
- Die Zeitformen in der Übersicht. abgerufen am 10. Dezember 2012.
Einzelnachweise
- ↑ nach Hans Reichenbach sind zur Tempusbeschreibung mehr als zwei Zeitpunkte bzw. Zeitintervalle nötig. Reichenbach führte die folgenden Kategorien ein:
- S oder H: point of speech, punto de habla die Sprechzeit, sie bezieht sich auf den Augenblick des Sprechens, sie wird in manchen Fällen auch als mögliche Zeitspanne definiert,
- E: point of event, punto del evento die Ereigniszeit, ist das Zeitintervall in welchem der versprachlichte Zustand gilt, oder die ausgedrückte Handlung abläuft, sie kann sowohl einen Zeitpunkt als auch eine Zeitspanne sein,
- R: point of reference, punto de referencia die Referenzzeit, es ist ein Zeitintervall, verschieden von der Sprechzeit. Es weist, etwa durch ein Zeitadverb, auf ein Ereignis hin oder es referiert auf ein Geschehen um dieses zeitlich zu lokalisieren.
- Unter der Sprechzeitdistanz versteht man den Abstand zwischen der Sprechzeit S bzw. H und der Ereigniszeit E.
- ↑ Hans Reichenbach: Elements of Symbolic Logic. Macmillan Co., New York 1947.
- ↑ Kessel/Reimann: Basiswissen Deutsche Gegenwartssprache. S. 80.
- ↑ 4.0 4.1 Duden. Die Grammatik. Rn. 706
- ↑ Patzig: Sprache und Logik. 2. Auflage. 1981, S. 105.
- ↑ Christian Rohrer: Zeitsysteme und ihre Anwendung auf natürliche Sprachen. S. 36–50
- ↑ Rolf Eberenz: Tempus und Textkonstitution im Spanischen: eine Untersuchung zum Verhalten der Zeitform auf Satz- und Textebene. Band 153 von Tübinger Beiträge zur Linguistik, Gunter Narr Verlag, Tübingen 1981, ISBN 3-87808-153-7, S. 44
- ↑ Hans Reichenbach: Elements of Symbolic Logic. Macmillan Co., New York 1947.
- ↑ 1. Grundbegriffe: Tempus, Aspekt, Aktionsart, Zeitkonstitution. Wolfgang Hock, Manfred Krifka: Aspekt und Zeitkonstitution. WS 2002/3, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, Humboldt-Universität zu Berlin, 30. Oktober 2002.
- ↑ Duden, Die Grammatik. Rn. 708
- ↑ Tatsächlich lassen sich die Bezüge jedoch auch manchmal verschieben, z. B. im „historischen“ Präsens, in dem eine Vergangenheit so geschildert wird, als würde man sie gerade erleben.
- ↑ Wolfgang Klein: Time in Language. Routledge, London 1994. Kapitel 6.
- ↑ Paul Kremer, Detlef Nimtz: Deutsche Grammatik. S. 124 ff.
- ↑ Die Beispiele stammen von Kremer/Nimtz, S. 68 ff.
- ↑ Michael Rödel: Doppelte Perfektbildungen