Der Begriff Verantwortungsethik bezeichnet ethische Systeme, die bei Entscheidungen zwischen Handlungsalternativen oder bei der normativen Beurteilung von Handlungen die tatsächlichen Ergebnisse und deren Verantwortbarkeit in den Vordergrund stellen. Der Begriff wurde von Max Weber als Gegenbegriff zur „Gesinnungsethik“ eingeführt, worunter er ethische Positionen zusammenfasst, die Handlungstypen anhand der Übereinstimmung von Motiv und Absicht mit gegebenen ethischen Werten beurteilen. Nach Max Weber ist es Aufgabe politisch Handelnder, eine Balance zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik zu finden.
Begriffsgeschichte
Die Unterscheidung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik geht auf den von Max Weber im Jahr 1919 gehaltenen Vortrag Politik als Beruf zurück. Zuvor hatte Max Scheler in ähnlichem Sinne Gesinnungs- und Erfolgsethik gegenübergestellt.[1] Max Weber formulierte:
„Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt - religiös geredet: ‚Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‘ - oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.“[2]
Weber betrachtete die Gegenüberstellung keinesfalls als vollständige Einteilung von Grundtypen der Ethik und nicht notwendig als wechselseitig exklusive Positionen. Die Unterscheidung muss auch unter dem Gesichtspunkt der Diskussion um die Realpolitik gesehen werden. Diese hatte nicht zuletzt im Preußischen Verfassungskonflikt rund 50 Jahre zuvor die deutschen Liberalen, denen Max Weber persönlich verbunden war, gespalten. Dabei ging es um die Frage, ob politische Forderungen, deren Realisierung nicht umsetzbar erschien, zugunsten einer Beteiligung an der Macht aufgegeben werden sollten, um aus dieser Position heraus zumindest in Teilen Verantwortung für das politische Geschehen zu übernehmen, oder ob man an der Gesinnung festhalten und dafür aber in der Opposition bleiben würde, was sowohl einen Verzicht auf Einfluss als auch eine Behinderung des politischen Prozesses bedeutet hätte. Webers Gegenüberstellung und der Versuch, einen Ausgleich zu finden, könnte also auch als Aufruf zur Wiedervereinigung der politisch organisierten Liberalen verstanden werden.
Handlungsmotiv
Bei begrenzten Ressourcen sind verantwortungsethisch diejenigen Maßnahmen vorzuziehen, welche den größtmöglichen Erfolgs-/Wirkungs-Koeffizienten haben, oder aber (abgeschwächte Form) die vorhandenen Ressourcen sind nach diesen Koeffizienten (und nicht gleichmäßig) zu verteilen.
Kritikpunkte
Ein Problem der Verantwortungsethik ist die beschränkte Information über die Ergebnisse einer konkreten Handlung. So könnte eine Handlung, die – isoliert betrachtet – gerechtfertigt erscheint, aufgrund einer Verkettung von Umständen schädliche Folgen für Dritte haben. Schon bei John Locke finden sich Beispiele für Handlungen, deren Wert sich je nach Kontext ändert (so erscheint es zunächst verboten, jemandem sein Eigentum zu entwenden, aber geboten, jemandem, der in Raserei verfallen ist, seine Waffe zu stehlen).
Ein weiteres Problem ist das Fehlen einer Hierarchie von Werten. Verantwortungsethiker unterschiedlicher Schulen bzw. philosophischer Richtungen bzw. Kulturen können zu unterschiedlichen Geboten gelangen, je nachdem, welche Folgen einer Handlung sie für wahrscheinlich ansehen und wie sie sie bewerten. Dabei kann auch der Zeitraum der Betrachtung entscheidend sein: Eine Handlung mag verantwortungsethisch kurzfristig geboten erscheinen, aber längerfristig negative Auswirkung haben.
Siehe auch
Literatur
- Kurt Bayertz (Hrsg.): Verantwortung: Prinzip oder Problem. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, ISBN 3-534-11388-8, S. 314.
- Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, ISBN 978-3-518-37585-3.
- Hans Lenk: Zwischen Wissenschaft und Ethik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-28580-7.
- Harald A. Mieg: Verantwortungsethik. In: J. Ritter, K. Gründer, G. Gabriel (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Schwabe, Basel, Bd. 11, S. 575–576.
- Max Weber: Politik als Beruf (Vortragsmitschrift mit Nachwort von Ralf Dahrendorf). Reclam, Stuttgart 1992. ISBN 315008833X
Weblinks
- Max Weber: Politik als Beruf - Gesinnungsethik vs. Verantwortungsethik
- Bernward Grünewald: Gesinnung oder Verantwortung? Über den Widersinn der Entgegensetzung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik, in: Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Festschrift für Peter Baumanns, hrsg. von H. Busche und A. Schmitt. Königshausen u. Neumann, Würzburg 2010, S. 85–100
- Georg Meggle: Gesinnung und Verantwortung. Zur Benutzung der Ethik als Mittel zum Zweck (PDF; 56 kB), in: Matthias Gatzemeier (Hrsg.): Verantwortung in Wissenschaft und Technik. BI-Wissenschaftsverlag, Mannheim u. a. 1989, 10–16
- Jörg Schroth: Der voreilige Schluß auf den Nonkonsequentialismus in der Nelson- und Kant-Interpretation, in: Philosophiegeschichte und logische Analyse, hrsg. von Uwe Meixner und Albert Newen, Band 6: Geschichte der Ethik, mentis, Paderborn 2003, S. 123–50
- Johan Verstraeten: The Tension Between ‘Gesinnungsethik’ and ‘Verantwortungsethik’. A Critical Interpretation of the Position of Max Weber in ‘Politik als Beruf’. In: Ethical Perspectives 2 (1995) 3, 180–187