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Versammlungsgesetz NRW

From Wickepedia
Basisdaten
Titel: Versammlungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
Kurztitel: Versammlungsgesetz NRW
Abkürzung: VersG NRW
Art: Landesgesetz
Geltungsbereich: NRW
Rechtsmaterie: Besonderes Verwaltungsrecht
Erlassen am: 17. Dezember 2021 (GV. NRW. 2022 S. 2)
Inkrafttreten am: 7. Januar 2022
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Versammlungsgesetz NRW ist als Gesetz für das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen am 7. Januar 2022 in Kraft getreten.

Geschichte

File:Demonstration NoVersGNRW 2.jpg
Demonstration gegen das geplante Versammlungsgesetz am 28. August 2021 in Düsseldorf

Gesetzliche Grundlage

Das Versammlungsrecht war bis zur Föderalismusreform von 2006 nach der damals geltenden Fassung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gegenstand der Konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Föderalismusreform von 2006 brachte auch das Versammlungsrecht in die Kompetenz der Länder durch Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 Grundgesetz. Damit war den Ländern die Möglichkeit gegeben, das Versammlungsgesetz des Bundes, das zunächst in den Ländern weitergalt, durch eigene Versammlungsgesetze zu ersetzen.

Frühere Äußerungen des Innenministerium zum Versammlungsrecht

Während des ersten Lockdowns aufgrund von COVID-19 wurde ein Erlass betitelt als „Einsatzmaßnahmen der Polizei aus Anlass von Versammlungen“ des NRW-Innenministers Herbert Reul an die Kreispolizeibehörden öffentlich, in welchen diese unter anderem angewiesen wurden, auf die für die Maßnahmen gemäß dem Infektionsschutz verantwortlichen Behörden einzuwirken, keine Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz während Versammlungen anzuordnen, da dieses dem Vermummungsverbot widerspräche. Des Weiteren droht das Innenministerium implizit damit, die in § 11 (3) definierte Ausnahmeregelung für Versammlungen in der Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen abschaffen zu lassen, falls sich irgendein Anlass dafür findet.[1] In einem Brief an die Kabinettskollegen und Bezirksregierungen vom 9. April 2020 bezweifelt Herbert Reul die nach seiner Meinung durch den Brokdorf-Beschluss verfassungsrechtliche Privilegierung der Grundrechtsausübung der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes, das seiner Ansicht nach auf den Prüfstand gehöre. Nach der Debatte im Innenausschuss über die Textpassage nahm Herbert Reul seine Ansicht zurück und meinte er sei missverstanden worden.[2][3]

Gesetzentwurf SPD

Im November legte die SPD-Fraktion einen Entwurf eines Versammlungsgesetzes vor, in dem unter anderem Demonstrationen an Gedenktagen für die Opfer der NS-Herrschaft einfacher untersagt werden können, um Naziaufmärsche, wie der am 9. November 2019, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, in Bielefeld in Zukunft einfacher zu verhindern.[4][5]

Gesetzesentwurf der Landesregierung

Die Landesregierung legte im Januar 2021 einen eigenen Gesetzesentwurf mit weitergehenden Beschränkungen vor.[6] In der Gesetzesbegründung befindet sich eine verklausulierte Kritik des Brokdorf-Beschlusses durch Zitate der Rechtswissenschaft.[7]

„Das Gericht habe ferner ausgeblendet, dass die Ausnutzung des Sensationsbedürfnisses der Medien durch geschickte Versammlungs- und Demonstrationsveranstalter teilweise gerade zur Überrepräsentation von Versammlungsereignissen in der Berichterstattung führen könne, die nicht durch die politische Bedeutung der jeweiligen Versammlung, sondern durch die medienwirksame Aktion bis hin zu gezielten (und gefilmten) Rechtsverletzungen geprägt seien. Bei überproportionaler Berichterstattung über sensationelle Versammlungen von Rand- und Splittergruppen wirke die Versammlungsfreiheit nicht staatsstabilisierend, sondern für die betroffene Minderheit eher auf Dauer frustrierend.“

Drucksache 17/12423, Landtag NRW

Proteste

File:DemoVersGNRWstoppen 26062021 3.jpg
Demonstration VersG NRW stoppen am 26. Juni 2021 in Düsseldorf

Neben mehreren lokalen Demonstrationen und Aktionen in vielen Großstädten Nordrhein-Westfalens, wie Köln, Bielefeld, Münster, Bonn, Bochum und Dortmund, gab es am 26. Juni 2021 eine NRW-weite Demonstration in Düsseldorf. Bei dieser Demonstration ging die Polizei mit massiver Härte und Gewalt gegen die Demonstranten vor. Auch ein DPA-Journalist wurde mehrfach mit einem Tonfa geschlagen.[8] 330 Teilnehmer wurden von der Polizei eingekesselt, was mehrere Klagen gegen den Polizeieinsatz nach sich zog.[9]

Eine weitere NRW-weite Demonstration am 28. August 2021 in Düsseldorf verlief friedlich.[10]

Bei einer weiteren Demonstration mit mehreren 1000 Teilnehmern wurde der Start erheblich verzögert, weil auf einigen Transparenten in Anspielung auf das Hamburger Pimmelgate "Reul ist 1 Pimmel" stand.[11]

Überarbeitungsankündigung und Distanzierung der FDP

Nach der Demonstration gegen das Versammlungsgesetz am 26. Juni 2021 gingen Teile der FDP öffentlich auf Distanz zum Entwurf der Landesregierung und schoben die Verantwortung für das umstrittene Projekt der CDU zu. Der Generalsekretär der FDP Nordrhein-Westfalen, Johannes Vogel, sprach von einem "Reul-Entwurf". Die Düsseldorfer FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb auf Twitter: "Es handelt sich hier um einen Entwurf aus dem CDU-geführten Innenministerium, den die FDP-NRW so sicher nicht akzeptieren wird."[12] [Im September 2021 verkündete die NRW-Landesregierung, dass der Gesetzesentwurf erst nach der Bundestagswahl 2021 verabschiedet werden solle. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Verena Schäffer, vermutet eine Verschiebung aus politischen Gründen.[13]]

Änderungsantrag der Landesregierung

Am 6. Dezember brachte die Landesregierung einen Änderungsantrag für das Versammlungsgesetz ein. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Marc Lürbke, sagte, dass der Entwurf an entscheidenden Stellen entschärft und mehr Rechtssicherheit geschaffen und die Bürgerrechte gestärkt worden wären. Der innenpolitische Sprecher der SPD Sven Wolf meint dagegen, dass es nur viele kosmetische Korrekturen geben würde und es weiterhin ein Gesetz sei, um Versammlungen zu verhindern und Verstöße dagegen als Straftat zu verfolgen.[14]

Kritik

File:Fronttransparent VersG NRW stoppen 26.06.2021 Düsseldorf.jpg
Demonstration VersG NRW stoppen am 26. Juni 2021 in Düsseldorf

Aus linken, antifaschistischen, gewerkschaftlichen und bürgerrechtlichen Kreisen kam schnell starke Kritik am Gesetzesentwurf der Landesregierung auf. Kritisiert wird, dass der Versammlungsleiter belangt werden kann, wenn Versammlungen anders ablaufen, als in der vorherigen Anmeldung mitgeteilt wurde. Wenn die Polizei es für notwendig hält, sollen außerdem Namen und Adressen von Ordnern an die Polizei gegeben werden müssen und eventuell abgelehnt werden. Das neu eingeführte Störungsverbot ziele ziemlich eindeutig auf antifaschistischen Protest ab. Denn wer androht, eine nicht verbotene Versammlung behindern zu wollen, solle zukünftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe belegt werden.[15]

Michelle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie kritisiert in einem Interview, dass die Versammlungsfreiheit unbehelligt und unüberwacht stattfinden muss. Durch die geplante Gesetzesänderung werden dagegen Videoüberwachung und die namentliche Feststellung der Ordner und Teilnehmer durch die Polizei erheblich vereinfacht.[16]

Der DGB Münster kritisiert, dass die neuen Regelungen eine abschreckende Wirkung auf Bürger haben könnten, künftig an Versammlungen teilzunehmen durch die Möglichkeit von anlasslosen Kontrollen und das Abfilmen ganzer Demonstrationen.[17]

Der DGB NRW sieht in seiner Stellungnahme an den Landtag NRW Änderungsbedarf, da der vorliegende Gesetzentwurf durch einige Vorgaben die Versammlungsfreiheit zu stark einschränken würde. U.a. sei das Störungsverbot deutlich zu weit gefasst, sodass darunter auch zulässige Meinungsäußerungen fallen könnten. Ebenfalls sieht der DGB die faktische Verlängerung der Anmeldefrist (48 Stunden plus Samstage, Sonn- und Feiertage) als höchst problematisch an. Die Anforderung, die Namen und Adressen der Ordner im Vorfeld der Polizei bekanntzugeben, hält der DGB für nicht praktikabel.[18]

Die Fanhilfen aus NRW befürchten, dass die Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes auch auf An- und Abreisen bei Fußballspielen zu vielen Strafverfahren gegen Fußballfans führen wird.[19][20]

Der verantwortliche Redakteur von Die Kriminalpolizei, Hartmut Brenneisen, stellte fest, dass im SPD-Entwurf viele überzeugende Ansätze enthalten seien, insbesondere da es sich am Musterentwurf für Versammlungsgesetze orientiert, wohingegen der Entwurf der Landesregierung deutlich restriktiver gefasst sei als die Vorlage der SPD-Fraktion und das Musterversammlungsgesetz. Der Entwurf der Landesregierung weicht zudem stark von anderen Landesgesetzen ab und steht damit einer wünschenswerten Harmonisierung des bereichsspezifischen Rechts entgegen. Die Strafnormen von §27 und §28 des Entwurfes der Landesregierung sieht er sehr kritisch, da sie ein erhebliches Einschüchterungspotential beinhalten. Die Erweiterung des Vermummungs-, Schutzausrüstungs- und Militanzverbotes auf sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel sieht er als „systemwidrig“ an.[21]

Der Rechtswissenschaftler Clemens Arzt kritisierte in der Anhörung des Landtages die teilweise geschichtlich abwegige Vergleiche bei der Begründung des Gesetzesentwurfes der Landesregierung, in der von Weimarer Verhältnissen gesprochen wird, die es zu verhindern gelte. Das Ziel Herbert Reuls sei, nach der Meinung von Clemens Arzt die Rückabwicklung des versammlungsfreundlichen Brokdorf-Beschlusses von 1985.[22]

Amnesty International kritisiert in einer ausführlichen Stellungnahme im September 2021 die menschenrechtlichen Einschränkungen die durch das Versammlungsgesetz bei seiner Einführung zu erwarten wären. U.a. wird kritisiert, dass der Gesetzesentwurf mit der Distanzierung von der Brokdorf-Entscheidung sich auch von international verbindlichen Menschenrechtsstandards distanziert, da diese mit der Brokdorf-Entscheidung in Einklang stehen.[23]

Gegenkritik

Der Innenpolitische Sprecher der CDU Christos Katzidis meint dagegen in einem Interview, dass der Entwurf sich gegen rechte Aufmärsche richtet. Auch wenn er für den fehlenden Protest von rechtsextremer Seite gegen das geplante Versammlungsgesetz keine Erklärung hat.[24]

Der Hochschullehrer Norbert Ullrich von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen hält den Gesetzentwurf der SPD für gelungen, den Gesetzentwurf der Landesregierung für noch gelungener. So normiert der Entwurf der Landesregierung das Störungsverbot konsequenter und detaillierter als der Entwurf der SPD, da er jegliche Störung verbietet. Die im SPD Entwurf vorgesehene Übernahme der schleswig-holsteinischen Normen negiert, seiner Meinung nach, die Unterschiede zwischen dem urbaneren Nordrhein-Westfalen und dem eher ländlichen Schleswig-Holstein.[25]

In der Anhörung des Landtages verteidigt Norbert Ullrich das Verbot von Blockadetrainings, da es für nur symbolische Blockaden keines Trainings bedürfe.[22]

Der Innenminister Herbert Reul behauptet, dass der Entwurf der Landesregierung weitestgehend an dem Musterentwurf für ein Versammlungsgesetz orientiert sei. Das Militanzverbot würde die einschüchternde Wirkung wie früher bei der SS oder der SA oder heute bei Neonazis und vom schwarzen Block bei der Antifa erfassen.[26]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Veröffentlicht: Trickreiche Anweisungen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums an die Landespolizei zur möglichst vollständigen Verhinderung von Demonstrationen. Internetquelle: freiheitsfoo.de, 15. April 2020
  2. "Auf den Prüfstand"? Reul korrigiert Sicht auf Versammlungsfreiheit. Neue Westfälische, 24. April 2020
  3. Ausschussprotokoll APr 17/972. Innenausschuss 57. Sitzung 23. April 2020 in Düsseldorf
  4. Nazi-Demos: SPD will Versammlungsrecht in NRW ändern. DPA-Nachricht auf Zeit Online, 5. November 2020
  5. Gesetzentwurf der Fraktion der SPD., Landtag NRW, Drucksache 17/11673, 3. November 2020
  6. Gesetzentwurf der Landesregierung.,Landtag NRW, Drucksache 17/12423, 21. Januar 2021
  7. NRW-Landesregierung will Versammlungsfreiheit massiv beschränken. Internetquelle: prigge-recht.de, 25. Januar 2021
  8. Polizeigewalt in Nordrhein-Westfalen:Ganz schön hart, taz.de, 27. Juni 2021
  9. Nicole Lange: Weitere Klage gegen Polizeieinsatz bei Demo., wz.de vom 16. Juli 2021, abgerufen am 19. Juli 2021
  10. Düsseldorf: Demo gegen Versammlungsgesetz friedlich beendet , nrz.de, 28. August 2021
  11. Ultras, Linke und Gewerkschaften gegen NRW-Versammlungsgesetz Neues Deutschland, 31. Oktober 2021
  12. Christian Wolf: CDU und FDP streiten über NRW-Versammlungsgesetz, WDR, 29. Juni 2021
  13. Nordrhein-Westfalen: Laschets umstrittenes Versammlungsgesetz soll erst nach der Bundestagswahl kommen, netzpolitik.org, 9. September 2021
  14. NRW-Versammlungsgesetz wird entschärft WDR, 6. Dezember 2021
  15. Schwarz-gelbe Landesregierung bringt neues Versammlungsgesetz in Düsseldorfer Landtag ein., Neues Deutschland, 24. Januar 2020
  16. Kaum möglich, noch autoritärer zu formulieren. Junge Welt, 3. Februar 2021
  17. DGB missbilligt neues Versammlungsgesetz Stadtverband Münster befürchtet weitgehende Einschränkungen von Grundrechten., allesmuenster.de, 13. Februar 2021
  18. Stellungnahme des DGB-Bezirks Nordrhein-Westfalen zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Einführung eines nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften Drucksache 17/12423, 26 März 2021
  19. Fanhilfen kritisieren geplantes NRW-Versammlungsgesetz scharf, Rheinische Post, 4. Mai 2021
  20. Stellungnahme Fanhilfen, Stellungnahme 17/3885, Landtag NRW
  21. Die Kriminalpolizei Verantwortlicher Redakteur Hartmut Brenneisen, Landtag NRW, Stellungnahme 17/3805
  22. 22.0 22.1 Was gut für die Polizei und schlecht für Demokratie und Fußball ist, Neues Deutschland, 6. Mai 2021
  23. STELLUNGNAHME VON AMNESTY INTERNATIONAL ZUM GESETZ ZUR EINFÜHRUNG EINES NORDRHEIN-WESTFÄLISCHEN VERSAMMLUNGSGESETZES DRUCKSACHE 17/12423, 30. September 2021
  24. Christos Katzidis: „Rechtsextremismus eindämmen“. General-Anzeiger, 7. Februar 2021
  25. Prof. Dr. Norbert UllrichStellungnahme 17/3812 Landtag NRW
  26. Die Polizei kann und soll nicht jeden Spaziergänger kontrollieren. In: Rheinische Post. 10. Mai 2021, abgerufen am 25. Oktober 2021.