Die Bürgerinitiative Volksentscheid Berlin autofrei strebt einen Volksentscheid im Jahr 2023 an, durch den zwei Drittel des Auto-Verkehrs in Berlin entfallen sollen. Ausnahmen soll es im Wesentlichen nur noch für den öffentlichen Verkehr wie z. B. den ÖPNV, Müllabfuhr und Feuerwehr, den private Wirtschafts- und Lieferverkehr sowie für mobilitätseingeschränkte Menschen geben. Die Initiative möchte damit eine „flächengerechte, gesunde, sichere, lebenswerte sowie klima- und umweltfreundliche Nutzung der öffentlichen Straßen in Berlin“ erreichen.[1] Inhaltlich knüpft sie an den Volksentscheid Fahrrad an.[2]
Entstehung und Verlauf
Die Bürgerinitiative, die sich im Herbst 2019 gründete, besteht nach eigenen Angaben aus verschiedenen Berliner Privatpersonen und agiert unabhängig von dritten Organisationen, staatlichen Geldern und politischen Parteien[3][4].
Im Februar 2021 reichte die Initiative den Gesetzesentwurf „Berliner Gesetz für gemeinwohlorientierte Straßennutzug“ beim Senat der Stadt Berlin zur Kostenschätzung ein[5][6].
Im Anschluss sammelte die Initiative Unterschriften zur Unterstützung des Gesetzesentwurfs, um das Quorum von 20.000 Unterschriften zu erfüllen. Mehr als 50.000 Unterschriften wurden eingereicht, im September 2021 wurde vom Berliner Senat die Gültigkeit von mind. 20.000 Unterschriften anerkannt. Damit ist der Gesetzesentwurf nun offiziell ein Volksbegehren und hat so eine weitere Hürde auf dem Weg zu Volksentscheid gemeistert[7][8].
In den kommenden Monaten prüft der Senat das Volksbegehren auf Zulässigkeit. Falls es als zulässig eingeschätzt wird, stimmt das Berliner Abgeordnetenhaus über den Gesetzesvorschlag ab. Bei Ablehnung muss die Initiative 175.000 Unterschriften für ihr Anliegen sammeln, damit es im Anschluss zu einem Volksentscheid kommen kann[8].
Trägerschaft
Die Initiative wurde im Herbst 2019 von Privatpersonen gegründet um den Volksentscheid ehrenamtlich zu organisieren und ein Gesetz zu entwerfen. Sie ist unabhängig von Verbänden oder Organisationen, unabhängig von staatlichen Geldern und parteipolitisch neutral.[9]
Gesetz für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt
Die Initiative plant die Verabschiedung des von ihr entworfenen „Gesetz für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt“.
Kernpunkte des angestrebten Gesetzes ist die Umwidmung der Straßen durch die Beschränkung ihrer Nutzung auf den Gemeingebrauch des Umweltverbundes, also Fuß-, Rad- und öffentlicher Personennahverkehr.[10] Von der Umwidmung ausgenommen sollen jedoch die Bundesstraßen sein. Sie sollten aber langfristig zu Landstraßen herabgestuft werden, um perspektivisch auch zu autoreduzierten Straßen umgewidmet werden zu können. Dies betrifft in Berlin die Bundesstraßen B1, B2, B5, B96 und die 96A.[11]
Personen, die weiterhin auf Kraftfahrzeuge angewiesen sind, sollen eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis erhalten, beispielsweise:
- Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt und daher auf ein Auto angewiesen sind
- Der öffentliche Verkehr (z. B. Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, Müllabfuhr, Taxen)
- Wirtschafts- und Lieferverkehr[12]
- Bis zu 12-mal im Jahr soll eine notwendige Autofahrt, z. B. zum Transport schwerer Gegenstände, im autoreduzierten Bereich für jeden Bürger möglich sein. Nach 10 Jahren soll sich diese Maximum auf sechs-mal pro Jahr verringern[3].
- Falls es Berufstätigen aufgrund ihrer Arbeitszeiten schwer möglich sein sollte, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder von Diskriminierung betroffene Personen besondere Schutz- und Sicherheitsbedürfnisse haben, ist eine Härtefallregelung vorgesehen. Dies sei z. B. der Fall, wenn eine Frau sich nachts in der S-Bahn unsicher fühle.
Nach einer vierjährigen Übergangsfrist soll der Gemeingebrauch fast aller Straßen innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings reduziert werden.[13] Dies soll zu einer Reduzierung des Verkehrs um 50 Prozent führen. Nach dem Wegfall der Ausnahmebestimmungen für Innenstadtbewohner nach zehn Jahren soll der Verkehr sogar um 80 Prozent sinken.[14] Bis 2028 würde sich für Anwohner demnach nichts ändern.[15]
Die Initiative ist der Ansicht, die die Nutzungsbeschränkung für Autos von Anwohner innerhalb des Rings sei zwar eine Einschränkung des Eigentumsrechts nach Grundgesetz Artikel 14 sei. Die Gründe dafür seien jedoch „von übergeordnetem Interesse“ und daher verhältnismäßig. Auch die lange Übergangszeiten und die geplanten Härtefallregelungen für bestimmte notwendige Autofahrten würden das Gesetz rechtssicher machen.[16]
Das Gesetz soll nach Willen der Initiative auch für E-Autos gelten, da diese ebenfalls Platz brauchten, in Unfälle verwickelt seien und über den Reifenabrieb Feinstaub verursachten.[17]
Weitere Forderungen
Folgende weitergehende Forderungen will die Initiative öffentlich bewerben:
- Ausbau des ÖPNV
- günstiger, langfristig auch kostenfreier ÖPNV
- Tempo 30 auf allen Straßen
- flächendeckende Parkraumbewirtschaftung am Rande des Rings
- Herabstufung aller Bundes- zu Landesstraßen
- die durch wegfallende Parkplätze und -häuser oder Tankstellen freiwerdenden Flächen sollen nicht privatisiert werden dürfen – auch, um möglichen Gentrifizierungstendenzen in der dann lebenswerteren Stadt entgegenzutreten.[18]
Argumente der Initiative
Die Initiative möchte durch das Gesetz Berlin zu einer „lebenswerteren Stadt“ machen.[19] Durch das Gesetz soll unter anderem einen größeren Beitrag zur CO2-Reduzierung in Berlin erreicht werden. Der Verkehrssektor verursache 28 Prozent der Emissionen und trage immer noch nichts zur CO2-Senkung bei. Auch die zahlreichen Toten und Schwerverletzten, die meist im Zusammenhang mit dem motorisierten Verkehr stehen seien für sie ein wichtiges Motiv.[20] Zudem parke ein Auto im Schnitt 23 Stunden am Tag und stehe somit ungenutzt auf der Straße. Man könne also mit viel weniger Autos auskommen.[21] Als positive Beispiele für Fahrradstädte nennt die Initiative Amsterdam und Kopenhagen. Berlin habe, da es ebenso flach sei, das gleiche Potenzial.[22] Eine City-Maut lehnt die Initiative ab, da sie Reiche begünstigen würde.[23]
Reaktionen
Die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther sah sich in ihrem Kurs bestätigt, den ÖPNV und die Radverkehrsinfrastruktur stark auszubauen und sah sich mit den Zielen der Initiative „auf einer Linie“.[24] Die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek und der verkehrspolitische Sprecher Harald Moritz erklärten, es gebe ein Bedürfnis nach mehr Verkehrssicherheit, saubererer Luft und mehr Platz im öffentlichen Raum, der nicht von Autos blockiert wird.[25] Die Verkehrswende sei eine soziale Frage, die die Menschen bewegt.[26]
Die SPD erklärte, dass es gute Gründe gäbe, die für eine deutliche Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs sprechen. Allerdings solle nicht das Auto oder die Autofahrer stigmatisiert, sondern Strukturen geschaffen werden, die es den Menschen erleichtern, ihr Leben ohne Auto zu gestalten.[27]
Die Linkspartei lobte die Initiative vor allem weil sie mit ihrem Vorschlag für die Umwidmung von Straßen in autoreduzierte Straßen explizit an soziale Fragen anknüpft und das Befahren der gut erschlossenen und verdichteten Innenstadt mit dem Auto nicht an den Geldbeutel oder ein Elektroauto knüpft wie es bei der von den Gründen geforderten City-Maut und Zero-Emission-Zone der Fall sei.[28] Michael Efler, der Sprecher für Energie- und Klimapolitik der Linken, erklärte das Vorhaben sei „mutig und ambitioniert, gut durchdacht, mit sinnvollen Ausnahmen“.[29]
Der FDP-Verkehrspolitiker Henner Schmidt erklärte, dass die Forderung einer weitgehend autofreien Innenstadt „ein viel zu weitreichender Eingriff in die freie Entscheidung der Menschen“ sei.[30][31]
Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erklärte zunächst, dass eine Bewertung der Initiative ohne einen vorliegenden Entwurf des Gesetzes für eine autoreduzierte Berliner Innenstadt noch nicht möglich sei. Allerdings sei das Vorhaben einer weitgehend autofreien Innenstadt juristisch hochkomplex und bedürfe für eine Bewertung einer gründlichen Prüfung.[32]
Die Taz hält die Initiative für nicht „so knallhart“, da Busse, Laster und Müllwagen, Taxis, Transporter und Krankenwagen sowie eine Vielzahl von mit guten Gründen befreite private Kfz weiterrollen würden. Insbesondere für Lieferdienste würden goldene Zeiten anbrechen.[33]
Der ADAC verfolgt ebenfalls das Ziel der Initiative, den Verkehr in der Innenstadt zu reduziere. Er kritisiert allerdings, dass die Initiative einseitige Verbote anstrebe und fordern ein gesamtstädtisches Verkehrs- und Mobilitätskonzept. Insbesondere müssten Alternativen zum Auto ausgereift sein, bevor der Autoverkehr zum Rückzug gezwungen werden könne.[34]
Heinrich Strößenreuther, Initiator des Volksentscheids Fahrrad, hält die Initiative für den logisch nächsten Schritt nach dem Volksentscheids Fahrrad.[35]
Die internationale Presse merkte an, dass Initiative über die bestehenden Restriktionen für Kfz. also erhöhte Steuern für besonders umweltschädigende Fahrzeuge und Autofreie Tage in London und Paris hinausgeht.[36][37][38]
Einzelnachweise
- ↑ https://www.tagesspiegel.de/berlin/konzept-vorgestellt-initiative-volksentscheid-berlin-autofrei-will-innenstadtverkehr-umkrempeln/26294430.html
- ↑ https://www.tagesspiegel.de/berlin/konzept-vorgestellt-initiative-volksentscheid-berlin-autofrei-will-innenstadtverkehr-umkrempeln/26294430.html
- ↑ 3.0 3.1 Initiative will private Autofahrer aus Innenstadt verbannen. Abgerufen am 7. September 2021.
- ↑ Über Uns. In: Volksentscheid Berlin Autofrei. Abgerufen am 7. September 2021.
- ↑ eine autofreie Berliner Innenstadt – wie geht das? Abgerufen am 7. September 2021.
- ↑ Initiative will private Autofahrer aus Innenstadt verbannen. Abgerufen am 7. September 2021.
- ↑ Volksentscheid „Berlin autofrei“ geht in die nächste Phase. Abgerufen am 7. September 2021.
- ↑ 8.0 8.1 "Volksentscheid Berlin autofrei" sammelt genug Unterschriften für ein Volksbegehren. Abgerufen am 7. September 2021.
- ↑ http://volksentscheid-berlin-autofrei.de[1]
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ http://volksentscheid-berlin-autofrei.de/wie.php?lang=de
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.berlin.de/tourismus/infos/verkehr/nachrichten/6331145-4357821-initiative-will-volksentscheid-fuer-auto.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/10/berlin-autofreie-innenstadt-buergerinitiative-volksentscheid.html
- ↑ https://www.neues-deutschland.de/artikel/1143429.berlin-autofrei-autos-radikal-verbannen.html
- ↑ https://www.watson.de/nachhaltigkeit/nachhaltig/698329220-autofreie-hauptstadt-berliner-initiative-plant-volksentscheid
- ↑ https://www.watson.de/nachhaltigkeit/nachhaltig/698329220-autofreie-hauptstadt-berliner-initiative-plant-volksentscheid
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://www.morgenpost.de/berlin/article230722384/Volksbegehren-will-Innenstadt-fuer-Grossteil-der-Autos-sperren.html
- ↑ https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/10/berlin-autofreie-innenstadt-buergerinitiative-volksentscheid.html
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Autofrei-in-Berlin/!5719806/
- ↑ https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/volksentscheid-zahl-der-autos-in-der-innenstadt-soll-um-80-prozent-sinken-li.113057
- ↑ https://taz.de/Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5720353/
- ↑ [2]
- ↑ [3]
- ↑ [4]