Walter Schellenberg (1943) Walter Schellenberg während der Nürnberger Prozesse Walter Friedrich Schellenberg (* 16. Januar 1910 in Saarbrücken; † 31. März 1952 in Turin, Italien) war ein deutscher SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei (ernannt am 21. Juni 1944). Schellenberg war ab 1944 Leiter der vereinigten Geheimdienste von Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) und Abwehr im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Er wurde im Wilhelmstraßen-Prozess wegen Kriegsverbrechen zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Leben
Jugend und Ausbildung
Schellenberg, Sohn eines Klavierbauers, hatte mindestens sechs Geschwister.[1] Seine Familie zog 1918 nach Luxemburg um, nachdem Frankreich das Saargebiet besetzt hatte. Ab 1929 studierte Schellenberg zunächst Medizin an der Universität Marburg, dann Rechtswissenschaften an der Universität Bonn. In Marburg trat er dem Corps Guestphalia (heute Corps Guestphalia et Suevoborussia Marburg) im KSCV bei.
Zeit des Nationalsozialismus
Im Frühjahr 1933 wurde er Mitglied der NSDAP[2] (Mitgliedsnummer 3.504.508) und SS (SS-Nr. 124.817). Heinrich Himmler war beeindruckt von Schellenberg, der so als jüngster SS-General Himmlers Karriere machen konnte. Er arbeitete im Geheimdienst SD (Sicherheitsdienst) und war im Juli 1940 an der versuchten Entführung des ehemaligen englischen Königs Eduard VIII. aus Portugal (Operation Willi) beteiligt. In Berlin arbeitete Schellenberg direkt mit Reinhard Heydrich zusammen, den er nach dessen Tod als Nachfolger beerben wollte. Nachfolger als Chef des Reichssicherheitshauptamtes des bei einem Anschlag umgekommenen Heydrich wurde jedoch Ernst Kaltenbrunner. Zusammen mit Heydrich arbeitete Schellenberg gegen die Widerstandsgruppe Rote Kapelle. Von Adolf Hitler und Himmler übernahm er – laut Memoiren – einen Mordauftrag gegen Otto Strasser, den er aber nicht ausführte, weil Strasser nicht in Portugal war, wohin Schellenberg geflogen war, weil er ihn dort vermutete. Zudem war er an der Organisation des Einmarsches in die Tschechoslowakei beteiligt.
Im Sommer 1939, unmittelbar vor dem Überfall auf Polen, erwarb Schellenberg im Auftrag Heydrichs namens der SS-Nordhav-Stiftung den Katharinenhof auf Fehmarn, der als SS-Erholungsheim betrieben wurde. Am 9. November 1939 organisierte Schellenberg den Venlo-Zwischenfall und entführte zwei britische MI6-Agenten in der niederländischen Stadt Venlo.[3] Der Venlo-Zwischenfall machte weite Teile des britischen Spionagenetzes in West- und Mitteleuropa nahezu wertlos. Er führte zum Rücktritt des niederländischen Geheimdienstchefs und lieferte Hitler im Mai 1940 einen Vorwand für den Überfall auf die Niederlande.
1940 ließ Schellenberg ein Handbuch für die geplante deutsche Invasion in England erstellen. Diese Sonderfahndungsliste G.B. gehört zu den interessantesten Geheimdienstdokumenten, die die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entdeckten.[4]
Von 1939 bis 1941 war er Leiter der polizeilichen Spionageabwehr der Gruppe IV E des RSHA und fungierte danach bis Kriegsende als Leiter des Auslandsnachrichtendienstes im Amt VI des RSHA. Nachdem Schellenberg Canaris Ende Juli 1944 festgenommen hatte, konnte er auch teilweise dessen militärischen Geheimdienstapparat zerschlagen beziehungsweise darauf Einfluss nehmen.[1]
Schellenberg war auch für den persönlichen Schutz hoher NS-Funktionäre verantwortlich. So organisierte er unter anderem die Sicherheitsvorkehrungen bei Hitlers Besuchen in Wien nach dem Anschluss Österreichs 1938 und in Warschau nach dem Überfall auf Polen 1939.[5] Des Weiteren betreute er ab 1942 das Unternehmen Zeppelin des SS-Obersturmbannführers Heinz Gräfe, der versuchte, gefangene Soldaten der Roten Armee zur Zusammenarbeit mit den Deutschen zu bewegen. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel darüber hinaus die Aktion Bernhard, bei der Häftlinge im KZ Sachsenhausen massenhaft britische Pfundnoten zur Schwächung der Wirtschaft Großbritanniens fälschen mussten. Im weiteren Kriegsverlauf soll Schellenberg an der Erpressung von Devisen von jüdischen Gemeinden beteiligt gewesen sein.[6]
Als das Ende des Dritten Reiches absehbar war, trat er im Auftrag Himmlers in Kontakt mit westlichen Institutionen wie Graf Folke Bernadotte vom Schwedischen Roten Kreuz. Er hielt auch Kontakt zu Paul Eduard Meyer vom militärischen Nachrichtendienst der Schweiz.[7]
In den letzten Kriegstagen flüchtete er über die Rattenlinie Nord nach Flensburg.[8]
Nach 1945
Im Juni 1945 wurde er inhaftiert, konnte jedoch durch seine Zeugenaussage beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eine langjährige Haftstrafe vermeiden. Angeblich hat Schellenberg Informationen über die Sowjetunion an Allen Dulles weitergegeben. Im April 1949 wurde er laut Urteil des Militärgerichtshofs Nr. IV im Wilhelmstraßen-Prozess zu sechs Jahren Haft, ab dem 17. Juni 1945,[9] verurteilt. Nach zwei Jahren, in denen er seine Memoiren (Das Labyrinth) schrieb, wurde er im Dezember 1950 wegen eines Leberleidens vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Nach 1945 lebte Schellenberg laut Angaben Klaus Harpprechts von den Tantiemen und Honorarvorschüssen für seine Autobiographie. Zudem soll er auch den britischen Geheimdienst beraten haben.[2] Schellenberg ließ sich nach seiner Haftentlassung in Pallanza am Lago Maggiore nieder und soll noch 1951 in Spanien versucht haben, Kontakt mit anderen ehemaligen SS-Angehörigen aufzunehmen.[10] Er starb am 31. März 1952 42-jährig in Turin an Krebs.
Privates
Schellenberg heiratete im Mai 1938 Käthe Kortekamp; die Ehe war durch Wilhelm Albert, Personal- und Organisationschef des SD-Hauptamtes, arrangiert worden. Die Ehe wurde jedoch bald wieder annulliert, im Oktober 1940 heiratete er seine zweite Ehefrau Irene Grosse-Schönepauk, mit der er fünf Kinder hatte.[11]
Seine in der Haft geschriebenen Memoiren Aufzeichnungen: die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler wurden als Versuch aufgefasst, sich als möglichst unbelasteter Beschaffer von Informationen für das Dritte Reich zu zeigen.[12] Der Spiegel sah in dem Buch ebenfalls die Absicht Schellenbergs, seine Tätigkeiten im SD nachträglich einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.[13]
Legendenbildung
Schellenberg wird seit den 1950er Jahren mit der historisch nicht belegbaren Abhöraktion im Salon Kitty in Verbindung gebracht, einem Berliner Wohnungsbordell, in dem Prominente verkehrten und von der SS ausspioniert worden sein sollen. Auf einem Roman von Peter Norden, der diese Geschichte ausdichtet, basierte der Kinofilm Salon Kitty (1976) von Tinto Brass, in dem die Figur Helmut Wallenberg dem SS-Geheimdienstler Walter Schellenberg nachempfunden ist.[14]
Nach eigenen Angaben soll er 1944 mit Hilfe der französischen Modedesignerin Coco Chanel versucht haben, Winston Churchill einen Separatfrieden der Westalliierten mit Deutschland zu unterbreiten.[15]
Auszeichnungen (Auswahl)
- Eisernes Kreuz (1939) II und I. Klasse
- Kriegsverdienstkreuz (1939) II. und I. Klasse mit Schwertern
- SS-Ehrenring und SS-Ehrendegen
Schriften (Auswahl)
In seiner Autobiografie porträtiert er Größen des „Dritten Reiches“ aus nächster Nähe, zum Beispiel Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler, Adolf Hitler, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Canaris, Martin Bormann, Ernst Kaltenbrunner, Heinrich Müller und andere.
- The Labyrinth. The Memoirs of Hitler's Secret Service Chief. André Deutsch, London 1956; gekürzt: Hitler's Secret Service. Pyramid, 1958.
- Deutsche Ausgaben:
- Memoiren. Verlag für Politik und Wirtschaft, Köln 1959.
- Aufzeichnungen: die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler. Limes Verlag, Wiesbaden – München 1979. ISBN 3-8090-2138-5.
- Aufzeichnungen des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler. Verlag Moewig, Rastatt 1981. ISBN 3-8118-4363-X. Kommentiert von Gerald Fleming, Hg. und Einleitung Gita Petersen, Vorwort von Klaus Harpprecht.
- Invasion 1940. St. Ermin's Press, London 2001.
Literatur
- George C. Browder: Walter Schellenberg – Eine Geheimdienstphantasie. In: Ronald Smelser, Enrico Syring (Hrsg.): Die SS: Elite unter dem Totenkopf. Paderborn. 2000, ISBN 3-506-78562-1, S. 418 ff.
- Pierre-Théodore Braunschweig: Secret channel to Berlin, Philadelphia, Pa. Casemate, 2004.
- Reinhard R. Doerries: Hitler's last chief of foreign intelligence. London. Cass, 2003.
- Reinhard R. Doerries: Hitler's Intelligence Chief. Walter Schellenberg. Enigma Books. New York 2009, ISBN 978-1-929631-77-3.
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer. Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-596-16048-8. (Aktualisierte 2. Auflage).
- Katrin Paehler: The Third Reich's Intelligence Services. The Career of Walter Schellenberg. Cambridge University Press, Cambridge 2017, ISBN 978-1-107-15719-4.
- Dieter Pohl: Schellenberg, Walter. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 650 (Digitalisat).
- Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. S. Fischer, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-10-091052-4.
- Michael Wildt (Hrsg.) Das Reichssicherheitshauptamt. NS-Terror-Zentrale im Zweiten Weltkrieg, Verlag Hentsch & Hentsch, Berlin/Leipzig 2019.
- Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess : D. amtl. Wortlaut d. Entscheidung im Fall Nr. 11 d. Nürnberger Militärtribunals gegen von Weizsäcker u. andere, mit abweichender Urteilsbegründung, Berichtigungsbeschlüssen, d. grundlegenden Gesetzesbestimmungen, e. Verz. d. Gerichtspersonen u. Zeugen u. Einführungen von Robert M. W. Kempner u. Carl Haensel. Hrsg. unter Mitw. von C. H. Tuerck. (amtl. anerkannt. Übers. aus d. Engl.). Bürger Verlag. Schwäbisch Gmünd 1950.
Weblinks
- Literatur von und über Walter Schellenberg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Schellenberg Walter in der Datenbank Saarland Biografien
- Venlo-Zwischenfall
Einzelnachweise
- ↑ 1.0 1.1 Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main, 1998, S. 400f.
- ↑ 2.0 2.1 Vgl. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 529f.
- ↑ Peter Koblank: Der Venlo-Zwischenfall, Online-Edition Mythos Elser 2006.
- ↑ Peter Koblank: Informationsheft GB, Online-Edition Mythos Elser 2008.
- ↑ Gordon Williamson: Die SS – Hitlers Instrument der Macht. Neuer Kaiser Verlag 1998, S. 287.
- ↑ Roland Holzer: Walter Friedrich Schellenberg - Leiter der Geheimdienste im RSHA (1910-1952). In: Internetportal Rheinische Geschichte. 2017 ([1] [abgerufen am 31. Dezember 2018]).
- ↑ Rolf App: Grabenkämpfe, Spione und geheime Treffen im Zweiten Weltkrieg – und welche Rolle der Wolfsberg ob Ermatingen spielte In: tagblatt.ch, 21. Juli 2019
- ↑ Stephan Link: „Rattenlinie Nord“. Kriegsverbrecher in Flensburg und Umgebung im Mai 1945. In: Gerhard Paul, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg. Flensburg 2015, S. 21.
- ↑ Das Urteil, S. 278.
- ↑ Roland Holzer: Walter Friedrich Schellenberg - Leiter der Geheimdienste im RSHA (1910-1952). In: Internetportal Rheinische Geschichte. 2017 ([2] [abgerufen am 31. Dezember 2018]).
- ↑ Roland Holzer: Walter Friedrich Schellenberg - Leiter der Geheimdienste im RSHA (1910-1952). In: Internetportal Rheinische Geschichte. 2017 ([3] [abgerufen am 31. Dezember 2018]).
- ↑ Gordon Williamson: Die SS – Hitlers Instrument der Macht. Neuer Kaiser Verlag 1998, S. 287.
- ↑ Für feine Leute In: Der Spiegel, 7. Oktober 1959, abgerufen am 31. Dezember 2018.
- ↑ Sven Felix Kellerhoff: Was das Edelbordell der Nazis wirklich war. In: Die Welt, 26. Oktober 2020, abgerufen am selben Tag.
- ↑ Chanel-Skandalbiografie: Der Spatz von Nazi-Paris. In: Spiegel online. 21. August 2011.
Personendaten | |
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NAME | Schellenberg, Walter |
ALTERNATIVNAMEN | Schellenberg, Walter Friedrich (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Polizeioffizier und SS-Brigadeführer, Chef der militärischen Geheimdienste im nationalsozialistischen Deutschen Reich |
GEBURTSDATUM | 16. Januar 1910 |
GEBURTSORT | Saarbrücken |
STERBEDATUM | 31. März 1952 |
STERBEORT | Turin, Italien |