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Weisungsrecht bei Staatsanwälten

From Wickepedia

Allgemeines

Dienstaufsicht

Das Recht zur Dienstaufsicht ist §§ 145, 146 GVG geregelt. Es bezieht sich auf die Befugnisse des Generalstaatsanwalts zum Eingriff in staatsanwaltliche Verfahren einerseits (Substitutions- und Delegationsrecht, § 145 GVG, s.u.) sowie auf die Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte andererseits (§ 146 GVG). Die Zuständigkeit für die Ausübung der Dienstaufsicht ist in § 147 GVG geregelt. Demnach steht das Recht der Aufsicht und Leitung dem Bundesminister der Justiz hinsichtlich des GBA und der Bundesanwälte (Nr. 1), der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Landes (Nr. 2) und dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten (d.h. den Generalstaatsanwälten) hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks (Nr. 3) zu. Das Recht der Dienstaufsicht schließt die Befugnis ein, über Dienstaufsichtsbeschwerden zu entscheiden und zu diesem Zweck Maßnahmen der Staatsanwälte zu überprüfen [1]. Die Dienstaufsichtsbeschwerde kann zunächst an den Leitenden Oberstaatsanwalt als Behördenleiter, dann an den Generalstaatsanwalt und schließlich an den Justizminister gerichtet werden[2]. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde kann mithin zur Ausübung einer der Befugnisse der Dienstaufsicht führen.

Externes/internes Weisungsrecht im Einzelfall/ Allgemein

§ 146 GVG bestimmt, dass die Beamten der Staatsanwaltschaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzen nachzukommen haben. Mit dem Weisungsrecht kann zumindest indirekt auf eine angemessene, berechenbare und dem Gleichheitssatz verpflichtete Strafverfolgung hingewirkt werden[3]. So soll sichergestellt werden, dass vergleichbare Sachverhalte bei den Staatsanwaltschaften in vergleichbarer Weise behandelt werden und nicht allein der (subjektiven) Einschätzung des jeweils zuständigen Staatsanwalts unterliegen. Weisungen können sich auf Fragen der Rechtsanwendung und -auslegung sowie auf Fragen der Beweiswürdigung und Tatsachenermittlung beziehen[4]. Weisungen sind auch im Bereich der Opportunitätsentscheidungen zulässig[5].

Beim Weisungsrecht wird zwischen internem und externem Weisungsrecht unterschieden.

Das „interne Weisungsrecht“ ist das Weisungsrecht des Abteilungsleiters, Behördenleiters oder des Generalstaatsanwalts, den Staatsanwälten ihrer Zuständigkeit (Abteilung/Behörde/Bezirk) Anweisungen zu erteilen. Das in- terne Weisungsrecht ergibt sich aus § 147 Nr. 3 GVG. Als Ausfluss des internen Weisungsrechts normiert § 172 Abs. 1 StPO, dass der Generalstaatsanwalt im Rahmen der Vorschaltbeschwerde (vor dem Klageerzwingungsverfahren) die Einstellungsverfügung aufheben und die Ergebung der öffentlichen Klage oder auch weitere Ermittlungen anordnen kann. Das interne Weisungsrecht ist unumstritten.

Vom „externen Weisungsrecht“ spricht man im Hinblick auf das Weisungs- recht des Justizministeriums gegenüber den Generalstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaften. Es findet seine Grundlage in § 147 Nr. 2 GVG.

Unterschieden werden darüber hinaus individuelle und allgemeine Weisungen. Um allgemeine Weisungen handelt es sich beispielsweise bei den Regelungen der RiStBV, RiJGG, RiVASt, MiStra, Anordnungen betreffend Zeichnungsrechts und Berichtspflichten (BeStra)[6]. Dies sind Weisungen, die eine gleichgelagerte Gruppe von Sachverhalten betreffen[7]. Einzelfallweisungen sind solche, die einen Einzelfall betreffen. Dies ist im Rahmen einer internen Weisung unproblematisch und wie erläutert beispielsweise im Rahmen der Vorschaltbeschwerde als Vorstufe des Klageerzwingungsverfahrens gesetzgeberisch sogar vorgesehen. Auch (interne) Einzelfallanweisungen im Rahmen der Dienstaufsichtsbeschwerde gelten nicht als problematisch.

Kritisch gesehen und daher immer wieder einer Überprüfung unterzogen wird dagegen die externe Einzelfallweisungsbefugnis.

Berichtspflichten

Damit die Behördenleiter und vorgesetzten Dienststellen von ihrer Weisungsbefugnis im Einzelfall Gebrauch machen können, müssen sie von einschlägigen Verfahren in Kenntnis gesetzt werden. Zu diesem Zweck gibt es spezielle Anordnungen über die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften (BeStra). Diese knüpfen häufig an die Bedeutung des Verfahrens an, beispielsweise aufgrund von Medieninteresse, Bekanntheit der Betroffenen o.a. Die Anordnungen unterscheiden sich je nach Bundesland.

Substitutionsrecht/Devolutionsrecht

Der „erste Beamte“ hat die Befugnis, die Amtsverrichtungen seiner Behörde (Leitender Oberstaatsanwalt) bzw. seines Bezirks (Generalstaatsanwalt) selbst zu übernehmen (Substitution). So kann er beispielsweise Rechtsmittel, die ein Staatsanwalt seines Bezirks/seiner Behörde eingelegt hat, zurücknehmen. Er kann die Tätigkeit auch einem anderen als dem zu- nächst zuständigen Beamten übertragen, § 145 GVG. Dies bezeichnet man als Devolutionsrecht. Eine solche Befugnis steht weder dem Justizminister noch anderen Minis- teriumsmitarbeitern zu. Im Rahmen des externen Weisungsverhältnisses sind daher „Ersatzvornahmen“ durch das Ministerium ausgeschlossen.

Grenzen und Spielräume des Weisungsrechts

Legalitätsprinzip

Das Legalitätsprinzip (§§ 160 Abs. 1, 170 Abs. 1 StPO) stellt die wichtigste Grenze des internen und externen Weisungsrechts dar[8]. Das Legalitätsprinzip besagt, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat gegen jeden Verdächtigen einzuschreiben, den Sachverhalt zu erforschen und gegebenenfalls Anklage zu erheben. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Ausformung der Bindung der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit als Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG[9].

Weisungen sind als Ausfluss des Legalitätsprinzips nur dann zulässig, wenn dem Staatsanwalt bei der Ausübung der Tätigkeit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum zusteht[10]. So muss der dienstliche Vorgesetzte das für den Staatsanwalt geltende Legalitätsprinzip auch selbst beachten[11]. Zudem darf sich eine Weisung nur auf den Dienst, die Dienstausübung oder das Dienstverhältnis beziehen[12]. Begrenzt wird das Weisungsrecht im Konkreten dadurch, dass der Anweisende nicht gegen die Vorschriften des § 258a StGB (Strafvereitelung im Amt), §§ 344 und 345 StGB (Verfolgung Unschuldiger) verstoßen bzw. keine Anweisung erteilen darf, die zur Verletzung dieser Vorschriften führen würde. Eine Weisung ist zudem nur dann rechtmäßig, wenn sie keiner fehlerhaften Ermessensausübung unterliegt. Insoweit stellen das Willkürverbot und der Gleichbehandlungsgrundsatz ebenso wie das Verbot justizfremder Erwägungen Grenzen des Weisungsrechts dar[13]. Weicht eine Weisung von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ab, ist sie ebenfalls unzulässig, sofern von einer Bindungswirkung der Staatsanwaltschaft auszugehen ist[14].

Eine rechtswidrige Weisung, die gegen Gesetze, Verfassungsprinzipien, die EMRK oder höherrangiges Gemeinschaftsrecht verstößt, muss vom Empfänger nicht befolgt werden[15]. Er muss ihr auch dann nicht Folge leisten, wenn er sich durch die Befolgung der Weisung strafbar machen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen würde[16]. Umstritten ist, ob internes und externes Weisungsrecht den gleichen Gren- zen unterliegen[17]. Teilweise wird vertreten, das externe Weisungsrecht müsse etwa im Wege der verfassungskonformen Auslegung oder unter Rückgriff auf die Nähe zur richterlichen Tätigkeit enger ausgelegt werden, beispiels- weise im Bereich des Opportunitätsprinzips[18].

Es entspricht der allgemeinen Ansicht, dass gerade auch die ministerielle Weisungsbefugnis am Legalitätsprinzip sowie an der Neutralitäts- und Objektivitätsmaxime ihre deutliche Grenze findet[19].

Remonstration

Trotz der in § 146 GVG normierten Weisungsgebundenheit ist es dem Staatsanwalt möglich, gegen eine seiner Ansicht nach unrechtmäßiger Weisung im Wege der Remonstration vorzugehen.

Bestehen von Seiten des Staatsanwalts Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der ihm erteilten Weisung, muss er diese unverzüglich auf dem Dienstweg geltend machen[20]. Die Bedenken müssen zunächst gegenüber dem unmittelbaren Dienstvor- gesetzten vorgebracht werden und, wenn die Anordnung aufrecht erhalten bleibt, gegenüber dem nächst höheren Vorgesetzten. Wird die Weisung bestätigt, ist der Beamte von seiner Verantwortung befreit, sofern nicht das angewiesene Verhalten die Würde des Menschen verletzt, strafbar oder ordnungswidrig ist, und dies für den Staatsanwalt erkennbar ist. Bedenken gegen die Rechtsmäßigkeit bestehen, wenn vernünftige Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Weisung bestehen. Hierbei kommt es auf die persönliche Auffassung des Staatsanwalts und nicht darauf an, ob er mit seinen Bedenken bei seinen Vorgesetzten durchdringen wird. Unerheblich ist dagegen, ob der angewiesene Staatsanwalt die Weisung für unzweckmäßig hält[21]. Eine gerichtliche Überprüfung der Weisung ist hingegen ausgeschlossen, da es sich um eine interne Verwaltungsmaßnahme ohne Außenwirkung handelt[22]. Ausnahmen bestehen dann, wenn die subjektive Rechtspositionen des angewiesenen Staatsanwalts betroffen sind, die über das interne Dienstverhältnis hinausgehen[23].

  1. KK-StPO/Mayer GVG § 147 Rn. 5
  2. KK-StPO/Mayer, 8. Aufl. 2019, § 147 GVG Rn. 5
  3. BeckOK GVG, Graf, Stand 01.02.20, § 146 Rn. 2
  4. MüKO StPO/Brock, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 12
  5. MüKO StPO/Brock, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 12
  6. Karlsruher Kommentar zur StPO/Mayer, 8. Aufl. 2019, § 146 GVG Rn. 4
  7. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 11
  8. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 14
  9. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 14
  10. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 14
  11. Karlsruher Kommentar StPO/Mayer, 8. Aufl. 2019, § 146 GVG Rn. 5
  12. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 14
  13. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 16
  14. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 16
  15. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 15
  16. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 15
  17. dafür: MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 18 m.w.N.
  18. vgl. Krey, Zur Weisungsgebundenheit des Staatsanwaltes – Schranken des internen und externen Weisungsrechts, NStZ 1985, 145
  19. Eisele/Trentmann: Die Staatsanwaltschaft– „objektivste Behörde der Welt“? – NJ 2019/2365
  20. § 36 Abs. 2 S. 1 BeamtStG; § 63 Abs. 2 S. 1 BBG
  21. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 22
  22. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 23
  23. MüKO StPO/Brocke, 1. Aufl. 2018, § 146 GVG Rn. 23