Andreas Fischer-Lescano (* 14. September 1972 in Bad Kreuznach) ist ein deutscher Rechtswissenschaftler. Er ist Professor an der Universität Bremen mit den Forschungsschwerpunkten Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtstheorie und Rechtspolitik.
Leben
Andreas Fischer-Lescano studierte von 1994 bis 1999 Rechtswissenschaft und Philosophie an der Universität Tübingen, der Universität Göttingen, der Päpstlichen Universität Comillas in Madrid und der Universität Frankfurt am Main. Nachdem er das Erste Juristische Staatsexamen 1999 abgelegt hatte, leistete er das Vorbereitungsdienst in Frankfurt am Main und in São Paulo ab und war Mitarbeiter der Sozietät Hengeler Mueller. 2001 folgte dann das Zweite Juristische Staatsexamen. Er wurde an der Universität Frankfurt am Main 2003 mit der Bestbewertung summa cum laude zum Dr. jur. promoviert.[1]
Von 2001 bis 2004 war Fischer-Lescano als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den Professoren Michael Bothe und Thomas Vesting an der Universität Frankfurt tätig. 2002 und 2003 studierte er am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und erlangte dort den Grad eines Master of Laws (LL.M). Von 2003 bis 2004 war er zudem projektgebundener Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Danach war er von 2004 bis 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main bei Gunther Teubner sowie Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). 2006 wurde er Akademischer Rat an der Frankfurter Universität, 2007 folgte die Habilitation und die Verleihung der Lehrberechtigung für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie.[1]
Im Wintersemester 2007/2008 hatte er eine Vertretungsprofessur für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld und im folgenden Sommersemester eine Vertretungsprofessur für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Bremen inne. Seit dem Wintersemester 2008/2009 ist er ordentlicher Professor an der Universität Bremen und geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen (ZERP).[1] Zwischenzeitlich war er Studiendekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft. Seit 2015 ist er Vorsitzender des Promotionsausschusses des Fachbereichs.
Fischer-Lescano, der nach dem Asylkompromiss 1992 aus der SPD ausgetreten ist[2], gehörte 2010 zu den Gründungsmitgliedern der politischen Denkfabrik Institut Solidarische Moderne (ISM). Er war Mitglied des Kuratoriums des ISM[3] und gehört der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer an. Fischer-Lescano engagiert sich daneben als Vertrauensdozent der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Außerdem ist er Mitherausgeber der Kritische Justiz, der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, der Schriften zum Migrationsrecht und der Schriften des ZERP.[4][5]
Im September 2019 gehörte er zu den etwa 100 Staatsrechtslehrern, die sich mit dem offenen Aufruf zum Wahlrecht Verkleinert den Bundestag! an den Deutschen Bundestag wandten.[6]
Kontroversen
Luftangriff bei Kunduz
Fischer-Lescano vertritt die Ansicht, dass beim Luftangriff bei Kundus in Afghanistan am 4. September 2009 auf zwei von Taliban gestohlene Tanklastwagen die Beachtung der an die Bundeswehrsoldaten zu stellenden Sorgfaltsanforderungen zweifelhaft sei. Hintergrund ist die Schadensersatzklage des Fahrers einer der Tanklaster vor dem Landgericht in Bonn. Falls eine Verletzung der Einsatzregeln festgestellt und dies als Sorgfaltspflichtverletzung gewertet werde, könnte daraus eine Schadensersatzpflicht der Bundesrepublik resultieren. Derartige Schadensersatzverfahren könnten nach seiner Auffassung Anlass dazu sein, Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich zu hinterfragen.[7]
Plagiatsvorwurf an Karl-Theodor zu Guttenberg
Im Februar 2011 warf Fischer-Lescano gemeinsam mit Felix Hanschmann, Europarechtler an der Universität Frankfurt am Main, am BVerfG mit Plagiatsfällen befasster Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koherausgeber der Kritischen Justiz,[8] dem Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor, seine Doktorarbeit Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU sei an mehreren Stellen „ein dreistes Plagiat“ und „eine Täuschung“.[9] In einer Rezension zu Guttenbergs Dissertation für die Kritische Justiz hatte Fischer-Lescano nach einer Plagiatsprüfung mehrere längere Textstellen gefunden, die wortwörtlich aus den Werken anderer Autoren übernommen worden waren, ohne dass zu Guttenberg sie entsprechend gekennzeichnet hätte.[10][11] Er kam zu dem Ergebnis, diese zögen sich durch die „gesamte Arbeit und durch alle inhaltlichen Teile“. Textpassagen seien unter anderem weitgehend wortgleich aus Zeitungsartikeln übernommen worden, die in der Neuen Zürcher Zeitung[11] sowie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung[12] erschienen waren. Die Universität Bayreuth entzog zu Guttenberg schließlich am 23. Februar 2011 den Doktorgrad.[13] Guttenbergs Rücktritt als Bundesminister der Verteidigung folgte am 1. März 2011.
Freihandelsabkommen
Im Oktober 2014 verfasste Andreas Fischer-Lescano zusammen mit Johan Horst im Auftrag von Attac ein juristisches Kurzgutachten zu den europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen der EU und Kanada.[14] Sie kamen darin zu dem Ergebnis, dass CETA in mehrfacher Hinsicht sowohl gegen Europarecht als auch gegen das Grundgesetz verstoße. Einen im Februar 2015 vorgestellten Vorschlag der europäischen sozialdemokratischen Handelsminister zur Reform der Investitionsschutzvorschriften durch Einrichtung eines Investitionsgerichtshofes lehnte Fischer-Lescano als Stärkung der „Institutionen der Freihandelsideologie“ ab.[15] Investitionsstreitigkeiten seien besser vor Menschenrechtsgerichtshöfen aufgehoben, wo ein ausgewogenerer Schutz des Eigentums zu erwarten sei.
Reparationen an Griechenland
Zu der Frage der Reparationsforderungen Griechenlands gegenüber Deutschland hatte Andreas Fischer-Lescano im März 2015 die Ansicht vertreten, diese seien aus völkerrechtlicher Sicht durchaus berechtigt. Er kritisierte die „Schlussstrich-Politik“ der Bundesregierung und wies gegenüber der Deutschen Presse Agentur darauf hin, dass es nie eine abschließende Klärung dieser Frage gegeben habe. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag schließe Reparationsforderungen nicht aus, weil Griechenland kein Vertragspartner gewesen sei. Die 1942 erhobene Zwangsanleihe sei zurückzuzahlen. Auch eine teilweise Entschädigung sei denkbar, etwa die Einrichtung eines Fonds als Geste.[16]
Schriften (Auswahl)
- Globalverfassung. Die Geltungsbegründung der Menschenrechte. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2005, ISBN 3-934730-88-4. (Zugleich juristische Dissertation, Universität Frankfurt am Main 2003; Digitalisat bei Libreka! BookViewer)
- Regime-Kollisionen. Zur Fragmentierung des globalen Rechts. Gemeinsam mit Gunther Teubner. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-29403-2. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Nr. 1803;)
- Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staatsverständnis Antonio Gramscis; Staatsverständnisse Bd. 11; Baden-Baden: Nomos, 2007; (herausgegeben mit Sonja Buckel) ISBN 978-3-8329-2438-6
- Das Ganze des Rechts. Vom hierarchischen zum reflexiven Verständnis deutscher und europäischer Grundrechte. Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-12338-4. (Schriften zur Rechtstheorie, Bd. 232; mit: Ralph Christensen)
- Guttenberg oder der „Sieg der Wissenschaft“?. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Februar 2012. S. 53–62.
- Der Staat der Klassengesellschaft. Rechts- und Sozialstaatlichkeit bei Wolfgang Abendroth; Staatsverständnisse Bd. 51; Baden-Baden: Nomos, 2012; (herausgegeben mit Joachim Perels und Thilo Scholle) ISBN 978-3-8329-6160-2
- Mit Kolja Möller: Der Kampf um globale soziale Rechte. Zart wäre das Gröbste. Reihe: Politik bei Wagenbach. Wagenbach Verlag. 2012. ISBN 978-3-8031-3641-1
- Kritische Systemtheorie: Zur Evolution einer normativen Theorie; Bielefeld: Transcript, 2013; (herausgegeben mit Marc Amstutz) ISBN 978-3-8376-2412-0
- Recht und Politik globaler Sicherheit: Bestandsaufnahme und Erklärungsansätze; Frankfurt am Main/New York: Campus Verlag, 2013; (herausgeben mit Peter Mayer); ISBN 978-3-593-39334-6
- Rechtskraft; Walther König 2013; ISBN 978-3-941360-29-7
- Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns. Gemeinsam mit Ulrich Preis und Daniel Ulber. Nomos, Baden-Baden 2015, ISBN 978-3-8487-2135-1.
Weblinks
- Literatur von und über Andreas Fischer-Lescano im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Angaben über Andreas Fischer-Lescano beim ZERP
- Rezensionen zu Werken von Andreas Fischer-Lescano bei perlentaucher
- Porträt: Andreas Fischer-Lescano von Christian Bommarius, Frankfurter Rundschau, 18. Februar 2011
- Ulrich Schnabel: „Ich wollte es nicht glauben.“ Ein Gespräch mit dem Juristen, der zu Guttenberg entlarvte. Die Zeit 9, 2011, 24. Februar 2011
- Link zu einem Gutachten des Autors: Rechtsfragen zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds EVF, 30. November 2018[17]
Einzelnachweise
- ↑ 1.0 1.1 1.2 Forschungsprofil Andreas Fischer-Lescano (Lebenslauf). (PDF-Datei, 225 KB) In: Sonderforschungsbereich 597. Forschungsprofile der Antragsteller. Universität Bremen, 2010, S. 11–13, abgerufen am 18. Februar 2011.
- ↑ sueddeutsche.de, 4. März 2011
- ↑ Kuratorium. In: Internetauftritt des ISM. Institut Solidarische Moderne (ISM), S. (2), abgerufen am 18. Februar 2011.
- ↑ Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL.M. (EUI Florenz) - Universität Bremen. Abgerufen am 18. November 2021 (Lua error in Module:Multilingual at line 149: attempt to index field 'data' (a nil value).).
- ↑ Person Andreas Fischer-Lescano. Abgerufen am 30. März 2018.
- ↑ Aufruf zum Wahlrecht: "Verkleinert den Bundestag", Offener Brief vom 20. September 2019 in Die Welt.
- ↑ Andreas Fischer-Lescano: Bundeswehr in Afghanistan – Wie viel Sorgfalt braucht der Krieg? In: Legal Tribune Online vom 27. September 2010. (Online, abgerufen am 18. Februar 2011.)
- ↑ Vergleiche: Uni Bayreuth setzt 14-Tage-Frist – Guttenberg wird ins Kanzleramt zitiert, n-tv.de, 17. Februar 2011.
- ↑ Roland Preuß, Tanjev Schultz: Guttenberg soll bei Doktorarbeit abgeschrieben haben. In: Süddeutsche Zeitung vom 16. Februar 2011. (Online, abgerufen am 18. Februar 2011.)
- ↑ Andreas Fischer-Lescano: Karl-Theodor Frhr. zu Guttenberg, Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU. In: Kritische Justiz, Nr. 1/2011, S. 112–119. (Online (PDF; 169 kB), abgerufen am 18. Februar 2011.)
- ↑ 11.0 11.1 Roland Preuß: Summa cum laude? – „Mehr als schmeichelhaft“. In: Süddeutsche Zeitung vom 16. Februar 2011. (Online, abgerufen am 16. Februar 2011.)
- ↑ Oliver Georgi: Guttenberg hat Anfang seiner Dissertation bei F.A.Z. abgeschrieben. In: FAZ.NET vom 16. Februar 2011 (Mit einer Synopse der betreffenden Texte). (Online, abgerufen am 18. Februar 2011.)
- ↑ Spiegel Online: Plagiats-Affäre: Uni Bayreuth entzieht Guttenberg den Doktortitel. In: Der Spiegel (online) vom 24. Februar 2011 Online
- ↑ Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada (CETA)
- ↑ Gabriel legt Ceta-Kompromiss vor Investitionsgerichtshof als Ausweg?, Legal Tribune Online, 25. Februar 2015
- ↑ dpa: Völkerrechtler kritisiert Schlussstrich-Politik. In: Neues Deutschland. 16. März 2015. Abgerufen am 30. März 2018.
- ↑ temporärer .pdf-Link, unten auf der Seite aufzurufen. Alternativ: englische Version aufrufbar
Personendaten | |
---|---|
NAME | Fischer-Lescano, Andreas |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Rechtswissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 14. September 1972 |
GEBURTSORT | Bad Kreuznach |