Als Bürgergeld oder Grundeinkommen werden verschiedene Konzepte für regelmäßige individuelle staatliche Zahlungen an die Bevölkerung bezeichnet.
Bis in die 1970er Jahre war „Bürgergeld“ ein historischer Begriff für das Gegenteil: eine Zahlung, um Bürger einer Stadt zu werden. Die moderne Verwendung stammt von den Ökonomen Wolfram Engels, Joachim Mitschke und Bernd Starkloff, die 1974 ein Konzept für Deutschland vorstellten,[1] welches auf der von Milton Friedman seit den 1960er Jahren propagierten Idee einer negativen Einkommensteuer basierte. Danach würde das Finanzamt jedem Steuerpflichtigen eine Pauschale von der Steuerschuld abziehen und bei einem negativen Endbetrag diesen auszahlen statt fordern.
Die Modelle des „Bürgergelds“ unterscheiden sich insbesondere hinsichtlich der Finanzierung und den mit den Zahlungen verknüpften Bedingungen der Bedürftigkeit einerseits und dem Nachweis gesellschaftlich nützlicher Aktivitäten und der damit erkennbar verbundenen Arbeitsbereitschaft der Zahlungsempfänger andererseits. Die Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen UNDP empfahl im Juli 2020 die Einführung eines temporären Grundeinkommens (basic income) für soziale Stabilität und die Eindämmung der COVID-19-Pandemie unter den erschwerten Lebensbedingungen ärmerer Staaten.[2]
Modelle
Als bedingungsloses Grundeinkommen wird ein Modell bezeichnet, bei dem einzelne Gruppen, jeder Staatsbürger oder alle Einwohner unabhängig von Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft eine Zahlung erhalten.
In Abgrenzung dazu steht das bedingte Grundeinkommen, das an bestimmte Bedingungen geknüpft ist.
Unter einem partiellen Grundeinkommen versteht man ein Grundeinkommen, das nicht existenz- und teilhabesichernd ist, d. h. es ist niedriger als das soziokulturelle Existenzminimum.[3]
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Liberale Bürgergeld, bei dem jeder Bürger abhängig von Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft einen vom Staat ausbezahlten Geldbetrag erhält. Es ist die Zusammenfassung aller direkten staatlichen Transferleistungen. Es soll daher nur bei Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft oder Arbeitsunfähigkeit nach entsprechender Prüfung ausgezahlt werden.
Finanzierung
Es gibt verschiedene Modelle, Theorien und Hypothesen, hierzu zählen:
- eine höhere Besteuerung des Einkommens:
- nach dem Ulmer Transfergrenzenmodell,
- als Solidarisches Bürgergeld nach Dieter Althaus,
- als Wertschöpfungssteuer nach Thomas Straubhaar.
- die Besteuerung des Konsums nach Götz Werner.
- die Besteuerung der natürlichen Ressourcen (siehe auch Ressourcengerechtigkeit und Bürgerdividende[4])
- hauptsächlich durch Abschöpfung der sogenannten Grundrente
- die Besteuerung des Geldverkehrs nach Oswald Sigg, zum Beispiel durch eine Finanztransaktionssteuer.
Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich um eine modifizierte Transferleistung, da zum Beispiel Personen mit höherem Einkommen entsprechend mehr Steuern zahlen sollen.[5] Das Finanzamt sollte die Prüfung und auch die Auszahlungen des Bürgergelds vornehmen.[6] Die Lohnnebenkosten werden hierbei insgesamt reduziert und die staatliche Bürokratie verschlankt.[7]
Vorstellungen der Parteien in Deutschland
FDP
Nach Vorstellungen der FDP soll das liberale Bürgergeld einen positiven wirtschaftlichen Impuls in der sozialen Marktwirtschaft auslösen. Es soll auch einen erhöhten individuellen Einkommensanreiz geben, indem zusätzliches Einkommen geringer angerechnet wird als bei heutigen sozialen Sicherungssystemen.
Eine selbstbestimmte Erwerbstätigkeit soll gefördert und die Lebensqualität erhöht werden. Dazu werden höhere Freibeträge bei eigenem Arbeitseinkommen angerechnet und bei unbegründeter Ablehnung von Arbeit oder sozialem Engagement das Bürgergeld gekürzt.[8]
SPD
Im Februar 2019 beschloss der SPD-Parteivorstand ein Diskussionspapier, dem zufolge sich die Partei für die Abschaffung des einst von der rot-grünen Koalition 2005 eingeführten Arbeitslosengelds II („Hartz IV“) einsetzen und dieses durch eine neue Sozialleistung ersetzen wolle. Sie soll die Bezeichnung „Bürgergeld“ tragen. Der wesentliche Unterschied zum Arbeitslosengeld II besteht darin, dass das Bürgergeld, das die SPD vorschlägt, erst nach einer deutlich verlängerten Berechtigung auf Arbeitslosengeld I eingreift und eine zweijährige Schonfrist für die Anrechnung von Vermögen und die Wohnraumüberprüfung vorsieht.[9][10] Der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell kritisierte: „Das Bürgergeld sei lediglich eine semantische Neu-Etikettierung“.[11]
Literatur (alphabetisch)
- Ines Eck: Selbst der Himmel weint. Bürgergeld statt Bürgerkrieg. Dokudrama / Drehbuch.
- Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper: Irrweg Grundeinkommen. Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden.; Westend Verlag, Frankfurt 2012, ISBN 978-3-86489-006-2.
- Florian Habermacher, Gebhard Kirchgässner: Das bedingungslose Grundeinkommen: Eine (leider) nicht bezahlbare Idee Discussion Paper No. 2016-07, Universität St. Gallen, April 2016.
- Karl A. Immervoll: Sinnvoll tätig Sein – ein Grundeinkommensprojekt. In: Das Waldviertel 69, 2020, S. 282–288.
- Alban Knecht: Bürgergeld: Armut bekämpfen ohne Sozialhilfe. Negative Einkommensteuer, Kombilohn, Bürgerarbeit und RMI als neue Wege. Haupt, Bern/Stuttgart/Wien 2002, ISBN 3-258-06487-3.
- Alban Knecht: Bürgergeld und soziale Integration (PDF; 151 kB).
- Wolfgang Mallock: Grundeinkommen, in: GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften: Recherche Spezial. Fachinformationen zu aktuellen Themen. Band 2011/1 (PDF).
- Joachim Mitschke: Steuer- und Transferordnung aus einem Guss. Entwurf einer Neugestaltung der direkten Steuern und Sozialtransfers in der Bundesrepublik Deutschland. Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1985, ISBN 3-7890-1097-9.
- Brüne Schloen: Grundeinkommen und Menschenwürde: Ein Weckruf für mehr Selbstbestimmung, Solidarität und Plutokratieabwehr. Springer Gabler, Wiesbaden, 2019.
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ Webpräsenz ( vom 10. Mai 2017 im Internet Archive) zu dieser Studie von 1974 mit Original als PDF-Datei, auf S. 14 „Bürgergeld“; Bürgergeld ( vom 10. Mai 2017 im Internet Archive): Was ist das? von Helmut Pelzer 11/99 (uni-ulm.de)
- ↑ Temporary Basic Income to protect the world's poorest people could slow the surge in COVID-19 cases, says UNDP, Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP, 23. Juli 2020.
- ↑ Wissenschaftlicher Dienst: Sachstand - Physisches und Soziokulturelles Existenzminimum. In: Deutscher Bundestag. 2016, abgerufen am 20. Januar 2021.
- ↑ Dirk Löhr: Die Wohltat niedriger Wasserpreise: Für wen eigentlich? 24. Februar 2015, abgerufen am 11. Januar 2021.
- ↑ https://www.mein-grundeinkommen.de/erkenntnisse/was-ist-es?active=neid
- ↑ Michael Borchard (Hrsg.), Dieter Althaus, Michael Opielka, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Alexander Spermann, Joachim Fetzer, Michael Schramm, Matthias Schäfer: Das Solidarische Bürgergeld – Analysen einer Reformidee. Lucius & Lucius Verlagsges. mbH Stuttgart, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8282-0393-8, S. 41–54 (archive.org [PDF; abgerufen am 6. Dezember 2016]).
- ↑ Luke Haywood: Bedingungsloses Grundeinkommen: eine ökonomische Perspektive. In: DIW Berlin. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. - 21.08.2014
- ↑ Netzeitung: Was die FDP unter Bürgergeld versteht ( vom 4. Juli 2012 im Internet Archive). 6. Oktober 2009
- ↑ Klausurtagung: SPD-Vorstand beschließt einstimmig Hartz-IV-Abkehr. In: Spiegel Online. 10. Februar 2019 (spiegel.de [abgerufen am 12. Februar 2019]).
- ↑ Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit. SPD, 10. Februar 2019, abgerufen am 12. Februar 2019.
- ↑ SPD-Pläne zum Bürgergeld. Sozialwissenschaftler: Für viele Arbeitslose ändert sich nichts@deutschlandfunk.de, 11. Februar 2019, abgerufen am 15. Februar 2019