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Behandlungs-Initiative Opferschutz

From Wickepedia

Die Behandlungs-Initiative Opferschutz (BIOS-BW) e. V. ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von deutschen Richtern, Staatsanwälten, Vollzugsangehörigen, Psychiatern, Psychotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeitern, Rechtsanwälten, Wissenschaftlern und Journalisten, die sich vor allem für einen präventiven Opferschutz durch Ergänzung der im Strafvollzug bestehenden Angebote zur Behandlung gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter einsetzt. Der Verein zählte zum Stichtag 31. Dezember 2015 132 Mitglieder.[1]

Konzept

Der Initiative liegt die Erkenntnis zugrunde, dass allein durch eine immer schärfer werdende gerichtliche Haft- und Sanktionspraxis ein ausreichender Schutz vor gefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern nicht erreicht werden kann, sondern es weiterer Maßnahmen bedarf. Hierzu gehört vor allem die Behandlung der bei solchen Tätern zumeist vorliegenden Persönlichkeitsstörung, da durch eine erfolgreiche Behandlung das Risiko eines Rückfalls deutlich reduziert werden kann.

Die Initiative hat im Jahre 2008 dem Bundesjustizministerium ein Memorandum zur Verbesserung des präventiven Opferschutzes vorgelegt.[2] Dieses sieht in Anlehnung an das Schweizer Recht neben der Verpflichtung zur umfangreichen Begutachtung von Gewalt- und Sexualstraftätern schon in der gerichtlichen Hauptverhandlung im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit und Behandelbarkeit auch die Möglichkeit der Anordnung von therapeutischen Maßnahmen durch den Richter vor, etwa durch Schaffung einer neuen Maßregel Therapeutische Maßnahmen. Die Rechtspolitiker der CDU/CSU und der FDP legten hierzu ein Eckpunktepapier vor.[3][4] Am 17. März 2010 fand eine öffentliche Anhörung im Reichstag in Berlin statt,[5][6] wobei sich die FDP den Vorschlägen seitens BIOS gegenüber offen zeigte.[7] Mit dem zum 1. September 2013 in Kraft getretenen § 246a Abs. 2 StPO konnte eine Teilforderung aus dem BIOS-Memorandum verwirklicht werden. Nach dieser Vorschrift ist eine vorherige Begutachtung von pädophilen Straftätern in der Hauptverhandlung bei Delikten zum Nachteil Minderjähriger vorgesehen.

Projekte

Forensische Ambulanz Karlsruhe/Baden (FAB)

Der Verein unterhält mit der in Karlsruhe ansässigen Forensischen Ambulanz Karlsruhe/Baden (FAB) die in dieser Form größte therapeutische Nachsorgeeinrichtung in Deutschland, in der Therapeuten telefonisch und persönlich zur Klärung von Fragen der psychotherapeutischen Behandelbarkeit von Straftätern und der Möglichkeit der Finanzierung von Therapien zur Verfügung stehen. Die Ärzte und Therapeuten bieten in Karlsruhe sowie in den derzeit zehn weiteren Behandlungsstützpunkten Mannheim, Freiburg, Heidelberg, Heilbronn, Pforzheim, Bruchsal, Lörrach, Offenburg, Mosbach und neuerdings auch in Villingen-Schwenningen ein breites Spektrum an Beratungs- und Therapiemöglichkeiten.[1]

Therapieprojekt für Sexualstraftäter

Auf Initiative der Behandlungs-Initiative Opferschutz stellte der Landtag von Baden-Württemberg ursprünglich zunächst Haushaltsmittel von anfangs 100.000 Euro jährlich zur Behandlung gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter zur Verfügung, womit insgesamt sechs Pilotprojekte zur Behandlung von Gewalt- und Sexualstraftäter in mehreren Haftanstalten im Lande und einzeltherapeutische Maßnahmen durchgeführt wurden. Auch dieses Projekt ist organisatorisch der FAB zuzurechnen. Da sich das Behandlungsangebot in Baden-Württemberg auch aufgrund dieser Unterstützung erheblich erweitert hat, wird derzeit (2016) noch in der Justizvollzugsanstalt Mannheim das im November 2007 gestartete Therapieprojekt für Sexualstraftäter umgesetzt.[8] Zum 1. Dezember 2011 konnte zudem die Behandlungsabteilung für suchtkranke Gewaltstraftäter in der JVA Offenburg eingerichtet werden.[9] Die Maßnahme richtet sich an Gewalt- und Sexualstraftäter, die neben einer die Tat mitverursachenden Persönlichkeitsstörung auch eine Suchtmittelproblematik aufweisen. Die Behandlungsgruppen werden von der Universität Heidelberg, dem Institut für Psychologie (Peter Fiedler) und dem Institut für Kriminologie (Dieter Dölling), wissenschaftlich begleitet.[10]

Präventionsprojekt „Keine Gewalt- und Sexualstraftat begehen“

Außerdem bietet BIOS in der FAB insoweit auch eine Anlaufstelle für sog. Tatgeneigte. Ein Tatgeneigter ist eine Person, die bislang nicht wegen eines Sexual- oder Gewaltdeliktes strafrechtlich verurteilt wurde, die sich aber entweder aus eigenem Antrieb an die FAB wendet, da sie befürchtet, ein Sexual- oder Gewaltdelikt zu begehen, oder die behördlich auffällig geworden ist und dadurch in die FAB vermittelt wird.[11] Das Angebot ist nicht auf „pädophile“ Personen beschränkt, sondern bietet im Sinne des präventiven Opferschutzes für alle Personen Hilfestellungen an, die die Begehung eines erstmaligen Übergriffs auf ein Kind, den – weiteren – Konsum kinderpornografischer Schriften oder aber sonst die Begehung eines Sexual- oder Gewaltdelikts befürchten. Das bundesweit einmalige Tatgeneigtenprogramm „Keine Gewalt- und Sexualstraftat begehen“[1] wird seit dem 1. Januar 2013 wissenschaftlich von der Universität Heidelberg – unter Leitung von Dieter Dölling und Peter Fiedler – begleitet. Ziel ist es, im Sinne des präventiven Opferschutzes den Probanden selbst wirksame Strategien im Umgang mit ihrer sexuellen oder zur Gewalt neigenden Abweichung und Tatneigung zu vermitteln. Dies soll ihnen einerseits Erleichterung im Umgang mit drängenden Phantasien verschaffen, andererseits aber – und das ist maßgeblich – im Sinne des präventiven Opferschutzes das Risiko einer gegebenenfalls erstmaligen Begehung von Straftaten reduzieren.

Seit der Gründung der FAB am 2. Juni 2008 wurden zum 31. Dezember 2015 bereits bei insgesamt 2.095 Personen psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt oder diese begutachtet.[1] Aktuell laufen durchgehend etwa 450 Therapien und Begutachtungen.[1]

Psychotherapeutische Ambulanz Koblenz (PAKo)

Am 31. Juli 2015 hat BIOS BW e.V. sein Behandlungsangebot – vor allem für abgeurteilte Straftäter – auf Rheinland-Pfalz ausgeweitet.[1] Zum einen wurde die Psychotherapeutische Ambulanz Koblenz (PAKo) neu gegründet, zum anderen können Probanden aus Rheinland-Pfalz auch in der FAB aufgenommen werden. Bis zum 31. Dezember 2015 konnte bereits für zwölf entlassene, unter Bewährung oder Führungsaufsicht stehende Personen ein Behandlungsplatz in der neuen Einrichtung angeboten werden.[1]

Opfer- und Traumaambulanz Karlsruhe/Baden (OTA)

Der Verein Opfer- und Traumaambulanz Karlsruhe/Baden (OTA) der Behandlungs-Initiative Opferschutz (BIOS-BW) stellt eine zentrale Anlaufstelle für die Akutversorgung von Opfern traumatisierender Ereignisse, insbesondere Opfern von Gewalt- und Sexualstraftaten für Baden-Württemberg vor allem für den badischen Landesteil dar. Sie integriert die medizinische und psychotherapeutische Akutversorgung, Klärung forensischer Fragestellungen, Klärung psychosozialer Notlagen und eine Rechtsberatung.[12] Am 25. November 2014 hat BIOS-BW dieses Angebot in Nachfolge des Hilfsprogrammes zur „Akutversorgung traumatisierter Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten“ formal in die OTA überführt.[13] Dieses Angebot hatte der Verein schon im Jahre 2010 eingerichtet, um Opfern von Gewalt- und Sexualstraftaten monatelange Wartezeiten bei niedergelassenen Ärzten und Psychologen zu ersparen und damit eine Akutversorgung innerhalb von wenigen Tagen ermöglicht.

Konzept

Über ambulante Krisenintervention mit einer Frequenz von maximal 10 bis 15 Sitzungen wird es Opfern traumatisierender Ereignisse ermöglicht, erste Hilfe in diesen Bereichen durch einen Ansprechpartner zu erhalten und eine Verschlechterung der psychosozialen Situation oder der Entwicklung einer psychischen Erkrankung im engeren Sinne entgegenzuwirken. Die fortbestehenden psychischen Probleme und Entwicklung einer psychischen Störung, die eine längerfristige ambulante, teilstationäre oder stationäre Behandlung notwendig machen, erfolgt mit entsprechender Überweisung in die ambulante vertragsärztliche bzw. psychotherapeutische Versorgung oder entsprechende teilstationäre oder stationäre Versorgung.[12]

Dabei gliedert sich die Hilfestellung in den ersten Sitzungen in Kontaktaufnahme, Klärung des Auftrags, Klärung diagnostischer Fragen, Strukturierung und Priorisierung der Anliegen der Betroffenen und wenn möglich erste therapeutische Interventionen, um die entsprechenden Menschen in ihrer Lebenssituation zu stabilisieren und ihre Reintegration in einen normalisierenden Alltag zu ermöglichen.[12]

In ihrer Tätigkeit ist die OTA als unabhängige, anonyme, überparteiliche, für alle Kulturen offene und überkonfessionelle Einrichtung tätig.[12]

Neben der akuten Endaktualisierung von Traumafolgen ist ein zentraler Bestandteil der Behandlungs- und Begleitungsmaßnahmen eine intensive Vernetzung der Opfer- und Traumaambulanz mit anderen in der Behandlung und Betreuung von traumatisierten Menschen involvierten Institutionen, sodass insgesamt durch ein Netzwerk, in dem Opferhilfe, Institution der Polizei, psychiatrische Ambulanzen, niedergelassene Vertragsärzte und Psychotherapeuten zusammengebracht werden, um neben einer Akutversorgung auch die ggf. notwendige weitere Versorgung traumatisierter Menschen sicherzustellen. Konkrete Kooperationen bestehen diesbezüglich bereits mit der Psychiatrischen Institutsambulanz und der Psychiatrischen Klinik des Städt. Klinikums der Stadt Karlsruhe und mit der Trauma- und BG-Ambulanz der Psychiatrischen Abteilung des Klinikums Karlsbad-Langensteinbach. Weitere Vernetzungen, insbesondere mit niedergelassenen Ärzten und Psychologen vor allem im Raum Karlsruhe und Karlsruhe-Land, der Opferschutzbeauftragten der Polizei, dem Weißen Ring und weiteren sozialen Einrichtungen sind im Aufbau und sollen durch regelmäßige Netzwerktreffen und Fortbildungsmaßnahmen intensiviert werden.[12]

Neben der für die Patienten derzeit noch kostenfreien psychotherapeutischen Soforthilfe bietet die OTA eine kostenlose rechtliche Erstberatung durch einen Fachanwalt für Strafrecht und – soweit notwendig – im Einzelfall auch der begleitenden Sozialberatung.[14]

Bis zum 31. Dezember 2015 wurden 94 Therapien oder therapeutische Interventionen durchgeführt. Dabei betrug der Anteil der männlichen Opfer rund 22 %.[1]

Organisation

Die OTA ist bei der Behandlungs-Initiative Opferschutz (BIOS-BW) ansässig. Die Stadt Karlsruhe (Bürgermeister Klaus Stapf) und der Landkreis Karlsruhe (Landrat Christoph Schnaudigel) übernehmen die Schirmherrschaft für die OTA.[13]

Derzeit (2016) sind zwei im Bereich der Behandlung von Traumastörungen ausgebildete bzw. besonders fachkundige Diplompsychologinnen und eine Sozialpädagogin in der OTA tätig, die von einem in diesem Bereich besonders erfahrenen Psychiater angeleitet werden.[12]

Finanzierung

Probleme bereitet die Finanzierung der Einrichtung, da es bisher nicht gelungen ist, für die von einem Verein getragene Einrichtung eine Zulassung bei der kassenärztlicher Vereinigung zu erreichen. Allerdings übernehmen Krankenkassen zunehmend die Kosten der Behandlung, da sich gezeigt hat, dass durch eine schnelle und unbürokratische Hilfe nicht nur Traumafolgeschäden vermieden, sondern auch Kosten eingespart werden können. Auch kommt das Landratsamt teilweise für die Kosten der Behandlung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) auf. Neben Zuschüssen der Stadt und des Landkreises Karlsruhe wird die Einrichtung derzeit vom Verein getragen, der sich insoweit aus Spenden und Geldbußenzuweisungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften finanziert.

Organisation

Die beim Oberlandesgericht Karlsruhe ansässige Initiative wird von dem im Jahre 2008 gegründeten gemeinnützigen Verein Behandlungs-Initiative Opferschutz (BIOS-BW) e.V. getragen.

Sonstiges

Am 5. und 6. November 2015 war BIOS-BW e.V. in Karlsruhe Gastgeber des Treffens aller Forensischen Nachsorgeambulanzen des Strafvollzuges.[1] Die Leiter der verschiedenen Ambulanzen aus ganz Deutschland haben sich zum insgesamt sechsten Mal für ein zweitägiges Treffen versammelt, das die Forensische Ambulanz Baden (FAB) – die derzeit größte forensische Nachsorgeambulanz des Strafvollzugs – in diesem Jahr geplant und ausgerichtet hat.

Im April 2016 ist ein von zwei Juristen erstellter „BIOS-Leitfaden für die Betroffenen von Straftaten“ erschienen, der Opfern von Straftaten u. a. einen Überblick über das richtige Verhalten nach der Tat, den Ablauf eines Strafverfahrens sowie die Rechte und Pflichten des Opfers geben möchte.[15]

BIOS-BW e.V. übernimmt eine federführende Rolle bei der Erweiterung und Aktualisierung der Mindestanforderungen für Prognosegutachten, die für die Behandlung, für die Lockerungen und die Entlassung aus dem Strafvollzug und dem Maßregelvollzug von höchster Wichtigkeit sind. Völlig neu sind der Umgang mit der „psychischen Störung“ und die Behandlungsprognose nach § 119a StVollzG bei nachmaligen Sicherungsverwahrten. Eine erste Tagung der Expertengruppe hierzu fand am 17. Dezember 2016 in Heidelberg statt.[16]

Siehe auch

Einzelnachweise

Weblinks