Das Besitzkonstitut (lat. constitutum possessorium) ist eine besondere Vereinbarung beim Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach deutschem Sachenrecht. Es besteht gemäß § 930 BGB darin, dass der Veräußerer im Besitz der Sache ist und auch bleibt. Statt einer Übergabe wird ein Besitzmittlungsverhältnis gemäß § 868 BGB vereinbart, das die Übergabe ersetzt (sogenanntes Übergabesurrogat). Veräußerer und Erwerber einigen sich darüber, dass der Veräußerer die Sache fortan als unmittelbarer Fremdbesitzer für den Erwerber besitzt und dass Erwerber Eigentümer wird unter der Maßgabe, dass er lediglich mittelbaren Eigenbesitz ausübt.
Geschichte
Erste Erwähnung findet das Besitzkonstitut im frühklassischen römischen Recht bei Javolen, von dem der Fall berichtet wird, dass einer eine Sache, die er von einem Nießbrauchausübenden verlangt hat, vom Eigentümer mietete.[1] Als Urheber des constitutum possessorium wird häufig gleichwohl erst Celsus betrachtet, bei dem deutlich wird, dass der ehemalige Eigentümer den Besitz als procurator für den Erwerber ausübt.[2] Weitere Textstellen finden sich etwa bei Marcellus, Papinian und Paulus.[3]
Ein Fall der „brevi manu traditio“ wird ebenfalls in der Zeit der Frühklassik angesiedelt, beschrieben in den spätantiken Digesten: danach sollte dem Inhaber einer Sache, die er bereits im Besitz hatte, das Eigentum übertragen werden. Durch den Wegfall des sonst notwendigen Eigentumsübertragungsvorgangs, genügte eine bloße Abmachung über den Eigentumswechsel.[4][5]
Allgemeines
Das Besitzkonstitut findet vornehmlich bei bankrechtlichen Kreditsicherheiten Anwendung. Die Banken haben kein Interesse daran die Sache in unmittelbarem Besitz zu halten und lassen stattdessen den Kreditnehmer die Sache nutzen und mit ihr wirtschaften. Da der Sicherungsvertrag unmittelbarer Besitzer bleibt, wird das das Sachenrecht beherrschende Publizitätsprinzip durchbrochen. Beispiel: A kauft ein Auto. Dieses übereignet er mittels Besitzkonstitut an seine Kredit gewährende Bank, die ihm als – treuhänderische Eigentümerin – das Fahrzeug leihweise überlässt. A kann also das Auto nutzen. Sollte jedoch sein Kredit notleidend werden, so darf die Bank als Eigentümerin das Auto herausverlangen und verwerten.
Arten
Gesetzliche und vertragliche Besitzkonstitute
Unterschieden wird zwischen gesetzlichen und vertraglichen Besitzmittlungsverhältnissen. Bei der gesetzlichen Form des Besitzkonstituts ist diese Konstruktion durch das Gesetz vorgesehen. Dazu gehört im Sinne des BGB die Ehe, soweit unter Ehegatten eine Sache übereignet werden soll.[6] Eine andere Auffassung vertritt Hans Josef Wieling,[7] für den die Existenz der Ehe allein, noch keine Besitzmittelung vermitteln kann. Vertragliche Besitzmittlungsverhältnisse kommen durch Vereinbarung zustande.
In beiden Fällen wird von Übergabesurrogaten gesprochen, weil die Übergabe der Sache durch die Vereinbarung des Besitzmittlungsverhältnisses gemäß § 929 Satz 1, § 930 BGB ersetzt wird. Im Vollzug wird der Verfügende unmittelbarer Fremdbesitzer, der Erwerber wird mittelbarer Eigenbesitzer.
Einfache und antizipierte Besitzkonstitute
Das einfache Besitzkonstitut setzt zum Übereignungszeitpunkt mindestens unmittelbaren Besitz des Sicherungsgebers voraus. Es gibt aber Fälle, in denen er nicht vorliegt, aber antizipiert werden kann. Antizipiertes (vorweggenommenes) Besitzkonstitut ist in der Rechtsprechung anerkannt und findet Anwendung dort, wo der Sicherungsgeber zwar noch nicht Besitzer ist, dies später aber werden soll. Abgestellt wird auf eine Vorverlagerung der Einigung zur Sicherungsübereignung, damit es dieser beim späteren Besitzerwerb nicht mehr bedarf. Damit kann bewirkt werden, dass die Einigungserklärung über den Eigentumsübergang und die Vereinbarung über das Besitzmittlungsverhältnis sich auch auf später eingehende Waren erstrecken kann. Sogar können Gegenstände sicherungsübereignet werden, die vom Sicherungsgeber noch nicht voll bezahlt worden sind, weshalb sie unter Eigentumsvorbehalt geliefert werden. Dem Vorbehaltskäufer steht dabei ein Anwartschaftsrecht gegenüber, das bei vollständiger Kaufpreiszahlung zum Vollrecht erstarkt. Im Rahmen einer Sicherungsübereignung kann dieses Anwartschaftsrecht sicherungshalber auf eine Bank übertragen werden, sofern es nicht mit gesetzlichen Pfandrechten (z. B. Zubehörhaftung oder Vermieterpfandrecht) belastet ist.
Lehre und Rechtsprechung haben diese Art des Besitzkonstituts entwickelt, so dass es heute ein anerkanntes Konstrukt für die Sicherungsübereignung von Warenlagern mit wechselnden Beständen geworden ist.[8] Auch noch später herzustellende oder entstehende Sachen können im Wege des antizipierten Besitzkonstituts übereignet werden.
Einzelnachweise
- ↑ Digesten 41.2.21.3
- ↑ Digesten 41.2.18 pr.
- ↑ Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. in: Forschungen zum Römischen Recht Band 36. Verlag Böhlau, Wien, Köln, Graz, 1986. ISBN 3-205-05001-0. S. 295–300 (mit Verweis auf die Digestenstellen Digesten 41.2.19 pr. (Marcell. 17 dig.) und Digesten 41.2.48 (Pap. 10 resp.)).
- ↑ Digesten 12.1.9.9.
- ↑ Paul Jörs/Wolfgang Kunkel/Leopold Wenger, Römisches Privatrecht, 1935, § 65, S. 117.
- ↑ BGH, Urteil vom 31. Januar 1979, Az. VIII ZR 93/78, Volltext = NJW 1979, 976.
- ↑ Hans Josef Wieling: Sachenrecht: Sachen, Besitz und Rechte an Beweglichen Sachen, 2006, ISBN 354029869X, S. 312.
- ↑ RGZ 140, 223, 231 vom 4. April 1933 und später BGH, Urteil vom 29. April 1958, Az. VIII ZR 211/57, Volltext = NJW 1958, 945.