München, 28. September 2020
Bezüglich des MDK-Gutachtens vom 18. September 2020, welches von der Techniker Krankenkasse infolge eines Antrages auf Kostenübernahme für Off-Label-Use von Deferasirox teile ich mit, daß dieses zum einen (a) in grober Weise inhaltlich fehlerbehaftet ist, und um anderen (b) der beauftragten Gutachterin die fachliche Qualifikation zu einer korrekten Bewertung objektiv fehlt. Des weiteren ist die Verletzung von Amtspflichten nebst klaren Verstößen gegen die Berufsordnung anzulasten. Dazu im Einzelnen weiter unten.
(1) Procedere
Nicht zuletzt aufgrund der Dringlichkeit des Therapiebedarfes und unter Wahrung meiner Schadensminderungspflicht hatte ich die Sache bereits am 17. September 2020 rechtshängig gemacht (Az. S 12 KR 1268/20) sowie, zunächst nur in Hinblick auf die beweiserheblichen Fakten zur Bewertung des Fristversäumnis durch die GKV, beim MDK Akteneinsicht begehrt. Im Rahmen dieser Einsichtnahme hatte ich zwar bereits in Erfahrung gebracht, daß der Fall in den Händen einer fachlich zweifelhaft qualifizierten Gutachterin liegt, konnte mich hierzu aber bis dato nicht äußern, um mich nicht dem Vorwurf einer ungebührlichen Einflussnahme auszusetzen.
Es wird den MDK daher wenig überraschen, wenn ich das nunmehr vorliegende Gutachten, welches mir am 26. September 2020 per Schreiben von der TK zugegangen ist, inhaltlich im laufenden Verfahren gegen die Krankenkasse angreifen werde. Die Kasse folgt in ihrem routinemäßig ablehnenden Bescheid vollinhaltlich dem Gutachten des MDK, dieses ist also zweifelsfrei kausal für die unrechtmäßige Ablehnung. Die nähere Aufklärung der Problematik durch den MDK im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes wird erwartet.
(2) Materielle Fragen
===(2)(a) Inhaltlich fehlerbehaftetes Gutachten=== [ 2 ]Das Gutachten nimmt auf das Grundsatzurteil des BSG vom 19. März 2002 (Az. B 1 KR 37/00 R) bezug. Hier wurden Kriterien für eine Erstattung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikation (Off-Label-Use) durch die gesetzlichen Krankenversicherungen festgelegt.
Summarisch stellen sich diese wie folgt dar:
- 1. Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung
- 2. keine andere Therapie verfügbar
- 3. aufgrund der Datenlage besteht die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg
Ad 1: Diese Frage ist unstrittig und entbehrt hier der Diskussion.
Ad 2: Das Gutachten verweist auf andere Therapieoptionen welche zur Verfügung stünden. Diese Darstellung entspricht aber nicht dem aktuellen medizinischen Stand.
Anhand der mir übermittelten Kopie des Gutachtens ist aufgrund der besonders schlechten Qualität nicht lesbar auf welche Arzneimittel hier im Plural verwiesen wird. Tatsächlich gibt es aber nur drei zugelassene Medikamente zur Eisen-Chelierung, und eines davon (Deferasirox) wurde beantragt; logischerweise können daher nur die beiden verbleibenden, Deferipron und Deferoxamin, gemeint sein.
Zum ersten, Deferipron, ist zu sagen, dieses ist im gegenständlichen Fall streng kontraindiziert. Aus der EMA-Zulassungsdokumentation:
- Bei Patienten mit bestehender Neutropenie darf eine Behandlung mit Deferipron nicht eingeleitet werden. Das Risiko einer Agranulozytose und Neutropenie ist bei einem Ausgangswert der niedrigen ANZ unter 1,5 G/l größer.
[..] es wurden Fälle von Agranulozytose mit tödlichem Ausgang gemeldet
- Bei Patienten mit bestehender Neutropenie darf eine Behandlung mit Deferipron nicht eingeleitet werden. Das Risiko einer Agranulozytose und Neutropenie ist bei einem Ausgangswert der niedrigen ANZ unter 1,5 G/l größer.
Tatsächlich ist im Antrag klar ersichtlich, daß ein ANZ (=ANC) Ausgangswert von 0,8 G/l besteht. Eine Behandlung mit Deferipron wäre daher ein grober ärztlicher Fehler.
Bei Deferoxamin handelt es sich um ein älteres Medikament, welches nicht oral verabreicht werden kann. Diese erfolgt per subkutaner Injektion über mehrere Stunden hinweg an 5-7 Tagen die Woche.
Aufgrund der Unzumutbarkeit dieser Verabreichungsform, welche an sich schon problematisch ist aber hier Neutropenie-bedingt noch einmal aus Gründen der Infektionsgefahr erhöht ist, hat in der medizinischen Praxis der Einsatz von Deferasirox die Verwendung von Deferoxamin ersetzt, und zwar international. Das gilt, trotz eines Kostenvorteiles zugunsten Deferoxamin, auch in streng ökonomisch orientierten Gesundheitssystemen unterhalb des Leistungsniveaus der gesetzlichen Kassen in Deutschland, wie dem NHS (UK).
Der Verweis auf eine Zulassung in anderen Bereichen ist zu einen unzulässig, als daß für alle drei Arzneimittel keine indikationsspezifische Zulassung entsprechend dem Antrag [ 3 ]vorliegt. Daß eine längere oder kürzere Liste zugelassener Indikationen hier von Relevanz sein soll ist nicht nachvollziehbar.
Zum anderen entscheidet über die zugelassenen Indikationen, jedenfalls bei nicht-generischen Arzneimitteln, grundsätzlich der pharmazeutische Unternehmer, und diese werden aus ökonomischen Erwägungen oft so gewählt daß nur solche Indikationen erfaßt sind, innerhalb derer zum einen die gewünschte Preisgestaltung plausibel ist, und zum anderen wo sich in Relation zur Zahl der erwarteten Verschreibungen die Finanzierung der erforderlichen Zulassungsstudien überhaupt lohnt.
In bestimmten Fällen verzichtet der Unternehmer aus solchen Überlegungen sogar bewusst auf die Zulassung zu einer Indikation, auch wenn die Wirksamkeit bereits zweifelsfrei durch Dritte nachgewiesen wurde. Beispielhaft ist die Behandlung der Makuladegeneration mit Bevacizumab anzuführen. Diese entspricht dem medizinischen Standard, dafür ist aber im Gegensatz zu onkologischen Indikationen aber lediglich eine sehr geringe Dosis erforderlich welche einer optimalen unternehmerischen Preisgestaltung, entkoppelt vom Herstellungspreis und orientiert am Nutzwert, nicht entspricht. Die Zulassung wurde in diesem Fall etwa vom NHS per Gerichtsurteil gegen den ausdrücklichen Willen des pharmazeutischen Unternehmers erzwungen.
Ein banaler gutachterlicher Verweis auf eine fehlende Zulassung, wie es hier gemacht wird, ist also eher ein Indiz für ein mangelhaftes Verständnis der Vorgänge als sachgerecht. Die korrekte Bewertung von Off-Label-Use darf die zugrundeliegende Dynamik der Zulassungs nicht ignorieren.
Den Defiziten des Arzneimittelrechts trägt auch das BSG in dem hier zwar zitierten, aber gutachterlicherseits wohl niemals gelesenen, Urteil (Az. B 1 KR 37/00 R) ausdrücklich Rechnung:
[ 4 ]Der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings nicht ausnahmslos. In der medizinischen Diskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. [..] auch für einen Gebrauch außerhalb der zugelassenen Indikation im engeren Sinne wird ein Bedarf gesehen, etwa wenn andernfalls eine ernste, lebensbedrohende Krankheit [..] mangels therapeutischer Alternativen nicht wirksam behandelt werden könnte.
[..] Die aufgezeigten Defizite des Arzneimittelrechts dürfen nicht dazu führen, dass den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien vorenthalten bleiben, obwohl die betreffenden Medikamente außerhalb der Krankenversicherung in der nicht zugelassenen Indikation verordnet werden und
verordnet werden dürfen. Solange diese Defizite bestehen, kann deshalb die Leistungspflicht
der Krankenkasse für eine die Zulassungsgrenzen überschreitende Anwendung eines Arzneimittels nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
In diesem Zusammenhang ist auch die Seltenheit von rechtlicher Bedeutung, denn ohne systematische Erforschbarkeit und ohne ausreichendes kommerzielles Interesse kann eine Zulassung nach geltendem Arzneimittelrecht nicht erfolgen. Der G-BA selbst schreibt hierzu unter dem Titel “Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten (Off-Label-Use)“:
Seit 1976 können Arzneimittel in Deutschland nur auf den Markt gebracht werden, wenn sie ein Zulassungsverfahren beim BfArM, beim Paul-Ehrlich-Institut für Sera und Impfstoffe (PEI) oder bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) durchlaufen haben. Auf der Grundlage der vom antragstellenden pharmazeutischen Unternehmen vorgelegten Daten werden dann mit der Zulassung unter anderem die Anwendungsgebiete sowie die Anwendungsart und Dosierung des Arzneimittels festgelegt. Ein solches Zulassungsverfahren ist aufwändig und kostenintensiv. Daher werden Zulassungen durch die pharmazeutische Industrie vor allem für solche Arzneimittel erwirkt, die bei häufig vorkommenden Erkrankungen eingesetzt werden können und dadurch einen großen Absatzmarkt erwarten lassen.
Inkorrekt wird im Gutachten die fehlende Seltenheit der Symptomatik bemängelt.
Das ist zunächst eine rechtliche Fehlbewertung, denn Zulassungen erfolgen generell Indikations- und nicht Symptomatik-bezogen.
Auch materiell ist diese Bewertung unzutreffend. Eine korrekte Recherche ergibt, das beantragte Arzneimittel erhielt zunächst im März 2002 Orphan Drug designation, bevor später das normale Zulassungsverfahren beschritten wurde (siehe EMA, EU/3/02/092). In der Dokumentation dazu wird direkter Bezug auf die Seltenheit genommen:
At the time of designation, chronic iron overload requiring chelation therapy affected approximately 2.7 in 10,000 people in the European Union (EU). This was equivalent to a total of around 103,000 people, and is below the ceiling for orphan designation, which is 5 people in 10,000.
Des weiteren macht es, selbst wenn man nicht die unstrittige extrem seltene Grunderkrankung, sondern bloß deren therapeutisch bedingte Nebenwirkung zur Prüfung der Seltenheit heranzieht, keinen entscheidungsrelevanten Unterschied. Denn auch die Komplikation einer Eisenüberladung nach Trofosfamid-Chemotherapie und vielleicht sogar nach vergleichbaren Chemotherapie-Protokollen insgesamt darf man ebenso als selten bezeichnen:
Zum einen ist bereits der Einsatz von Trofosfamid, wie wohl auch der kontinuierliche Einsatz von Niedrigdosis-Chemotherapie über einen Zeitraum von Jahren insgesamt, an sich nicht
häufig. Konkrete Zahlen lassen sich aus einer Studie der Charité ableiten (Reichardt, P., et al. (2002). Oral Trofosfamide: An Active and Well-Tolerated Maintenance Therapy for Adult Patients with Advanced Bone and Soft Tissue Sarcomas. Results of a Retrospective Analysis. Oncology Research and Treatment, 25(6), 541–546. doi:10.1159/000068625): [ 5 ]Between 1995 and 2000, 49 patients received trofosfamide as maintenance therapy in our institution.
Die Behandlung von Sarkomen erfolgt leitliniengemäß in Deutschland nur in dafür zertifizierten Zentren. Die Datenbank OncoMap der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) weist hierfür aktuell 11 solche Zentren aus, und nur ein Teil davon wird dieses Medikament auch einsetzen. Man kann also aus den Zahlen der Studie extrapolieren, daß der eine Verschreibung von Trofosfamid bundesweit eher bei Dutzenden als bei Hunderten von Patienten pro Jahr erfolgt. Bei einer medianen Progressionsfreiheit im Bereich von Monaten ist die Erforschbarkeit therapie-assoziierter Nebenwirkungen völlig zu verneinen.
Wenn man also das präzise numerische Prävalenz-Kriterium der Seltenheit welches sich aus der Definition von Orphan Drugs ableitet akzeptiert, dann ist diese eine schwerwiegende Eisenüberladung als chemotherapeutische Nebenwirkung zweifelsfrei als selten zu bewerten.
Die korrekte Betrachtungsweise ist hier also, daß ein Off-Label-Use des beantragten Arzneimittel nicht nur zulässig ist, sondern dieses auch die einzige, nicht kontraindizierte und angemessen verabreichbare Therapieoption darstellt.
Ad 3: Sachlich unrichtig und wissenschaftlich unhaltbar ist ebenso die Darstellung im Gutachten, das Kriterium einer begründeten Aussicht auf Erfolg sei nicht erfüllt.
Der BSG befürwortet (Az. B 1 KR 37/00 R, Rz. 25) eine Erstattung in dem Fall, daß
[..] außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Der voraussichtliche Nutzen gilt unter fachkundigen Ärzten, d.h. Fachärzten der Hämatologie, als offenkundig. Eine diesbezügliche Ausführung im Antrag konnte unterbleiben, da die Annahme zu treffen war, jeder fachkundige Gutachter müsste aufgrund des einfachen Behandlungsprinzips zum selben Schluss kommen.
Der Nutzen kann zudem auch ohne medizinisches Fachwissen nachvollziehbar dargelegt werden, und zwar wenn man den Wirkungsmechanismus rein pharmakologisch betrachtet. Denn dieser ist im Vergleich zu anderen Arzneimitteln trivial. Die Chelierung an sich ist ein häufiger, ausgezeichnet erforschter chemischer Prozess mit vielen Anwendungsbereichen. Hier entsteht die Wirkung durch überlegene Bindungsaffinität des Chelators gegenüber Metall-Ionen im Vergleich zu anderen Bindungen, welche diese in ihrer Umgebung (hier: Serum, Gewebe) eingehen. Diese durch Bindung erzeugten Moleküle sind chemisch inert und werden vom Körper auf natürlichem Wege ausgeschieden. Das Prinzip des Chelators kommt daher auch bei verschiedenen Arten der Vergiftung außerhalb einer Eisenüberladung zur Anwendung. Als Beispiel ist auch die Eisenvergiftung genannt, welche in Deutschland [ 6 ]keine Rolle spielt, aber etwa in Entwicklungsländern beim Einsatz ungeeigneter Gefäße zur Lagerung von Lebensmitteln zum Problem wird.
Daher lässt sich ohne daß Zweifel verbleiben argumentieren, daß die Wirkung völlig unabhängig von der medizinischen Indikation, also der Kausalität, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Letztlich verletzt mich das fehlerhafte Gutachten auch in meinen verfassungsmässigen Rechten. Das BVerfG hat nämlich per Beschluss vom 06. Dezember 2005 festgestellt (Leitsatz Az. 1 BvR 347/98), daß hier ein erweiterter Maßstab im Rahmen der Therapiefreiheit anzuwenden ist:
Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Aus welchem Grunde hier eine “nicht ganz entfernt liegende” Aussicht auf Heilung ausgeschlossen sein soll hat das Gutachten nicht ausgeführt. Dieser sehr niedrige Maßstab wird angesichts der Fakten allemal als erfüllt zu sehen sein. Von der “begründeten Aussicht auf Erfolg” wie oben ist dieser Maßstab allenfalls zu unterscheiden.
Ein Eingriff in die Therapieentscheidung, wie es im Gutachten de facto vorgenommen wurde, ist per § 275 SGB V Abs 5 zudem ausdrücklich untersagt:
Die Ärzte des Medizinischen Dienstes sind bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Sie sind nicht berechtigt, in die ärztliche Behandlung einzugreifen.
(2)(b) Mangelnde Gutachterqualifikation
Der hier glaubhaft gemachte Grad gutachterlicher Verfehlung, sowohl in medizinischer Hinsicht wie auch auf Ebene der rechtlichen Bewertung, wirft unmittelbar die Frage auf, wie es zu einer solchen Fehlleistung überhaupt kommen kann. Als Ursache ist zunächst die Person des Gutachters in Betracht zu ziehen.
Aus ausführender Gutachter wird im Schriftstück “Moscatelli” bezeichnet. Es liegt nahe, daß es sich hierbei um die angestellte Ärztin des MDK Bayern, Henriette Moscatelli, handelt.
Die berufliche Qualifikation der Gutachterin war ihrem selbst veröffentlichten Lebenslauf zu entnehmen:
1998–2004
Studium der Humanmedizin, Würzburg
2004–2010
Ausbildung zum Facharzt Transfusionsmedizin, Würzburg
2010–2015
Tätigkeit in der Transfusionsmedizin, Würzburg
01-07/2015 Tätigkeit in der Labormedizin, Würzburg
2016–2020
Ärztliche Gutachterin beim MDK [ 7 ]Zum rechtlichen Rahmen muß man zuerst festhalten, daß auch die Tätigkeit als Gutachter
beim MDK als ärztliche Berufsausübung zu werten ist; das ergibt sich aus § 1 Abs. 3 der
Berufsordnung der Ärzte Bayerns (BO) ivm § 23 Abs. 1 BO eindeutig:
Ärztliche Berufsausübung umfasst nicht nur die Behandlung von Patienten, sondern jede ärztliche Tätigkeit, bei der ärztliche Fachkenntnisse angewendet oder mitverwendet werden.
Die Regeln dieser Berufsordnung gelten auch für Ärzte, welche ihre ärztliche Tätigkeit im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses oder öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses ausüben.
Zunächst fällt hier auf, daß eine fachärztliche Qualifikation im Bereich der Hämatologie-Onkologie, dem Fachgebiet welchem der Antrag zuzuordnen ist, hier nicht nachvollziehbar vorhanden ist. Die Transfusionsmedizin ist zwar ein angrenzendes Fachgebiet, denn Anämie-bedingte Transfusionen sind eine der häufigeren Ursachen für eine Eisenüberladung; im Hinblick auf die Fragestellung spielt dies allerdings keine Rolle. Aus dem Antrag ist eindeutig erkennbar, daß hier keine transfusionsbedingte, sondern eine chemotherapie-assoziierte Hämochromatose gegenständlich ist. Die chemotherapeutische Behandlung ist auch nicht Gegenstand der Weiterbildung zum Facharzt in Transfusionsmedizin, die Nebenwirkungen und ihre Beseitigung können daher durch Moscatelli nicht korrekt bewerten werden.
Dem MDK ist hier also anzulasten, daß er einen nicht im Fachgebiet qualifizierten Gutachter beauftragt hat. Umgekehrt hätte Moscatelli einen fachfremden Auftrag aber auch nicht annehmen dürfen, denn per §2 Abs. 3 BO:
Eine gewissenhafte Ausübung des Berufs erfordert insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse.
Die letzte kurative Tätigkeit von Moscatelli liegt scheinbar bereits mehr als fünf Jahre zurück. Daher ist es auch naheliegend zu prüfen, ob die Gutachterin ihrer Weiterbildungspflicht nachgekommen ist. Denn auch außerhalb der kassenärztlichen Tätigkeit besteht in Bayern aufgrund § 4 Abs. 1 BO die Fortbildungspflicht:
Der Arzt, der seinen Beruf ausübt, ist verpflichtet, sich in dem Umfange beruflich fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Entwicklung der zu seiner Berufsausübung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist.
Der Nachweis wird regelmäßig durch ein Fortbildungszertifikat erbracht. Dieses wird wird erteilt, wenn der Arzt innerhalb eines der Antragstellung vorausgehenden Zeitraums von fünf Jahren qualifizierte Fortbildungsmaßnahmen abgeschlossen hat. Ob dem Arbeitgeber MDK ein solches Fortbildungszertifikat entsprechend der BO vorliegt ist zunächst unklar.
Eine Nachfrage bei der antragstellenden Ärztin zu Fragestellung 2 oben – konkret wird im Gutachten ausgeführt daß eine Begründung für den Einsatz des spezifischen Arzneimittels fehlen würde – hatte Moscatelli trotz konkretem Angebots zur Kontaktaufnahme bei Rückfragen unterlassen, obwohl dies einen klaren Bruch der berufsrechtlichen
Verhaltensregeln der § 7 Abs. 3 BO darstellt: [ 8 ]Der Arzt hat im Interesse des Patienten mit anderen Ärzten und Angehörigen anderer Fachberufe im Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten. Soweit dies für die Diagnostik und Therapie erforderlich ist, hat er rechtzeitig andere Ärzte hinzuzuziehen [..]
Insgesamt ist das Verhalten von Moscatelli nicht mit einer gewissenhaften Ausübung ihres Berufs als Ärztin vereinbar. Die allgemeine Berufspflicht des § 2 Abs. 2 BO sowie das Gebot der notwendigen Sorgfalt des § 25 BO ist hier wohl klar verletzt.
Über die Sorgfaltsverletzung hinaus ist bei Moscatelli auch ein, in Bezug auf die gutachterliche Funktion unangemessenes, intellektuelles Defizit zu verorten. Zur korrekten Bewertung von Grenzfragen in der Leistungspflicht – und nur solche sind im Normalfall strittig – ist es notwendig zu verstehen, wie eine korrekte Bewertung auf wissenschaftlicher Basis vorgenommen wird, in welcher Beziehung etwa das Erreichen statistischer Signifikanz und die Zahl verfügbarer Studienpatienten stehen, und insbesondere in welchen Fällen dies aus methodischen Überlegungen ausgeschlossen ist so daß dies nicht als angemessener Bewertungsmaßstab in Frage kommt und auch sozialmedizinisch so nicht verlangt wird. Eine solche Befähigung, welche für eine korrekte gutachterliche Tätigkeit aber erforderlich ist, kann man hier gerade nicht erkennen.
(3) Rechtmäßigkeit der Verwaltung
Sofern die Darstellung im Lebenslauf von Moscatelli richtig ist, besteht das Dienstverhältnis seit nunmehr 4 Jahren und 9 Monaten. Daher stellt sich, entsprechend hier anwendbaren Tarifbedingungen MDK-T, demnächst die Frage der Übernahme als Beamtin auf Lebenszeit.
Ein Gutachter im hoheitlichen Bereich, welcher seine Aufgaben weisungsfrei und auf Lebenszeit wahrnimmt befindet sich in einer besonders privilegierten Position. Ein ärztlicher Gutachter beim MDK urteilt zudem in Fragen welche ihn selbst gar nicht betreffen, denn er unterliegt nicht einer gesetzlichen Versicherungspflicht und ist in der Regel privat krankenversichert. Gutachterliche Fehlbewertungen wie auch die bürokratische Verschleppung können in Fällen schwerwiegender Erkrankung ernste Folgen haben, bis hin zum Tod des Patienten. Dementsprechend sind bezüglich der Eignung besonders hohe Ansprüche, auch über das normale Maß der allgemeinen Beamtenqualifikation hinaus, zu stellen.
Die strengen Kriterien des § 11 Abs. 1 Z 2 BBG können hier niemals erfüllt sein und eine Übernahme von Moscatelli als Beamtin auf Lebenszeit entsprechend des § 7 BBG würde das allgemeine Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Verwaltung erheblich erschüttern.