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Az. S 18 KR 725/21
München, 17. Juni 2021
Die Erwiderung der Gegnerin vom 31. Mai 2021 wurde dem Kläger heute übermittelt.
Auch weiterhin widerspricht die Beklagte[1] nicht den medizinischen Tatsachenbehauptungen des Klägers – übersichtsweise dargestellt im Schriftsatz vom 4. Februar 2021 – und lässt auch keinerlei Absicht erkennen, diese zu bestreiten. Entsprechend § 138 Abs 3 ZPO sind diese Tatsachen auch innerhalb dieses Verfahrens als zugestanden1 anzusehen.
Die Leistung, auf welche die Klage abzielt, zählt auch unstrittig zum grundsätzlichen Leistungsumfang der GKV. Dies war durch die Beklagte niemals bestritten worden, und sie tut es auch hier nicht. Die Beklagte scheint Folgendes nicht ausdrücklich zu bestreiten:
- a. Die Beklagte hatte zum Beginn der Mitgliedschaft behauptet, Versicherung anzubieten.
- b. Tatsächlich entsprach das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien jedoch nicht dem einer Versicherung.
- c. Dies entspricht im Ergebnis einer Täuschung.
- d. Der Kläger ist so zu stellen, wie es dem Zustand ohne Täuschung entspricht, i.e. Leistung nach dem Versicherungsprinzip.
Strittig zwischen den Parteien scheint bloss:
- e. Der herzustellende Zustand ohne Täuschung hat, entsprechend der Natur des
ehemaligen Rechtsverhältnisses, ungeachtet ob Willkürprinzip oder Versicherungsprinzip zur Anwendung kommt, ebenso Sachleistung zum Gegenstand.
Die Erwiderung der Klägerin, welche der Kläger als substanzlos charakterisieren würde, reduziert sich, im Wesentlichen, auf den Wunsch der Beklagten, die hier entscheidende Kammer möge auch in diesem Verfahren wiederum, analog zum Vorgehen von Frau Wicke, das Recht falsch anzuwenden und die von Kläger bereits glaubhaft gemachten Tatsachen – auch die zugestandenen – gleichfalls übergehen.
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1Aus Sicht des Klägers wäre hier ebenso Prüfung durch die Kammer im Rahmen der Amtsermittlung
vertretbar. In den anderen Verfahren fand aufgrund der Rechtsbeugung durch Frau Wicke keine
Amtsermittlung statt, die Gegnerin kann sich auf eine solche daher nicht stützen.
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Da der Unterlassungsanspruche nicht Gegenstand des Verfahrens zum ER ist, hatte sich
der Kläger bislang hierzu noch nicht geäussert.
Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch – konkret: die Beklagte soll nicht mehr tatsachenwidrig behaupten dürfen, Versicherung anzubieten – ist, wie jeder solche, gewohnheitsrechtlich begründet; allenfalls käme aber auch § 1004 BGB in analoger Anwendung in Frage.
Die Täuschung der Beklagten über Versicherung ist geeignet, eine Vielzahl von Bürgern in ihren Grundrechten zu verletzten, Art 2 Abs 2 GG, Art 14 GG. Die Schwelle der Zumutbarkeit ist klar überschritten. Daß der Kläger, oder Personen für welche er Fürsorge trägt, versicherungspflichtig in der GKV und Mitglied bei der Beklagten werden – sei es durch Änderung der persönlichen Umstände oder Gesetzesänderung – kann nicht ausgeschlossen werden. Der Anspruch ist folglich auch subjektiv begründet.
Aufgrund der beharrlichen Stupidität der Beklagten wird die Klage mit folgendem Antrag ergänzt:
- (5) Die Beklagte unterlässt öffentliche Behauptungen, insbesondere tatsachenwidrige, zu medizinischen Fragen ohne hinreichende, fachärztlich qualifizierte, Begründung.
Beispielhaft behauptet die Beklagte, in der Sektion “Medizintexte der TK: Unabhängig & transparent“ ihrer Website, unter anderem: “Hyperthermie [sei] keine Standardtherapie”.
Tatsächlich ist diese Methode jedoch, in Deutschland, als eine Standardtherapie2 für bestimmte Indikationen – unter anderem die Grunderkrankung des Klägers – etabliert. Im Vergleich zum Ausbleiben der Therapie besteht ein, auch statistisch signifikanter, Survival Benefit von etwa 10% 3 – wie durch [..] anhand einer Phase-III Studie bewiesen. Daß die TK den Tod eines Teils der Patientenpopulation billigend in Kauf nimmt, ist aus ökonomischer Sicht, gerade bei einer von einem Unternehmensberater geführten KK, nachvollziehbar. Aus medizinischer Perspektive sind solche Behauptungen, hier konkret abgeleitet aus beliebigen Internet-Quellen und ohne Bezug auf Fachartikel, Leitlinien, Würdigung abweichender Meinungen anhand der wissenschaftlich üblichen objektiven Kriterien4, oder auch bloss Vortrag durch eine besonders qualifizierte Person, jedoch unvertretbar.
“Standardtherapie” ist das, was sich in mit Fachkonsens erstellten Leitlinien etabliert hat. Konkret ist dies, anhand der ESMO Clinical Practice Guidelines, auch der Fall. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird dieser Begriff regelmässig genau so interpretiert.
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Issels RD, et al: Effect of Neoadjuvant Chemotherapy Plus Regional Hyperthermia on Long-term
Outcomes Among Patients With Localized High-Risk Soft Tissue Sarcoma: The EORTC 62961ESHO 95 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. 2018 Apr 1;4(4):483-492. doi:10.1001/
jamaoncol.2017.4996.
3“After 9 years of follow-up, OS rates of 54% (95% CI 46%, 62%) compared to 43% (95% CI 35%, 50%) were demonstrated in the hyperthermia arm compared to the adjuvant chemotherapy arm, respectively.”, ibid.
4Etwa durch Vergleich der Zitationen gewichtet mit Impact Factors, h-Index der Autoren, oder Ähnliche Methoden der Objektivierung in der Wissenschaft. [ 3 ]Tatsächlich handelt es sich bei den TK-Aussagen jedoch um nicht mehr als Marketing-Material erstellt durch eine Mitarbeiterin; konkret scheint es sich hier um eine Medizinstudentin, ohne fachärztliche oder wissenschaftliche Qualifikation, zu handeln, welche eine Vielzahl von Artikeln zu allen möglichen Themen aufgrund Google-Recherchen für die TK erstellt. Daß sie hinreichend Qualifiziert ist, solche Aussagen in einer Vielzahl von medizinischen Fachgebieten zu treffen, hält der Kläger für eher unwahrscheinlich.
Da viele, vielleicht sogar die Mehrzahl der Bürger eine KK fälschlich als eine medizinisch glaubwürdige Institution sehen, und die TK nicht, zutreffender, als wenig mehr als Buchhaltung mit Marketinganstrich erkennen, sind derartig unqualifizierte – hier konkret falsche – medizinische Aussagen durch die Gegnerin geeignet, Patienten zu schädigen. Denn diese werden damit zum einen zu falschen Therapieentscheidungen verleitet und zum anderen hinsichtlich der tatsächlichen Leistungsansprüche getäuscht.
Daß einem TK-Mitglied als, im Vergleich etwa zu Richtern und Beamten, bloss zweitklassig “Versicherten” rechtlich ein geringerer Leistungsumfang, als es dem aktuellen medizinischen Stand oder der Notwendigkeit entspricht, zusteht mag für einzelne Fragestellungen durchaus zutreffend sein, von medizinischen Fragen wie “Standardtherapie” ist dies jedoch klar abzugrenzen.
Ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch besteht also nicht nur hinsichtlich der Täuschung über Versicherung, sofern auch in Bezug auf fachlich5 unbegründete Behauptungen durch die Beklagte, welche fälschlich den Anschein hinreichend qualifizierter Expertenmeinung erwecken.
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Ein Patient hat zudem die Möglichkeit, ausserhalb der GKV Leistungen auf andere Weise in
Anspruch zu nehmen, eine falsche Behauptung bleibt daher selbst bei einer klar ausserhalb der GKV
liegende Leistung nicht folgenlos.