Ellen Schlüchter (ehemals Ellen Jähn; * 26. April 1938 in Berlin; † 21. August 2000 in Würzburg) war eine deutsche Rechtswissenschaftlerin.
Leben
Sie studierte Rechtswissenschaften, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften und Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das Studium schloss sie mit dem 1. Juristischen Staatsexamen ab. Danach absolvierte sie das Referendariat, das Schlüchter mit dem 2. Juristischen Staatsexamen beendete und damit Rechtsassesorin war. Neben ihrem Studium arbeitete sie in der Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkanzlei ihres Vaters mit.
Zunächst war Ellen Schlüchter im Justizdienst als Richterin, später als Staatsanwältin mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität in Ellwangen tätig.
Ellen Schlüchter war mit dem Rechtsanwalt und Diplom-Kaufmann Horst Schlüchter verheiratet und Mutter zweier Kinder.
Wissenschaftlicher Werdegang
1974 ließ sich Schlüchter an die Universität Tübingen abordnen, wo sie promovierte (1977) und habilitierte (1983). 1978 wurde sie zur Gruppenleiterin (erste Staatsanwältin im Hochschuldienst) befördert und an die Universität Konstanz abgeordnet.
Sie lehrte und forschte dann als Professorin im Bereich des Strafrechts und Strafprozessrechts von 1984 bis 1987 an der Universität Köln, von 1987 bis 1995 an der Universität Würzburg und von 1995 bis 2000 an der Ruhr-Universität Bochum. Einer ihrer persönlichen Leitsprüche war: „Aus jedem Misserfolg einen Erfolg machen“. Ebenso meinte sie in Abwandlung eines anderen Zitats: „Das Leben ist schön, aber anstrengend. Man kann es auch weniger anstrengend haben, dann ist es weniger schön.“ Während ihrer Tätigkeit als erste Juraprofessorin an der Universität Würzburg wurde sie zudem die erste Frauenbeauftragte (1988–90) und später Vizepräsidentin der Universität.[1] Als Gutachterin für den Deutschen Bundestag gab Ellen Schlüchter eine Stellungnahme zum Rechtspflegeentlastungsgesetz ab; dieses Gutachten wurde später vom Nomos-Verlag unter dem Titel Weniger ist mehr veröffentlicht.
Im Bereich des Jugendstrafrechts setzte sich Ellen Schlüchter für den Erziehungsgedanken ein, damit jugendliche Straftäter wieder auf den Pfad des Rechts gebracht werden. Sie publizierte ein Plädoyer für den Erziehungsgedanken (erschienen bei De Gruyter). Den Strafprozessrecht verstand Ellen Schlüchter als eine Interaktion, also als ein Zusammenwirken aller Prozessbeteiligten. Dieses Zusammenwirken spiegele die Dynamik des Prozesses wider. In ihrem Werk Das Strafverfahren werden diese Gedanken deutlich. Auch ihre Kommentierung des Hauptverfahrens im Systematischen Kommentar zur Strafprozessordnung zeigt diesen Ansatz.
Bereits in ihrer Dissertation beschäftigte sich Schlüchter mit dem Grenzbereich von Bankrottdelikten und unternehmerischen Fehlentscheidungen. In diesem Werk wird deutlich, wie schwierig eine unternehmerische Krise zu bewerten ist. Schon mit dieser Schrift zeigt sich das Interesse an wirtschaftlichen Fragen, die später auch in dem Buch Steuerberatung im strafrechtlichen Risiko aus dem Jahr 1986 zum Ausdruck kommen.
Ebenso setzte sich die Wissenschaftlerin kritisch mit dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WikG) auseinander, unter dem Titel Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität – Kommentar mit einer kriminologischen Einführung, Heidelberg 1987. Im Bereich der Wirtschaftswissenschaft kritisierte sie das hektische Wirtschaften und unüberlegte Handeln von Wirtschaftsorganen, dass sie als "Management by Happening" bezeichnete. Dieses kurzsichtige Handeln ist geprägt vom Denken nur bis zum nächsten Quartalsbericht.
Im Rahmen eines Projektes für die Europäische Kommission erstellte Ellen Schlüchter eine Studie zum Cash settlement im Bereich der Landwirtschaft.
An der Universität Bochum führte Ellen Schlüchter multimediale Vorlesungen durch. Dieses Konzept der klaren und verständlichen Wissensvermittlung zeigte sie auch in ihren Lehrwerken mit Begründung der Reihe Kernwissen für das Gebiet des Strafprozessrechts und der Reihe Fit im Recht mit Werken zum Strafrecht und Strafprozessrecht. Daneben forschte Ellen Schlüchter zuletzt im Bereich der Fahrlässigkeit und setzte sich für die Straflosigkeit der Unachtsamkeit ein. Ihr Anliegen bestand darin, leicht fahrlässiges Verhalten aus der Strafdrohung herauszunehmen.
Im Bereich der Rechtsvergleichung zwischen dem anglo-amerikanischen Fallrecht (Fallrecht) und dem kontinental-europäischen Statute Law (Gesetzesrecht) zeigte die Forscherin die Mittlerfunktion der Präjudizien, also die Gemeinsamkeiten beider Rechtssysteme auf, die in der Bindungswirkung der Leitentscheidungen der obersten Gerichte liegen.
Ellen Schlüchter war die akademische Lehrerin von Rechtswissenschaftlern wie etwa Gunnar Duttge und Generalbundesanwalt Peter Frank. Für ihre Verdienste an der Universität Würzburg wurde die Wissenschaftlerin mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland am Bande ausgezeichnet.
Publikationen (Auswahl)
- mit anderen: SK-StPO. Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG und EMRK. 10 Bände. Heymanns, Köln.
- Strafrecht Allgemeiner Teil in aller Kürze. EuWi, Thüngersheim/Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-89633-018-7.
- mit Thorsten Fülber, Holm Putzke: Herausforderung: Beschleunigtes Verfahren (§§ 417 ff. StPO). EuWi, Thüngersheim/Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-89633-015-2.
- Grenzen strafbarer Fahrlässigkeit. Aspekte zu einem Strafrecht in Europa. EuWi, Thüngersheim/Nürnberg 1996, ISBN 3-89633-002-0.
Literatur
- Gunnar Duttge et al. (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter. Heymanns, Köln 2002, ISBN 3-452-25164-0.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Margarete Pauli: Treibende Kraft für die Gleichstellung, Blick, Magazin der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 2009/3, abgerufen am 9. April 2018.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Schlüchter, Ellen |
ALTERNATIVNAMEN | Jähn, Ellen (früherer Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Rechtswissenschaftlerin |
GEBURTSDATUM | 26. April 1938 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 21. August 2000 |
STERBEORT | Würzburg |