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Georg Jellinek

From Wickepedia

Georg Jellinek (* 16. Juni 1851 in Leipzig; † 12. Januar 1911 in Heidelberg) war ein in Österreich praktizierender Staatsrechtler. Er gehörte gemeinsam mit Hans Kelsen und dem Ungarn Félix Somló zur Gruppe der österreichischen Rechtspositivisten und galt seinerzeit „als der Vertreter des Staatsrechts aus Österreich“.[1]

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Georg Jellinek

Werdegang

Jellinek studierte ab 1867 in Wien an der Alma Mater Rudolphina Rechtswissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie. Zusätzlich studierte er bis 1872 Philosophie, Geschichte und Rechtswissenschaften an der Ruperto Carola in Heidelberg und an der Alma Mater Lipsiensis. 1872 wurde Jellinek in Leipzig mit einer Dissertation über Die Weltanschauungen Leibnitz’ und Schopenhauer’s zum Dr. phil. promoviert. 1874 promovierte er zum Doktor der Rechte

1879 habilitierte sich Jellinek an der Universität Wien. Er wurde anschließend Privatdozent für Rechtsphilosophie in Wien. 1881 wurde er zum Mitglied der Staatsprüfungskommission ernannt. Ein Jahr später veröffentlichte er sein Grundlagenwerk Die Lehre von den Staatenverbindungen. 1883 wurde Jellinek zum außerordentlichen Professor für Staatsrecht an die Universität Wien berufen. 1889 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Basel.

1891 nahm Jellinek einen Ruf an den Lehrstuhl für allgemeines Staatsrecht und Völkerrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg an. 1909 wurde er außerordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.[2] Sein Hauptwerk, die Allgemeine Staatslehre, wurde 1900 veröffentlicht.

Familie

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Grab von Georg und Camilla Jellinek auf dem Heidelberger Bergfriedhof, in der Abt. D 309 am Professorenweg gelegen

Georg Jellinek kam als Sohn von Adolf Jellinek, einem damals bekannten jüdischen Gelehrten und Rabbiner der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, und dessen Ehefrau Rosalie, geb. Bettelheim (* 1832 in Budapest; † 1892 in Baden bei Wien), zur Welt. Georg Jellineks bekannte Brüder sind der Geschäftsmann und Diplomat Emil Jellinek-Mercédès und der Mediävist Max Hermann Jellinek.

Georg Jellinek war mit Camilla Jellinek, geb. Wertheim (1860–1940) verheiratet. Camilla Jellinek konnte von Marianne Weber ab 1900 für die Ideen der Frauenbewegung gewonnen werden und leistete insbesondere durch ihre Zusammenarbeit mit den Rechtsschutzstellen für Frauen und der Erarbeitung von Reformentwürfen bedeutende Beiträge zum Strafrecht. Ihr wurde 1930 die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, der Doctor iuris utriusque, für ihr Engagement und ihren unermüdlichen Einsatz für die Rechte der Frauen verliehen.[3]

Das Ehepaar Jellinek hatte sechs Kinder, die zwischen 1884 und 1896 zur Welt kamen. Sie wurden von den Behörden als israelitisch geführt, obwohl sie nicht jüdisch im Sinne der Halacha waren.[4] 1896 wurden die Kinder in aller Stille getauft.[5] Georg Jellinek selbst war in Baden schon vor dem Tod des Vaters 1892 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten;[6] ab 1894 entrichtete er evangelische Kirchensteuern, ohne je selbst in die Kirche einzutreten.[7] Georg und Camilla Jellineks letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Heidelberger Bergfriedhof in der sogenannten „Professoren-Reihe“ Abteilung D, 1. Reihe 309.

Von Georg und Camillas Kindern erreichten vier das Erwachsenenalter. Walter Jellinek wurde ebenfalls Jurist. Die Tochter Dora Busch (1888–1992) wurde aufgrund der Nürnberger Gesetze nach Theresienstadt deportiert, überlebte die Lagerhaft und kehrte 1946 in den Schuldienst zurück. Der jüngste Sohn Otto verstarb 1943 an den Folgen der Misshandlungen durch die Gestapo im Konzentrationslager.

Schaffen

Überblick

Jellineks Schrift System der subjektiven öffentlichen Rechte aus dem Jahre 1892 enthält die Statuslehre, die auch zur Systematisierung des Grundgesetzes verwendet wurde.

Seine Allgemeine Staatslehre (1900, siehe Allgemeine Staatslehre, Verfassungsrecht) gilt als Meilenstein der deutschen Staatslehre und als Jellineks wichtigstes Werk. Aus ihr stammt auch seine Drei-Elemente-Lehre, nach der zur Anerkennung eines Staates als Völkerrechtssubjekt die drei Merkmale „Staatsgebiet“, „Staatsvolk“ und „Staatsgewalt“ erforderlich sind (→ Völkerrecht). Überdies führt er hier den soziologisch inspirierten Begriff von der normativen Kraft des Faktischen ein (→ Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie).

Jellinek unterschied sich von seinen deutschen Staatsrechtskollegen, weil er bei der Staatsbetrachtung die soziologische und die rechtliche Analyse integrierte, aber nicht identifizierte („Zweiseitentheorie des Staates“).[8] Es ging ihm um die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Recht und Staat. Ob ein Staatswille durchgesetzt werden könne, sei nach Jellinek keine Frage der Rechtswissenschaft, sondern eine empirische. Dies gelte ebenfalls für die Frage, warum Gehorsam gegenüber Rechtsnormen, Gesetz und Verwaltung hier selbstverständlich sei, dort aber fehle. Antworten auf diese Fragen könne nur die Soziologie geben.[9]

Jellineks Werk Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1895 gilt als wichtige Schrift zur Geschichte der Menschenrechte. Diese „bahnbrechende Untersuchung“ habe „die einschlägige Forschung“ zur Geschichte der Menschenrechtserklärung von 1789 „eingeleitet“, so Roman Schnur.[10]

Georg Jellinek gehörte zum Kreis um Max Weber, der im Heidelberg der Jahrhundertwende einen großen Einfluss auf die Gelehrtenkultur ausübte. Auch in Jellineks Werk hinterließ das Denken Webers deutliche Spuren.[11]

1907 wurde Jellinek zum ersten jüdischstämmigen Rektor der Universität gewählt.

Geltung und Wirksamkeit von Recht

Georg Jellinek beschäftigte sich auch mit dem Problem der Rechtsgeltung. „Geltung“ im rechtlichen Sinn bedeutet nur, dass bestimmte Regeln (Rechtsordnung) für Menschen Maßgabe des Handelns sind. „Geltung“ und „Wirksamkeit“ müssen zusammenspielen, damit Rechtsnormen effektiv sein können. Max Weber charakterisiert die „Effektivität“ einer Rechtsordnung als „Chancen der Durchsetzbarkeit“.

Bei der Geltung einer Rechtsordnung unterscheidet man drei Aspekte:

  1. juristischen,
  2. soziologischen und
  3. ethischen Aspekt.

All diese Aspekte spielen bei dem Problem der Geltung und Wirksamkeit eine Rolle und machen generelle, allgemeingültige Aussagen für den Einzelfall sehr schwer.

Was passiert also, wenn Geltung und Wirksamkeit nicht zusammenfallen? Hier hakt Georg Jellinek mit seiner Frage um die „normative Kraft des Faktischen“[12] ein. Hierzu zwei Überlegungen:

  1. Gilt eine bestehende Regel, die von niemandem befolgt wird?
  2. Kann durch ein bestimmtes Verhalten einer Mehrheit eine Regel für alle geschaffen werden?

Im ersten Fall wird häufig die Meinung vertreten, dass eine Norm, die über lange Zeit nicht befolgt wird, ihre Wirksamkeit verliert. Keine Einigkeit herrscht aber über die Dauer. Im zweiten Fall liegt das Problem umgekehrt. Durch das „Faktische“ wird auf Grund von Stabilitätsüberlegungen die „Norm“ der Realität angepasst. Ein gutes Beispiel ist die Verjährung einer Straftat, denn obwohl der rechtliche Unwert der Tat grundsätzlich immer gleich ist, ist auf Grund der langen Zeit der Unwert der Tat getilgt – dies aus Stabilitätsüberlegungen heraus (Rechtssicherheit).

Rechtspositivistische Thesen

Georg Jellinek war Rechtspositivist. Er vertrat die Auffassung, dass das Recht „nichts anderes als das ethische Minimum“ sei. Er glaubte:

„Das Recht wird also, als das erhaltende Moment, das Minimum der Normen eines bestimmten Gesellschaftszustandes bilden, d. h. diejenigen Normen umfassen, welche die unveränderte Existenz eines solchen sichern.“

Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 2. Aufl., Berlin 1908, S. 45

Schriften (Auswahl)

  • Die Weltanschauungen Leibnitz’ und Schopenhauer’s. Ihre Gründe und ihre Berechtigung. Eine Studie über Optimismus und Pessimismus. Hölder, Wien 1872 (phil. Dissertation, Universität Leipzig; Digitalisat).
  • Die socialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe. Hölder, Wien 1878 (Digitalisat).
  • Die rechtliche Natur der Staatenverträge. Ein Beitrag zur juristischen Construction des Völkerrechts. Hölder, Wien 1880 (Digitalisat).
  • Die Lehre von den Staatenverbindungen. Haering, Berlin 1882 (Digitalisat).
  • Österreich-Ungarn und Rumänien in der Donaufrage: Eine völkerrechtliche Untersuchung. Hölder, Wien 1884. (Digitalisat).
  • Ein Verfassungsgerichtshof für Österreich. Hölder, Wien 1885.
  • Gesetz und Verordnung. Staatsrechtliche Untersuchungen auf rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Grundlage. Mohr, Freiburg im Breisgau 1887 (Digitalisat).
  • System der subjektiven öffentlichen Rechte. Mohr, Freiburg im Breisgau 1892 (Digitalisat).
  • Allgemeine Staatslehre (= Recht des modernen Staates. Bd. 1). Berlin 1900; 2. Auflage 1905 (Digitalisat); 3. Auflage 1914 (Digitalisat).

Literatur

  • Andreas Anter (Hrsg.): Die normative Kraft des Faktischen. Das Staatsverständnis Georg Jellineks. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2004, ISBN 3-8329-0733-5.
  • Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932. Hrsg. v. Rektorat der Ruprecht-Karls-Universität-Heidelberg. Springer, Berlin/Heidelberg 2012, ISBN 978-3-642-70761-2.
  • Alexander HollerbachJellinek, Georg. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 10, Duncker & Humblot, Berlin 1974, ISBN 3-428-00191-5, S. 391 f. (Digitalisat).
  • Camilla Jellinek: Georg Jellinek. Ein Lebensbild. In: Georg Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden, Bd. 1, Neudruck Aalen 1970, S. 5–140.
  • Christian Keller: Victor Ehrenberg und Georg Jellinek. Briefwechsel 1872–1911, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-465-03406-3.
  • Klaus Kempter: Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum. Droste Verlag, Düsseldorf 1998, ISBN 3-7700-1606-8.
  • Jens Kersten: Georg Jellinek und die klassische Staatslehre. Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147348-5.
  • Jens Kersten: Georg Jellinek (1851–1911). In: Peter Häberle, Michael Kilian, Heinrich Wolff: Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland, Österreich, Schweiz. De Gruyter, Berlin/Boston (2. Auflage) 2018, S. 77–86, ISBN 978-3-11-054145-8.
  • Realino Marra: La religione dei diritti. Durkheim – Jellinek – Weber. Giappichelli, Turin 2006, ISBN 88-348-6617-7.
  • Stanley L. Paulson (Hrsg.): Georg Jellinek. Beiträge zu Leben und Werk. Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147377-9.
  • Sascha Ziemann/Andreas Funke (Hrsg.): Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre und Politik. Vorlesungsmitschrift von Max Ernst Mayer aus dem Sommersemester 1896. Mohr, Tübingen 2016.

Weblinks

Wikisource: Georg Jellinek – Quellen und Volltexte
Commons: Georg Jellinek – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Christoph Schönberger, Ein Liberaler zwischen Staatswille und Volkswille: Georg Jellinek und die Krise des staatsrechtlichen Positivismus um die Jahrhundertwende. In: Stanley L. Paulson, Martin Schulte (Hrsg.): Georg Jellinek: Beiträge zu Leben und Werk (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts; Bd. 27), Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147377-9, S. 3 ff.
  2. Mitglieder der HAdW seit ihrer Gründung im Jahr 1909. Georg Jellinek. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 30. Juni 2016.
  3. Ute Gerhard: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München 1997, S. 685.
  4. Klaus Kempter: Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum, Droste Verlag, Düsseldorf 1998, S. 287.
  5. Klaus Kempter, S. 288.
  6. Klaus Kempter, S. 283 f.
  7. Klaus Kempter, S. 284.
  8. In Jellineks Worten: Allgemeine Soziallehre des Staates und Allgemeine Staatsrechtslehre.
  9. Siehe Jürgen Hartmann, Bernd Meyer: Einführung in die politischen Theorien der Gegenwart. VS Verlag, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14909-1, S. 28 f.
  10. Roman Schnur (Hrsg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte (= Wege der Forschung, Bd. 11). Darmstadt 1974, S. X, VII.
  11. Jürgen Hartmann, Bernd Meyer: Einführung in die politischen Theorien der Gegenwart. Wiesbaden 2005, S. 26.
  12. Siehe hierzu Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre (1900). Reprint des 5. Neudrucks der 3. Auflage (1959), bearbeitet von Walter Jellinek, Athenäum, Kronberg/Ts. 1976, S. 338 ff.