Ein Völkerrechtssubjekt ist ein Rechtssubjekt im Völkerrecht, also ein Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten, dessen Verhalten unmittelbar durch das Völkerrecht geregelt wird.[1]
Originäre und derivative Völkerrechtssubjekte
Weitgehend unstrittig sind folgende Völkerrechtssubjekte anerkannt:[2]
- Originäre (geborene) Völkerrechtssubjekte. Ihnen haftet ihre Völkerrechtsfähigkeit aus sich selbst heraus an. Zu differenzieren sind dabei
- originäre staatliche Völkerrechtssubjekte:
- Staaten (im völkerrechtlichen Sinne)
- originäre nichtstaatliche Völkerrechtssubjekte:
- originäre staatliche Völkerrechtssubjekte:
- Derivative (gekorene) Völkerrechtssubjekte. Sie leiten ihre Völkerrechtsfähigkeit aus der Rechtsfähigkeit ihrer Gründungssubjekte ab. Es handelt sich hierbei insbesondere um die Internationalen Organisationen wie die Vereinten Nationen. Auch die Europäische Union besitzt seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon eine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Völkerrechtspersönlichkeit internationaler Organisationen gilt nur gegenüber ihren Mitgliedern und solchen Nicht-Mitgliedern, die diese ausdrücklich anerkannt haben.
Des Weiteren können Bundesstaaten ihren jeweiligen Gliedstaaten – bei denen es sich zwar in staatsrechtlicher, aber nicht in völkerrechtlicher Hinsicht um originäre Rechtssubjekte handelt – die Befugnis verleihen, in begrenztem Umfang am Völkerrechtsverkehr teilzunehmen.
Völker selbst sind keine Völkerrechtssubjekte.[3]
Völkerrechtliche Identität
Sinn und Zweck einer Feststellung völkerrechtlicher Identität und zugleich der bestimmende Inhalt dieses Begriffs ist, dass die völkerrechtlichen Rechte und Pflichten des Rechtssubjekts in vollem Umfang erhalten bleiben.[4] Die Identitätsfrage beim Auseinanderfallen eines Staates stellt sich wie folgt:
„Beim Zerfall eines Staates in mehrere Teilgebilde stellt sich jeweils die Frage, ob eines dieser Teilgebilde mit dem zusammengebrochenen Gesamtstaat identisch ist und damit dessen Völkerrechtspersönlichkeit fortsetzt oder ob es sich stattdessen bei allen diesen nunmehr unabhängigen Teilgebieten um neue Staaten handelt. Die Entscheidung dieser Frage, die zugleich mit darüber befindet, ob es sich bei dem Sukzessionsfall um eine bloße Separation/Sezession oder um eine vollständige Dismembration handelt, ist […] von enormer praktischer Bedeutung. Denn nur im Verhältnis zu dem subjektsidentischen Staat erscheint die Fortsetzung vertraglicher und anderer Rechtsverhältnisse – wenn auch geographisch beschränkt auf dessen geschrumpftes Gebiet – unproblematisch.“[5]
Partielle Völkerrechtssubjekte
De-facto-Regime können als partielle Völkerrechtssubjekte anerkannt werden, ähnlich wie eine Internationale Organisation. „Partiell“ bedeutet, dass ein De-facto-Regime nicht in vollem Umfang an den Rechten und Pflichten des Völkerrechts teilhat. Das Recht auf Verteidigung wird allerdings eingeschlossen, auch die Verantwortlichkeit für eventuelle Völkerrechtsbrüche.[6] Ein De-facto-Regime, das die vollen völkerrechtlichen Merkmale eines Staates erfüllt, wird dadurch zum Völkerrechtssubjekt im umfassenden Sinn.[7]
Gleichberechtigung im Völkerrecht
Das Völkerrecht kennt nur gleichberechtigte Subjekte, unabhängig von ihrer Größe oder der Anzahl der durch sie mediatisierten Personen. Es gibt keine übergeordnete völkerrechtliche Autorität. San Marino und die Vereinigten Staaten von Amerika zum Beispiel stehen sich also als gleichberechtigte Subjekte gegenüber. Formal kommt diese Gleichrangigkeit bei der äußeren Gestaltung bilateraler völkerrechtlicher Verträge in der alternierenden Nennung der vertragsschließenden Parteien zum Ausdruck (Alternat). Die Gleichberechtigung der Staaten findet, insbesondere innerhalb der UN, ihren Ausdruck im Grundsatz der souveränen Gleichheit ihrer Mitglieder (Art. 2 I UN-Charta) und ihrer Stimmgleichheit in der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Art. 18 I UN-Charta). Der Grundsatz der Gleichberechtigung kann dabei auf die Neuordnung Europas in souveräne, gleichberechtigte Territorialstaaten im Rahmen des Westfälischen Friedens zurückgeführt werden und entspricht dem Rechtsgrundsatz im Völkerrecht par in parem non habet imperium.[8] De facto wird die Gleichberechtigung aber durch politische und ökonomische Machtunterschiede relativiert. Auch mit Blick auf den Sicherheitsrat können die fünf Vetomächte als privilegiert angesehen werden (Art. 27 III UN-Charta).
Prinzipiell handelt es sich bei den Völkerrechtssubjekten nicht um natürliche Personen, sondern um korporative Erscheinungen. Einzige Ausnahme hiervon ist der Heilige Stuhl, der nach kanonischem Recht mit der Person des Papstes gleichzusetzen ist. Die besondere Stellung des Heiligen Stuhls in der Völkerrechtslehre ist ein Relikt aus Zeiten, in denen sich in der Person des Souveräns die Rechtspersönlichkeit des Staates manifestierte. Völkerrechtlich ist der Heilige Stuhl vom Staat der Vatikanstadt zu unterscheiden. Der Vatikan ist als Staat ein originäres Völkerrechtssubjekt und bedarf deshalb keines Rückgriffs auf historisch begründete Privilegien. An der Spitze des Staates der Vatikanstadt steht indes wiederum der Papst. Es steht ihm frei, zu entscheiden, ob er sich als Heiliger Stuhl oder als Vertreter des Staates der Vatikanstadt am Völkerrechtsverkehr beteiligt; ausschlaggebend ist die jeweilige konkrete Sachmaterie.
Von der überkommenen Völkerrechtslehre nicht als Völkerrechtssubjekte anerkannt sind natürliche Personen (abgesehen vom Heiligen Stuhl).[9] Zwar werden ihnen durch internationale Verträge Rechte und Pflichten zugewiesen (z. B. durch die Europäische Menschenrechtskonvention), doch ist dies nicht ausreichend, ihnen eine den anerkannten Völkerrechtssubjekten gleichrangige Stellung einzuräumen. Allerdings sind Ansätze erkennbar, die eine Veränderung dieser Rechtslage bedeuten könnten. So hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in seinem LaGrand-Urteil[10] vom 27. Juni 2001 Individuen ausdrücklich eine partielle Völkerrechtssubjektivität zugebilligt.
Literatur
- Hermann Mosler: Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 22 (1962), S. 1–48 (PDF; 4,3 MB).
- Andreas Zimmermann: Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge. Zugleich ein Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen völkerrechtlicher Kodifikation. In: Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd. 141. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Springer, 2000, ISBN 3-540-66140-9.
- Knut Ipsen (Hrsg.): Völkerrecht. 6. Auflage, C.H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-57294-4.
Weblinks
- Henner Gött: Die Lehre von den Völkerrechtssubjekten und die Entfaltung der internationalen Rechtsordnung, Beitrag im JuWissBlog vom 22. Januar 2013, Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht e. V.
Einzelnachweise
- ↑ Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 1984, § 375.
- ↑ Kay Hailbronner, in: Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl., Berlin 2004, 3. Abschn., Rn. 7 ff., 39 ff.
- ↑ Marcel Kau: Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte. In: Wolfgang Graf Vitzthum und Alexander Proelß (Hrsg.): Völkerrecht. 8. Auflage, de Gruyter, Berlin/Boston 2019, ISBN 978-3-11-063326-9, S. 179, Rn. 32 f. (abgerufen über De Gruyter Online).
- ↑ Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge. Springer, Berlin/Heidelberg 2000, S. 62 f.
- ↑ Zit. nach Andreas Zimmermann, Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge. Springer, 2000, S. 66–67.
- ↑ Michael Staack (Hrsg.), Einführung in die Internationale Politik: Studienbuch, 5. Aufl., Oldenbourg, München 2012, S. 570 f., 590.
- ↑ Karl Doehring, Völkerrecht, 2., neubearbeitete Auflage, C.F. Müller, Heidelberg 2004, Rn. 261 f.
- ↑ Andreas von Arnauld: Völkerrecht. 4. Auflage. C.F. Müller, 2019, S. 9 f.
- ↑ Volker Epping, in: Knut Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl., München 2004, § 7.
- ↑ ICJ Reports 2001, S. 494 (PDF).