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Kompetenzgerichtshof

From Wickepedia

Ein Kompetenzgerichtshof war ein Gericht (oder eine gerichtsähnliche Behörde) zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten, insbesondere zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden oder zwischen Gerichten untereinander. Für letzteren Fall bestehen auch heute in manchen Staaten noch entsprechende Spruchkörper.

Deutschland

1879 räumte in Deutschland § 17 Abs. 2 GVG a. F. den Ländern die Möglichkeit ein, besonderen Behörden „die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des Rechtswegs“ zu den ordentlichen Gerichten zu übertragen. Solche besonderen Behörden bestanden – oft, aber beispielsweise nicht in Preußen als echte Gerichte ausgestaltet – bis 1945, in Bayern bis 1981.[1] Antragsberechtigt waren Behörden des jeweiligen Landes, nicht Reichsbehörden, und es gab auch auf Reichsebene keinen Kompetenzgerichtshof. Die Hälfte der mindestens fünf Mitglieder hatte sich aus Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Reichsgericht, oberstes Landesgericht, Oberlandesgericht) zusammenzusetzen.

Preußen

In Preußen existierte schon seit 1847 der Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte[2] beim Preußischen Staatsministerium (vgl. Art. 96 der Verfassung von 1850). Von 1854 bis 1879 waren ihm zusätzlich die sog. Konfliktsachen (Vorabentscheidungen bei Amtspflichtverletzungen) übertragen[3] (vgl. Art. 97 der Verfassung von 1850).

Mit den Reichsjustizgesetzen wurde er 1879 zu einer „besonderen Behörde“ im Sinne von § 17 Abs. 2 GVG a. F.;[4] die Konflikte bei Amtspflichtverletzungen gingen auf das Oberverwaltungsgericht über.[5]

Zu einer Auseinandersetzung mit dem Reichsgericht kam es 1899, als dieses in drei Fällen negativer Kompetenzkonflikte dem Kompetenzgerichtshof nicht folgen wollte, weil es selbst den Rechtsweg zuvor bereits verneint hatte und ein Landesgerichtshof diese Entscheidungen nicht aufheben könne.[6][7][8] 1901 schloss das Reichsgericht auch für den Fall des positiven Kompetenzkonflikts die Zuständigkeit des Kompetenzgerichtshofs nach Anhängigkeit der Sache beim Reichsgericht aus.[9] Infolge dieser Auseinandersetzungen wurde 1902 das preußische Recht der Ansicht des Reichsgerichts angepasst.[10]

Unter den Entscheidungen des Kompetenzgerichtshofs sind beispielsweise auch solche zur völkerrechtlichen Staatenimmunität.[11]

Die letzte Sitzung des preußischen Kompetenzgerichtshofs fand im Oktober 1942 statt (Pr. L. 3075 und 3076).

Vorsitzende:

Registerzeichen: Pr. L. (Prozess-Liste)

Entscheidungsverzeichnisse:

Weitere Länder

Österreich

Siehe: Reichsgericht (Österreich) (1869–1919), Verfassungsgerichtshof (Österreich) (1919–)

Frankreich

Siehe: Tribunal des conflits

Türkei

Siehe: Kompetenzkonfliktgericht (Türkei)

Literatur

  • Georg Lemmer: Die Geschichte des preussischen Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte. Scientia, 1997, ISBN 3-511-02853-1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

  1. 1.0 1.1 1. Aufhebungsgesetz vom 6. April 1981 (GVBl. S. 85); BayLT-Drs. 9/3645 S. 5 f.; Fritz Ostler: Der Bayerische Gerichtshof für Kompetenzkonflikte. Ein Nachruf, BayVBl. 1981, S. 647 f. (etwa 125 Entscheidungen; letzte vom 28. November 1974)
  2. Gesetz über das Verfahren bei Kompetenzkonflikten zwischen den Gerichten und Verwaltungsbehörden vom 8. April 1847 (GS S. 170)
  3. Gesetz, betreffend die Konflikte bei gerichtlichen Verfolgungen wegen Amts- und Diensthandlungen, vom 13. Februar 1854 (GS S. 86)
  4. Verordnung, betreffend die Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden, vom 1. August 1879 (GS S. 573)
  5. § 11 EGGVG
  6. Nachtwächter-Bestellung in Blankenberg: RG 10. Juni 1899 (V 147/99, RGZ 44, 377 = JW 1899, 505); vorgehend: RG 22 April 1891 (V 235/90); PrOVG 12. Juli 1893 (I C 108/92, PrOVGE 25, 131 = PrVBl. 15, 346); PKGH 16. Februar 1895 (2370); OLKG 10. Dezember 1897; PKGH 14. Januar 1899 (Pr. L. 2455)
  7. Kirchenbaulast in Groß-Samoklensk: RG 4. Mai 1899 (IV 427/98, RGZ 44, 4 = JW 1899, 391); vorgehend: RG 21. Januar 1895 (IV 234/94, RGZ 34, 306 = JW 1895, 155); RG 15. Februar 1897 (IV 223/96); PKGH 25. Juni 1898 (Pr. L. 2434, 2443)
  8. Kirchenbrunnen in Rietschütz: RG 4. Mai 1899 (IV 7/99, AfkKR 80, 594); vorgehend: RG 1. April 1897 (IV 332/96); PKGH 25. Juni 1898 (Pr. L. 2448)
  9. Kirchensitze in Daber: RG (Vereinigte Zivilsenate) 22. Mai 1901 (IV 216/00, RGZ 48, 195) – Abweichung von RGZ 11, 391 (III 177/83); nachgehend: RG 30. Oktober 1901 (AfkKR 83, 294)
  10. Gesetz, betreffend Aenderung der Vorschriften über die Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden, vom 22. Mai 1902 (GS S. 145)
  11. wie das Urteil vom 28. März 1928 (Pr. L. 2934/28), ZaöRV 1931 S. 101
  12. Gesetz, die Competenzconflicte betr., vom 28. Mai 1850 (GVBl. Sp. 161)
  13. Gesetz, die Entscheidung über Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder dem Verwaltungsgerichtshofe betreffend, vom 18. August 1879 (GVBl. S. 991)
  14. Gesetz, die Behörde für Entscheidung in letzter Instanz über Competenzzweifel zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden betreffend, vom 13. Juni 1840 (GVBl. S. 97)
  15. Gesetz, die Entscheidung über Competenzstreitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden betreffend, vom 3. März 1879 (GVBl. S. 65)
  16. Gesetz, betreffend die Entscheidung von Kompetenzkonflikten, vom 25. August 1879 (RegBl. S. 272)
  17. Gesetz, die Entscheidung von Kompetenzkonflikten betreffend, vom 18. Januar 1879 (GVBl. S. 191)
  18. Landesgesetz über die Staatsgerichtsbarkeit vom 7. September 1948 (GVBl. S. 154), § 3 Satz 1: „Der Staatsgerichtshof ist gleichzeitig Kompetenzgerichtshof“
  19. Verordnung über die Organisation der obersten Staatsbehörde vom 28. Mai 1821 (RegBl. S. 179) unter IX.B.
  20. Gesetz, betreffend das oberste Verwaltungsgericht, vom 11. Januar 1875 (RegBl. S. 45, 1879 S. 131); Art. 22 ff. Gesetz, die Ausführung der Deutschen Civilprozeßordnung und Konkursordnung betreffend, vom 4. Juni 1879 (RegBl. S. 251)
  21. Verordnung, betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts in Streitigkeiten über die Zulässigkeit des Rechtsweges in bremischen Sachen, vom 26. September 1879 (RGBl. S. 298)