Oliver Diggelmann (* 30. August 1967 in Bern) ist ein Schweizer Rechtswissenschaftler, Professor für Völker- und Staatsrecht an der Universität Zürich und Romanautor.
Leben
Oliver Diggelmann wuchs in Zürich auf. Er studierte nach einer altsprachlichen Matura Rechtswissenschaft in Zürich, Bern und Cambridge (Trinity Hall). 1999 promovierte er bei Daniel Thürer mit einer völkerrechtlichen Dissertation über die Anfänge der Völkerrechtssoziologie.[1] 2004 folgte die Habilitation an der Universität Zürich zu den Folgen der Globalisierung für Staat und Demokratie.[2] Er wurde noch im selben Jahr an die Andrássy Universität in Budapest auf die Professur für Völkerrecht berufen. 2006 war er während sechs Monaten persönlicher Mitarbeiter für den damaligen Präsidenten des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Luzius Wildhaber. Von 2008 bis 2010 war er Dekan der Fakultät für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften der Andrássy Universität Budapest. 2010 erfolgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht, Öffentliches Recht und Staatsphilosophie an der Universität Zürich. Seit 2011 leitet er geschäftsführend das Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht.[3]
Oliver Diggelmann war 2009 Gastprofessor an der Universität St. Gallen und 2013 an der Hebrew University Jerusalem. 2015 war er Visiting Fellow an der Universität Cambridge und 2018 Senior Fellow am völkerrechtlichen Forschungskolleg der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin sowie der Universität Potsdam (International Rule of Law). 2021 verbrachte er ein Forschungssemester als Visiting Research Fellow an der Universität Harvard. Er ist Mitherausgeber der "Swiss Review for International and European Law" und des "Jahrbuch für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften". Er ist u. a. Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, der European Society for International Law und des PEN Deutschland.[4]
Völker- und Staatsrecht
Oliver Diggelmanns Arbeiten befassen sich oft mit Fragen zu den Grundlagen des Völkerrechts oder zu historischen Entwicklungslinien bei einzelnen Institutionen.[5] Ein anderer Schwerpunkt liegt auf Fragen des Krisenrechts.[6] Er begreift Völkerrecht nicht als höhere Gerechtigkeitsordnung, sondern als Ensemble historisch gewachsener Teilregime von unterschiedlicher Leistungsfähigkeit. Solche Teilregime sind etwa das Sicherheitsregime der UNO-Charta, das Welthandelsregime und das Menschenrechtsregime. Verschiedene seiner Schriften befassen sich mit der Koordination der Teilregime, insbesondere den Versuchen, das Kollisionsproblem zu entschärfen. Zu diesen Versuchen zählt er etwa das „Verfassungsdenken im Völkerrecht“[7], das ab den 1990er-Jahren eine Renaissance erfuhr, und die Neigung der Völkerrechtswissenschaft, Schwächen des eigenen Forschungsgegenstandes mit einer Fortschrittserzählung[8] zu überspielen. In seinen staatsrechtlichen Arbeiten stehen Fragen der verfassungsstaatlichen Institutionenarchitektur, grundrechtliche Fragen und das Wechselspiel von staatlicher und internationaler Sphäre im Mittelpunkt. Zusammen mit Maya Hertig und Benjamin Schindler ist er Mitherausgeber des von den Schweizer Staatsrechtlerinnen und Staatrechtlern gemeinsam verfassten dreibändigen Werkes «Verfassungsrecht der Schweiz».[9]
Oliver Diggelmann schreibt regelmässig in Schweizer Publikumsmedien zu völkerrechtlichen und staatspolitischen Themen, u. a. Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger, Das Magazin. In der Debatte um die „Selbstbestimmungsinitiative“ wies er 2017 darauf hin, dass die Diagnose abnehmender Spielräume der Staaten zutreffe, die Initiative darauf aber mit untauglichen Mitteln zu reagieren versuche. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 trat er für ein schweizerisches Neutralitätsverständnis ein, das völkerrechtliche Neutralität mit einem grösseren Beitrag an die internationalen Friedenslasten verbindet. Er wird gelegentlich vom Schweizer Radio und Fernsehen als Völkerrechtsexperte konsultiert (Echo der Zeit, Tagesschau, 10vor10).
Romane Maiwald und Die Lichter von Budapest
Oliver Diggelmanns 2017 erschienener Roman Maiwald[10] über den rätselhaften Suizid eines renommierten Psychiaters spielt im Medienmilieu nach der Jahrtausendwende. Rückblenden führen in die Protest- und Besetzerszenen der späten Sechziger- und Achtzigerjahre. Im Mittelpunkt stehen Recherchen des Journalisten und Erzählers András, der dem Tod des Psychiaters, des Vaters seiner Jugendfreundin, nachspürt. Die Besetzerszene der 1980er-Jahre wird in eine Beziehung zum kulturellen Umschwung von 1968 gesetzt. Das Buch wurde von der Kritik gut aufgenommen. Die Berliner Zeitung lobte die feine Sprache und die emotionale Hellhörigkeit,[11] der Tages-Anzeiger nannte das Durchspielen von Aufbruchstimmung und Desillusion an zwei Generationen «überzeugend»[12]. Der frühere Chefredaktor der Zürichsee-Zeitung, Ulrich E. Gut, bezeichnete den Roman als «packendes, tiefsinniges Psychodrama und Gesellschaftsbild»[13]. Kritisiert wurde die Plausibilität der Motive hinter der obsessiven Wahrheitssuche.[14] 2023 erschien sein zweiter Roman Die Lichter von Budapest bei Kröner in Stuttgart.
Weblinks
- Literatur von und über Oliver Diggelmann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Suche nach Oliver Diggelmann. In: Deutsche Digitale Bibliothek
- Prof. Dr. iur. Diggelmann auf Web des Instituts für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht – Lehrstuhl Diggelmann der Universität Zürich
- NZZ-Beiträge – Oliver Diggelmann auf nzz.ch
Einzelnachweise
- ↑ Oliver Diggelmann: Anfänge der Völkerrechtssoziologie – Die Völkerrechtskonzeptionen von Max Huber und George Scelle im Vergleich. Zürich 2000.
- ↑ Oliver Diggelmann: Der liberale Verfassungsstaat und die Internationalisierung der Politik. Veränderungen von Staat und Politik in der Schweiz. Bern 2005.
- ↑ Curriculum Vitae. Abgerufen am 1. Februar 2023.
- ↑ Curriculum Vitae. Abgerufen am 1. Februar 2023.
- ↑ Oliver Diggelmann: Völkerrecht - Geschichte und Grundlagen (mit Seitenblicken auf die Schweiz). Hier + Jetzt, Baden 2018, ISBN 978-3-03919-462-9.
- ↑ Oliver Diggelmann: Staatsverbrechen und internationale Justiz. Zur Einlösbarkeit der Erwartungen an internationale Straftribunale. In: Archiv des Völkerrechts. Band 45, Nr. 3, 2007, ISSN 0003-892X, S. 382, doi:10.1628/000389207782680154.
- ↑ Tilmann Altwicker, Oliver Diggelmann: Is there Something like a Constitution of International Law? In: Heidelberg Journal of International Law. 2008, S. 623 ff.
- ↑ T. Altwicker, O. Diggelmann: How is Progress Constructed in International Legal Scholarship? In: European Journal of International Law. Band 25, Nr. 2, 1. Mai 2014, ISSN 0938-5428, S. 425–444, doi:10.1093/ejil/chu035.
- ↑ Oliver Diggelmann, Maya Hertig, Benjamin Schindler (Hrsg.): Verfassungsrecht der Schweiz. Schulthess Verlag, Zürich / Genf 2020, ISBN 978-3-7255-7998-3.
- ↑ Diggelmann, Oliver: Maiwald. Klöpfer & Meyer, Tübingen, ISBN 978-3-86351-448-8.
- ↑ Günther Grosser: Im Kellergewölbe der Vergangenheit. In: Berliner Zeitung. 24. Juni 2017.
- ↑ Martin Ebel: Ein Völkerrechtler als Romancier. In: Tages-Anzeiger. 28. April 2017.
- ↑ “Maiwald”: Ein Kontrapunkt zur grassierenden Straf-Euphorie | Unser Recht. Abgerufen am 1. Februar 2023 (Lua error in Module:Multilingual at line 149: attempt to index field 'data' (a nil value).).
- ↑ Vergangenheit - Alte Wunden. Abgerufen am 1. Februar 2023.
Personendaten | |
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NAME | Diggelmann, Oliver |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Rechtswissenschafter |
GEBURTSDATUM | 30. August 1967 |
GEBURTSORT | Bern |