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Sententiae Receptae

From Wickepedia

Die Sententiae Receptae (ad filium) (auch Pauli Sententiae, unter Rechtshistorikern ist zudem die Bezeichnung pseudopaulinische Sentenzen (sententiae = kommentierte Entscheidungen) beziehungsweise Paulussentenzen geläufig; Kurzzitierweise: PS) sind ein um die Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert im – wahrscheinlich nordafrikanischen[1]römischen Westen entstandenes, in Latein verfasstes, frühnachklassisches Werk der Rechtsliteratur. Der Zusatz „ad filium“ verweist darauf, dass die Sammlung ursprünglich zur Belehrung für den Sohn des Paulus gefertigt war.

Bedeutung des Werks

Die anonym verfasste Zusammenstellung gilt als bedeutende Überlieferungsquelle voriustinianischen Rechts. Die Kompilatoren des 6. Jahrhunderts hatten bestenfalls den zehnten Teil der insgesamt verfügbaren klassischen Juristenliteratur verarbeitet, sodass Handschriften, wie die vorliegende, der Rechtsforschung bis heute zusätzliche Informationen liefern können. Das Werk beinhaltet lehr- und regelhafte Florilegien, die dem spätklassischen Juristen Iulius Paulus (aus severischer Zeit) zugeschrieben werden. Dies ist in der rechtsgeschichtlichen Forschung allerdings bis heute umstritten.[2][3] Zweifel daran, dass die Sentenzen inhaltlich authentischer paulinischer Tradition entsprachen, müssen bereits zu Kaiser Konstantins Zeiten bestanden haben. Ausweislich des Codex Theodosianus ordnete der Kaiser 327 oder 328 per Konstitution nämlich an, dass der stilistisch brillante Abhandlungsstil keine Zweifel an der Echtheit des Werkes zulassen sollte und die Regelungsinhalte in künftigen Gerichtsverfahren zu beachten seien.[4] Max Kaser zählt die Sentenzen nicht zu den eigentlichen Interpolationen, erkennt darin stattdessen ein neues Werk.[5]

Publiziert ist das Werk in fünf Büchern (libri).[6] Gesellschaftliche Bedeutung hatte Paulus spätestens mit dem Zitiergesetz der Kaiser Valentinian und Theodosius erlangt, da er den Status einer Autorität (sogenannter Zitierjurist) für das gesamte Reich eingenommen hatte. Inhaltlich befassen sich die Sentenzen mit Straf- und Privatrecht. Besonders zugutegehalten wird der Arbeit immer wieder, dass sie die römischen Gesetze mit hoher Prägnanz formuliere und thematisch so zusammenfasse, dass sie sich mit der Systematik traditioneller Gesetzesanordnungen decke. Dadurch sei ein klarer Überblick über das seinerzeit geltende Rechtssystem geschaffen worden.[7]

Dargelegt werden beispielsweise die Umstände, die zur Aufopferung des damals vorherrschenden Formularprozesses (agere per formulam) geführt hatten. Mit diesem Prozesstyp agierten die zuständigen Prätoren lange Zeit während der Republik und der frühen frühen Kaiserzeit.[8][9] Er war durch das weniger förmliche und damit wesentlich modernere Erkenntnisverfahren des Kognitionsprozesstyps abgelöst worden.[10] Kognitionsprozesse unterlagen nunmehr zudem der kaiserlichen Gerichtsbarkeit. Deren Beamte handelten nicht mehr nach den Vorgaben von Edikten, sondern nach Maßgabe von Verwaltungsverordnungen. Diese waren wohl effektiver als die Edikte, andererseits entzogen sich die Verordnungen den Einflussnahmemöglichkeiten klassischer Jurisprudenz.[11]

Historische Einbettung

Die epiklassischen[12] Sentenzen folgten den diokletianischen Sammlungen von Kaiserkonstitutionen, den Kodizes Gregorianus und Hermogenianus, zeitlich nach. Nach Einführung der beiden Kompilationen war die Rechtsliteratur dazu übergegangen, klassische Juristenwerke in wesentlich simplifizierter Form wiederzugeben. Geschuldet war diese Erleichterung der deutlich abschwellenden Anspruchshaltung an den juristischen Ausbildungsstätten und der daran angelehnten Rechtspraxis. Mit vergleichbarem Ansinnen entstanden die regulae Ulpiani und die tituli ex corpore Ulpiani, Transformationen von Juristenschriften des nicht minder bedeutsamen Rechtsgelehrten Ulpian.[6] Ähnlich wie die Epitome Gai sind die Sentenzen zwar durch die weströmische Gesetzgebung überliefert, doch müssen sie als Überarbeitung eines erst im frühen 5. Jahrhundert entstandenen Auszugs aus den Institutiones Iustiniani gelten.[13]

Kaiser Konstantin kassierte 321 alle schriftsatzliche Rechtskritiken (sogenannte notae) der Juristen Paulus und Ulpian, die im Zusammenhang mit den Gutachtensammlungen (responsae) des Juristen Papinians standen, um sieben Jahre später umgekehrt Echtheit einer Paulus untergeschobenen Schrift zu dekretieren.[14] Aus diesem Grund ist nicht mit Gewissheit zu sagen, ob Recht, das beispielsweise in den Codex Theodosianus eingeflossen ist,[15] klassisches Recht oder eigenes Recht der Zeit der deshalb so genannten pseudopaulinischen Sentenzen umfasst. Ausdrücklichen Bezug auf die pseudopaulinischen Sentenzen nimmt andererseits die Sammlung der Collatio,[16] die auf eines der fünf Bücher, den liber singularis De poenis paganorum, Bezug nimmt.[17]

Weitere Fundstellen des Werkes befinden sich in den nachgenannten Kodizes und Schriftensammlungen: lex Romana Visigothorum (Brevier des Alarich), fragmenta Vaticana, lex Romana Burgundionum und in den Digesten. Lange hielt man die paulinischen Sentenzen für einen Anhang der frühmittelalterlichen westgotischen lex Romana Visigothorum Frankreichs.[1]

Literatur

  • Johann Samuel Ersch, Johann Gottfried Gruber (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1818–1889, Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1969, ISBN 978-3-201-00093-2, 3. Sektion, Band 13, S. 228 ff. (online)
  • Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 173, 191 und 287.
  • Detlef Liebs: Römische Jurisprudenz in Africa mit Studien zu den pseudopaulinischen Sentenzen (= Antike in der Moderne. Band 3). Berlin 1993. 2. Auflage (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 44), Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11617-8.
  • Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 106–110.
  • Hartwig Schellenberg: Die Interpretationen zu den Paulussentenzen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1965.

Anmerkungen

  1. 1.0 1.1 Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 115 f.
  2. Verneinend: Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-58155-4, S. 75.
  3. Ebenfalls verneinend: Fritz Schulz: Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, S. 213 ff; Ernst Levy: Paulus und der Sentenzenverfasser, In SZ, Die Romanistische Abteilung (RA, ISSN 0323-4096), 1930, 50, S. 272–294.
  4. Codex Theodosianus 1,4,2.
  5. Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. In: Forschungen zum Römischen Recht, Bd. 36, Böhlau, Wien/Köln/Graz 1986, ISBN 3-205-05001-0, S. 116, FN 9.
  6. 6.0 6.1 Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001), ISBN 3-205-07171-9, S. 48 f.
  7. A. Arthur Schiller: Roman Law: Mechanisms of Development, Mouton, ISBN 90 279 77 44 5, S. 46 ff.
  8. Franz Wieacker: Römische Rechtsgeschichte. Zweiter Abschnitt: Die Jurisprudenz vom frühen Prinzipat bis zum Ausgang der Antike im weströmischen Reich und die oströmische Rechtswissenschaft bis zur justinianischen Gesetzgebung. C. H. Beck, München 2006, ISBN 978-3-406-33928-8, S. 172.
  9. „Streiten mit Prozeßformeln“ (litigare per con-cepta verba, id est per formulas); siehe: Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 6 (Die zivilrechtliche Jurisdiktion und das Amtsrecht), S. 106–123 (112).
  10. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 1 Rnr. 22.
  11. Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 106–110.
  12. Der Begriff „Epiklassik“ steht im Bereich des Rechtswesens für die erste Periode der Spätantike vom Beginn der Reichskrise des 3. Jahrhunderts bis zur Konstantinischen Wende (vgl. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.), Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge, Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 283–287 (Zusammenfassung). - angelehnt an Franz Wieacker).
  13. Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 10 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian), S. 187–207 (193).
  14. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 287.
  15. Codex Theodosianus 1,4,2.
  16. Detlef Liebs: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260-640 n.Chr.) (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 8). Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 173.
  17. Mosaicarum et Romanarum legum collatio 2,5 f.; 6,6,2.