Werner Georg Kollath (* 11. Juni 1892 in Gollnow (Pommern); † 19. November 1970 in Porza (Lugano)) war ein deutscher Bakteriologe und Hygieniker. Außerdem forschte und publizierte er zu Fragen der Ernährung. Kollath gilt als Pionier der Vollwerternährung.
Leben
Werner Kollath wurde am 11. Juni 1892 in Gollnow als Sohn des praktischen Arztes Georg Kollath geboren. Er ging in Gollnow und in Stettin zur Schule und legte im Herbst 1911 die Reifeprüfung ab.
Studium, Militärdienst, an der Universität Breslau
Kollath studierte Medizin in Leipzig, Freiburg im Breisgau, Berlin und Kiel. Während des Ersten Weltkrieges, zu dem er sich als Kriegsfreiwilliger meldete, diente er als Feldunterarzt. Nach dem Krieg setzte er sein Studium in Marburg fort. Er wurde dort 1920 promoviert und erhielt seine Approbation zum Arzt.
1923 wurde er Assistent bei Richard Pfeiffer am Hygiene-Institut der Universität Breslau. 1926 erfolgte die Habilitation mit einer Arbeit über „Vitaminsubstanz und Vitaminwirkung. Eine Studie über Zusammenhänge zwischen Mineral- und Sauerstoffwechsel, Phosphatiden und ultraviolettem Licht, geprüft an den Wachstumsbedingungen des Influenzabazillus“. 1932 wurde Kollath zum außerordentlichen Professor der Uni Breslau ernannt und übernahm 1933/34 die Vertretung für den Lehrstuhl des Fachs Hygiene.
Karriere im NS-Staat
Kollath beantragte im April 1933 die Aufnahme in die NSDAP. Seine Aufnahme erfolgte erst im Mai 1934 (Mitgliedsnummer 3.522.586), da der erste Antrag verloren gegangen war. Er war Förderndes Mitglied der SS. Ab Oktober 1933 gehörte er dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), dem NS-Dozentenbund, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und dem Reichsluftschutzbund an.[1]
1935 folgte er einem Ruf an die Universität Rostock und war als Professor für Hygiene und Bakteriologie und zugleich als Direktor des Landesgesundheitsamtes tätig. Hier hielt er u. a. Vorlesungen über Rassenhygiene und setzte sich für die Einrichtung eines entsprechenden Lehrstuhls ein.[2] Kollath bekannte sich ausdrücklich zur Neuen Deutschen Heilkunde.[3] 1937 wurde er für ein Jahr Dekan der Medizinischen Fakultät und publizierte ein Lehrbuch für Hygiene unter dem Titel Grundlagen, Methoden und Ziele der Hygiene. Kollaths Hygienelehrbuch fand im Dritten Reich, wohl auch wegen der Ausführungen zur Rassenhygiene, die Zustimmung von Seiten der Behörden. Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums wählte es zu einem der 100 besten deutschen Bücher des Jahres 1936/37.[4] In diesem Buch heißt es unter anderem:
„Die Schwierigkeiten auf hygienischem Gebiet lagen bisher darin, dass eine ausreichende Gesetzgebung, die z. B. die Ausschaltung Minderwertiger von der Fortpflanzung ermöglichte, in der Vergangenheit nicht bestanden hat.[5]“
Seine Bejahung dieser NS-Gesetzgebung wird an anderer Stelle deutlich:
„Eine höhere und edlere Form der Humanität ist erst durch die nationalsozialistische Gesetzgebung in Deutschland eingeführt durch die Sterilisationsgesetze.“
1942 publizierte Kollath sein Hauptwerk Die Ordnung unserer Nahrung. Dieses Veröffentlichungsdatum deutet darauf hin, dass das Buch vom NS-Staat als ein „kriegswichtiges Buch“ angesehen wurde.[7] In Die Ordnung unserer Nahrung verwendete Kollath den Begriff Vollwertkost. Vollwertkost steht für eine Kost, die „alles enthält, was der Organismus zu seiner Erhaltung und zur Erhaltung der Art benötigt“. Was das Ernährungskonzept selbst anbelangt, griff er vor allem auf die Veröffentlichungen Bircher-Benners zurück.
Kollaths Engagement für den Nationalsozialismus hielt bis zum Frühjahr 1945 an. Vor der Kapitulation beteiligte er sich an Übungen des Volkssturms.
Ein Teil seiner Aufzeichnungen – was insbesondere seine medizinischen Untersuchungen anbelangt – soll in Folge von Kriegshandlungen verloren gegangen sein.[8]
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Rostock gehörte zur Sowjetischen Besatzungszone. Aufgrund des Runderlasses vom Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Bereinigung der Verwaltung vom 30. August 1945 wurde Kollath wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft im Oktober 1945 als Universitätsprofessor und Direktor des Hygieneinstituts entlassen. Als Direktor des mecklenburgischen Medizinaluntersuchungsamtes blieb er hingegen bis August 1946 im Amt. Zum „Bewährungseinsatz“ war er ab August 1945 Seuchenkommissar und später Oberseuchenkommissar für die Kreise Rostock, Wismar und Güstrow.[9][10]
Kollath widersprach den Entlassungen mit der Behauptung, er sei kein „aktiver Faschist“ gewesen, sondern habe im Gegenteil sogar entgegengesetzte Auffassungen vertreten. Im Winter 1945 forderte ihn der Präsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Stellungnahme auf, weil ihm mitgeteilt worden war, dass Kollath förderndes Mitglied der SS gewesen ist. Kollath rechtfertigte seine SS-Mitgliedschaft damit, dass er sich wegen seiner projüdischen Einstellung hätte rehabilitieren müssen. Er wäre sonst nicht in die NSDAP aufgenommen worden und „seine gesamte spätere wissenschaftliche Arbeit“ wäre so unmöglich geworden. Belege für diese Argumentation blieb Kollath schuldig.[11] Im Februar 1946 unterstützte der Rektor der Universität Rostock Kollaths Bitte um Druckerlaubnis der Werke Lehrbuch der Hygiene und Der Vollwert der Nahrung. Aus „politischen, menschlichen und wissenschaftlichen Gründen“ bestünden keine Bedenken und sogar russische Ärzte hätten die Absicht, das Lehrbuch ins Russische zu übersetzen. Am 1. Juni 1946 erhielt Kollath vom SED-Ortsverband Rostock eine Bescheinigung, dass er „nur nominelles Mitglied der NSDAP“ gewesen sei und bereits im Dezember 1945 einen Aufnahmeantrag für die KPD gestellt habe. Er sei „als Parteianwärter in die SED aufgenommen“ worden. Diese Bescheinigung und die positive Einstellung des Rektors verbesserten zunächst Kollaths Chancen auf den Lehrstuhl für Hygiene an der Universität Rostock. Sowohl der Rektor als auch der Dekan der Medizinischen Fakultät unterstützten seine Berufung. Allerdings kam im Sommer 1946 der Landamtsarzt von Mecklenburg-Vorpommern, Redetzky, zum Urteil, dass Kollath „als unverträglich gelten“ müsse. Er kritisierte, dass Kollath nach Ablauf der Fristen noch immer keine Stellungnahme zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen eingereicht hatte. Das in Kollath zunächst „gesetzte große Vertrauen“ sei nun nicht mehr gerechtfertigt. Kollath habe während der Bewährungszeit als Seuchenkommissar „nicht die Leistungen aufzuweisen, die man von einem ordentlichen Professor der Hygiene verlangen muss“. Die „Bearbeitung seiner ganzen Nebeneinnahmen“ habe gezeigt, „wie merkantil und egoistisch er eingestellt ist“. Es folgte Kollaths Entlassung als Direktor des mecklenburgischen Medizinaluntersuchungsamtes mit sofortiger Wirkung.[12][13]
Kollath untersuchte die Wirkung seiner Ernährungsvorschläge und dokumentierte die Ergebnisse entsprechend. So will er 1945/1946 deutliche Verbesserungen beim Verlauf von Infektionskrankheiten an den 350 Patienten eines Stadtkrankenhauses in Mecklenburg festgestellt haben.[8]
Im November 1946 wurde Kollaths Antrag auf Niederlassung als „Facharzt für Hygiene- und Gesundheitsberatung“ abgelehnt, weil eine derartige Disziplin „bisher nicht als Fachgebiet anerkannt“ sei und „aufgrund politischer Belastung“.[14] Nachdem er Anfang 1947 auch seine Anstellung als Direktor des Gesundheitsamtes verloren hatte,[15] verließ das Ehepaar Kollath im März 1947 heimlich die Sowjetische Besatzungszone und siedelte nach Hannover über. Dort arbeitete Kollath als Lebensmittelchemiker und Berater für den Keksfabrikanten Bahlsen. Für Bahlsen hatte er im Zweiten Weltkrieg „Flieger-Abwurfnahrung“ geprüft.[16]
1948 erschien die zweite, veränderte Auflage von Kollaths Hygiene-Lehrbuch. Jörg Melzer, Autor einer als Buch veröffentlichten Dissertation, die die Geschichte der Vollwerternährung erforschte, stellte hierzu fest: „Er tauscht die Rassenhygiene gegen Sozialhygiene, Goebbels gegen Goethe und streicht z. B. die Passagen über Hitler, über Auslese, Erbmasse und Zwangssterilisation.“[17]
1948 erhielt Kollath den Entnazifizierungsbescheid (zunächst: Kategorie IV, nach Kollaths Einspruch: Kategorie V) und forschte von September 1948 bis Februar 1949 am Pathologischen Institut in Stockholm. 1950 veröffentlichte er das Buch Der Vollwert der Nahrung und seine Bedeutung für Wachstum und Zellersatz. Kollath spricht darin von einer „Vollwertlehre“. Er setzte sich auch nach 1950 für die Popularisierung der Vollwerternährung ein und arbeitete unter anderem am ersten Gesundheitsbrockhaus mit. Ab 1951 ließ er das so genannte „Kollath-Frühstück“, das im Wesentlichen aus Frischkornbrei bestand, über Reformhäuser vertreiben. Daneben ließ er auf Grundlage seiner Ernährungsforschung Tierfutter und Probiotika herstellen und vertreiben.[18]
Während einer privaten Reise durch Chile wurde ihm eine Forschungsstelle für Hygiene an der Medizinischen Fakultät in Santiago de Chile angeboten, die Kollath aber ablehnte. Im April 1952 wurde er rückwirkend zum April 1951 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und erhielt so wieder Dienstbezüge. Grundlage war angeblich ein amtsärztliches Gutachten. Von 1952 bis 1956 widmete sich Kollath Tierversuchen an der Uni München, um seine Hypothesen zur Mesotrophie durch nicht vollwertige Ernährung zu belegen.[19]
Kollath war von 1956 bis 1970 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung (IVG) und ab 1964 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Arbeitskreises Gesundheitskunde.[20]
Die Theorie
Nach Kollaths Theorie enthielten nur möglichst unbehandelte Lebensmittel genügend essentielle Inhaltsstoffe, die er „Auxone“ nannte. Diese „Auxone“ waren Kollath zufolge für die Zellteilung wichtig. Durch ihr Fehlen in der Ernährung könnte „Mesotrophie“ hervorgerufen werden – eine Mangelernährung, die zu chronischen Erkrankungen führe.[21] Dem „Kalorienwert“ stellte er den „Frischwert“ gegenüber; die Nahrungsenergie sei der „Teilwert“, die Frische dagegen der „Vollwert“ der Nahrung. Gekochte Kost war seiner Auffassung nach grundsätzlich nur „teilwertig“. Kollath unterteilte die Nahrung in zwei große Gruppen: die „Lebensmittel“ und die „Nahrungsmittel“. Ein „Lebensmittel“ ist Kollath zufolge „lebende Kost“, die sogenannte „Fermente“ enthalte. Ein „Nahrungsmittel“ sei dagegen „tote Nahrung“, „in der diese Fermente – meist durch Erhitzung – vernichtet sind“.[22] Beide Gruppen unterteilte er in jeweils drei „Wertgruppen“:[23]
- Lebensmittel:
- natürlich
- mechanisch verändert
- fermentativ verändert
- Nahrungsmittel:
- erhitzt
- konserviert
- präpariert
Alle sechs so von Kollath postulierten „Wertgruppen“, später als „Wertstufen“ rezipiert,[24] enthalten Nahrung sowohl pflanzlichen als auch tierischen Ursprungs, außerdem Getränke. Je geringer der Grad der Verarbeitung, desto höher galt der Wert der Nahrung. Pflanzliche Nahrung wird von ihm grundsätzlich höher bewertet als tierische, Rohkost höher als verarbeitete Nahrung. Den höchsten Wert ordnete Kollath den „natürlichen Lebensmitteln“ zu. Diese Wertstufe umfasst diverse Nüsse, Ölfrüchte, Getreidearten, Gemüsefrüchte, Obst, Gemüse und „Würzkräuter“, aber auch Honig, Rohmilch, Muttermilch, rohe Eier, „Naturquellwasser“ bzw. Mineralwasser von der Quelle.[25]
Auf dieser Theorie beruhen sein „Vollwertbegriff“ und zahlreiche Begründungen für die Vollwertkost.
Wirkung und Rezeption
Kollath schrieb 326 Fachpublikationen, darunter 28 Bücher. Sein 1942 erstmals veröffentlichtes Hauptwerk Die Ordnung unserer Nahrung gilt als Grundlage der Vollwerternährung. 2005 erschien mit der 17. die bislang jüngste Auflage des Buches.[15] Die „wissenschaftliche Autobiographie“ Zur Einheit der Heilkunde, die mit einer Lobpreisung Adolf Hitlers abschloss, veröffentlichte Kollath ebenfalls erstmals 1942. Sie wurde zuletzt 1988 neu aufgelegt. Nach Auffassung des Medizinhistorikers Robert Jütte merke man auch dieser „durchgesehenen“, gesäuberten Neuauflage die Gesinnung des Verfassers noch an.[3]
Anerkennung fand Kollath für seine Arbeiten zur Ernährung in den 1950er und 1960er Jahren vor allem von der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung (IVG), dem Weltbund zum Schutz des Lebens, dem 1964 gegründeten Arbeitskreis Gesundheitskunde und von Alternativmedizinern. Sowohl Max Otto Bruker als auch Johann Georg Schnitzer gaben Kollath als Inspirationsquelle für ihre Ernährungskonzepte an. 1982 berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einem Artikel kritisch über verschiedene kommerzielle Anbieter aus dem Bereich der Naturheilkunde und Reformkost, die sich in ihren Angeboten auf die Ideen Kollaths beriefen. Auf „Vortragsreisen im Dienst der Reformhaus-Branche“ hätte Kollath einst dafür gesorgt, dass sich der „Glaube an die geheimnisvollen ‚Vital- und Aufbaustoffe‘“ weit verbreitete und zur „Basis für blühende Geschäfte“ werden konnte. Die Mesotrophie-These hätte nicht nur das Gesundheitsimage der Reformhauskost untermauert, sondern auch „Wohlstand für Kollath und seine Jünger“ gebracht.[26]
Gegen Kollaths Theorien und Versuchsmethoden wurden schon in den 1950er Jahren von mehreren Fachkollegen und der Deutschen Gesellschaft für Physiologische Chemie Einwände erhoben. So wurde zum Beispiel bestritten, dass das von Kollath beschriebene Zustandsbild der „Mesotrophie“ ein spezifisches Krankheitsbild ist. Es entstehe vielmehr infolge unzureichender Zufuhr verschiedener Nährstoffe und sei in keiner Weise ein Modell für die „Zivilisationskrankheiten“ des Menschen. Die Kritik kam auch von Forschern und Forschungsinstituten, auf die sich Kollath noch 1954 als Unterstützung seiner Auffassungen berufen hatte. So kritisierte zum Beispiel der schwedische Arzt Torsten Gillnäs, dass „die von Kollath sowohl früher wie in Stockholm benutzte Grunddiät für derartige Versuche nicht geeignet ist“. Kollaths Versuche seien in Stockholm nicht bestätigt worden und die verwendete Kost habe „vermutlich gewisse Vitamine als Beimischung in unbekannten Quantitäten enthalten“. Der deutsche Oberfeldarzt W. Grab meinte 1952, „dass man Casein für Vitaminversuche sehr sorgfältig reinigen muss“, sei „in der Vitaminforschung allgemein bekannt, da Spuren zurückgelassener Vitamine die Versuchsergebnisse ändern können“. Für die Existenz von „Auxonen“ fehle jeder Beweis.[27]
Der Begriff „Auxone“ hat sich auch später nicht durchgesetzt. Nach aktuellem Wissensstand erfasst er ungefähr eine Kombination von B-Vitaminen (mit Ausnahme von Thiamin), sekundären Pflanzenstoffen und einigen Spurenelementen.[28]
Nach Meinung der Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann und Bernhard Watzl beeinträchtigen „die aus heutiger Sicht nicht zutreffenden Schlußfolgerungen aus den Mesotrophieversuchen Kollaths“ „keineswegs die richtungsweisenden Ergebnisse und die ernährungsphysiologischen Bedeutungen seiner anderen umfangreichen Arbeiten“. Die beiden Protagonisten der Vollwert-Ernährung beziehen sich damit auf Kollaths „Ordnung der Nahrung“ und seine Betonung der ernährungsphysiologischen Bedeutung des Getreides für den Menschen. Darin komme überzeugend zum Ausdruck, „dass natürliche Beschaffenheit und Ganzheit der Nahrung den Organismus am ehesten in die Lage versetzen, Zellteilung und Wachstum über die gesamte Lebensdauer kontinuierlich und optimal aufrechtzuerhalten“.[29]
Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer und die Biologin Susanne Warmuth thematisierten dagegen Widersprüche in Kollaths „Ordnung der Nahrung“. Seine Zuordnung der Nahrung zu den Wertstufen sei gelegentlich nicht nachvollziehbar. Zum Beispiel werde hitzebehandeltes Muskelfleisch mit der Wertstufe 4 versehen, Innereien würden dagegen zu den isolierten Substanzen mit der Wertstufe 6 sortiert. Blanchierte Hülsenfrüchte werde Wertstufe 1 („natürliche Lebensmittel“) zugeordnet, Fruchtsäfte würden jedoch in die Wertstufe 4 („erhitzte Nahrungsmittel“) sortiert. Früchtetee gelte als „unerhitzt“, Malzkaffee dagegen als „erhitzt“. Muscheln würden als „mechanisch verändert“ eingestuft.[30] Pollmer verwies zudem darauf, dass das Vollwertkost-Konzept von Kollath lediglich mit fragwürdigen Tierversuchen an Ratten begründet wurde, und kritisierte diese Methodik. Aus heutiger Sicht lasse sich aus Kollaths Versuchen nur eine „Conclusio“ mit Sicherheit ableiten: „Die klassischen Experimente der Vitaminforschung bedürfen dringend einer Überprüfung mit modernen Methoden.“[31]
Erkenntnisstand zu den gesundheitlichen Aspekten der Nahrungsverarbeitung
Schon zu Kollaths Lebzeiten gab es bereits hygienische und ernährungsphysiologische Gründe für die Nahrungsverarbeitung. Rohkost kann im Vergleich zu gegarter Kost zu einer unvollständigeren Verdauung führen, was die Aufnahme von Vitaminen und Spurenelementen verschlechtert sowie Mangelerkrankungen und Blähungen begünstigt.[32] Einige pflanzliche Fraßgifte wie die in Hülsenfrüchten vorkommenden Phasine und die cyanogenen Glykoside werden erst durch Hitzeeinwirkung weitgehend zerstört. Beim Keimvorgang wird nur ein Teil des Phasingehalts abgebaut.[33] Die Zellmembrane werden durch Erhitzen vollständiger aufgebrochen, wodurch mehr Nährstoffe zur Verfügung stehen.[34]
Zwicky-Lizenz zur schonenden Verarbeitung von Getreide
1956 ging die Schweizer Schälmühle Zwicky in Mühlheim-Wigoltingen einen Lizenzvertrag mit Werner Kollath ein und startete mit der Fabrikation des nach ihm benannten küchenfertigen “Kollath-Frühstück”[35] nach einem gemäß Firmenangaben besonders schonenden und stabilisierenden Verfahren, „Collatieren“ genannt.[36] Das Produkt befindet sich auch 2019 im Sortiment und mit veränderter Verpackung auch im Sortiment des grössten Schweizer Detailhändlers Migros.[37]
Auszeichnungen
- 1957: Goldene Bircher-Benner-Medaille der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung (IVG)[18]
- 1966: Hufeland-Medaille des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilkunde[18]
Schriften
- Vitaminsubstanz oder Vitaminwirkung? Eine Studie über Zusammenhänge zwischen Mineral- und Sauerstoff-Stoffwechsel, Phosphatiden und ultraviolettem Licht, geprüft an den Wachstumsbedingungen des Influenzabazillus (Bazillus Pfeiffer), in: Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten 100, 1926, 97–145.
- Grundlagen, Methoden und Ziele der Hygiene. Eine Einführung für Mediziner und Naturwissenschaftler, Volkswirtschaftler und Techniker, Leipzig 1937.
- Zur Einheit der Heilkunde, Stuttgart 1942 (Autobiographie).
- Die Ordnung unserer Nahrung. Grundlagen einer dauerhaften Ernährungslehre, Stuttgart 1942.
- Lehrbuch der Hygiene, 2 Bde., Stuttgart 1949.
- Der Vollwert der Nahrung und seine Bedeutung für Wachstum und Zellersatz. Experimentelle Grundlagen, Stuttgart 1950.
- Getreide und Mensch – eine Lebensgemeinschaft, Bad Homburg v. d. H. 1964
Kollath als Maler und Grafiker
Werner Kollath war neben seiner beruflichen Tätigkeit als nebenamtlicher Maler und Grafiker tätig und dazu ab 1940 Mitglied der Reichskulturkammer.[38][39] Das Städtische Kunst- und Altertumsmuseum Rostock widmete ihm 1940 eine Ausstellung.[40][41] 1942 gab er eine Mappe mit Lithographien und Steinzeichnungen heraus: Aus Rostocks schwersten Tagen. Auf zehn Blättern thematisierte er die Zerstörungen Rostocks, die durch die Fliegerangriffe im April 1942 verursacht wurden.[42] Kollath war mit drei Werken vertreten auf der vom Kulturbund veranstalteten „Jahresschau 1945 der Kunstschaffenden aus Mecklenburg-Vorpommern“ im Landesmuseum Schwerin.[43]
Literatur
- Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon. Saur, München 2007, S. 234–238, ISBN 978-3-598-11775-6.
- Jörg Melzer: Vollwerternährung. Diätetik, Naturheilkunde, Nationalsozialismus, sozialer Anspruch. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2003. ISBN 3-515-08278-6.
- Uwe Spiekermann: Der Naturwissenschaftler als Kulturwissenschaftler. Das Beispiel Werner Kollaths. In: Gerhard Neumann, Alois Wierlacher, Rainer Wild (Hg.): Essen und Lebensqualität: Natur- und Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2001; S. 247–274. ISBN 3-593-36852-8.[1]
- Alexander Ströhle: Rück- und Seitenblicke im Zeitalter der Ernährungsver(w)irrung: Eine Hommage an Werner Kollath. Ralf Reglin Verlag, Köln 2009. ISBN 978-3-930620-58-6.
- Herbert Warning: Kollath. Wissenschaftliche Arbeiten. Bad Homburg v.d.H. 1963.
- Bernhard Watzl, Claus Leitzmann: Eine Kommentierung der ernährungswissenschaftlichen Arbeiten von Werner Kollath. In: Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung. 17. Auflage, Karl F. Haug Verlag, Stuttgart 2005; S. 289–299. ISBN 3-8304-7210-2.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Diese Angaben stehen auf Kollaths NSDAP-Mitgliedsausweis; vgl. Jörg Melzer: Vollwerternährung. Diätetik, Naturheilkunde, Nationalsozialismus, sozialer Anspruch, Stuttgart 2003, S. 216.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 219.
- ↑ 3.0 3.1 Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Beck, München 1996, S. 58.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 215.
- ↑ Zitiert nach Jörg Melzer 2003, S. 214.
- ↑ Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Zweite aktualisierte Auflage, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005, S. 329, ISBN 978-3-596-16048-8
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 249.
- ↑ 8.0 8.1 Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung, 13. Auflage 1987, Seite 201.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 225f.
- ↑ Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Kollath, Werner In: Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich: Ein biographisches Lexikon., Walter de Gruyter 2007, S. 236. ISBN 3-598-11775-2.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 231.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 232–233.
- ↑ Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Kollath, Werner In: Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich: Ein biographisches Lexikon., Walter de Gruyter 2007, S. 236–237. ISBN 3-598-11775-2.
- ↑ Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Kollath, Werner In: Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich: Ein biographisches Lexikon., Walter de Gruyter 2007, S. 237. ISBN 3-598-11775-2.
- ↑ 15.0 15.1 Gunther Viereck: Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath In: Gisela Boeck, Hans-Uwe Lammel (Hrsg.): Die Universität Rostock in den Jahren 1933–1945: Referate der interdisziplinären Ringvorlesung des Arbeitskreises „Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ im Sommersemester 2011, Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte Band 21, Universität Rostock 2012, ISBN 978-3-86009-132-6; S. 107–113. PDF-Volltext.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 268.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 271.
- ↑ 18.0 18.1 18.2 Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Kollath, Werner In: Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich: Ein biographisches Lexikon., Walter de Gruyter 2007, S. 238. ISBN 3-598-11775-2.
- ↑ Jörg Melzer 2003, S. 279f.
- ↑ Eintrag zu Lua error in Module:Wikidata at line 884: attempt to index field 'wikibase' (a nil value). im Catalogus Professorum Rostochiensium
- ↑ Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung, 16. Auflage, Karl F. Haug Fachbuchverlag, Heidelberg 1998. ISBN 978-3-7760-1699-4.
- ↑ Jörg Melzer: Vollwerternährung. Diätetik, Naturheilkunde, Nationalsozialismus, sozialer Anspruch. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2003, ISBN 3-515-08278-6, S. 253.
- ↑ Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung. 13. Auflage 1987, S. 32 ff.
- ↑ Bernhard Watzl, Claus Leitzmann: Eine Kommentierung der ernährungswissenschaftlichen Arbeiten von Werner Kollath In: Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung. 17. Auflage, Georg Thieme Verlag 2013, ISBN 978-3-8304-7801-0, S. 289 ff.
- ↑ Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung. 13. Auflage 1987, S. 50/51.
- ↑ Unterwertiges Dasein durch Halbwertkost – Die wissenschaftlichen Theorien der Reformkost-Anhänger. In: Der Spiegel. 30/1982, 26. Juli 1982.
- ↑ Hans-Werner Altmann, Franz Büchner, Erich Letterer: Ernährung – Handbuch der allgemeinen Pathologie, Elfter Band, Erster Teil. Springer-Verlag, 1962, ISBN 3-662-28643-2, S. 3–4.
- ↑ Auxone. In: Lexikon der Ernährung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2001.
- ↑ Bernhard Watzl, Claus Leitzmann: Eine Kommentierung der ernährungswissenschaftlichen Arbeiten von Werner Kollath. In: Werner Kollath: Die Ordnung unserer Nahrung. 17. Auflage, Georg Thieme Verlag 2013, ISBN 978-3-8304-7801-0, S. 299.
- ↑ Udo Pollmer, Susanne Warmuth: Lexikon der populären Ernährungsirrtümer. Piper, München 2006, ISBN 978-3-492-24023-9, S. 324 ff.
- ↑ Udo Pollmer: Kollath – ein Denkmal wankt. ( vom 24. September 2015 im Internet Archive) In: EU.L.E.N-Spiegel. 7. Jahrgang, Nr. 1, 15. März 2001, S. 6.
- ↑ C. Koebnick, C. Strassner, I. Hoffmann, C. Leitzmann: Consequences of a long-term raw food diet on body weight and menstruation: results of a questionnaire survey. In: Ann Nutr Metab. Band 43, Nr. 2, 1999, PMID 10436305, S. 69–79.
- ↑ Claus Leitzmann: Die 101 wichtigsten Fragen – Gesunde Ernährung, C. H. Beck 2010; S. 35–36. ISBN 978-3-406-59979-8.
- ↑ Jeremy M. Berg, John L. Tymoczko, Lubert Stryer: Stryer Biochemie. 7. Auflage, Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2013, ISBN 978-3-8274-2988-9.
- ↑ Jürg Klopfenstein: Schweizerische Schälmühle E. ZWICKY AG, Thurgauer Jahrbuch, Band 42 (1967), S. 87–96
- ↑ E. ZWICKY AG: Gesundes aus der Natur, St. Galler Tagblatt, 24. Februar 2017
- ↑ Bio-Kollath-Frühstück, Migros-Homepage, abgerufen am 3. Oktober 2019
- ↑ Eintrag zu Lua error in Module:Wikidata at line 884: attempt to index field 'wikibase' (a nil value). im Catalogus Professorum Rostochiensium
- ↑ Theodor Struck: Künstler aus innerer Berufung. Universitätsprofessor Dr. Werner Kollath als Maler. In: Mecklenburgische Monatshefte. Band 16, Nr. 192, Schwerin 1940,
- WEITERLEITUNG Vorlage:ZDB S. 232–233, (Volltext).
- ↑ Prof. Dr. Werner Kollath, Seestadt Rostock, Kunstverein zu Rostock, 13. Oktober 1940 – 10. November 1940, Städtisches Kunst- und Altertumsmuseum. In: Ausstellungsverzeichnis Kulturhistorisches Museum Rostock, (PDF, S. 69 von 81)
- ↑ Hans Arnold Gräbke: Ausstellung Prof. Dr. Werner Kollath. Kunstverein zu Rostock 13. Okt.-10. Nov. 1940. Im Städtischen Kunst- und Altertumsmuseum. Hinstorff, Rostock 1940.
- ↑ Ingrid Ehlers, Ortwin Pelc, Karsten Schröder: Rostock – Bilder einer Stadt. Stadtansichten aus fünf Jahrhunderten. Konrad-Reich-Verlag, Rostock 1995, ISBN 3-86167-065-8, S. 149/206 f.
- ↑ Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands: Jahresschau 1945 der Kunstschaffenden aus Mecklenburg-Vorpommern im Landesmuseum zu Schwerin vom 25. November bis 31. Dezember 1945. Schwerin 1945 (SLUB Dresden [abgerufen am 20. Oktober 2021]).
Personendaten | |
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NAME | Kollath, Werner |
ALTERNATIVNAMEN | Kollath, Werner Georg (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Bakteriologe, Hygieniker und Ernährungsforscher |
GEBURTSDATUM | 11. Juni 1892 |
GEBURTSORT | Gollnow, Pommern |
STERBEDATUM | 19. November 1970 |
STERBEORT | Porza, Lugano |