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Beschluss vom 23. November 2020

From Wickepedia
Doc:20201123-er1-sg.redacted

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[ 1 ]

Ihr Zeichen Aktenzeichen (Bitte stets angeben) Durchwahl Datum
--- S 12 KR 1265/20 ER 108 23.11.2020
[ 2 ]Beglaubigte Abschrift

S 12 KR 1265/20 ER

SOZIALGERICHTMÜNCHEN

In dem Antragsverfahren

F[..], 80796 München
- Antragsteller -

gegen

Techniker Krankenkasse, Hauptverwaltung, vertreten durch den Vorstand, Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg
- Antragsgegnerin -

Krankenversicherung

erlässt die Vorsitzende der 12. Kammer, Richterin am Sozialgericht Prof. Dr. Wicke, ohne mündliche Verhandlung am 17. November 2020 folgenden

Beschluss:
I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. [ 3 ]

Gründe:

1.

Der am [..] geborene Antragsteller ist Mitglied der Antragsgegnerin. Er leidet unter einer sehr seltenen, multipel vorbehandelten onkologischen Grunderkrankung und einer Eisenüberladung.

Am 16.07.2020 bat die den Antragsteller behandelnde Onkologin Dr. [..] die Antragsgegnerin um Übernahme der Kosten eines "Off-Label-Use" für das Medikament Exjade im Rahmen einer Chelat-Therapie. Dieses sei zwar nicht für die hier gegenständliche Behandlung zugelassen, doch seien andere Medikationen - insbesondere die Phlebotomie - hier nicht durchführbar. Zur Vermeidung sekundärer Organschäden durch die Eisenüberladung sei eine Behandlung mit Exjade daher notwendig. Für die Antragsgegnerin erstellte daraufhin Dr. Moscatelli am 29.07.2020 ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. Dieser stellte fest, dass die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use nicht gegeben seien. Dies wurde nach Vorlage weiterer Unterlagen durch den Antragsteller auch durch das Wiederholungsgutachten am 18.09.2020 bestätigt. Zwar läge eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung vor, nicht erfüllt sei jedoch das Kriterium der fehlenden Behandlungsalternative sowie das Erfordernis einer ausreichend gesicherten Datenlage. Die Voraussetzungen für einen off-labeluse, und damit für die begehrte Arzneimittelgewährung durch die Antragsgegnerin seien nicht nachgewiesen.

Mit Bescheid vom 24.09.2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Versorgung mit dem Arzneimittel Exjade daher ab. Bereits am 17.09.2020 stellte der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München.

Er beantragt sinngemäß,

die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteiles mit dem Arzneimittel Exjade zu versorgen. [ 4 ]Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

2.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, aber unbegründet.

Gemäß § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint Hierzu muss glaubhaft gemacht sein, dass das geltend gemachte Recht des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile erleidet (Anordnungsgrund). Nach dem Sinn und Zweck von § 86b Abs. 2 SGG sollen mittels des dort geregelten Instrumentes des einstweiligen Rechtsschutzes irreparable Entscheidungen durch die Verwaltung und damit endgültige, vorn Gericht nicht mehr zu korrigierende Umstände, verhindert werden. Demzufolge kann eine einstweilige Anordnung vor einer gerichtlichen Entscheidung in der auptsache nur erlangt werden, wenn ohne die begehrte Anordnung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden und diese auch nicht durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden könnten. Zudem muss der Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich sein und diese darf nicht durch die einstweilige Anordnung erledigt oder vorweggenommen werden. Lässt also die im Eilverfahren durchgeführte Prüfung bereits erkennen, dass das vorn Antragsteller behauptete Recht zu seinen Gunsten nicht besteht, so ist auch eine einstweilige Anordnung (gemäß § 86b Abs. 2 SGG nicht möglich, weil dann eine sicherungsfähige und sicherungswürdige Rechtsposition fehlt. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigung entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, sind die Gerichte verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch zu prüfen, sondern abschließend, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.2007 -1 BvR 2496/07 -, juris; Beschluss vorn 12.05.2005 [ 5 ]1 BvR 569/05 – juris). Ist eine abschließende Prüfung nicht möglich, ist eine Folgenabwägung durchzuführen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in den Fällen, in denen ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes weniger schwere Beeinträchtigungen zu erwarten sind, die summarische Prüfung eines Anordnungsanspruchs, also des Erfolgs in der Hauptsache, verfassungsrechtlich zulässig ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27.07.2016 -1 BvR 1241/16 -, juris). Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten Anordnung zugunsten des Antragstellers nicht erfüllt.

Es scheitert an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Versicherte in der Gesetzlichen Krankenversicherung haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch äuf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Diese Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Fertigarzneimittel (vgl. dazu § 4 Abs. 1 Arzneimittelgestz [AMG]) sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) allerdings dann nicht von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung nach 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 sowie § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.12.2009, L 16 B 37/09 KR ER; Urteil vom 08.10.2009, L 16 KR 60/07; Beschluss vom 13.01.2009 - L 16 KR 218/08; vgl. hierzu auch Bundessozialgericht,, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R = BSGE 89,184 - Sandoglobulin; Urteil vom 29.09.2006, B 1 KR 14/06 R - Cabaseril). Die Zulassung für Exjade beschränkt sich auf die Behandlung von chronischer Eisenüberladung auf Grund häufiger Transfusionen, chronischer, transfusionsbedingter Eisenüberladung, wenn eine Deferoxamin-Therapie kontraindiziert ist. Die Behandlung der beim Kläger vorliegenden nicht-transfusionsabhängigen, nicht thalassämiebedingten chronischen Eisenüberladung Überschreitet damit den Anwendungsbereich und die Zulassung des Medikaments Exjade. Hiervon gehen - neben dem MDK Bayern - auch die behandelnden Ärzte des Antragstellers aus, vgl. Stellungnahme von Dr. [..] vom 16.07.2020.

Eine zulassungsüberschreitenden Anwendung von Exjade auf Kosten der GKV (sog, label-use") scheidet aber ebenfalls aus. Ein solcher "Off-label-use" kommt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden [ 6 ]Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Abzustellen ist dabei auf die bereits im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. Bundesssozialgericht, Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R - Venimmun). Auch wenn es sich bei der beim Antragsteller bestehenden Krebserkrankung nebst der Eisenüberladung zweifelsohne um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handelt, so kommt die Behandlung des Antragstellers auf Kosten der Antragsgegnerin nach den n des "Off-label-use" dennoch nicht in Betracht. Zum einen ist wie auch der MDK in seinen Stellungnahmen ausgeführt hat - nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass tatsächlich alle zur Verfügung stehenden Standardtherapien beim Antragsteller fehlgeschlagen sind. Es steht darüber hinaus aber auch noch ein anderer Aspekt der zulassungsüberschreitenden Anwendung entgegen. Es wurden nämlich von den behandelnden Ärzten bislang keine hinreichenden Unterlagen benannt, aufgrund derer davon auszugehen wäre, dass wegen der vorliegenden konkreten Datenlage begründete Aussicht darauf besteht, dass gerade mit dem begehrten Arzneimittel Exjade ein allgemeiner Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum "Off-label-use" nämlich nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit, des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R = BSGE 89, 184 [192] - Sandoglobulin). Diese Erkenntnisse sind vorliegend nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Vielmehr erscheint die Datenlage derzeit noch unzureichend.

Das Gericht weist auch darauf hin, dass diese Anforderungen kein Selbstzweck sind. Eine Verwendung von Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereichs birgt nämlich durchaus Risiken. So wird in umfangreichen Verfahren und Test im Rahmen des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens die Sicherheit und Qualität der Arzneimittel kontrolliert. Es ist damit nicht zuletzt der Schutz der Versicherten vor unkalkulierbare Risiken für die Gesundheit, die eine Verwendung von Arzneimitteln außerhalb des Zulassungsbereiches [ 7 ]nur in engen Grenzen in Betracht kommen lassen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss, vom 17.12.2009, L 16 B 37/09 KR ER; Bundessozialgericht, Urteil vom Urteil vom 28.02.2008, B 1 KR 15/07 R - Venimmun).

Das Gericht sieht sich auch nicht veranlasst, eine weitere ärztliche Stellungnahme anzufordern. Es ist gemäß § 920 Absatz 2 ZPO in Verbindung mit § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG Sache der Bevollmächtigten der Antragstellerin, das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft zu machen. Die Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung ist im Antragsverfahren insoweit eingeschränkt.

Auch der Eintritt einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V konnte hier nicht, hinreichend glaubhaft gemacht werden, da die Antragsgegnerin den Antragsteller über die Einholung eines Gutachtens informiert und damit eine fünf Wochenfrist in Gang gesetzt hatte und darüber hinaus die Mitwirkung des Antragstellers zur Bearbeitung des Antrags erforderlich war.

Davon abgesehen bleibt dem einstweiligen Rechtsschutzgesuch auch wegen des Fehlens eines Anordnungsgrundes der Erfolg versagt. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm ohne eine vorläufige Kostenübernahme für das Medikament Exjade gewichtige gegenwärtige und später nicht wieder gut zu machende Nachteile drohen oder solche schon eingetreten sind. Ihm stehen andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Nach alledem konnte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass damit zunächst nur über den einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Es ist dem Antragsteller unbenommen, sein Begehren im Rahmen des Hauptsacheverfahrens weiterzuverfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Absatz 1 SGG.

(letzte Seite mit Rechtsmittelbelehrung und Gerichtssiegel fehlt) [ 8 ]26.11.2020