Die Zivilklausel (von zivil = bürgerlich, unmilitärisch, und Klausel = Einzelbestimmung in einem Vertragswerk, englisch Civil Clause) ist eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen. Die erste Zivilklausel trat 1986 an der Universität Bremen in Kraft. Heute haben sie mehrere deutsche Hochschulen eingeführt. Zivilklauseln gibt es nur in wenigen anderen Ländern, vor allem in Japan. Die Idee der Zivilklausel kommt aus der Friedensbewegung und ist direkt mit einer Politik der Abrüstung verbunden.
Geschichte
In seinem Beschluss Nr. 5113 legte die Universität Bremen 1986 fest, dass „jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung“ vom Akademischen Senat abgelehnt werden müsse. Insbesondere forderte die Zivilklausel „die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können.“ 1992 wurde diese Klausel in Bremen erneuert. Zivilklauseln führten auch Hochschulen in Berlin (TU), Dortmund, Konstanz, Oldenburg und Tübingen ein.
Im Bundesland Niedersachsen war die Zivilklausel zwischen 1993 und 2002[1] Teil des Niedersächsischen Hochschulgesetzes. Die Formulierung des §27 lautete: „Die Forschung in den Hochschulen dient der Gewinnung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnis, deren allgemeiner Verbreitung und praktischer Nutzung für friedliche und die natürlichen Lebensgrundlagen erhaltenden Zwecke sowie der wissenschaftlichen Grundlegung und Weiterentwicklung von Lehre und Studium.“[2] Eingeführt hatte die Zivilklausel im Landeshochschulgesetz Helga Schuchardt, Wissenschaftsministerin in der Landesregierung unter Gerhard Schröder (SPD).
Die Universität Tübingen schrieb die Zivilklausel im September 2010 in ihre Grundordnung. An mehreren Hochschulen bildeten sich in den letzten Jahren Initiativen gegen Rüstungsforschung. So stimmten Ende 2010 in Köln 65 % für die Einführung einer Zivilklausel.[3] Im Juni 2012 sprachen sich die Studierenden der Universität Augsburg auf einer nicht beschlussfähigen Vollversammlung mit 77 % (144 dafür, 38 dagegen, 4 Enthaltung) für die Aufnahme einer Zivil- und Transparenzklausel in die universitäre Grundordnung aus.[4] Hierbei geht es vor allem um die Befürchtungen, die mit dem Innovationspark einhergehen.
Im Grün-Roten Koalitionsvertrag der im Frühjahr 2011 gewählten neuen Baden-Württembergischen Landesregierung ist die Zivilklausel nicht zu finden, obwohl beide Koalitionspartner sich zuvor dafür starkgemacht hatten.[5] An der TU Darmstadt wurde 2012 eine Zivilklausel in die Grundordnung der Universität aufgenommen,[6] zu welcher der Senat der TU im November 2014 zudem das bis heute einzige Umsetzungsverfahren beschloss.[7] Auch in Frankfurt sprachen sich 2013, in einer Urabstimmung, über 76 Prozent der Studierenden an der Uni Frankfurt dafür aus, einen Passus in die Grundordnung zu übernehmen, dass "Forschung und Studium zivilen und friedlichen Zwecken" dienen solle.[8] In Göttingen stimmte der Senat im Februar 2013 für die Aufnahme einer Zivilklausel in die Studienordnung.[9]
Während die Studierenden der Uni Kiel[10] sich in einer nicht weisungsbefugten Befragung mit 2/3 für eine Zivilklausel ausgesprochen haben, sperrt sich die Universitätsleitung dagegen. Der Leiter des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik Joachim Krause fand in einer Stellungnahme, dadurch werden wissenschaftliche Kontakte mit der Bundeswehr oder der wehrtechnischen Industrie diskreditiert.[11] „[D]erartige Klauseln [werden] von linken und vor allem linksextremen Gruppen [...] genutzt [...], um den Betrieb an der Universität entweder in ihrem Sinne zu steuern oder diesen zu stören.“ Nach Informationen des German Foreign Policy[12] sollen ihn in einer früheren Fassung seiner Stellungnahme Zivilklauseln „fatal an Zeiten, in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren“ erinnert haben.
Sonderfall Karlsruhe
Eine Sonderstellung nimmt die Universität Karlsruhe ein. Sie fusionierte 2009 mit dem Forschungszentrum Karlsruhe zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Weil das Forschungszentrum früher Kernforschungszentrum hieß und dieses aufgrund des Potsdamer Abkommens und des Kernwaffenforschungsverbots auf zivile Forschung festgelegt war, stellte sich die Frage, ob diese Zivilklausel nun auch bei der Fusion mit der Hochschule auf das neue KIT übergehen solle. Der Streit darüber dauert an. Die Partei Die Linke brachte im Juni 2009 dazu eine Kleine Anfrage an den Deutscher Bundestag ein.[13]
Dual Use
Viele Forschungseinrichtungen lehnen die Implementierung einer Zivilklausel mit der Begründung ab, dass sie sowieso nur im zivilen Bereich forschten. Die Befürworter von Zivilklauseln halten das für ein Scheinargument, weil sich sehr viele, vermeintlich friedliche Forschungsbereiche auch für den militärischen Einsatz eigneten. Der englische Fachbegriff dafür ist „Dual-Use“ – ein doppelter Verwendungszweck. Zum Beispiel könnte eine Zivilklausel der TU München vorschreiben, nicht für Firmen im rüstungsrelevanten Bereich an Satellitensystemen zu forschen, weil diese leicht auch im Kriegskontext zum Einsatz kommen könnten. Auch bei alten Zivilklausel-Universitäten, wie z. B. Bremen, gibt es immer wieder interne Diskussionen darüber, ob bestimmte Forschungsgebiete gegen die dortige Zivilklausel verstoßen oder nicht. Eine andere Form der Dualität vermutet der in Bremen lehrende Informatikprofessor Hans-Jörg Kreowski. Er hält die Zivilklausel für ein Werbeargument, welches viele Firmen anziehe, hier zu investieren, während andere Universitäten eine Einbuße bei den Unternehmenskooperationen befürchten.
Kritik
Neben der Problematik des Dual Use wird angebracht, dass, wenn an einer Universität keine militärische Forschung mehr stattfinden kann, das Themenfeld der Sicherheits- und Rüstungspolitik mangels Notwendigkeit aus der hochschulpolitischen Öffentlichkeit verschwinden würde. Des Weiteren würden die ohnehin im Verteidigungshaushalt veranschlagten Mittel sich von der Bildungseinrichtung Universität zur Rüstungsindustrie verlagern.[14]
Liste deutscher Hochschulen mit Zivilklausel
- Technische Universität Berlin
- Universität Bremen
- Universität Konstanz
- Technische Universität Dortmund
- Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
- Technische Universität Ilmenau
- Eberhard Karls Universität Tübingen
- Universität Rostock
- Hochschule Bremen
- Hochschule Bremerhaven
- Technische Universität Darmstadt
- Georg-August-Universität Göttingen
- Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Westfälische Wilhelms-Universität Münster
- Universität Kassel
- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Quelle:[15]
US-Militärforschung an deutschen Hochschulen
Am 25. November 2013 berichteten die Süddeutsche Zeitung und der NDR im Rahmen ihrer gemeinsamen Serie Geheimer Krieg über militärische Forschungsprojekte an deutschen Hochschulen, die vom US-Verteidigungsministerium finanziert würden.[16][17] Darunter befinden sich auch Hochschulen, die sich mit einer Zivilklausel dazu bereit erklärt hatten, auf militärische Forschung zu verzichten.
Nach Recherchen des Spiegels wurden von 2008 bis 2019 21,7 Millionen US-Dollar in verschiedenen Forschungsprogrammen vom US-Verteidigungsministerium an deutsche Forscher überwiesen. Diese Förderung sei vor allem auf technische und naturwissenschaftliche Wissenschaftsbereiche konzentriert.[18] Demnach habe die Ludwig-Maximilians-Universität München fast 3,7 Millionen US-Dollar in 23 Einzelsummen erhalten, auch 1,72 Millionen US-Dollar in einer Suche nach einem Ersatz für den militärisch genutzten Sprengstoff Hexogen[19].
Weblinks
- Website des bundesweiten Zivilklausel-Bündnisses Initiative Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel!: www.zivilklausel.de
- Website der Initiative Friedliche Uni Augsburg: friedliche-uni-augsburg.blogspot.de/
- Aufruf von Verdi, GEW und verschiedenen akademischen Friedensgruppen zur Zivilklausel
- TAZ: Die Universität Bremen streitet über ihre Zivilklausel.
- Gutachten (PDF; 91 kB) der Hans Böckler Stiftung zur Zivilklausel in Karlsruhe
- Webseite zur Zivilklausel des AStA der TU Braunschweig: www.zivilklausel.org
- Webseite des Arbeitskreises Zivilklausel an der Goethe-Universität Frankfurt: zivilklausel-ffm.info
- Webseite des Referates Zivilklausel der Studierendenvertretung der Universität Konstanz: cms.uni-konstanz.de/zivilklausel/
- Website des Arbeitskreises Zivilklausel an der Uni Köln: www.zivilklausel.uni-koeln.de/
- TAZ: Zivilklauseln in Deutschland
Einzelnachweise
- ↑ Glaubwürdigkeits-Stresstest für Grün-Rot: Zivilklausel KIT und Hochschulen Baden-Württembergs
- ↑ Niedersächsisches Hochschulgesetz Neufassung 1998
- ↑ Webseite des Arbeitskreis Zivilklausel an der Universität Köln
- ↑ AStA der Universität Augsburg - Pressemitteilung: Studierende sprechen sich für Zivilklausel aus ( vom 12. Januar 2016 im Internet Archive)
- ↑ Die Grünen forderten im Frühjahr 2011: „Zu einer verantwortungsbewussten Politik gehört auch der kritische Umgang mit der baden-württembergischen Rüstungsproduktion und mit Rüstungsexporten. […] Die Forschungseinrichtungen, Universitäten und Hochschulen des Landes sollen ausschließlich friedliche Zwecke verfolgen. Um dies deutlich zu machen, befürworten wir die Einführung von Zivilklauseln in den Satzungen aller solcher Einrichtungen.“ Die SPD schrieb in ihrem „Regierungsprogramm“: „Die Forschung in Baden-Württemberg soll ausschließlich friedlichen Zwecken dienen.“
- ↑ Technische Universität Darmstadt: TU Darmstadt schreibt zivile Zwecke fest. 2. Oktober 2012, abgerufen am 11. April 2021.
- ↑ Technische Universität Darmstadt: Ethikkommission. Abgerufen am 11. April 2021.
- ↑ Zeit.de: Studenten der Uni Frankfurt wollen Zivilklausel, abgerufen am 23. Februar 2013
- ↑ AStA der Universität Göttingen: Senat beschließt Zivilklausel ( vom 2. September 2013 im Internet Archive)
- ↑ Lena Greiner: „Studenten gegen Uni Kiel: Nie wieder Kriegsforschung!“
- ↑ Joachim Krause: Zivilklausel - Nein Danke! Warum ich gegen „Zivilklauseln“ an deutschen Universitäten bin, Internetfassung des PDF auf Seiten des Instituts für Sicherheitspolitik.
- ↑ „Das Denken von morgen“ vom 24. Juli 2013, abgerufen am 24. Juli 2013. (Abruf kostenpflichtig)
- ↑ Kleine Anfrage (PDF; 53 kB) der Linken zur Zivilklausel 2009
- ↑ AStA der Universität Osnabrück, Andreas Würth: Wem nützt die Zivilklausel? in: AStA Zeitung - Nachrichten rund um die Uni und das studentische Leben S. 3, Ausgabe April/Mai 2015 asta.uni-osnabrueck.de
- ↑ Liste der Initiative Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel, sortiert nach Dauer des Bestehens der Klausel, abgerufen am 5. Juni 2014.
- ↑ sueddeutsche.de: US-Militär finanziert deutsche Forscher, abgerufen am 25. November 2013
- ↑ Forschen für das Pentagon ( des vom 2. Dezember 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ spiegel.de: US-Militärforschung an deutschen Unis: 21 Millionen Dollar in zehn Jahren, abgerufen am 25. Februar 2021
- ↑ usaspending.gov: GRANT to LUDWIG MAXIMILIANS UNIVERSITAE, abgerufen am 25. Februar 2021