Rechtshandlung ist in der Rechtswissenschaft ein rechtlich erhebliches Handeln, Dulden oder Unterlassen, bei dem die hieran von der Rechtsordnung geknüpften Rechtsfolgen unabhängig vom Willen des Handelnden eintreten. Gegenbegriff ist das Rechtsgeschäft.
Allgemeines
Nicht jede menschliche Unternehmung ist von rechtlicher Bedeutung, an Rechtsfolgen ist vielmehr nur rechtswirksames Handeln von Rechtssubjekten geknüpft. Der Mensch ist relevantes Rechtssubjekt und unterwirft sich dem Recht kraft seines Willens.[1] Welche Handlungen konkret mit dem Eintritt von Rechtswirkungen verbunden sind, ergibt sich aus der Rechtsordnung selbst, die formierte Tatbestände vorhält. Die Bestimmung von Rechtsfolgen im Tatbestand, das Handeln wird nicht als final auf den Eintritt der Rechtsfolgen bezogen gedacht, führt zum Charakter als Rechtshandlung.[2]
Im BGB wird der Begriff Rechtshandlung nicht ausdrücklich verwendet. Die Motive zum Abfassung des BGB erläutern, dass sich bei Rechtshandlungen bestimmte Rechtsfolgen anschließen, „für deren Eintritt nach der Rechtsordnung gleichgültig ist, ob sie von den Handelnden gewollt oder nicht gewollt sind“.[3] Das Verhältnis der Begriffe „Rechtsgeschäft“, „Willenserklärung“ oder „Rechtshandlung“ zueinander, bereitet seit jeher Schwierigkeiten und ist bis heute wenig klar gestellt.[4] Das Rechtsgeschäft ist jedenfalls erst das Ergebnis der Rechtshandlung und die Willenserklärung notwendiges Bestandteil des Rechtsgeschäfts.[5] Während beim Rechtsgeschäft (Vertrag) die von den Vertragsparteien selbst geschaffenen Rechtsfolgen eintreten, werden bei der Rechtshandlung die vom Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen hervorgerufen.
Arten
Mangels konkreter Bestimmungen zu den Rechtshandlungen können einzelne BGB-Vorschriften zum Rechtsgeschäft analog angewendet werden. Das BGB unterscheidet zwischen Rechtsgeschäften und sonstigen Rechtshandlungen, wobei letztere in erlaubte und rechtswidrige Rechtshandlungen untergliedert werden.[3]
- Zu den erlaubten Rechtshandlungen (Rechtshandlungen im engeren Sinne) gehören:
- Geschäftsähnliche Handlungen sind Erklärungen, die auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind, wobei die Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten. Es wird ein rechtserheblicher Wille manifestiert, an den das Gesetz die zum Ausdruck gebrachte Rechtshandlung knüpft.[6] Hierzu gehören Mahnungen[7] gemäß § 286 BGB, Fristsetzungen nach § 323 Abs. 1 BGB, Aufforderungen nach §§ 108 Absatz 2, 177 Absatz 2 BGB, Androhungen nach §§ 384 Absatz 1 und 1220 Absatz 1 Satz 1 BGB sowie Mitteilungen, Anzeigen und Weigerungen im Sinne der §§ 179 Absatz 1 und 295 Satz 1 BGB. Auch die Einwilligung in freiheitsbeschränkende Maßnahmen und Körperverletzungen aufgrund ärztlicher Handlungen können – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine entsprechende Verstandesreife unabkömmlich – den geschäftsähnlichen Handlungen unterfallen.[8] Insoweit lediglich rechtliche Vorteile erlangt werden, wie bei der Mahnung, genügt für die Vornahme beschränkte Geschäftsfähigkeit entsprechend § 107 BGB. Auf die Mehrzahl der geschäftsähnlichen Handlungen sind die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend anwendbar. Dies betrifft insbesondere die Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB), Zustimmung (§ 182 BGB), Einwilligung und Genehmigung (§ 183 BGB), oder die Entschuldigung als ein besonders eigenartiger Tatbestand. Sie findet sich im Schenkungsrecht (§ 532 BGB) sowie im Erbrecht (§§ 2337, § 2343 BGB).[9] Auch die Begründung oder Änderung des Wohnsitzes gilt als Rechtshandlung (§§ 7, § 8 Abs. 1 BGB).
- Realakt: Hierzu gehören reine Tathandlungen die eine Rechtsfolge hervorbringen, wie Besitzerwerb (§ 854 BGB), Verbindung (§§ 946, § 947, § 951 BGB), Vermischung (§ 948 BGB), Verarbeitung (§ 950 BGB), Besitzaufgabe (§ 959 BGB) und Fund (§ 965 BGB). Da die Tathandlungen keine Erklärungen darstellen, finden die für Willenserklärungen geltenden Bestimmungen bei Realakten keine Anwendung, so dass etwa Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich ist.
- Rechtswidrige Handlungen: gehören als Rechtshandlungen im weiteren Sinne überwiegend zum Deliktsrecht. Hierbei ist zu beachten, dass sie gelegentlich nicht zu den Rechtshandlungen gerechnet werden.[10][11]
- unerlaubte Handlung: ist der widerrechtliche Eingriff in ein vom Gesetz geschütztes Rechtsgut, durch den ein Schaden entsteht. Auch hierbei treten Rechtsfolgen ohne Rücksicht darauf ein, ob sie gewollt sind oder nicht. Dieses Deliktsrecht kennt eine Vielzahl von Fällen, beginnend mit der Generalnorm des § 823 Abs. 1 BGB. Hiernach ist zu Schadensersatz verpflichtet, wer Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen vorsätzlich oder fahrlässig verletzt. Wer einen anderen verletzt, begeht eine Rechtshandlung, denn sein Verhalten ist im Hinblick auf § 823 Abs. 1 BGB rechtlich erheblich. Diese Rechtshandlung steht – wenn nicht besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen – mit der Rechtsordnung nicht in Einklang; sie ist rechtswidrig.[12] In Abs. 2 dieser Vorschrift wird der Verstoß gegen Schutzgesetze geahndet. Weitere Fälle sind insbesondere Kreditgefährdung (§ 824 BGB), vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB), Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) oder Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB).
- Pflichtverletzungen liegen bei Leistungsstörungen vor, wenn ein Schuldner anders handelt, als es ihm durch das Schuldverhältnis vorgeschrieben ist. Rechtsfolge dieser rechtswidrigen Rechtshandlung ist der Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB.
Anwendung in der Praxis
Die Mahnung (§ 286 Abs. 1 BGB) ist exemplarisch für die Unterscheidung zwischen Rechtsgeschäft und Rechtshandlung. Während sie früher noch als Rechtsgeschäft angesehen wurde, gilt sie heute allgemein als Rechtshandlung.[13] Da der Schuldner die fällige Leistung nicht erbracht hat, muss er die gesetzlichen Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs (§§ 280, 286 BGB) hinnehmen. Eine rechtlich erhebliche Tatsache wie der Schuldnerverzug ist die Voraussetzung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen. Diese Rechtsfolgen setzen ein bestimmtes Verhalten von Rechtssubjekten voraus, wenn nämlich der Schuldner bei Fälligkeit einer Leistung nicht zahlt oder liefert.
Rechtshandlungen sind vorzunehmen bei Fristen (Zeitraum, innerhalb dessen eine Rechtshandlung vorzunehmen ist oder ein bestimmtes Ereignis eintritt) und Terminen (Zeitpunkt, an dem eine Rechtshandlung vorzunehmen ist oder ein bestimmtes Ereignis eintritt). Geschieht dies nicht, treten wiederum gesetzlich vorgesehene Rechtsfolgen ein.
Verwaltungsrecht
Der Verwaltungsakt gilt als spezifische öffentlich-rechtliche Rechtshandlung. Er ist nach der Legaldefinition des § 35 VwVfG jede „Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“ An Verwaltungsakte knüpfen sich ohne Rücksicht auf den Willen des Handelnden rechtliche Wirkungen an; das macht sie zur Rechtshandlung.
Insolvenzrecht
Der Begriff der Rechtshandlung wird sehr häufig mit dem Insolvenzrecht in Verbindung gebracht. Nach den §§ 129 ff. InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Eine insolvenzrechtliche Rechtshandlung ist dem BGH zufolge jedes von einem Willen getragene Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann.[14] Zu den Rechtshandlungen zählen daher nicht nur Willenserklärungen als Bestandteil von Rechtsgeschäften aller Art und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, sondern auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst, wie das Einbringen einer Sache, das zu einem Vermieterpfandrecht führt.[15] Es sind gewollte oder beabsichtigte Willenserklärungen, die eine Rechtsfolge bewirken.[16] Zentrales Thema sind die anfechtbaren Rechtshandlungen, bei denen die durch diese Rechtshandlung entstandene Gläubigerbenachteiligung angefochten wird. Eine Rechtshandlung gilt nach § 140 Abs. 1 InsO als vorgenommen, wenn ihre Rechtswirkungen eintreten.
EG-Recht
Das Europarecht verwendet den Begriff der Rechtshandlung für alle Rechte oder Pflichten begründenden Akte der Gemeinschaftsorgane, also für Richtlinien, Verordnungen und Einzelentscheidungen. Hier deckt sich der Begriff eher mit der Gesetzgebung und dem Verwaltungsakt.[17]
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Paul Geyer/Monika Schmitz-Emans (Hrsg.): Proteus im Spiegel, 2003, S. 146.
- ↑ Werner Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts: Das Rechtsgeschäft, 1975, S. 106.
- ↑ 3.0 3.1 Benno Mugdan, Motive zum BGB, Band I, 1899, S. 127, 421
- ↑ Joachim Rückert/Martin Schermaier: Historisch-kritischer Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007, vor § 104 Rn. 8
- ↑ Otto Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. C. H. Beck, 73. Aufl., München 2014, ISBN 978-3-406-64400-9, Überbl v § 104 Rnr. 2.
- ↑ Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2006, S. 159 RN 412.
- ↑ BGHZ 47, 357, entspricht hM.
- ↑ BGHZ 29, 36; 105, 48; andere Auffassung aber (und ebenfalls vom BGH vertreten), BGHZ 90, 101.
- ↑ Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts: Das Rechtsgeschäft, 1975, S. 113.
- ↑ Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 16. Aufl., 2000, S. 1071.
- ↑ Gerda Krüger Nieland, BGB-RGRK, Das Bürgerliche Gesetzbuch: Kommentar, § 1-240 BGB, vor § 104, Rn. 11 und 12.
- ↑ Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2006, S. 113.
- ↑ Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts: Das Rechtsgeschäft, 1975, S. 106.
- ↑ BGH, Urteil vom 9. Juli 2009, Az.: IX ZR 86/08; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 129 Rn. 7.
- ↑ BGHZ 170, 196, 200 Rn. 10.
- ↑ Manfred Obermüller/Harald Hess, Insolvenzordnung, 2003, S. 80 Rn. 301.
- ↑ Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 16. Aufl., 2000, S. 1071 f.