Traditio ex iusta causa („Übergabe aus einem gültigen[1] Grund“), verkürzt als Traditio bezeichnet, ist ein sachenrechtlicher Begriff zur Eigentumsübertragung im antiken römischen Recht.[2]
Rechtsentwicklung
Die römische Rechtsordnung kannte drei Arten des rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerbs. Einerseits waren das die beiden Formalgeschäfte der rituellen Mancipatio und der Abtretung vor Gericht, bezeichnet auch als In iure cessio. Die formfreie körperliche Übergabe einer Sache wurde als traditio (ex iusta causa) charakterisiert. Komprimiert: die In iure cessio war ein „abstraktes, vom Rechtsgrund losgelöstes Verfügungsgeschäft“ und die traditio war „Übereignung durch bloße Übergabe auf Grund eines gültigen Titels“. Causa für die Rechtsübertragung konnte die Verpflichtung aus Kaufvertrag oder Schenkung sein, genauso aber auch die bloße Besitzeinräumung aus einem Gebrauchsüberlassungsvertrag wie die Leihvertrag, sogar die bloße tatsächliche Sachherrschaft durch besitzdienenden Gewahrsam.
Eine dingliche Einigung im Sinne des heutigen deutschen Rechts, lag der Übergabe nicht zugrunde.[3] Waren hingegen im Kausalgeschäft Willensmängel enthalten, etwa weil der veräußernde Eigentümer minderjährig oder geisteskrank war, so konnte er als furiosus im Sinne des Zwölftafelgesetzes keine wirksame Vereinbarung eingehen, sodass die fehlerbehaftete causa auf die nachfolgende Übertragung der Ware und den Erhalt des Preises als Gegenleistung durchschlug und das Rechtsgeschäft insgesamt unwirksam war. Auch gab es keine Heilung, wenn der Verkäufer zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Rechtsmangels bereits volljährig oder gesundet war.[2]
Die traditio ex iusta causa führte bei res nec mancipi, also bei Sachen die keines formalen Übertragungsaktes bedurften, zum unmittelbaren Eigentumserwerb. An res mancipi hingegen konnte lediglich sogenanntes bonitarisches Eigentum begründet werden, wenn die Übereignungserfordernisse nicht oder fehlerhaft vorgenommen worden waren. Erforderlich war in allen Fällen, dass der Veräußerer auch Eigentümer war. Eigentumsrechtliche Rechtsmängel gingen sogar zu Lasten des gutgläubigen Erwerbers, denn der derivative Erwerb vom Nichtberechtigten führte im Sinne der traditio nie zum Eigentumswechsel. Der berechtigte Dritte konnte in historischer Reihenfolge zunächst mit der legis actio sacramento in rem, später mit der vindicatio Herausgabe an sich verlangen und seine Ansprüche gerichtlich durchsetzen.[1]
Aus den aufgezeigten Elementen wurden letztlich vier Qualitäten entwickelt, die sich in den unterschiedlichen Rechtsordnungen Kontinentaleuropas heute widerspiegeln: Das deutsche Recht kennt den abstrakt-dinglichen Vertrag, Österreich hingegen den kausal-dinglichen. Frankreich und Italien verzichten auf das Institut des dinglichen Vertrags und in der Schweiz ist (allerdings nach Mindermeinung) zwar nicht die Übergabe entbehrlich, aber der dingliche Vertrag.[4]
Rechtsquellen
Zur Verdeutlichung, dass die traditio neben der Gebrauchsüberlassung aus obligatorischem Rechtsgeschäft beziehungsweise der Einräumung tatsächlicher Sachherrschaft echter Rechtsübertragung diente, hilft als Quelle das Lehrbuch des Gaius aus dem 2. Jahrhundert, aufgenommen im Corpus iuris civilis Justinians.[1]
“PER TRADITIONEM QUOQUE IURE NATURALI RES NOBIS ADQUIRITUR: NIHIL ENIM TAM CONVENIENS EST NATURALI AEQUITATI, QUAM VOLUNTATEM DOMINI, VOLENTIS REM SUAM IN ALIENUM TRANSFERRE, RATAM HABERI […]”
„Auch durch Tradition können wir nach natürlichem Recht Eigentum erwerben: nichts entspricht nämlich der natürlichen Billigkeit mehr, als dem Willen des Eigentümers Geltung zu verschaffen, der seine Sache einem anderen übertragen will […]“
Beispielhaft für klassische Erwerbstatbestände, zählt Gaius an anderer Stelle den Kaufvertrag und die Schenkung auf. Er verdeutlicht, dass im Rahmen der traditio ein Erwerb vom Nichtberechtigten ausschied. Um übertragen zu können, musste der Veräußerer einer Sache zwingend Eigentum an ihr innehaben.
“ITAQUE SI TIBI VESTEM VEL AURUM VEL ARGENTUM TRADIDERO SIVE EX VENDITIONIS CAUSA SIVE EX DONATIONIS SIVE QUAVIS ALIA EX CAUSA, STATIM TUA FIT EA RES, SI MODO EGO EIUS DOMINUS SIM.”
„Wenn ich Dir daher ein Kleid, Gold oder Silber übergebe, sei es aufgrund eines Kaufes, einer Schenkung oder aus irgend einem anderen Grund, so wird die Sache sogleich Dein Eigentum, wenn nur ich ihr Eigentümer bin.“
Traditio ist schlicht die tatsächliche Übergabe der Sache, welche einen Eigentumserwerb herbeiführt. Voraussetzung dafür ist, dass sie ex iusta causa erfolgt, mithin in Erfüllung eines gültigen obligatorischen Rechtsgeschäfts.
“NUMQUAM NUDA TRADITIO TRANSFERT DOMINUM, SED ITA, SI VENDITIO AUT ALIQUA IUSTA CAUSA PRAECESSERIT, PROPTER QUAM TRADITIO SEQUERETUR.”
„Durch bloße Übergabe wird niemals Eigentum übertragen, es sei denn, dass ein Verkauf oder ein anderer Erwerbsgrund vorausgegangen ist, dessentwegen die Übergabe erfolgte.“
Erwerbsgeschäfte sind regelmäßig entgeltlich und daher mit einer Gegenleistung verknüpft. Im justinianischen Recht galt, ansonsten in der Romanistik umstritten,[5] dass beim Kauf, der Eigentumsübergang von der Kaufpreiszahlung abhängig war. Justinian zitiert einen Zwölftafelsatz diesen Inhalts:[1]
“SED SI QUIDEM EX CAUSA DONATIONIS AUT DOTIS AUT QUALIBET ALIA EX CAUSA TRADANTUR, SINE DUBIO TRANSFERUNTUR: VENDITO VERO ET TRADITAE NON ALITER EMPTORI ADQUIRUNTUR, QUAM SI IS VENDITORI PRETIUM SOLVERIT VEL ALIO MODO EI SATISFECERIT, VELUTI EXPROMISSORE AUT PIGNORE DATO, QUOD CAVETUR QUIDEM ETIAM LEGE DUODECIM TABULARUM; TAMEN RECTE DICITUR ET IURE GENTIUM, ID EST IURE NATURALI, ID EFFICI; SED SI IS QUI VENDIDIT FIDEM EMPTORIS SECUTUS FUERIT, DICENDUM EST STATIM REM EMPTORIS FIERI.”
„Wenn Sachen als Schenkung oder Mitgift oder aus irgend einem anderen Grund übergeben werden, wird ohne Zweifel Eigentum übertragen. Verkaufte und übertragene Sachen dagegen erwirbt der Käufer nur dann, wenn er dem Verkäufer den Kaufpreis gezahlt oder Sicherheit geleistet hat, z. B. durch einen Bürgen oder ein Pfand. Dies bestimmt schon das Zwölftafelgesetz; doch wird richtig gesagt, dass es auch nach ius gentium gilt, d. h. nach Naturrecht. Wenn aber der Verkäufer dem Käufer den Kaufpreis kreditiert, so ist zu sagen, dass die Sache sogleich ins Eigentum des Käufers übergeht.“
Nachwirkungen
Das gemeine Recht kannte vornehmlich die traditio ex iusta causa. Es machte Publizitätsprinzip fest, das die Notwendigkeit einer Übergabe („Tradition“) notwendig machte. Parallel entwickelte sich im Naturrecht das Konsensprinzip, dem der französische und italienische Rechtbereich folgten. Es beruht auf der These, dass das Eigentum etwas lediglich Gedachtes sei, das deshalb durch bloßen Konsens übertragbar sei. Der Streit zwischen Traditions- und Konsensprinzip beherrschte die Diskussion des 18. Jahrhunderts.[4]
Obwohl die traditio im römischen Recht selbst kein Vertrag war, sondern lediglich der Übergabe in Erfüllung des zugrundeliegenden obligatorischen Rechtsgeschäftes (Vertrages) diente, die freilich über die Condictio zu Rückforderungen führen konnte, entwickelte Savigny im 19. Jahrhundert auf dieser Grundlage das seit 1900 fest im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankerte Abstraktionsprinzip, das die strikte Trennung zwischen dem schuldrechtlichen Kausalgeschäft und dem sachenrechtlichen abstrakten Geschäft vornahm und rechtlich voneinander unabhängig stellte. Er bewerkstelligte das dergestalt, dass er aufgrund des Publizitätsprinzips zwar vom Erfordernis einer Übergabe ausging, diese aber zum dinglichen Vertrag ausgestaltete. Damit war die Theorie vom dinglichen Vertrag geboren.
Das bedeutete in der Konsequenz: Wird ein Kaufvertrag geschlossen und anschließend der Kaufgegenstand übereignet, stellt sich aber später heraus, dass der Kaufvertrag nichtig ist, so schlägt diese schuldrechtliche Nichtigkeit nicht auf das Verfügungsgeschäft durch. Das Verfügungsgeschäft steht abstrakt dinglich nämlich neben dem (pathologischen) Kaufvertrag. Dem Verkäufer dient in diesem Fall die Leistungskondiktion dazu, die Rückübereignung des Kaufgegenstandes zu erreichen. Rechtsmängel der causa führen somit zur unter Juristen dogmatisch sehr kontrovers diskutierten Rückabwicklung über das Bereicherungsrecht wegen Leistung auf eine Nicht-Schuld oder wegen Zweckverfehlung, denn das zugrundeliegende Rechtsgeschäft war sine causa (vgl. dogmatischen Streit im deutschen Rechtssystem).
Auch Rechtsordnungen, die nicht das Abstraktionsprinzip aufgenommen haben, sondern das Kausalprinzip, wie der französische Code civil, das schweizerische ZGB oder der italienische Codice civile lassen sich letztlich auf römisches Recht zurückführen. Technisch wird anders rückabgewickelt (Vindikation statt Kondiktion).[1]
Besondere Formen der traditio
Literatur
- Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 151–153.
- Heinrich Honsell: Römisches Recht, 5. Auflage. Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 58–61.
- Honsell, Mayer-Maly, Selb (Hrsg.): Römisches Recht (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft), Springer-Verlag, 4. Auflage 1987, S. 160 ff. mwN (Kunkel, Autor).
- Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 19–25.
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ 1.0 1.1 1.2 1.3 1.4 Heinrich Honsell: Römisches Recht, 5. Auflage. Springer, Zürich 2001, S. 58–61.
- ↑ 2.0 2.1 Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, S. 24–25.
- ↑ Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher), S. 151–153.
- ↑ 4.0 4.1 Kausal- und Abstraktionsprinzip bei der Übereignung (Die heutige Vielfalt und ihre Geschichte).
- ↑ Kunkel (Autor) in: Honsell, Mayer-Maly, Selb: Römisches Recht (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft), Springer-Verlag, 4. Auflage 1987, S. 160 ff. mwN.