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Stellungnahme, Urkundenbeweise Fachärztlicher Wissensstand, 13. Oktober 2020

From Wickepedia
Doc:20201013-sg1er1-reply3.redacted

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[ 1 ]F[..]
80796 München

An das
Sozialgericht München
Richelstraße 11
80634 München

Az.: S 12 KR 1268/20
sowie S 12 KR 1265/20 ER

München, 13. Oktober 2020

(1) Fingierter Genehmigungsbescheid

Zunächst ist festzuhalten, daß dem Kläger durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion der Zugang zur Sozialgerichtsbarkeit offen stand und ein Vorverfahren daher nicht abgewartet werden mußte. Die Leistungsklage ist folglich statthaft.

Zum aktuellen Zeitpunkt liegen zwei Bescheide der Beklagten vor. Zum einen der fingierte Genehmigungsbescheid (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016. Az. B 1 KR 25/15 R), welcher per Versäumnis infolge des Antrages vom 16. Juli 2020 mit Ablauf der fünfwöchigen Frist per lege entstanden ist. Dieser wurde durch die Beklagte bislang nicht zurückgenommen.

Schon aufgrund der prozessualen Situation, nämlich daß ein Bewilligungsbescheid schlichtweg nicht vollzogen wird, ist hier ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers gegeben. Die Sichtweise des BSG hier ist auch ausdrücklich, daß die Rechtmäßigkeit der Genehmigungsfiktion "nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs" zu bewerten ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az. B 1 KR 25/15 R, RZ 32).

Der Antrag hat hier den Zweck, aufgrund der sehr hohen Arzneimittelkosten, Sachleistung durch die Beklagte zu erzielen. Dem Antragsteller steht es frei, die Leistung entweder als Naturalleistungsanspruch oder im Wege des Kostenersatzes zu realisieren, denn beides wird im vorliegenden Fall als schutzwürdig zu betrachten sein (vgl. SG München, Urteil vom 16.06.2016, Az. S 7 KR 409/15).

Die Beklagte vertritt per Schreiben vom 25. September 2020 ihre Sichtweise, sie habe rechtswirksam eine Fristverlängerung bis zum 6. Oktober 2020 erzielt, sie hätte also annähernd drei Monate zur Bearbeitung gehabt statt der vom Gesetz vorgesehenen fünf Wochen. Dies ist zu klar zu verneinen. Eine Fristverlängerung über die fünfwöchige Frist bei Einschaltung des MDK ist zwar in bestimmten Fällen denkbar, dies muß aber hinreichend begründet sein. Genau [ 2 ]das ist hier nicht geschehen. Der wesentliche Textteil, d.h. die “Begründung” der Beklagten, erstellt durch den von der Beklagten alimentierten MDK, sei hier noch einmal wiedergegeben:

(scan)

Die Position des Klägers hierzu ist, daß der Antrag auf Kostenübernahme hinsichtlich aller Fragestellungen ab initio vollständig war (vgl. Schreiben des Klägers vom 25. September 2020, Anhang B2). Die relevanten Laborparameter im Verlauf waren bereits angegeben. Daß keine nicht-medikamentösen Therapien stattfinden konnten ist schon im Antrag ausdrücklich erwähnt und begründet. Zu etwaigen anderen medikamentösen Therapien hatte die Beklagte selbst bereits alle Informationen. Diese Frage wurde folglich so beantwortet, daß ein von der Beklagten selbst erstelltes Dokument mit dem Titel “Versicherteninformation Arzneimittel (TK-ViA)” dem MDK vorgelegt wurde. Ein vollständiger Antrag über welchen nach Aktenlage entschieden werden kann gibt keinen Anlaß zur Fristverlängerung.

Es war auch für den Kläger sofort ersichtlich, daß es die “Stellungnahme”, aus welcher dann per Einschluß die Begründung zur Aufforderung zur Mitwirkung wurde, lediglich per Copy & Paste und ohne tatsächlichen Bezug zum Antrag erstellt wurde. Es war ab diesem Zeitpunkt klar, daß keine materielle Prüfung des Antrages stattgefunden hatte und die Beklagte nur durch eine vermeintlich sehr hohe Hürde zur Mitwirkung eine erhebliche Fristverlängerung erzielen wollte.

Zusätzlich erschwerend für die Beklagte sind hier drei weitere Fakten:

1. Die Beklagte war grundlos vom wechselseitig vereinbarten Kommunikationsweg zwischen den Parteien, dem empfangsbestätigten digitalen Postfach, abgewichen und der Kläger hatte daher, bei Abwesenheit vom physischen Briefkasten, das Schreiben mit Verzögerung erhalten. Der Kläger konnte auch dieses Mal den elektronische Kommunikationsweg, wie es schon bei der Abwicklung des anderen Antrags bei der Beklagten im Mai 2020 geschehen war, erwarten. Damals wurde übrigens der Bescheid, in diesem Fall bejahend, nach einem Hinweis des Klägers am Tag vor dem Eintritt der Genehmigungsfiktion, erstellt, obwohl die Antwort des MDK bereits mehr als zwei Wochen alt war. Die Beklagte hat an fristgerechten Erledigungen wohl allgemein wenig Interesse.

2. Des weiteren war das Aufforderungsschreiben der Klägerin zunächst unvollständig und daher gar nicht erfüllbar. Im Anschreiben wurde zur Rücksendung anhand eines Weiterleitungsbogens aufgefordert, dieser fehlte dem Schreiben aber (die Beklagte wird das anhand ihrer [ 3 ]elektronischen Dokumentenverwaltung auch jetzt noch nachvollziehen können), am ehesten aus Sorgfaltsmangel, vielleicht auch aus Absicht. Es ist undenkbar, persönliche Gesundheitsinformationen an einen beliebigen Adressaten zu versenden welchen der Kläger vielleicht vermuten konnte aber der im Schreiben der Klägerin nicht näher bezeichnet war. Folglich war die Aufforderung in dieser Form als unerfüllbar zu sehen und der Kläger hat dies der Beklagten sofort nach Kenntnis des Schreibens am 18. August 2020 auch so mitgeteilt, sogar mit einem die Beklagte begünstigenden Hinweis, daß ohne eine erfüllbare Aufforderung wohl die Genehmigungsfiktion eintreten würde. Der Verlauf der Dinge läßt sich also keinesfalls so darstellen, der Kläger habe die Sache verzögert und somit den Eintritt der Genehmigungsfiktion geradezu herbeigeführt, denn gerade das Gegenteil ist beweisbar.

Die Beklagte vertritt offensichtlich auch die Sichtweise, jede beliebige Verlängerung sei rechtmäßig solange bloß ein präzises Datum genannt werde. Das läßt sich weder aus Gesetz noch aus Rechtsprechung ableiten, der Kläger fordert die Beklagte daher hier zu einer Erklärung auf, wie hier eine hinreichend begründete Fristverlängerung bis zu genau diesem Datum gerechtfertigt sein soll.

3. Im Bereich des von der Klägerin beauftragten MDK gibt es deutliche Hinweise auf eine zumindest grob fahrlässige, eventuell sogar vorsätzliche Verletzung der ärztlichen Berufspflichten der dort (noch) beschäftigten Gutachterin Moscatelli. Im Jahresbericht 2019 des MDK Bayern berühmt sich diese, auf den Seiten 13f, sie habe die Verwaltungsvorgänge so umgestaltet, daß zunächst gar keine ärztliche Begutachtung stattfinde und die Anträge nur durch Schreibkräfte gesichtet würden. Ohne Einsicht in die Verwaltungspraxis des MDK kann der Kläger nicht abschließend beweisen, daß die unangemessene Aufforderung zur Mitwirkung auf diese Weise entstanden ist, es ist aufgrund der Umstände hier aber eine naheliegende Erklärung. Die betreffenden Seiten hier als Anlage B7.

Wie der Kläger durch Akteneinsicht beim MDK mittlerweile in Erfahrung bringen konnte, blieb der Antrag auch tatsächlich materiell unbearbeitet. Es wurden bei der “Erstbegutachtung” keinerlei Feststellungen medizinischer oder rechtlicher Art getroffen, oder auch nur konkrete, offene Fragen aufgezählt. Eine Begutachtung nur per Copy & Paste einer Standardphrase. Dieser Vorgang ist als nichts anderes zu werten als ein untauglicher Versuch, mit einem bürokratischen Trick, nämlich der sowohl in der Sache unbegründeten sowie auch vom Umfang her unangemessenen Aufforderung zur Mitwirkung, eine der Beklagten nicht zustehende Fristverlängerung zu erreichen.

Als Beweis für diese Charakterisierung kann auch die “Nachbegutachtung” durch den MDK herangezogen werden, welcher keinerlei Feststellungen anhand der angeblich notwendigen Mitwirkung trifft, weder im positiven noch im negativen Sinn.

Da der Kläger selbst eine elektronische Akte mit allen Befunden und Laborparametern führt, war die vollständige Erfüllung ohnehin innerhalb kürzester Zeit ab Kenntnis möglich, wie es vom MDK am 26. August 2020 auch bestätigt wurde. Beim MDK lagen dann 108 Seiten [ 4 ]ausführlicher medizinischer Dokumentation vor. Das darf aber nicht als Anerkenntnis gewertet werden, daß die vorangehende Aufforderung zur Mitwirkung auch berechtigt gewesen wäre, sondern entspricht lediglich einem pragmatischen Umgang mit der Verwaltung.

Die Art der Verwaltungspraxis wie bei der Beklagten wird sozialrechtlich beispielhaft wie folgt bewertet (SG Dortmund, Urteil vom 08.05.2019, Az. S 49 KR 2287/18; in diesem Fall vermeintliche Fristverlängerung per vorsorglich ablehnendem Bescheid, der Trick der Beklagten mit einer nicht hinreichend begründeten Mitwirkungspflicht wird analog zu bewerten sein):

Mit dieser Verwaltungspraxis unterläuft die Beklagte bewusst das gesetzlich bezweckte Ziel der Genehmigungsfiktion, Verwaltungsverfahren im Interesse der Versicherten zu beschleunigen und nicht hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren. Ferner werden mit diesem Bescheid auch die von Gesetzes wegen vorgesehenen Regularien einer Ablehnung alleine aufgrund fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I umgangen. Eine derartige, nicht nur auf den Einzelfall bezogene, sondern generelle, zielgerichtete Aushöhlung des gesetzgeberischen Willens bzw. eine bewusste Umgehung der gesetzlich angeordneten Voraussetzungen der Möglichkeit zur Fristverlängerung nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V oder § 66 Abs. 1 und 3 SGB I durch eine gesetzliche Krankenversicherung als Sozialleistungsträger ist mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der öffentlichen Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Die Gewährung einer solchen, den eindeutigen Gesetzeswortlaut bzw. die Gesetzessystematik ignorierenden und erklärten Willen des Gesetzgebers bewusst unterlaufenden Verwaltungspraxis ist geeignet, das Vertrauen in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nachhaltig zu erschüttern und verstößt daher gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

Daß der § 13 Abs. 3a SGB V hier Pönalecharakter hat entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Das lässt sich den entsprechenden Drucksachen des Bundestages entnehmen, und darauf wir in verschiedenen Urteilen der Sozialgerichtsbarkeit Bezug genommen.

Zusätzlich liegt nunmehr ein zweiter Bescheid vor, nämlich der Ablehnungsbescheid der Beklagten. Aus Sicht des Klägers ist dieser materiell fehlerhaft sowie rechtlich ohnehin unerheblich da die Genehmigungsfiktion bereits eingetreten war und kein Grund für eine rechtmäßige Rücknahme besteht.

Eine Folge des Verhaltens der Beklagten wird übrigens auch sein, daß in Zukunft wohl viele Anträge, statt als ein auf das entscheidungserhebliche beschränkte Dokument, gleich anfangs als undifferenziertes 50-Seiten Fax bei den gesetzlichen Kassen eingehen werden, um einer Verzögerungstrickserei durch “Mitwirkung” von vorneherein zu unterbinden.

(2) Materieller Anspruch

Das Schreiben der Beklagten an das SG vom 25. September 2020 hatte der Kläger inhaltlich bereits großteils antizipiert, und war bereits im Anhang B5 zum Schreiben an das SG vom 28. September 2020 (die beiden Schriftsätze hatten sich offenbar überschnitten) darauf inhaltlich eingegangen. [ 5 ]Insofern braucht an dieser Stelle nur auf jene Aspekte eingegangen werden, welche sich aus dem Schreiben der Beklagten zusätzlich ergeben; in den restlichen Fragen sei daher vollinhaltlich auf den oben genannten Schriftsatz verwiesen.

Ad “Die Frist von fünf Wochen hat sich im zeitlichen Umfang der fehlenden Mitwirkung verlängert”. Das hier keine fehlende Mitwirkung besteht, da es sich nur um einen bürokratischen Trick und nicht um eine wirklich begründete Aufforderung handelte, darauf wird bereits oben eingegangen. Selbst wenn man aber ein Mitwirkungserfordernis akzeptiert und dieser Aussage der Beklagten zustimmt, auch dann war die Genehmigungsfiktion zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits eingetreten. Die Fristenläufe in den verschiedenen Mitwirkungs-Szenarien sind bereits in der Klageschrift vom 17. September 2020, als Anhang B1, vergleichsweise gegenübergestellt. Nach jeder der plausiblen Sichtweisen zum Fristenlauf hat die Beklagte aber die gesetzliche Frist versäumt, sie stimmt meiner Position daher durch ihre oben zitierte Aussage zu. Sofern die Beklagte an dieser Sichtweise festhält kann der Rechtsstreit hier auch gleich per Anerkenntnis beendet werden.

Ad “Möglichkeiten einer Vorfinanzierung”. Weiter oben geht der Kläger auf die rechtlichen Gründe ein, warum die Leistung auch als Naturalleistung gefordert werden kann. In praktischer Hinsicht weiß die Beklagte ganz genau daß die Arzneimittelkosten hier weit jenseits eines einem gesetzlich Versicherten zumutbaren Betrages liegen, und das erst recht bei der aus dem Antrag klar erkennbaren, sehr erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers in den vorangehenden Jahren. Diese Aussage kann also nur als purer Zynismus der Beklagten verstanden werden. Dem ist freilich zu entgegnen, daß die Beklagte ohnehin Regress nehmen kann falls sich der Kläger in der Hauptsache nicht durchsetzen sollte. Welcher Partei die initiale Kostenbelastung bis zur Entscheidung eher zuzumuten ist liegt wohl auf der Hand.

Ad “[Alternative] wie Desferal” (Handelsname von Deferoxamin): Das hatte der Kläger antizipiert, und daher bereits im Schreiben vom 25. September 2020 ausführlich begründet warum diese vermeintliche Alternative hier, genau wie die verbleibende medikamentöse Alternative Deferipron, unangemessen ist.

Für jeden in der Fachfrage kompetenten Gutachter müsste es offensichtlich sein, daß es sich bei Deferasirox, dem beantragten Arzneimittel, schlichtweg um die funktional äquivalente Weiterentwicklung zu Deferoxamin durch denselben pharmazeutischen Unternehmer handelt. Anlaß für die Entwicklung war, und darauf nimmt auch die Schrift zur Patentanmeldung ausdrücklich Bezug, daß die Verabreichungsform nunmehr eine Tablettendosis am Morgen ist, im Vergleich zur langsamen subkutanen oder intravenösen Gabe über viele Stunden an 5-7 Tagen die Woche beim älteren Arzneimittel aus den 60er Jahren. Die Äquivalenz der Wirksamkeit hat der pharmazeutische Unternehmer in mehreren klinischen Studien im Rahmen des Zulassungsverfahrens bewiesen, und zwar für jene Indikationen zu welchen nach heutigen Standards klinische Studien überhaupt durchführbar sind, und so 2006 erstmalig die EMA-Zulassung erlangt. Deferasirox ist mittlerweile als Originalprodukt in mehr als 70 Ländern verfügbar sowie als Generikum in vielen weiteren. [ 6 ]Man darf Deferasirox daher als klinisch gut etabliert sehen, folglich ist die Anwendung von Deferasirox und nicht Deferoxamin im konkreten Fall auch für jeden kompetenten Facharzt der Hämatologie/Onkologie eine offensichtliche Sache – im Gespräch mit dem Kläger kamen so auch mehrere Ärzte unabhängig voneinander innerhalb kürzester Zeit zu selbigem Schluß. Das Nebenwirkungsprofil und die Verträglichkeit unterscheiden sich zwischen beiden Arzneimitteln in einigen Aspekten, und das Risikoprofil ist etwas anders. Die Entscheidung hierüber sowie über die Angemessenheit der jeweiligen Verabreichungsform wird aber der Verantwortung der behandelnden Ärzte nach medizinischen Kriterien liegen und nicht durch die Verwaltung zu entscheiden sein. Schon gar nicht dürfen solche Therapieentscheidungen die MDK-Ärzte treffen, das schließt bereits die Berufsordnung der Ärzte von vornherein aus.

Wenn die Beklagte hier Kostenkontrolle über Arzneimittelverschreibungen erreichen möchte, dann ist dieser Wunsch nachvollziehbar, aber die verbotene Einflussnahme auf die Therapie via MDK und das Erstellen fehlerhafter Bescheide der falsche Weg. Richtiger wäre es, mit den beiden EMA-Zulassungsinhabern zu Generika von Deferasirox, Mylan und Accord, zu verhandeln und diese zu überzeugen, ihre kostengünstigeren Produkte als Verschreibungsalternative auf dem deutschen Markt einzuführen.

Ad “mit breiterer Zulassung”: Die Beklagte versucht hier, das Gericht hinsichtlich der tatsächlichen Situation in die Irre zu führen. Aus der AMWF-Leitlinie zur ärztlichen Behandlung mit diesen Arzneimitteln (AMWF Register-Nr 025/029), einem mit breitem fachärztlichem Konsens erstellten Dokument zum Stellenwert der verschiedenen Therapieoptionen, wird der Grund für die unterschiedlichen Zulassungen völlig klar:

Die breite, uneingeschränkte Zulassung [von Deferoxamin] beruht in erster Linie auf dem frühen Zulassungszeitpunkt und den damals gültigen Zulassungskriterien.

Ein kompetenter Gutachter hätte den Grund für die unterschiedliche Zulassung bei entsprechender Sorgfalt korrekt erkennen müssen und hätte daher niemals auf eine unangemessene Alternative verwiesen. Nicht einmal die Leitlinien zu lesen ist freilich ein schwerwiegender gutachtlicher Fehler.

Ad “ein Anordnungsgrund ist [nur] dann gegeben, wenn die Gefahr besteht, daß durch die veränderung eines bestehenden Zustandes [..]”: Genau diese Situation ist aus dem Antrag in Verbindung mit Fachkenntnis erkennbar. Daß unbehandelt das “Risiko schwerer Folgestörungen bis zum Organverlust” besteht steht so auch im MDK-Gutachten (siehe Anhang B4, Seite 7 beigefügt dem Schreiben des Klägers vom 28. September 2020), welches natürlich auch die Beklagte kennt.

Diesen wesentlichen Inhalt verschweigt die Beklagte dem Gericht in ihrem Schreiben an das SG vom 25. September 2020 allerdings böswillig, um hier durch Täuschung des Gerichts eine einstweilige Verfügung abzuwenden. [ 7 ]Daß der Zustand einer organschädlichen Einlagerung von Eisen bereits eingetreten ist und daher ohne Zeitaufschub medikamentös zu therapieren ist kann anhand der wissenschaftlichen Fachliteratur i.V.m. dem Leistungsantrag glaubhaft gemacht werden. Wie im Antrag ersichtlich, besteht ein Ausgangswert des Serum-Ferritins von circa 2000-2400 ng/mL. Wie der Literatur zu entnehmen ist (etwa Saliba 2017, Anhang B8, relevante Stelle markiert) besteht bereits bei Werten unter 800 ng/mL bereits mit enorm hoher Wahrscheinlichkeit eine klinisch relevante Einlagerung von Eisen in die Leber. Der Schädigungsmechanismus und die pharmakologische Wirksamkeit zur Abwendung dauerhafter Probleme wird im beigefügten Review-Artikel ausführlich beschrieben (Tanaka 2014, Anhang B9, relevante Stellen markiert).

Insbesondere ist hier zu erkennen, daß die Wirksamkeit symptom- und nicht kausalitätsbezogen ist, also das Gegenteil der Einschätzung zur Wirksamkeit durch MDK-Moscatelli der wissenschaftlich rechtfertigbaren Wahrheit entspricht. Den einfachen, chemische Wirkungsmechanismus wird sogar manche naturwissenschaftlich ambitionierte Abiturientin nachvollziehen können.

Daß hier auch ein besonderes Risiko bezüglich des Myocardium (i.e. Herzmuskel) wegen der Vorbehandlung der Grunderkrankung des Klägers besteht, nämlich aufgrund der Kardiotoxizität von Anthrazyklinen – durch Doxorubicin sowie Idarubicin, kumulativ erkennbar an der Grenze der zulässigen Dosis bevor direkte Schäden wahrscheinlich werden – wäre im Leistungsantrag für einen fachkundigen Arzt, jedenfalls einen Onkologen, klar erkennbar gewesen. Das spielt im Zusammenhang mit der Hämochromatose insofern eine Rolle, daß eben auch durch Einlagerung von Eisen eine Belastung dieses Organs verursacht wird, und es im gegenständlichen Fall zur Kumulierung von zwei erheblichen Risikoquellen das Myocardium betreffend kommt.

Der übliche Therapiealgorithmus ist hier als Auszug aus Taher 2013, Abb. 2, beigefügt (Anhang B10). Auch hier kann man erkennen, daß ab einem Serum-Ferritin 800 ng/mL die Therapie ohne Verzug indiziert ist. Zur Wiederholung: Die Werte aus dem Antrag liegen im Bereich 2000-2400 ng/mL und wurden darüber hinaus im Rahmen der “Mitwirkung” für einen langen Zeitraum nachgewiesen.

Ad “eine fachärztliche Begründung [..] liegt nicht vor”: Zunächst war hier die Annahme zu treffen, daß die Begutachtung beim MDK durch Fachärzte erfolgt, welche auch tatsächlich über das relevante Fachwissen verfügen. Es kann nicht verlangt werden, daß in jedem Antrag ärztlichen Kollegen die fundamentalen Behandlungsprinzipien des Fachgebiets erklärt werden müssen. Daß die Gutachterin hier hätte selbst recherchieren müssen ist Ausdruck der Sorgfaltspflicht. Zudem ergibt sich aus der Berufsordnung der Ärzte die Pflicht zur Kollegialität, und der Leistungsantrag enthielt die ausdrückliche Einladung zur Kontaktaufnahme bei Fragen.

Die Beklagte möge zu Beweiszwecken in diesem Rechtsstreit für die Gutachterin das von der Berufsordnung vorgeschriebene Weiterbildungsbildungszertifikat von der Ärztekammer vorlegen. Denn der Kläger vermutet, daß nur eine Ärztin nach Verlust ihrer fachliche Eignung durch lange Abwesenheit von jeglicher kurativen Tätigkeit, und ohne ihren Wissensstand auf [ 8 ]dem aktuellen Stand der Medizin zu halten, ein derartig fehlerbehaftetes Gutachten erstellen kann.

Der Kläger und Antragsteller ist also überzeugt, daß also neben der Genehmigungsfiktion auch der materielle Anspruch unabhängig zu bejahen sein wird. Die Beweishürde hierfür im Hauptverfahren zu überwinden sollte für den Kläger aufgrund seines Hintergrundes kein wesentliches Problem darstellen; im mündlichen Verfahren werden Anspruch auf rechtliches Gehör und die Darlegung in einer für das Gericht nachvollziehbaren Form zudem optimaler realisierbar sein.

Die von der Beklagten gewünschte Minderversorgung gesetzlich Versicherter mit Arzneimitteln ist keinesfalls eine akzeptable Situation, eine rechtmäßige Verwaltungspraxis beim MDK muß im Interesse der Allgemeinheit, welche diesem relativ schutzlos ausgeliefert ist, dringend hergestellt werden, und auch die Schadensersatzfrage wird später noch zu klären sein. Daher begehrt der Kläger weiterhin die Feststellung der Leistungspflicht auch anhand der materiellen Fragestellung, selbst wenn auch die Genehmigungsfiktion zu bejahen ist.

(3) Maßnahmen der Selbsthilfe

Der Kläger schätzt seine Erfolgsaussichten in der Hauptsache weiterhin als ausgezeichnet ein. Da aber bereits die lange Verfahrensdauer selbst zum Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in der Sache unangemessen ist, sind nunmehr Maßnahmen der Selbsthilfe zum Schutz der Interessen des Klägers notwendig geworden.

Diese bestehen im Wesentlichen aus zwei Massnahmen. Zum einen, (a) ein sofortiger Versicherungswechsel in die PKV; parallel (b) die Selbstbeschaffung des beantragten Wirkstoffes auf ökonomisch vertretbare wenn auch rechtlich fragwürdige Weise.

Ad a: Die Möglichkeit zum ersten ergibt sich aus den besonderen persönlichen Umständen des Klägers und mußte nunmehr ohne die ansonsten gebotene, sorgfältige Abwägung von Vor- und Nachteilen – kalkulatorischer Natur sowie betreffend den Leistungsumfang – in die Wege geleitet werden (auch so ein Vorgang braucht nämlich Zeit bis er abgeschlossen ist) damit so ein Problem zumindest in der Zukunft für den Kläger nicht mehr entsteht. Gegenüber einer PKV kann ein Leistungsanspruch bezüglich einer schon vor Vertragsschluss notwendigen Leistung der GKV klarerweise nicht gegeben sein, also ist die Arzneimittelversorgung im Rahmen der gesetzlichen Pflichten durch die Beklagte für einen gewissen Zeitraum, jedenfalls bis zum vollendetem Vertragswechsel und dem Ablauf etwaiger Wartezeiten bzw allgemeinvertraglicher Leistungsausschlüsse bei bestehender Erkrankung weiterhin angemessen. Hierbei wird im Streit in einer ungewöhnlichen Konstellation wohl juristisches Neuland betreten werden. Das dauerhafte Verlassen der gesetzlichen Krankenversicherung ist aufgrund des nahezu vollständigen Vertrauensverlustes in die Rechtmäßigkeit der Verwaltung bei der Beklagten wie auch beim MDK klar gerechtfertigt. [ 9 ]Ad b: Zum zweiten Punkt führe ich gerne im Detail aus, welche Pandora-Büchse die Vorsitzende durch ihre in Aussicht gestellte Ablehnung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz hier öffnet:

Fraglos handelt es sich beim beantragten in Deutschland um ein außerordentlich teures Arzneimittel welches in seinen normalen Beschaffungskosten weit außerhalb der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nahezu aller Versicherten liegt. Andererseits kann derselbe Wirkstoff aber, wegen der sehr einfachen Synthese in der Herstellung, auch aus Drittländern bezogen werden, und zwar zu Preisen welche zum Beispiel in Indien circa 1/70 des deutschen Arzneimittelpreises entsprechen. Der Unterschied liegt hauptsächlich darin begründet, daß die Gesetzesordnung einiger Ländern trotz großer pharmazeutischer Industrie den Patentschutz auf Arzneimittel generell verneint.

Als Beschaffungsmethode rechtlich zulässig und international gar nicht unüblich – jedenfalls außerhalb westlicher Länder – ist es, diese als Reisender zur eigenen Verwendung mitzuführen und auf diese Weise selbst zu importieren. Dabei gilt als allgemein akzeptierte Mengenbegrenzung jene entsprechend drei Monaten bei der maximalen Dosis welche sich aus der Packungsbeilage ergibt (wie es einer oft visumfreien Reisedauer entspricht); eine Zolldeklaration ist hierbei nicht erforderlich. Aufgrund der Pandemie-Situation kommt dieser Beschaffungsweg aktuell freilich nicht in Frage.

Daher muß auf einen anderen Beschaffungsweg zurückgegriffen werden, und das ist in Pandemiezeiten der Versand. Der Begriff des Inverkehrbringens in den Verbotsnormen des AMG ist weder im Gesetz noch per Rechtsprechung präzise definiert und daher eine Interpretationsfrage. Am ehesten wird damit die Bereitstellung zum Verkauf, im Gegensatz zum eigenen Verbrauch, gemeint sein und das AMG spielt hier keine Rolle. Bei Zollbehörden muß man a priori allerdings eine inkorrekt extensive Interpretation dieses Begriffes, angelehnt an die Definition im EU-Recht zur EUSt erwarten, und im besten Fall eine lange Verzögerung des Importvorganges welche den Zweck der Beschaffung vereiteln würde. Die erfolgreiche Beschaffung auf dem Versandweg kann daher nur mithilfe eines Verkäufers erfolgen, welcher mit Zollbehörden bei Problemstellungen entlang der Grenzen des AMG Erfahrung hat. Es dürfte allgemein bekannt sein, daß diese Expertise in sogenannten Dark Net Markets zu finden ist; damit gemeint sind die einseitig anonymen Online-Marktplätze, mit treuhänderisch organisierter Bezahlung per Cryptocurrency, auf welchen – wie allgemein bekannt sein dürfte – nicht nur mit Arzneimitteln sondern auch mit verbotenen Substanzen im Sinne des BtMG nebst anderen Dingen welche eher der kriminellen Welt zuordenbar sind gehandelt wird. Im wesentlichen kann man also hier in Erwägung ziehen seine moralischen Vorbehalte gegen solche Handelspartner zu überwinden und den Wirkstoff Deferasirox auf diese Weise zu beziehen, und zwar aufgrund der Erfahrung der Verkäufer auch mit hinreichender Erfolgsaussicht. Aus Sicht des Klägers würde vermutlich auch nur die Abgabenordnung verletzt, ein Problem welches vermutlich durch rechtfertigenden Notstand, Analogie zur Reisesituation, und dem Erfordernis eines strafrechts-ähnlichen Verfahrens mit Bewertung des subjektiven Unwertsgehaltes, wie es sich aus Art. 6 EMRK ergibt, gelöst werden kann. Im sehr unwahrscheinlichen Fall von Ansprüchen [ 10 ]nach dem PatG durch den pharmazeutischen Unternehmer würde der Kläger sich, nach Erledigung der Hauptsache hier, an der Beklagten schadlos halten.

Die Überprüfung, daß man bei dieser Beschaffungsmethode auch tatsächlich den beabsichtigten Wirkstoff erhält, liegt übrigens im Möglichkeitsbereich des Klägers. Die korrekte Vorgangsweise ist hier der Vergleich per NMR-Spektroskopie mit Referenzen aus der wissenschaftlichen Literatur oder Patentanmeldungen zum Wirkstoff, nicht anders als es auch in der Qualitätskontrolle bei GMP-konformer Arzneimittelfertigung gemacht wird.

Dem Sozialgericht möge also auch bewusst sein, welche Folgen eine gewollte Minderversorgung gesetzlich Versicherter auch auf die Rechtskultur haben kann.

(4) Fazit

Erst wenn die notwendige Arzneimittelversorgung beim Kläger hergestellt ist kann der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgenommen werden. Ungeachtet der zukünftigen Versorgung verbleibt in der Hauptsache das Feststellungsinteresse aufgrund Schadensersatz; zudem besteht das Erfordernis der Ausschöpfung der Rechtsmittel hinsichtlich der Amtshaftung des MDK. Die Hauptsache bleibt also weiterhin rechtshängig, selbst nachdem dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz doch stattgegeben werden sollte.

F[..]

Anhänge:

B6: Stellungnahme des MDK vom 29. Juli 2020
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B7: Jahresbericht 2019 des MDK, Seiten 13f
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B8: Saliba 2017
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B9: Tanaka 2014
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B10: Abb. 2 aus Taher 2013
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