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Beschluss vom 3. Februar 2021

From Wickepedia
Doc:20210203-er1-lsg.redacted

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[ 1 ]

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--- L 5 KR 542/20 B ER 256 09.02.2021
[ 2 ]Beglaubigte Abschrift

L 5 KR 542/20 B ER
S 12 KR 1265/20 ER

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

F[..], 80802 München
- Antragsteller und Beschwerdeführer -

gegen

Techniker Krankenkasse, Hauptverwaltung, vertreten durch den Vorstand, Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg - [..] - Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -

wegen einstweiliger Anordnung

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 3. Februar 2021

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialgericht Rittweger sowie die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Barkow-von Creytz und die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Dr. Klopstock folgenden

Beschluss:

I.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17.11.2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. [ 3 ] Gründe:

I.

Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung des Antragstellers mit dem Medikament Exjade. Der Antragsteller, geb. am [..] war Mitglied der Antragsgegnerin. Er leidet an einer onkologischen Grunderkrankung und einer Eisenüberladung, die mutmaßlich auf die Tumortherapie zurückzuführen ist.

Mit Schreiben vom 16.07.2020, bei der Antragsgegnerin eingegangen per Telefax am 17.07.2020, bat die den Antragsteller behandelnde Onkologin Dr. [..] die Antragsgegnerin um Übernahme der Kosten für das Medikament Deferasirox im Rahmen einer Chelat-Therapie analog der Anwendung bei Patienten mit Eisenüberladung bei HFE-Homozygotie oder nicht transfusionsabhängiger Eisenüberladung bei Thallassämie mit Exjade. Dies sei zur Vermeidung sekundärer Organschäden durch die Eisenüberladung notwendig.

Die Antragsgegnerin unterrichtete den Antragsteller mit Schreiben vom 21.07.2020 darüber, dass die Unterlagen zur Prüfung an den MDK weitergeleitet werden. Dr. Moscatelli vom MDK Bayern erstattete am 29.07.2020 ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage und gelangte zu dem Ergebnis, dass für eine abschließende Begutachtung die relevanten Laborparameter im Verlauf sowie Übersicht aller bisher eingesetzten, konkreten, medikamentösen (Wirkstoff, Dosierung, Dauer und Kombinationen) und nicht medikamentösen (Art, Frequenz, Erfolg mit Bezug auf Laborwerte) Therapien für die antragsgegenständliche und alle weiteren Begleit/Grunderkrankungen erforderlich sei.

Darauf bat die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 03.08.2020 und 17.08.2020 und 18.08.2020 jeweils unter Nennung von voraussichtlichen Entscheidungs­ terminen um die entsprechenden Informationen gern, den Ausführungen des MDK. Die angeforderten medizinischen Unterlagen gingen schließlich am 27.08.2020 beim MDK ein.

Am 17.09.2020 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München beantragt und zugleich Klage erhoben auf Feststellung, dass die Antragsgegnerin die gesetzliche Entscheidungsfrist nicht eingehalten habe. [ 4 ]Mit Gutachten vom 18.09.2020 führte der MDK aus, dass die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien, da verschiedene Arzneimittel mit breiterer Zulassung zur Verfügung stünden und eine fachärztliche Begründung, dass die­ se Therapien nicht eingesetzt werden könnten, fehle. Zwar liege eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung vor, nicht erfüllt sei jedoch das Kriterium der fehlenden Behandlungsalternative sowie das Erfordernis einer ausreichend gesicherten Datenlage. Mit Bescheid vom 24.09.2020 lehnte die Antragsgegnerin daraufhin den An­ trag auf Versorgung mit dem Arzneimittel Exjade ab.

Seit dem 30.09.2020 ist die Mitgliedschaft des Antragstellers bei der Antragsgegnerin beendet. Seither ist der Antragsteller nach eigenen Angaben privat krankenversichert. Er hat in einem Telefongespräch mit der Antragsgegnerin vom 29.10.2020 angegeben, dass keine Privatrezepte ausgestellt worden und ihm auch keine Kosten entstanden seien.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 17.11.2020 den Antrag auf Eilrechtsschutz abgelehnt und seine Entscheidung vornehmlich darauf gestützt, dass ein Anordnungsanspruch nicht bestehe, da die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use nicht erfüllt seien. Im Falle des Antragstellers fehle es zudem an einem Anordnungsgrund im Sinne der Eil bedürftigkeit dergestalt, dass ohne eine vorläufige Kostenübernahme für das Medikament Exjade gewichtige gegenwärtige und später nicht wieder gut zu machende Nachteile drohen oder solche schon eingetreten sind. Ihm stünden andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers mit der er unter Anderem aus­ drücklich auf seinen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren Bezug nimmt Das Sozialgericht hätte eine Interessenabwägung vornehmen müssen, anstatt nach den Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu entscheiden. Es sei eine Genehmigungsfiktion eingetreten.

Sinngemäß beantragt der Antragsteller,

den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17.11.2020 aufzuheben und
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller mit dem Arzneimittel Exjade zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt, [ 5 ]

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Akte der Antragsgegnerin waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Ergänzend wird hierauf Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§§ 172,173 SGG) eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet.

1. Aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch des Antragstellers auf Versorgung mit dem Medikament Exjade im Off-Label-Use streitgegenständlich im Zeitraum ab Antragstellung beim Sozialgericht München (17.09.2020) bis zum Ende der Mitgliedschaft (30.09.2020). Der Antragsteller hat ausdrücklich die Versorgung mit dem Medikament beantragt und keinen Antrag auf

Kostenerstattung gestellt. Aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft ist das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers entfallen mit der Folge, dass der ursprünglich zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nachträglich unzulässig geworden ist. Bereits aus diesem Grund hat die Beschwerde keinen Erfolg.

1. Zudem hat das SG den Antrag auf vorläufige Versorgung mit dem Medikament Exjade im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Hiervon ist dann auszugehen, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05).

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass sowohl der geltend gemachte Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund vom Antragsteller glaubhaft sind (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 290 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO. Anordnungsansprych ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der begehrten vorläufigen Regelung. Ist das Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlich, sind an das Vorliegen des Anordnungsgrundes weniger strenge Anforderungen zu stellen. Sind die Erfolgsaussichten [ 6 ]in der Hauptsache offen, sind die Folgen abzuwägen, die bei Erlass bzw. bei Nichterlass einer einstweiligen Anordnung entstehen würden. Hat das Hauptsacheverfahren keine

Aussicht auf Erfolg, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch dann abzulehnen, wenn ein Anordnungsgrund gegeben ist (vgl. Keller in: Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage, § 86b Rdnr. 27).

Vorliegend ist die Versorgung mit einem Fertigarzneimittel streitig. Dieses Arzneimittel dient nach der medizinischen Dokumentation nicht der Behandlung der beim Antragsteller unstreitig vorliegenden lebensbedrohlichen Tumorerkrankung, sondern der Abwendung konkret drohender Organschäden als Folge der Tumorbehandlung. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist wegen der drohenden Organschäden auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009,1 BvR 120/09 Rn. 11). Wäre eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage wegen der Eilbedürftigkeit nicht möglich, muss anhand einer Folgenabwägung entschieden wer den: je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung zurückgestellt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Nach eingehender Prüfung bestehen vorliegend keine Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Denn der Antragsteller hat eine Sachleistung geltend gemacht Da ihm keine Kosten entstanden sind, hat er folgerichtig auch keine Klageänderung vorgenommen. Ein Sachleistungsanspruch steht ihm ab Beendigung der Mitgliedschaft nicht mehr zur Seite.

Aber auch eine hypothetische Folgenabwägung bei Unterstellen eines materiellen Leistungsanspruchs würde nicht zugunsten des Antragstellers ausfallen. Denn es bestehen offensichtlich Behandlungsalternativen mit zugelassenen Medikamenten. Weiter hat das SG[1] hat zutreffend dargelegt, dass der Antragsteller die Behandlung mit dem streitgegen ständlichen Medikament zur Vermeidung sekundärer Organschäden durch die Eisenüberladung mangels indikationsbezogener Zulassung nicht zu Lasten der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fall 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V verlangen kann.

Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Versorgung mit Exjade im Rahmen eines Off-Label-Use. Für einen Anspruch aus § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des GBA und im Falle von [ 7 ]klinischen Studien regelt, liegt nichts vor. Aber auch nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen für einen Off-Label-Use kann der Antragsteller nach der medizinischen Dokumentation von der Antragsgegnerin die Behandlung mit Exjade nicht verlangen. Danach kommt ein Off-Label-Use nur dann in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2005, B 1 KR 6/04 R).

Es fehlt an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht. Nach der Rechtsprechung des BSG kann von einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg nur dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (vgl. z.B. BSG, Urteil v. 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R).
(Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26. August 2020 - L 4 KR 325/20 B ER -, Rn. 24 - 33, juris). Diese Voraussetzungen sind im Fall von Exjade nicht erfüllt.

Schließlich hat die Antragsgegnerin nicht die Entscheidungsfristen von § 13 Abs. 3 a SGB V verletzt, da sie entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Frist zur Verbescheidung des Antrages jeweils wirksam verlängert hat. Im Übrigen folgt aus der Genehmigungsfiktion allein ein Anspruch auf Kostenerstattung, nicht aber auf die hier begehrte Sachleistung in Form der Versorgung mit einem Medikament (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 -BI KR 9/18 R).

Der Beschwerde bleibt daher vollumfänglich der Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Absatz 1 SGG. [ 8 ]Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar und beendet das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz.

Rittweger

Dr. Klopstock

Barkow-von Creytz [ 9 ] Zugestellt am 13.02.21